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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
8C_276/2007 
 
Urteil vom 20. November 2007 
I. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Ursprung, Präsident, 
Bundesrichter Lustenberger, Bundesrichterin Leuzinger, 
Gerichtsschreiberin Polla. 
 
Parteien 
S.________, 1968, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Dr. Peter Bohny, Falknerstrasse 36, 4005 Basel, 
 
gegen 
 
IV-Stelle des Kantons Solothurn, Allmendweg 6, 4528 Zuchwil, Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn vom 8. Mai 2007. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Mit Verfügung vom 14. März 2007 hob die IV-Stelle des Kantons Solothurn die dem 1968 geborenen S.________ seit 1. November 2001 ausgerichtete ganze Rente mit Wirkung per Ende April 2007 auf. Gleichzeitig hielt sie unter Hinweis auf Art. 66 IVG und Art. 97 AHVG fest, eine Beschwerde gegen diese Verfügung habe keine aufschiebende Wirkung. 
B. 
Am 29. März 2007 liess S.________ beim Versicherungsgericht des Kantons Solothurn einen "Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung" stellen. Mit Schreiben vom 16. April 2007 wurde ausserdem Beschwerde erhoben und beantragt, es sei die Verfügung vom 14. März 2007 aufzuheben und die ganze Invalidenrente weiterhin auszurichten. 
 
Das kantonale Gericht wies das Gesuch um Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ab (Verfügung vom 8. Mai 2007). 
C. 
S.________ lässt Beschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, es sei der Entscheid vom 8. Mai 2007 aufzuheben und der Beschwerde vom 16. April 2007 gegen die Verfügung vom 14. März 2007 die aufschiebende Wirkung zu erteilen. 
 
Die IV-Stelle und das kantonale Gericht schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Bei der angefochtenen, das kantonale Verfahren nicht abschliessenden Verfügung vom 8. Mai 2007 handelt es sich um einen vorinstanzlichen Zwischenentscheid. Dessen selbstständige Anfechtbarkeit setzt voraus, dass er einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG; ein Anwendungsfall von lit. b dieser Bestimmung liegt nicht vor). Ob dies in der vorliegenden Konstellation zutrifft, kann letztlich offen bleiben, da die Beschwerde, wie sich aus den nachfolgenden Erwägungen ergibt, jedenfalls materiell unbegründet ist. 
2. 
Mit der Beschwerde gegen Entscheide über vorsorgliche Massnahmen (einschliesslich der Zuerkennung oder Verweigerung der aufschiebenden Wirkung) kann gemäss Art. 98 BGG nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte gerügt werden. Handelt es sich beim angerufenen verfassungsmässigen Recht um ein Grundrecht, prüft das Bundesgericht dessen Verletzung nur insofern, als eine entsprechende Rüge vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG). In der Beschwerdeschrift ist zumindest in erkennbarer Weise anzuführen, welches Grundrecht verletzt sein soll, und kurz darzulegen, worin die behauptete Verletzung besteht (Urteil 8C_261/2007 vom 22. August 2007, E. 1.1 und 1.2). Gegebenes Rechtsmittel ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG), mit welcher auch Verletzungen der Bundesverfassung geltend gemacht werden können (Art. 95 lit. a BGG). Der eventualiter erhobenen subsidiären Verfassungsbeschwerde (Art. 113 ff. BGG) bedarf es nicht. 
3. 
Der Beschwerdeführer lässt zunächst geltend machen, der angefochtene Entscheid enthalte keine den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügende Begründung und verletze daher seinen Anspruch auf rechtliches Gehör. 
3.1 Im angefochtenen Entscheid wird erwogen, bei der Abwägung der Gründe für und gegen die sofortige Vollstreckbarkeit der Verfügung vom 14. März 2007 stehe dem Interesse der IV-Stelle, eine Rückforderung wegen der damit verbundenen administrativen Erschwernisse und der Gefahr der Uneinbringlichkeit nach Möglichkeit zu vermeiden, das Interesse des Beschwerdeführers gegenüber, während der Dauer des Prozesses nicht von der Fürsorge abhängig zu werden. Letzterem Umstand komme nach der Praxis des Eidgenössischen Versicherungsgerichts (EVG) nur dann ausschlaggebende Bedeutung zu, wenn mit grosser Wahrscheinlichkeit anzunehmen sei, dass der Versicherte im Hauptverfahren obsiegen werde. Nach Konsultation der Verfügung vom 14. März 2007 stehe nicht rechtsgenügend fest, dass der Beschwerdeführer im Hauptverfahren mit grosser Wahrscheinlichkeit obsiegen werde. Die Verfügung der IV-Stelle erweise sich jedenfalls nicht als offensichtlich falsch, was aber gemäss EVG notwendig wäre, wollte man dem Interesse des Beschwerdeführers, nicht vorübergehend fürsorgeabhängig zu werden, den Vorrang vor den Interessen der IV-Stelle an der sofortigen Vollstreckung einräumen. 
3.2 Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) folgt unter anderem die grundsätzliche Pflicht der Behörden, ihren Entscheid zu begründen. Die Begründung muss so abgefasst sein, dass der Betroffene den Entscheid gegebenenfalls sachgerecht anfechten kann. Sie muss kurz die wesentlichen Überlegungen nennen, von denen sich das Gericht hat leiten lassen und auf die sich sein Entscheid stützt. Nicht erforderlich ist hingegen, dass sich der Entscheid mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinander setzt und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt (BGE 133 III 439 E. 3.3 S. 445 mit Hinweisen). Ausgehend von diesen Grundsätzen sind die verfassungsmässigen Anforderungen an die Begründung mit Blick auf die konkrete materiell-, beweis- und verfahrensrechtliche Lage festzulegen (vgl. SVR 2006 IV Nr. 27 S. 92 E. 3.2, I 3/05; Isabelle Häner, Vorsorgliche Massnahmen im Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, ZSR 1997 II 253 ff., 375 Rz. 163). 
3.3 Im Zusammenhang mit der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist, wie das kantonale Gericht zutreffend darlegt, eine Interessenabwägung vorzunehmen (BGE 105 V 266 E. 2 S. 268 f. und seitherige Rechtsprechung). Wie das Bundesgericht mit Bezug auf Taggeld- und Heilbehandlungsleistungen der obligatorischen Unfallversicherung festgehalten hat (Urteil 8C_261/2007 vom 22. August 2007, E. 2.2), ist es - unter dem Aspekt des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes - diese Interessenabwägung, auf welcher die Zulässigkeit eines Entzugs der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsmittels gegen eine laufende Leistungen entziehende Verfügung basiert. Für die vorliegend zur Diskussion stehende Aufhebung einer laufenden IV-Rente gilt nichts anderes. Dementsprechend erstreckt sich die Begründungspflicht auch auf die Interessenabwägung. Soweit in diesem Rahmen die Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu beurteilen sind, ist allerdings eine gewisse Zurückhaltung angebracht: Ebenso wie ein Zwischenentscheid grundsätzlich keine Anordnungen enthalten soll, welche im Resultat auf eine Vorwegnahme des Endentscheides hinauslaufen (Urteil I 278/02 vom 24. Juni 2002, E. 3c), gilt es diesen Effekt bei der Begründung zu vermeiden (Urteil 2A.397/2005 vom 3. Januar 2006, E. 2.2). Andernfalls können sich die beteiligten Gerichtspersonen im weiteren Verlauf des Verfahrens mit dem Vorwurf der Befangenheit oder Voreingenommenheit konfrontiert sehen (vgl. z.B. Urteil U 391/04 vom 13. September 2005, E. 5.2.1 und 5.2.2). Eine allzu eingehende Stellungnahme zum voraussichtlichen Ausgang des Hauptprozesses sollte auch dann vermieden werden, wenn, wie hier, die Zwischenverfügung durch den Einzelrichter erlassen wird, während der Endentscheid in die Zuständigkeit eines Kollegiums fällt (vgl. Isabelle Häner, a.a.O., S. 374 Rz. 161). Es ist daher grundsätzlich zulässig und der Verfahrenssituation angemessen, die Erwägungen in einem Zwischenentscheid über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsmittels bezüglich der Hauptsachenprognose auf eine summarische Prüfung zu beschränken. In diesem Sinne gelten gegenüber einem Endentscheid deutlich herabgesetzte Begründungsanforderungen (Urteil 2A.523/1995 vom 7. Februar 1996, teilweise publiziert in RDAT 1996 II Nr. 10 S. 34 ff.; Michele Albertini, Der verfassungsmässige Anspruch auf rechtliches Gehör im Verwaltungsverfahren des modernen Staates, Diss. Bern 1999, S. 420 f. mit Fn. 136; vgl. auch das bereits zitierte Urteil 2A.397/2005 vom 3. Januar 2006, E. 3.1 am Anfang). Im konkreten, vorliegend zur Diskussion stehenden Zusammenhang der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsmittels gegen die Aufhebung einer laufenden Rente der Eidgenössischen Invalidenversicherung ist eine Begründung daher ausreichend, wenn aus ihr hervorgeht, dass das kantonale Gericht eine Interessenabwägung vorgenommen hat und warum diese in einem bestimmten Sinn ausgefallen ist. 
3.4 Auch bei Zugrundelegung des dargelegten Massstabs ist dem Beschwerdeführer darin zuzustimmen, dass die Begründung der vorinstanzlichen Zwischenverfügung vom 8. Mai 2007 sehr knapp ausgefallen ist. Durch die Formulierung, die Prozessaussichten sprächen "nach Konsultation der Verfügung vom 14. März 2007" nicht eindeutig zu Gunsten des Beschwerdeführers, wurde jedoch ein Bezug zum Inhalt der rentenaufhebenden Verfügung hergestellt. Ein solcher Verweis in der Begründung ist im Einzelfall grundsätzlich möglich (vgl. Lorenz Kneubühler, Die Begründungspflicht, Diss. Bern 1998, S. 30, mit Hinweisen). Zu Problemen kann es allerdings führen, wenn auf umfangreiche Dokumente verwiesen und/oder regelmässig in dieser Weise verfahren wird (Urteil 4P.343/2006 vom 26. April 2007, E. 4.2.1 und 4.2.3). Der hier zur Diskussion stehende Hinweis auf die zwei Seiten umfassende Verwaltungsverfügung vom 14. März 2007 war jedoch zulässig. Der Verfügung ist zu entnehmen, dass sich die IV-Stelle insbesondere auf neue medizinische Abklärungen und eine Stellungnahme des Regionalen Ärztlichen Dienstes (RAD) stützte, auf dieser Grundlage einen Invaliditätsgrad von 0% ermittelte und eine anspruchserhebliche Veränderung gegenüber der seinerzeitigen rentenzusprechenden Verfügung vom 15. Januar 2003 bejahte. Unter Berücksichtigung des Verweises auf die Verwaltungsverfügung wird die Begründung des Zwischenentscheides vom 8. Mai 2007 den einzig zu prüfenden (E. 2 hiervor) verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht, auch wenn es prinzipiell vorzuziehen wäre, wenn der Entscheid selbst - im Rahmen der dargelegten Grenzen - eine Darstellung der Beurteilungsgrundlagen enthielte (vgl. das bereits erwähnte Urteil 4P.343/2006 vom 26. April 2007). 
4. 
Die übrigen in der Beschwerde enthaltenen Beanstandungen sind, soweit sie in einer den Anforderungen von Art. 106 Abs. 2 BGG genügenden Weise vorgebracht werden, unbegründet: 
4.1 Die Interessenabwägung als solche kann nur unter dem Gesichtspunkt des Willkürverbotes nach Art. 9 BV geprüft werden. Die allfällige Notwendigkeit des Bezugs von Sozialhilfe begründet praxisgemäss nicht ohne weiteres ein überwiegendes Interesse der versicherten Person an der Weiterausrichtung von Leistungen, und es wird nicht geltend gemacht, auf Grund der konkreten Verhältnisse drohten besonders einschneidende Auswirkungen, welche durch eine spätere Nachzahlung nicht wieder gutgemacht werden könnten. Der Hinweis auf "zwischenzeitliche Auswirkungen im Alltag" genügt hierfür nicht. Demgegenüber wird aus der Darstellung in der Beschwerdeschrift deutlich, dass eine Rückforderung tatsächlich gefährdet wäre. Unter diesen Umständen ist die Verneinung eines überwiegenden Interesses des Beschwerdeführers jedenfalls nicht willkürlich. 
4.2 Dem ebenfalls durch Art. 9 BV gewährleisteten verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz wird, wie inzwischen im bereits zitierten, ebenfalls den Beschwerdeführer betreffenden Urteil 8C_261/2007 vom 22. August 2007 festgehalten wurde, durch die Notwendigkeit einer Interessenabwägung hinreichend Rechnung getragen. Eine unvermittelte Leistungseinstellung "ohne erkennbare neue Tatsachen", wie sie laut dem Beschwerdeführer vorliegt, könnte unter dem Aspekt des Vertrauensschutzes in der Tat problematisch sein. Davon kann jedoch nicht gesprochen werden, denn die IV-Stelle, auf deren Verfügung der kantonale Zwischenentscheid Bezug nimmt, hat sich auf neue medizinische Abklärungen gestützt. Eine umfassende inhaltliche Prüfung der medizinischen Aktenlage durch das kantonale Gericht war im aktuellen Verfahrensstadium (noch) nicht verfassungsrechtlich geboten (zitiertes Urteil 8C_261/2007 vom 22. August 2007, E. 2.4). 
5. 
Das Verfahren ist in reduziertem Rahmen kostenpflichtig (Art. 65 Abs. 4 lit. a BGG). Als unterliegende Partei hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt. 
Luzern, 20. November 2007 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: 
 
Ursprung Polla