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[AZA 0/2] 
5C.249/2001/bnm 
 
II. Z I V I L A B T E I L U N G ******************************** 
 
 
20. Dezember 2001 
 
Es wirken mit: Bundesrichter Reeb, Präsident der II. Zivilabteilung, 
Bundesrichter Raselli, Bundesrichter Meyer und 
Gerichtsschreiber von Roten. 
 
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In Sachen 
X.________, Beklagter und Berufungskläger, vertreten durch Rechtsanwalt Christoph Suter, Bahnhofstrasse 6, Post-fach 1124, 5610 Wohlen, 
 
gegen 
X.-Y.________, Klägerin und Berufungsbeklagte, vertreten durch Rechtsanwältin Esther Küng, Bahnhofstrasse 24, Post- fach 617, 5401 Baden, 
 
betreffend 
Ehescheidung, 
wird im Verfahren nach Art. 36a OG 
festgestellt und in Erwägung gezogen: 
 
1.- Die Ehegatten X.-Y.________ stehen in Scheidung. Zunächst war es X.-Y.________, die im August 1998 eine Ehescheidungsklage einreichte, und alsdann X.________, der im Januar 1999 vor Gericht die Scheidung antrug. Ihr Verfahren wurde als gegenstandslos von der Kontrolle abgeschrieben (OR. 1998. 50460), während seine Klage an prozessualer Säumnis scheiterte (OR. 1999. 50036). 
 
Am 7. Juni 1999 klagte X.-Y.________ erneut auf Scheidung, zog die Klage am 30. März 2000 indessen wieder zurück. Die Abschreibung des Verfahrens OR.1999. 50287 erfolgte durch Beschluss vom 25. Mai 2000, der den Parteien aber erst am 17./20. April 2001 eröffnet wurde. Inzwischen hatte X.-Y.________ am 8. Juni 2000 wiederum eine Scheidungsklage angehoben, der X.________ die Einrede der Rechtshängigkeit des - in jenem Zeitpunkt - noch nicht förmlich abgeschriebenen Scheidungsverfahrens OR.1999. 50287 entgegensetzte. 
Der Präsident 2 am Bezirksgericht Baden räumte zwar ein, dass nach kantonalem Prozessrecht ein Verfahren bis zur formellen Rechtskraft des Abschreibungsbeschlusses rechtshängig bleibe; es komme jedoch einem überspitzten Formalismus gleich, die Anhandnahme der späteren Scheidungsklage zu verweigern, nachdem die frühere zurückgezogen und nur noch nicht formell korrekt abgeschrieben worden sei (Verfügung vom 11. April 2001). Die Abweisung der Rechtshängigkeitseinrede focht X.________ an. Seine Beschwerde wies das Obergericht (5. Zivilkammer) des Kantons Aargau ab mit der Begründung, es fehle an der Anspruchsidentität, weil mit der zurückgezogenen Klage die Scheidung gestützt auf Art. 112 ZGB (Teileinigung) verlangt worden sei, mit der erneuten Klage hingegen der Scheidungsgrund nach Art. 115 ZGB (Unzumutbarkeit) geltend gemacht werde (Urteil vom 8. August 2001). 
Mit Berufung beantragt X.________ dem Bundesgericht sinngemäss, das von X.-Y.________ am 8. Juni 2000 angehobene Ehescheidungsverfahren mit Nichteintretensentscheid zu schliessen. Das Obergericht hat auf das Anbringen von Gegenbemerkungen verzichtet. Eine Berufungsantwort ist nicht eingeholt worden. 
 
 
2.- Die Einrede der Rechtshängigkeit bezweckt, die zeitgleiche Durchführung mehrerer Prozesse über denselben Streitgegenstand zu verhindern. Die Einrede der abgeurteilten Sache bezweckt, die Durchführung eines neuen Prozesses über einen bereits in einem früheren Verfahren rechtskräftig abgeurteilten, identischen Streitgegenstand zu verhindern. Die Einrede der Rechtshängigkeit wandelt sich in die Einrede der Rechtskraft, wenn das eine der hängigen Verfahren vor der Beurteilung der Rechtshängigkeitseinrede im anderen rechtskräftig abgeschlossen wird. - Die beiden Einreden stimmen in ihrer Zielsetzung überein, das Zustandekommen widersprechender Urteile über den gleichen Streitgegenstand zu verhindern. Die Einrede der Rechtshängigkeit gehört dabei grundsätzlich dem kantonalen Prozessrecht an. Nach Bundesrecht beurteilt sich jedoch, ob zwei konkurrierende Verfahren identische, materiell im Bundesrecht begründete Ansprüche der gleichen Prozessparteien zum Gegenstand haben. Soweit es einen bundesrechtlichen Anspruch vor einem widersprechenden Urteil zu schützen gilt, muss Bundesrecht auch darüber befinden, ob und inwieweit es die Einrede der Rechtshängigkeit zulassen will (BGE 114 II 183 E. 2a S. 186; zuletzt: BGE 127 III 279 E. 2b S. 283; ebenso im Verwaltungsprozess: BGE 125 V 345 E. 1b S. 347). - Nebst den gezeigten Sätzen ungeschriebenen Bundesrechts bestimmt materielles Scheidungsrecht, in welchem Zeitpunkt die Rechtshängigkeit des gemeinsamen Scheidungsbegehrens bzw. der Scheidungsklage eintritt (Art. 136 ZGB). 
Alle andern Fragen im Zusammenhang mit der Rechtshängigkeit bleiben - unter Vorbehalt der hier offenkundig nicht einschlägigen Art. 35 f. GestG (SR 272; Bundesgesetz über den Gerichtsstand in Zivilsachen, Gerichtsstandsgesetz) - hingegen vom kantonalen Prozessrecht beherrscht (Art. 122 Abs. 2 BV). Dieses bestimmt, in welcher Form, vor welcher Instanz und namentlich in welchem Zeitpunkt - in limine litis oder jederzeit - die Einrede der Rechtshängigkeit erhoben werden kann oder muss und welche Folgen an deren Bejahung - Rückweisung der Klage oder Verfahrenssistierung - haben soll (vgl. zum Grundsatz: BGE 96 II 447 E. 2a S. 450; für den Zeitpunkt der Erhebung: BGE 96 I 449 E. 4 S. 452; für die Folgen: BGE 114 II 183 E. 2b S. 187; Reymond, L'exception de litispendance, Lausanne 1990, S. 80 f., mit Nachweisen). 
 
3.- Gestützt auf die dargelegten Grundsätze kann die obergerichtliche Abweisung der Rechtshängigkeitseinrede von vornherein nicht beanstandet werden. Nachdem das Scheidungsverfahren OR.1999. 50287 durch - zwischenzeitlich unstreitig in Rechtskraft erwachsenen - Abschreibungsbeschluss erledigt wurde, ist auch die Gefahr gebannt, dass in zwei Verfahren betreffend die Ehe der Parteien widersprechende Urteile ergehen könnten. Mehr oder anderes gebietet Bundesrecht nicht. 
Es genügt vielmehr, dass die (negative) Prozessvoraussetzung "keine Hängigkeit einer identischen Klage" bis zum Zeitpunkt der Fällung des Sachurteils erfüllt ist (vgl. zum Grundsatz: 
BGE 116 II 9 E. 5 S. 13 und 209 E. 2b/bb S. 211; 127 III 41 E. 4c S. 43; Vogel/Spühler, Grundriss des Zivilprozessrechts, 
7. A. Bern 2001, 7 N. 73, N. 80 und N. 85 f. S. 203 ff.; Hohl, Procédure civile, t. I: Introduction et théorie générale, Bern 2001, N. 309, N. 313 und N. 321 S. 76 ff.). 
 
4.-Die scheidungsrechtliche Betrachtungsweise des Obergerichts führt zu keinem anderen Ergebnis: Das Verfahren gemäss Art. 111 f. ZGB (Umfassende Einigung und Teileinigung) ist kein ordentliches streitiges Verfahren, in dem über den Anspruch eines Ehegatten auf Scheidung entschieden wird; es setzt vielmehr das Einverständnis beider Ehegatten zur Scheidung voraus ("auf gemeinsames Begehren") und bezweckt, die eheliche Gemeinschaft lediglich noch formell zu beenden, nachdem die Ehegatten einig sind und sich das Gericht davon überzeugt hat, dass ihr gemeinsames Scheidungsbegehren auf freiem Willen und reiflicher Überlegung beruht. Demgegenüber wird im Verfahren nach Art. 114 f. ZGB (Scheidung nach Getrenntleben und wegen Unzumutbarkeit) auf Klage hin in einem eigentlichen Zivilprozess über den Anspruch eines Ehegatten auf Scheidung entschieden (vgl. Botschaft, BBl. 1996 I 1, S. 83 ff. Ziffer 231. 21). Das nicht streitige Verfahren nach Art. 111 f. ZGB und das Klageverfahren gemäss Art. 114 f. ZGB können deshalb weder konkurrieren, noch haben sie identische Ansprüche der Parteien auf Scheidung zum Gegenstand. Selbst wenn ein Ehegatte beide Verfahren gleichzeitig rechtshängig machen sollte, besteht die Gefahr widersprechender Urteile von vornherein nicht, weil es letztlich vom Scheidungswillen des anderen Ehegatten abhängt, welches der beiden Verfahren zur Scheidung der Ehe führen kann. Soweit der Beklagte ferner einwendet, jeder Ehegatte könnte je an seinem Wohnsitz Klage auf Scheidung erheben, womit widersprechende Urteile drohten, muss zur Lösung dieses Problems nicht die Rechtshängigkeit bemüht werden; am Ort des zuerst klagenden Ehegatten besteht vielmehr ein zwingender bundesrechtlicher Gerichtsstand des Sachzusammenhangs auch für die Klage des andern Ehegatten, die dann als Widerklage zu behandeln ist (Botschaft, a.a.O., S. 134/135 Ziffer 234. 2). Die Gefahr widersprechender Urteile droht auch in diesem Fall nicht, wo ein Ehegatte das Verfahren nach Art. 111 f. ZGB einleitet und der andere auf Scheidung gemäss Art. 114 f. ZGB klagt; die Verfahren werden von Bundesrechts wegen koordiniert und die Bestimmungen über die Scheidung auf gemeinsames Begehren sinngemäss angewendet (Art. 116 ZGB). Zur Frage, ob die Eingabe eines einzigen Ehegatten formell überhaupt als Scheidung auf gemeinsames Begehren entgegengenommen werden muss, kann offen bleiben. 
 
5.- Aus den dargelegten Gründen muss die Berufung abgewiesen werden, soweit darauf einzutreten ist. Der Beklagte wird damit kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1.- Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist, und das Urteil des Obergerichts (5. Zivilkammer) des Kantons Aargau vom 8. August 2001 wird bestätigt. 
 
2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beklagten auferlegt. 
 
3.- Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht (5. Zivilkammer) des Kantons Aargau schriftlich mitgeteilt. 
 
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Lausanne, 20. Dezember 2001 
 
Im Namen der II. Zivilabteilung des 
SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: