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[AZA 0/2] 
5C.298/2001/otd 
 
II. Z I V I L A B T E I L U N G ******************************** 
 
 
21. Februar 2002 
 
Es wirken mit: Bundesrichter Bianchi, Präsident der 
II. Zivilabteilung, Bundesrichterin Hohl, Ersatzrichter 
Hasenböhler sowie Gerichtsschreiber Zbinden. 
 
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In Sachen 
Politische Gemeinde St. Gallen, 9000 St. Gallen, Klägerin und Berufungsklägerin, vertreten durch das Fürsorgeamt der Stadt St. Gallen, Multergasse 11, 9004 St. Gallen, 
 
gegen 
S.________, Beklagten und Berufungsbeklagten, vertreten durch Rechtsanwalt Kaspar Noser, Dorfstrasse 7, Postfach 160, 8722 Kaltbrunn, 
 
betreffend 
Verwandtenunterstützung, hat sich ergeben: 
 
A.- S.________ ist Vater von F.________; Vater und Sohn hatten seit mehr als zwanzig Jahren, von einer einzigen persönlichen Begegnung abgesehen, keinen Kontakt mehr miteinander. 
Das Fürsorgeamt der Stadt St. Gallen leistete dem drogenabhängigen und nicht mehr arbeitsfähigen F.________ in der Zeit von anfangs August 1999 bis Ende Juli 2000 Sozialhilfe im Umfang von Fr. 16'154. 75. 
 
B.-Am 4. August 2000 klagte die Politische Gemeinde St. Gallen beim Bezirksgericht St. Gallen gegen S.________ mit dem Begehren, dieser sei zu verpflichten, ihr Fr. 3'600.-- für die in der Zeit vom 4. August 1999 bis 
31. Juli 2000 geleistete Unterstützung von F.________ zu bezahlen; ferner sei S.________ dazu zu verhalten, für den künftigen Unterhalt von F.________ ab dem 1. August 2000 monatlich Fr. 300.-- zu bezahlen, solange die Notlage bestehe und die Leistungsfähigkeit des Beklagten gegeben sei. 
 
Mit Urteil vom 21. Februar/1. März 2001 hiess das Bezirksgericht die Klage im beantragten Umfang gut. Auf Berufung des Beklagten hob das Kantonsgericht St. Gallen am 17. Oktober 2001 das bezirksgerichtliche Urteil auf und wies die Klage ab. 
 
 
C.- Mit eidgenössischer Berufung beantragt die Klägerin dem Bundesgericht, das kantonsgerichtliche Urteil aufzuheben und den Entscheid des Bezirksgerichts St. Gallen vom 21. Februar/1. 
März 2001 zu bestätigen. 
Das Kantonsgericht St. Gallen hat auf Gegenbemerkungen verzichtet. Eine Berufungsantwort ist nicht eingeholt worden. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- Auseinandersetzungen über Beiträge der Verwandtenunterstützung sind vermögensrechtliche Zivilrechtsstreitigkeiten im Sinne von Art. 46 OG mit der Folge, dass die Zulässigkeit der Berufung vom Streitwert abhängt. Streitig sind vorliegend einerseits bisher erbrachte Unterstützungsleistungen von Fr. 3'600.-- und anderseits künftige Beträge von monatlich Fr. 300.--, solange der Sohn sich in einer Notlage befindet und der Beklagte leistungsfähig ist, somit für eine unbestimmte Dauer. In Anwendung von Art. 36 Abs. 5 OG ist hiefür der 20-fache Betrag der einjährigen Leistung einzusetzen. Damit ist die Streitwertgrenze von Art. 46 OG erreicht und die Berufung unter diesem Gesichtspunkt zulässig. 
Die übrigen Eintretensvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. 
 
2.- Das Kantonsgericht hat die Klage im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, es sei klar unbillig, einen Vater zu finanziellen Leistungen heranzuziehen, der ohne ersichtliches eigenes Versäumnis seit einem knappen Vierteljahrhundert keinerlei persönliche Verbindung mit dem Sohn mehr gehabt habe und aus dessen Leben völlig ausgeschlossen worden sei. 
 
Die Klägerin wirft dem Kantonsgericht unrichtige Anwendung von Art. 329 Abs. 2 ZGB vor. Es habe die zwischen Vater und Sohn eingetretene Entfremdung einseitig dem Sohn angelastet und sei deshalb zum falschen Schluss gelangt, die Verpflichtung des Beklagten zu Unterstützungsleistungen wäre unbillig. 
 
a) Art. 329 Abs. 2 ZGB sieht vor, dass der Richter die Unterstützungspflicht aufheben oder ermässigen kann, wenn die Heranziehung des Pflichtigen wegen besonderer Umstände als unbillig erscheint. 
 
Zu den besonderen Umständen im Sinne dieser Bestimmung ist vor allem das persönliche Verhältnis zwischen dem Unterstützungspflichtigen und dem Unterstützungsbedürftigen zu zählen, so etwa, wenn die persönliche Beziehung durch das Verhalten des Bedürftigen ernsthaft gefährdet ist, weil er seine familienrechtlichen Pflichten gegenüber dem Pflichtigen verletzt hat (Hegnauer, Grundriss des Kindesrechts, 
5. Aufl. 1999, S. 242, Rz. 29.13). Daneben gehört aber auch das Fehlen jeglicher persönlicher Beziehung zu den besonderen Umständen, welche die Unterstützungspflicht als unbillig erscheinen lassen (Hegnauer, a.a.O., Rz. 29.13; Koller, Basler Kommentar, N. 19 zu Art. 328/29 ZGB). Dem Sachgericht obliegt bei der vom Gesetz ausdrücklich verlangten Würdigung der besonderen Umstände nach Recht und Billigkeit im Sinne von Art. 4 ZGB zu entscheiden und kasuistisch eine den besonderen Verhältnissen angepasste Lösung zu finden. 
 
b) Dem Sachgericht steht mithin praxisgemäss ein eigener und breiter Ermessensspielraum zu; das Bundesgericht schreitet bei Ermessensentscheiden nur ein, wenn das Sachgericht grundlos von in Lehre und Rechtsprechung anerkannten Grundsätzen abgewichen ist, Tatsachen berücksichtigt hat, die für den Entscheid im Einzelfall keine Rolle hätten spielen dürfen, oder umgekehrt Umstände ausser Betracht gelassen hat, die hätten beachtet werden müssen. Einzugreifen ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ferner, wenn sich ein Ermessensentscheid als offensichtlich unbillig, als in stossender Weise ungerecht erweist (BGE 123 III 246 E. 6a S. 255; 125 III 412 E. 2a S. 417 f.; 126 III 266 E. 2b S. 273; 127 III 351 E. 4a S. 354, je mit Hinweisen). 
 
c) Vorliegend hat das Kantonsgericht sich eingehend mit dem Verhältnis des Beklagten zu seinem Sohn befasst und dazu festgehalten, dass die Ehe der Eltern geschieden worden sei, als der Sohn erst 2jährig gewesen sei. Die Mutter habe sich alsbald wieder verheiratet und der Sohn sei in dieser neuen Familie aufgewachsen. Der Beklagte habe aber die Beziehung zu seinem Sohn aufrecht erhalten, soweit ihm dies möglich gewesen sei, und bis zum 11. oder 12. Lebensjahr des Sohnes sei er diesem auch mehr oder weniger regelmässig begegnet. 
Zwar habe der Sohn in der Pubertät das Interesse an diesen Kontakten etwas verloren, weil er die Geselligkeit im Kreise seiner Kameraden und Freunde vorgezogen habe; doch hätten auch in der Folge noch sporadische Besuche stattgefunden, bis der Vorschlag der Adoption und der Namensänderung des Sohnes gemacht worden sei; dagegen habe der Beklagte opponiert. Gleichwohl habe dieser noch telefonischen Kontakt zu seinem Sohn aufrecht erhalten und es sei jeweils an Weihnachten auch zu persönlichen Begegnungen gekommen. 
Erst etwa im 15. Altersjahr des Sohnes sei die Beziehung zum Beklagten ganz abgebrochen, wobei der Sohn sich unbeeinflusst und bewusst zu diesem Schritt entschlossen habe. In den seither verflossenen fast 25 Jahren habe der Sohn seine Einstellung nicht geändert und sich auch nie bemüht, eine auch nur lockere Beziehung zu seinem Vater zu unterhalten. 
Unter diesen Umständen könne nicht von einer noch irgendwie funktionierenden Familiengemeinschaft gesprochen werden, die Anlass zur Solidarität unter den Generationen biete. Die Heranziehung des Beklagten zu Unterstützungsleistungen sei deshalb unbillig. 
 
d) Was die Klägerin gegen diese Begründung vorbringt, dringt nicht durch. 
aa) Die Klägerin lässt ausführen, das Kantonsgericht habe den letzten Besuch des Sohnes beim Beklagten im Jahre 1996 sehr abwertend und geradezu als eigennützig interpretiert, obwohl als primärer Besuchsgrund ganz klar der Wunsch des Sohnes deklariert worden sei, den Vater wieder einmal zu sehen. Damit übt sie indes Kritik an der Beweiswürdigung der Vorinstanz, was im Berufungsverfahren unzulässig ist (vgl. dazu BGE 122 III 219 E. 3c S. 223). Auf die Berufung in diesem Punkt kann daher nicht eingetreten werden. 
 
bb) Ins Leere stösst sodann der Vorwurf, die Vorinstanz habe die von ihr bejahte Unbilligkeit zu Unrecht mit der Namensänderung des Sohnes begründet. Das Kantonsgericht hat die Heranziehung des Beklagten zu Unterhaltsleistungen nicht deswegen als unbillig erachtet, weil der Sohn seinen Namen geändert habe. Ausschlaggebend ist vielmehr gewesen, dass zwischen dem Beklagten und seinem Sohn seit über 20 Jahren keine persönliche Verbindung mehr bestanden und es damit an einer tragfähigen Basis für Solidarität unter den Generationen gefehlt habe. In Bezug auf die Namensänderung hat die Vorinstanz lediglich bemerkt, diese könne nicht allein dem Wunsch des damals noch unmündigen Sohnes zugeschrieben werden, falle anderseits aber auch nicht in die Sphäre des Vaters. Auch daraus erhellt, dass das Kantonsgericht die Anwendung der Unbilligkeitsregel im vorliegenden Fall nicht auf die Namensänderung des Sohnes abgestützt hat. 
 
cc) Nicht zu hören ist die Klägerin ferner mit der Bemerkung, das Kantonsgericht habe die Unbilligkeit zu Unrecht auch damit begründet, dass der Sohn gegen seine familiären Pflichten verstossen habe. In Wirklichkeit habe der Vater die ihm obliegenden familienrechtlichen Pflichten nicht wahrgenommen, wäre er doch verpflichtet gewesen, insbesondere während der Pubertät des Sohnes durch vermehrte Präsenz in dessen Leben den Entfremdungsprozess zu stoppen. 
Stattdessen habe er mit Rückzug reagiert, sich nur noch auf sporadische Besuche beschränkt und dadurch dem Sohn die Möglichkeit verbaut, später wieder auf ihn zuzukommen. Auch diese Vorbringen erschöpfen sich in unzulässiger Kritik an den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz (Art. 63 Abs. 2 OG; BGE 122 II 26 E. 4a/aa mit Hinweis). 
 
Im Übrigen hat die Vorinstanz für das Bundesgericht verbindlich festgehalten (Art. 63 Abs. 2 OG), der Sohn habe sich im Jugendalter ohne Beeinflussung und ganz bewusst gegen seinen Vater entschieden; ferner habe er unmissverständlich geäussert, dass er seinen Vater nicht mehr sehen wolle, weil er nichts mehr für ihn empfinde. An dieser ablehnenden Haltung habe sich nichts mehr geändert. 
 
Angesichts dessen vom Beklagten zu verlangen, dass er vermehrt im Leben seines Sohnes hätte präsent sein müssen, geht zu weit. Wie der Beklagte bei der strikten Ablehnung durch den Sohn eine verstärkte Präsenz in dessen Leben hätte bewerkstelligen sollen, bleibt unerfindlich, zumal der Sohn stark in die neue Familie integriert worden war, was die Namensänderung belegt. In dieser Situation hätte eine vermehrte Präsenz des biologischen Vaters als unerwünschtes Eindringen in die neue Familie aufgefasst werden können und hätte sich letztlich kontraproduktiv ausgewirkt. Die Rüge der Klägerin hätte also auch dann keinen Erfolg, wenn sie materiell zu beurteilen wäre. 
 
Zusammenfassend besteht somit für das Bundesgericht kein Anlass, in den Ermessensentscheid der Vorinstanz einzugreifen. 
Die Berufung ist somit abzuweisen, soweit überhaupt darauf eingetreten werden kann, und das angefochtene Urteil ist zu bestätigen. 
3.- Bei diesem Verfahrensausgang wird die Klägerin kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG). Eine Parteientschädigung entfällt, weil keine Berufungsantwort eingeholt worden ist. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1.-Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist, und das Urteil des Kantonsgerichts St. Gallen, II. Zivilkammer, vom 17. Oktober 2001 wird bestätigt. 
 
2.-Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Klägerin auferlegt. 
 
3.-Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen, II. Zivilabteilung, schriftlich mitgeteilt. 
 
_____________ 
Lausanne, 21. Februar 2002 
 
Im Namen der II. Zivilabteilung 
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS 
Der Präsident: 
 
Der Gerichtsschreiber: