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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
I 195/04 
 
Urteil vom 21. September 2004 
IV. Kammer 
 
Besetzung 
Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung; Gerichtsschreiberin Schüpfer 
 
Parteien 
Bundesamt für Sozialversicherung, Effingerstrasse 20, 3003 Bern, Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
H.________, 1955, Beschwerdegegner 
 
Vorinstanz 
Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau 
 
(Entscheid vom 9. März 2004) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Dem 1955 geborenen H.________ musste als Folge eines Unfalles im Jahre 1971 das linke Bein oberhalb des Knies amputiert werden. Er bezieht seither Leistungen der Invalidenversicherung in Form von Hilfsmitteln unter anderem für Oberschenkel-Prothesen. Am 1. Oktober 2002 stellte der Versicherte ein Gesuch um Kostenübernahme für eine Oberschenkel-Prothese mit einem C-Leg (mit elektronischem Kniegelenk) im Umfang von Fr. 37'100.50. Die IV-Stelle des Kantons Aargau holte weitere Kostenvoranschläge ein und eröffnete H.________ die Kosten für die beantragte Prothese mit C-Leg-Knie könnten nicht übernommen werden, hingegen würden Fr. 9188.20 für eine andere Prothese bezahlt (Verfügung vom 5. Mai 2003). Daran wurde auf Einsprache hin festgehalten (Einspracheentscheid vom 23. Juli 2003). 
B. 
Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 9. März 2004 in dem Sinne gut, als es den Einspracheentscheid aufhob und die Sache zu ergänzenden Abklärungen sowie zur anschliessenden Neuverfügung über das Leistungsgesuch an die IV-Stelle zurückwies. 
C. 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde wendet sich das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) gegen diesen Entscheid und stellt die Anträge, dieser sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass die Invalidenversicherung das C-Leg nicht zu übernehmen habe. Die Sache sei an die IV-Stelle zurückzuweisen damit diese prüfe, ob ein Anspruch auf eine Versorgung mit einem Active-Line-Knie sowie einem Flex-Walk-Fuss bestehe. 
Während die IV-Stelle auf Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, beantragt H.________ sinngemäss deren Abweisung. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
1.1 Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen über den Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen der Invalidenversicherung im Allgemeinen (Art. 8 Abs. 1 IVG) und die Abgabe von Hilfsmitteln im Besonderen (Art. 8 Abs. 3 lit. d in Verbindung mit Art. 21 IVG alle in der je bis 31. Dezember 2003 geltenden Fassung) zutreffend dargelegt. Richtig sind auch die vorinstanzlichen Erwägungen zu der vom Departement des Innern gestützt auf Art. 14 IVV erlassenen Verordnung über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die Invalidenversicherung (HVI), welche in Art. 2 die allgemeinen Voraussetzungen des Hilfsmittelanspruchs umschreibt und deren Anhang eine Liste der Hilfsmittel enthält (dazu BGE 121 V 260 Erw. 2). Darauf wird verwiesen. 
1.2 Wie die Vorinstanz ebenfalls zutreffend erwogen hat, sind am 1. Januar 2003 das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts vom 6. Oktober 2000 (ATSG) und die Verordnung über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSV) vom 11. September 2002 in Kraft getreten. Mit ihnen sind unter anderem auch im Invalidenversicherungsrecht verschiedene materiellrechtliche Bestimmungen geändert worden, nicht aber solche im Bereich der Eingliederungsmassnahmen im Allgemeinen (Art. 12 ff.) und der Hilfsmittel im Besonderen (Art. 21 IVG; HVI). Nicht anwendbar sind die durch die 4. IVG-Revision vorgenommenen, seit dem 1. Januar 2004 in Kraft stehenden Änderungen des IVG (AS 2003 S. 3837), da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses des streitigen Einspracheentscheides (hier: 23. Juli 2003) eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt werden (BGE 129 V 4 Erw. 1.2, vgl. auch 121 V 366 Erw. 1b). 
2. 
2.1 Nach der Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts stellt der Rückweisungsentscheid einer kantonalen Rekursinstanz eine im Sinne von Art. 128 in Verbindung mit Art. 97 Abs. 1 OG und Art. 5 VwVG mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Eidgenössische Versicherungsgericht anfechtbare Endverfügung dar. Anfechtbar ist grundsätzlich nur das Dispositiv, nicht aber die Begründung eines Entscheides. Verweist indessen das Dispositiv eines Rückweisungsentscheides ausdrücklich auf die Erwägungen, werden diese zu dessen Bestandteil und haben, soweit sie zum Streitgegenstand gehören, an der formellen Rechtskraft teil. Dementsprechend sind die Motive, auf die das Dispositiv verweist, für die Behörde, an die die Sache zurückgewiesen wird, bei Nichtanfechtung verbindlich. Beziehen sich diese Erwägungen auf den Streitgegenstand, ist somit auch deren Anfechtbarkeit zu bejahen (BGE 120 V 137 Erw. 1a, 113 V 159 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung und Lehre). 
2.2 Im angefochtenen Entscheid hat das kantonale Gericht erwogen, die im Verwaltungsverfahren vorgelegten Akten hätten keinesfalls belegt, dass eine Versorgung des Versicherten mit einem C-Leg-Knie als eine einfache und zweckmässige Hilfsmittelabgabe zu qualifizieren sei. Indessen sei bereits im Einspracheverfahren dargelegt worden, dass sich seit einigen Monaten öfters Stolperstürze ereigneten, womit die Sicherheit am Arbeitsplatz nicht mehr gewährleistet sei; zudem leide der Gesuchsteller an Hüftproblemen. Die konkrete medizinische Situation des Versicherten sei jedoch nicht dokumentiert. Die Sache wurde daher zu weiteren Abklärungen der Frage an die Verwaltung zurückgewiesen, inwiefern die Versorgung des Beschwerdeführers mit einem Active-Line-Knie und einem Flex-Walk-Fuss (offeriert für Fr. 16'364.-) oder gar mit einem C-Leg-Knie (offeriert für Fr. 37'100.50) mit Blick auf die konkrete medizinische Situation des Betroffenen noch als einfach und zweckmässig qualifiziert werden könne. 
Das Beschwerde führende Bundesamt opponiert ausdrücklich nicht gegen die Rückweisung. Indessen beantragt es, diese sei auf die Frage zu beschränken, ob die mit dem angefochtenen Einspracheentscheid zugesprochene Versorgung mit einem Carbon-Vierachs-Knie oder mit einem Active-Line-Knie die geeignete einfache und zweckmässige Hilfsmittelversorgung darstelle. Mit anderen Worten soll generell - unbesehen der konkreten Situation eines Versicherten - festgestellt werden, dass die Invalidenversicherung die Kosten für ein C-Leg-Knie (Prothese mit elektronischer Hydraulik) nicht zu übernehmen hat. Das Bundesamt verweist diesbezüglich auf den Tarifvertrag zwischen ihm und dem Verband der Orthopädie-Techniker (SVOT) worin festgehalten werde, dass das C-Leg (Tarif-Position Nr. 418.345) von der Invalidenversicherung nicht übernommen wird. 
3. 
Der Versicherte hat unbestrittenermassen Anspruch auf ein Hilfsmittel in Form einer geeigneten Oberschenkelprothese. Die Leistungspflicht der Invalidenversicherung hängt davon ab, ob das beantragte Hilfsmittel einfach und zweckmässig im Sinne von Art. 21 Abs. 3 Satz 1 IVG sowie Art. 2 Abs. 4 HVI ist. Das Kriterium der Zweckmässigkeit verlangt insbesondere, dass das Hilfsmittel bestimmt und geeignet ist, dem gesundheitlich beeinträchtigten Versicherten in wesentlichem Umfang zur Erreichung eines der gesetzlich anerkannten Ziele zu verhelfen (BGE 122 V 214 Erw. 2c mit Hinweis). Indem die einschlägigen Vorschriften die Leistungspflicht der Invalidenversicherung auf Hilfsmittel in einfacher Ausführung beschränken, wird dem allgemeinen Grundsatz der Verhältnismässigkeit Rechnung getragen. Danach ist die Eingliederung nur soweit sicherzustellen, als sie im Einzelfall notwendig, aber auch genügend ist. Die versicherte Person hat dementsprechend in der Regel nur Anspruch auf die dem jeweiligen Eingliederungszweck angemessenen, notwendigen Massnahmen, nicht aber auf die nach den gegebenen Umständen bestmöglichen Vorkehren. Ferner muss der voraussichtliche Erfolg einer Eingliederungsmassnahme in einem vernünftigen Verhältnis zu ihren Kosten stehen (BGE 124 V 110 Erw. 2a, 122 V 214 Erw. 2c, je mit Hinweisen). Eine betragsmässige Begrenzung der Kosten eines Hilfsmittels käme allerdings mangels einer ausdrücklichen gegenteiligen Bestimmung nur in Frage, wenn zwischen der Vorkehr und dem Eingliederungszweck ein derart krasses Missverhältnis bestünde, dass sich die Abgabe des Hilfsmittels schlechthin nicht verantworten liesse (vgl. BGE 115 V 198 Erw. 4e/cc). 
4. 
4.1 Zu prüfen ist, ob die Anwendung des SVOT-Tarifs und damit der Ausschluss der Kostenübernahme eines C-Legs, bundesrechtskonform ist. Nur dann könnten die gemäss Rückweisungsentscheid zu tätigenden Abklärungen im Sinne des Antrags in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingeschränkt werden. 
4.1.1 Tarifverträge sind keine Rechtsregeln, sondern stellen nur eine Konkretisierung und Umschreibung der gesetzlichen und verordnungsmässigen Bestimmungen dar, womit sie für das Sozialversicherungsgericht nicht verbindlich sind. Dieses weicht indessen nicht ohne triftigen Grund von einem Tarifvertrag oder von Verwaltungsweisungen ab, wenn diese eine überzeugende Konkretisierung der gesetzlichen und verordnungsmässigen Leistungsvoraussetzungen darstellen (vgl. BGE 130 V 171 Erw. 4.3 mit Hinweisen). 
4.1.2 Mit Bezug auf die zulässige Konkretisierung der normativen Anspruchsgrundlagen hat das Eidgenössische Versicherungsgericht für Preislimiten, die das BSV gestützt auf Art. 92 Abs. 1 IVV in Verbindung mit Art. 64 Abs. 1 IVG für die Abgabe von Hilfsmitteln in der WHMI (später KHMI) festgesetzt hat, entschieden, dass diese so festgesetzt sein müssen, dass sie den Hilfsmittelanspruch der versicherten Person nicht einschränken. Mit anderen Worten vermögen vom BSV festgesetzte, an sich zulässige Preislimiten oder der Ausschluss gewisser Techniken für Hilfsmittel (im Verhältnis Leistungserbringer - Versicherung) den sozialversicherungsrechtlichen Leistungsanspruch (im Verhältnis versicherte Person - Versicherung) nicht rechtswirksam zu beschränken (BGE 130 V 172 Erw. 4.3.2, 123 V 18, 114 V 90, ZAK 1992 S. 208, unveröffentlichtes Urteil Z. vom 30. April 1998, I 347/97). 
4.2 Vorliegend ist demnach zu prüfen, ob das Gericht den Tarifvertrag und den darin enthaltenen Ausschluss der Kostenübernahme für ein C-Leg zu berücksichtigen hat, also ob die - an sich nicht bestrittene Rückweisung der Sache zur weiteren Abklärung des konkreten Bedarfs - unter Einbezug auch der umstrittenen Komfort-Prothese erfolgen durfte. 
4.2.1 Bei der Beinprothesenversorgung sind naturgemäss die Grenzen zwischen behinderungsbedingtem Eingliederungsbedarf und persönlichem Wunsch nach Fortbewegungskomfort fliessend. Entsprechend dem technologischen Wandel der Versorgungsmöglichkeiten können die tarifarischen Ansätze angepasst werden. Aus rechtlicher Sicht sind keine Gründe auszumachen, die gegen eine überzeugende Konkretisierung der normativen Leistungsvoraussetzungen der Versorgung durch das vom BSV erarbeitete Vertragswerk sprechen. Es besteht deshalb kein Anlass, aus grundsätzlichen Überlegungen in den Gestaltungsspielraum der Vertragsparteien einzugreifen. Vielmehr ist, im Sinne einer Vermutung, davon auszugehen, dass in der Regel eine diesen tarifvertraglichen Ansätzen entsprechende Leistungszuerkennung den invaliditätsbedingten Eingliederungsbedürfnissen im Einzelfall Rechnung trägt und in einfacher wie zweckmässiger Weise zum Eingliederungserfolg führt. Der Einwand, dass es sich ausnahmsweise gegenteilig verhält, dass also im Einzelfall aus besonderen invaliditätsbedingten Gründen eine die tarifvertraglichen Ansätze übersteigende Beinprothesenversorgung notwendig sei, bleibt indessen nach geltendem Recht zulässig. Denn auf Grund der in BGE 130 V 171 ff. Erw. 4.3.1-3 dargelegten gesetzlichen Konzeption ist letztlich stets das konkrete Eingliederungsbedürfnis der Versicherten massgebend. Deshalb bleibt die gerichtliche Prüfung, ob die Versorgung, wie sie im SVOT-Tarifvertrag vorgesehen ist, dem invaliditätsbedingten Eingliederungsbedürfnis dem konkreten Einzelfall entspricht, stets vorbehalten. Jedoch trägt die versicherte Person die Beweislast für die von ihr behauptete Ausnahmesituation. Sie muss substanziiert begründen, weshalb die ihr - gestützt auf den vermutungsweise eine ausreichende Eingliederung zulassenden Tarifvertrag - zugesprochene Prothesenversorgung in ihrem Fall dem Eingliederungsziel nicht zu genügen vermag. Der Beweis ist erbracht, wenn auf Grund der Aktenlage, insbesondere einer schlüssigen spezialärztlichen Beurteilung und/oder einer konkreten Abklärung am Arbeitsplatz, dargetan ist, dass die Abgabe einer Beinprothese mit elektronischem Kniegelenk für die versicherte Person eine einfache und zweckmässige Versorgung darstellt. Wie dargelegt kann sich ein solches gesteigertes Eingliederungsbedürfnis sowohl aus der speziellen gesundheitlichen Situation wie auch mit Blick auf den Tätigkeitsbereich, insbesondere auf den konkreten Arbeitsplatz, ergeben. 
4.2.2 Wie die Vorinstanz richtig festgestellt hat, ist vorliegend weder in medizinischer noch in beruflicher Hinsicht hinreichend abgeklärt worden, welchen Bedürfnissen die Oberschenkelprothese beim Versicherten zu genügen hat. Dagegen opponiert auch das Beschwerde führende Bundesamt nicht. Erst mit entsprechenden Angaben wird es der Verwaltung möglich sein festzustellen, welches Hilfsmittel im konkreten Fall als einfach und zweckmässig zu qualifizieren ist. Es besteht vorerst keine Veranlassung, diese Abklärungen - und die damit verbundene Möglichkeit für den Versicherten, seine Ausnahmesituation zu beweisen - auf konkrete Produkte zu beschränken. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau, der IV-Stelle des Kantons Aargau und der Ausgleichskasse des Kantons Aargau zugestellt. 
Luzern, 21. September 2004 
 
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
 
Der Präsident der IV. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: