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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
8C_138/2011 {T 0/2} 
 
Urteil vom 21. Juni 2011 
I. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Ursprung, Präsident, 
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Niquille, 
Gerichtsschreiber Jancar. 
 
Verfahrensbeteiligte 
P.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Laube, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung (vorinstanzliches Verfahren, Kausalzusammenhang), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich 
vom 23. Dezember 2010. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Der 1967 geborene P.________ war Vorarbeiter in einem Malerbetrieb und damit bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch unfallversichert. Am 23. Mai 2006 wurde er von einem rückwärts parkierenden Auto angefahren und stürzte zu Boden. Der erstbehandelnde Arzt diagnostizierte gleichentags eine Kontusion von Rücken und Kopf sowie Schürfungen am rechten Ellbogen und an beiden Händen. Die SUVA erbrachte Heilbehandlung und Taggeld. Mit Verfügung vom 9. Oktober 2008 stellte sie die Leistungen auf Ende dieses Monats ein, da die Beschwerden des Versicherten organisch nicht hinreichend nachweisbar und nicht adäquat unfallkausal seien. Die dagegen von ihm und seinem Krankenversicherer erhobenen Einsprachen wies sie mit Entscheid vom 15. Mai 2009 ab. 
 
B. 
Die hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 23. De-zember 2010 ab. 
 
C. 
Mit Beschwerde beantragt der Versicherte, in Aufhebung des kantonalen Entscheides seien ihm die gesetzlichen Leistungen auch nach dem 1. November 2008 weiterhin auszurichten; es sei eine öffentliche Verhandlung gemäss Art. 6 EMRK durchzuführen; eventuell sei vom Bundesgericht eine medizinische Abklärung von einer IV-Stelle vorzumerken, die wirtschaftlich nicht von der IV abhängig sei. 
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
Am 17. Mai 2001 reicht der Versicherte eine Replik ein. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Die Beschwerde kann wegen Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Immerhin prüft es grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG; BGG 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254). 
Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG). 
 
2. 
2.1 Nach Art. 6 Ziff. 1 Satz 1 EMRK hat jede Person ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Vorliegend sind zivilrechtliche Ansprüche im Sinne dieser Norm streitig (BGE 122 V 47 E. 2a S. 50). Gemäss diesem Leiturteil hat das kantonale Gericht, dem es primär obliegt, die Öffentlichkeit der Verhandlung zu gewährleisten (E. 3 S. 54), bei Vorliegen eines klaren und unmissverständlichen Parteiantrags grundsätzlich eine öffentliche Verhandlung durchzuführen (E. 3a und 3b S. 55 f.). Ein während des ordentlichen Schriftenwechsels gestellter Antrag ist grundsätzlich rechtzeitig (BGE 134 I 331). Dem aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK abgeleiteten Anspruch auf deren Abhaltung ist Genüge getan, wenn die Recht suchende Person mindestens vor einer Instanz in einer öffentlichen Verhandlung gehört wird (Urteil 8C_504/2010 vom 2. Februar 2011 E. 1.2 und 2.2). 
 
2.2 Von einer öffentlichen Verhandlung kann nicht deswegen abgesehen werden, weil es sich um ein Verfahren mit hauptsächlich medizinischer Fragestellung handelt. Bildet Gegenstand einer Verhandlung einzig die Auseinandersetzung mit fachärztlichen Stellungnahmen zu Gesundheitszustand und Arbeitsunfähigkeit, kann deren Durchführung nicht verweigert werden mit dem Argument, das schriftliche Verfahren sei besser geeignet, medizinische Fragen zu erörtern (BGE 136 I 279 E. 3 S. 283 f.). 
 
2.3 Der Grundsatz der Öffentlichkeit bezieht sich sowohl auf die Parteiöffentlichkeit als auch auf die Publikums- und Presseöffentlichkeit. Er umfasst unter anderem den Anspruch des Einzelnen, seine Argumente dem Gericht mündlich in einer öffentlichen Sitzung vortragen zu können. Dagegen gilt das Öffentlichkeitsprinzip nicht für die Beratung des Gerichts; diese kann unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt werden (BGE 122 V 47 E. 2c S. 51; Urteil 6B_1078/2009 vom 13. Dezember 2010 E. 2.3 mit Hinweis; zur Unterscheidung zwischen Partei- und Publikumsöffentlichkeit vgl. auch RKUV 1996 Nr. U 246 S. 160). Der Öffentlichkeitsgrundsatz beinhaltet keinen Anspruch darauf, dass bestimmte Beweismittel öffentlich und in Anwesenheit der Parteien abgenommen werden. Die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung setzt daher im Sozialversicherungsprozess einen - im erstinstanzlichen Verfahren zu stellenden - Parteiantrag voraus, aus dem klar und unmissverständlich hervorgehen muss, dass eine konventionskonforme Verhandlung mit Publikums- und Presseanwesenheit durchgeführt werden soll. Wird lediglich eine persönliche Anhörung oder Befragung, ein Parteiverhör, eine Zeugeneinvernahme oder die Durchführung eines Augenscheins verlangt, darf das Gericht daraus schliessen, dass es dem Antragsteller um die Abnahme bestimmter Beweismittel und nicht um die Durchführung einer Verhandlung mit Publikums- und Presseanwesenheit geht (BGE 122 V 47 E. 3a S. 55 ; SVR 2009 IV Nr. 22 S. 62 E. 1.2 [9C_599/2008]; Urteil 9C_559/2007 vom 17. Dezember 2007 E. 1.2). 
 
3. 
3.1 In der vorinstanzlichen Beschwerde rügte der Versicherte, die SUVA habe seine Stellungnahme vom 26. März 2008 mit Beilagen, insgesamt 118 Seiten, nicht zu den Akten aufgenommen, was das Aktenführungsprinzip verletzt habe. Weiter verlangte er eine Zeugenbefragung des N.________ und eine Parteibefragung. Zudem führte er aus: "Zusätzlich behalten wir uns vor, eine parteiöffentliche Verhandlung zu verlangen: Schon die Vorinstanz hat weder den N.________ angehört, noch eine Parteibefragung durchgeführt, obwohl wir beides zum Beweis offeriert haben". Am 11. August 2009 stellte ihm die Vorinstanz die Beschwerdeantwort der SUVA zu und legte dar, allfällige weitere Verfahrensschritte sowie der Endentscheid würden den Verfahrensbeteiligten zu gegebener Zeit schriftlich mitgeteilt. Mit Eingabe vom 2. September 2009 legte der Versicherte dar, in der Beschwerde habe er das Recht auf eine Replik und eine Zeugen- sowie Parteibefragung beantragt. Er verzichte auf eine Replik. Hingegen bestehe er "auf der Durchführung einer parteiöffentlichen Verhandlung gemäss Art. 6 EMRK, zumindest mit einer Befragung des verunfallten Beschwerdeführers". 
 
3.2 Die Vorinstanz erwog im angefochtenen Entscheid, der Beschwerdeführer beantrage lediglich eine Parteibefragung im Rahmen einer öffentlichen Verhandlung und allenfalls eine Zeugeneinvernahme. Es bestehe jedoch kein Anspruch, dass bestimmte Beweismittel öffentlich und in Anwesenheit der Parteien abgenommen würden. Die genannten Beweismittel könnten zudem - wie nachfolgend zu zeigen sei - am Ausgang des Verfahrens nichts ändern, weshalb auf deren Abnahme verzichtet werden könne. 
 
4. 
4.1 Mit Eingabe vom 2. September 2009 teilte der Versicherte der Vorinstanz rechtzeitig mit, er bestehe auf der Durchführung einer parteiöffentlichen Verhandlung gemäss Art. 6 EMRK, zumindest mit seiner Befragung, eventuell mit einer Zeugenbefragung des N.________. Damit brachte er unmissverständlich zum Ausdruck, dass er eine parteiöffentliche Verhandlung verlange. Da das Begehren über einen blossen Beweisantrag hinausging, ist davon auszugehen, dass eine öffentliche Verhandlung in rechtsgenüglicher Weise beantragt wurde. Von einem Verzicht auf eine konventionskonforme öffentliche Verhandlung kann jedenfalls keine Rede sein (vgl. auch Urteil I 264/99 vom 13. Februar 2001 E. 2a mit Hinweisen). Wenn der Beschwerdeführer letztinstanzlich verlangt, dass zumindest das Bundesgericht eine öffentliche Verhandlung durchführe, will er mindestens vor einer Instanz in einer öffentlichen Verhandlung gehört werden. Dies ändert indessen nichts daran, dass es primär dem kantonalen Gericht obliegt, die Öffentlichkeit der Verhandlung zu gewährleisten (E. 2.1 hievor). 
 
4.2 In diesem Lichte sind die Voraussetzungen für einen Verzicht auf die vom Versicherten vorinstanzlich ausdrücklich beantragte Durchführung einer öffentlichen Verhandlung nicht gegeben. Weder ist der Antrag schikanös, noch läuft er dem Grundsatz der Einfachheit und Raschheit des Verfahrens zuwider. Sodann kann das Rechtsmittel nicht als offensichtlich unbegründet oder unzulässig bezeichnet werden, was denn auch seitens der Vorinstanz nicht angenommen wurde. Von hoher Technizität kann im vorliegenden Fall des Weiteren ebenfalls nicht gesprochen werden: Streitig ist, ob beim Versicherten natürlich- und erforderlichenfalls adäquat-unfallkausale gesundheitliche Störungen vorliegen und bejahendenfalls, inwieweit sie sich auf seine Behandlungsbedürftigkeit, Arbeitsfähigkeit und Integrität auswirken. Damit liegt ein Streit vor, der keine Ausnahme von der Pflicht, eine öffentliche Verhandlung durchzuführen, begründet. Schliesslich war dem materiellen Rechtsbegehren der Versicherten allein auf Grund der Akten nicht ohne Weiteres zu entsprechen. Alleine in Würdigung der Aktenlage gelangte das kantonale Gericht zum Schluss, die Beschwerde sei unbegründet. 
Indem die Vorinstanz unter diesen Umständen von der beantragten öffentlichen Verhandlung abgesehen hat, wurde dieser in Art. 6 Ziff. 1 EMRK gewährleisteten Verfahrensgarantie nicht Rechnung getragen. Es ist daher unumgänglich, die Sache an sie zurückzuweisen, damit sie den Verfahrensmangel behebt und die vom Beschwerdeführer verlangte öffentliche Verhandlung durchführt. Hernach wird sie über die Beschwerde materiell neu befinden (BGE 136 I 279 E. 4 f. S. 284 f.; Urteil 8C_139/2010 vom 30. Juni 2010 E. 2.3). 
 
5. 
Die Verfahrenskosten werden der unterliegenden SUVA auferlegt (Art. 66 Abs. 1, Art. 68 Abs. 2 BGG; Urteil 8C_139/2010 E. 3). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird in dem Sinne teilweise gutgeheissen, als der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 23. Dezember 2010 aufgehoben wird. Die Sache wird an dieses zurückgewiesen, damit es im Sinne der Erwägungen verfahre. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 750.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3. 
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen. 
 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 21. Juni 2011 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Ursprung Jancar