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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6B_767/2009 
 
Urteil vom 22. Januar 2010 
Strafrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Favre, Präsident, 
Bundesrichter Mathys, Bundesrichterin 
Jacquemoud-Rossari, 
Gerichtsschreiberin Koch. 
 
Parteien 
X._________, vertreten durch Rechtsanwalt Simon Kehl, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Jugendanwaltschaft von Appenzell A.Rh., 9043 Trogen, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Einstellungsverfügung, 
 
Beschwerde gegen den Rekursentscheid der Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell A.Rh. vom 30. Juni 2009. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Die Jugendanwaltschaft Appenzell Ausserrhoden sprach X._________ am 6. Januar 2009 wegen sexueller Handlungen mit Kindern schuldig. Sie bestrafte ihn mit einer Freiheitsstrafe von einem Tag und einer Busse von Fr. 200.--. Mit Verfügung gleichen Datums stellte sie das Verfahren wegen Vergewaltigung, sexueller Nötigung sowie Strassenverkehrsdelikten ein. Auf das von X._________ erhobene Rechtsmittel änderte sie am 2. März 2009 die Begründung der Strafverfügung. Auf erneutes Rechtsmittel hin ging sie zwar von einem strafbaren Verhalten betreffend sexuelle Handlungen mit Kindern aus, stellte aber das Verfahren in Anwendung des Opportunitätsprinzips am 15. Mai 2009 ein. Sie sprach X._________ eine Parteientschädigung von Fr. 8'989.60 sowie eine Haftentschädigung von Fr. 300.-- zu und verpflichtete ihn, Fr. 300.-- an die Untersuchungskosten zu bezahlen. Seinen Rekurs gegen die Einstellungsverfügung vom 15. Mai 2009 wies die Staatsanwaltschaft Appenzell Ausserrhoden am 30. Juni 2009 ab. 
 
B. 
Dagegen erhebt X._________ Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, der Rekursentscheid sei aufzuheben. Es sei festzustellen, dass er sich nicht der sexuellen Handlungen mit Kindern strafbar gemacht habe und ihm zu Unrecht Untersuchungskosten auferlegt worden seien. Er sei für die seit dem 16. Dezember 2008 aufgelaufenen Parteikosten mit Fr. 4'062.50 zuzüglich Mehrwertsteuer zu entschädigen. Eventualiter sei die Sache zur neuen Entscheidung an die Staatsanwaltschaft zurückzuweisen. 
 
C. 
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell Ausserrhoden beantragt in ihrer Vernehmlassung vom 11. Januar 2010 die Abweisung der Beschwerde. Die Jugendanwaltschaft verzichtet mit Eingabe vom 13. Januar 2010 auf eine Vernehmlassung. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
1.1 Der Beschwerdeführer, geb. 5. Oktober 1990, rügt sinngemäss, die Vorinstanz verfalle bei der Feststellung des Sachverhalts in Willkür nach Art. 9 BV. Er habe sich über das Alter des im Tatzeitpunkt 13 ½ jährigen Opfers A._________, geb. 1. November 1993, geirrt. Es habe ihn diesbezüglich belogen und ihm vor den sexuellen Handlungen gesagt, sie sei bereits 15 Jahre alt. Er habe nicht gewusst, dass der Altersunterschied mehr als drei Jahre betrage. Zudem verletze die Vorinstanz Bundesrecht (Art. 12 StGB), indem sie von den festgestellten Tatsachen auf einen Eventualvorsatz schliesse und den subjektiven Tatbestand der sexuellen Handlungen mit Kindern nach Art. 187 Ziff. 1 StGB als erfüllt betrachte. 
 
1.2 Die Vorinstanz erwägt, der Beschwerdeführer habe an einem nicht einmal 14-jährigen Mädchen sexuelle Handlungen vorgenommen, indem er im April 2007 mit zwei Fingern in deren Scheide eingedrungen sei. Aus seinen Aussagen und den Akten ergebe sich, dass er sich nie ernsthaft mit dem Alter des Opfers auseinandergesetzt habe. Er habe diese Problematik bewusst verdrängt und darauf verzichtet, sich mit der notwendigen Hartnäckigkeit nach dessen Alter zu erkundigen, obwohl sich das Mädchen im Schutzalter befand und mehr als drei Jahre jünger war. Er habe mit Eventualvorsatz gehandelt. 
 
1.3 Die Staatsanwaltschaft führt in ihrer Vernehmlassung aus, der Beschwerdeführer habe sich keinerlei Gedanken über das Alter des Opfers bzw. den Altersunterschied gemacht und auf Abklärungen verzichtet, obwohl er gewusst habe, dass das Opfer weniger als 16 Jahre alt sei. 
1.4 
1.4.1 Nach Art. 187 Ziff. 1 Abs. 1 StGB macht sich strafbar, wer mit einem Kind unter 16 Jahren eine sexuelle Handlung vornimmt. Die Handlung ist nicht strafbar, wenn der Altersunterschied zwischen den Beteiligten nicht mehr als drei Jahre beträgt (Art. 187 Ziff. 2 StGB). Bestimmt es das Gesetz nicht ausdrücklich anders, so ist nur strafbar, wer ein Verbrechen oder Vergehen vorsätzlich begeht (Art. 12 Abs. 1 StGB). Vorsätzlich begeht ein Verbrechen oder Vergehen, wer die Tat mit Wissen und Willen ausführt (Art. 12 Abs. 2 Satz 1 StGB) bzw. wer die Verwirklichung der Tat für möglich hält oder in Kauf nimmt (Abs. 2 Satz 2). Fahrlässig handelt, wer die Folge seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsicht nicht bedenkt oder darauf nicht Rücksicht nimmt. (Abs. 3 Satz 1). Pflichtwidrig ist die Unvorsichtigkeit, wenn der Täter die Vorsicht nicht beachtet, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet ist (Abs. 3 Satz 2). Die Abgrenzung zwischen Eventualvorsatz und Fahrlässigkeit ist nicht immer einfach (vgl. BGE 130 IV 58 E. 8.3 S. 61 mit Hinweisen). 
1.4.2 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Ein Urteil ohne die zur Subsumtion notwendigen tatsächlichen Grundlagen ist bundesrechtswidrig. Ist ein Sachverhalt in diesem Sinne lückenhaft und kann deshalb die Gesetzesanwendung nicht nachgeprüft werden, so ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur ergänzenden Tatsachenfeststellung und neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen (BGE 133 IV 293 E. 3.4.2 S. 295 f. mit Hinweisen). 
 
1.5 Der Vorsatz für sexuelle Handlungen mit einem Kind nach Art. 187 Ziff. 1 und Ziff. 2 StGB muss sich darauf beziehen, dass das Opfer weniger als 16 Jahre alt ist, d.h. sich noch im Schutzalter befindet, und dass der Altersunterschied mehr als drei Jahre beträgt. Der angefochtene Entscheid enthält lediglich Feststellungen über das Bewusstsein des Beschwerdeführers, dass sich das Opfer im Schutzalter befand, d.h. unter 16 Jahre alt war. Hingegen beinhaltet er keine Feststellungen, was der Beschwerdeführer zum Altersunterschied wusste und ob dieser erkennbar war, z.B. anhand des optischen Erscheinungsbildes des Opfers oder dessen Schulstufe. Die Altersdifferenz von Täter zu Opfer beträgt geringfügig mehr als drei Jahre (drei Jahre und einen knappen Monat). Daher kann nicht ohne weitere Ausführungen davon ausgegangen werden, der Beschwerdeführer habe um die knapp über der Grenze zur Strafbarkeit liegende Altersdifferenz von einem Monat wissen müssen und dennoch gehandelt. Dass ihm das Schutzalter von 16 Jahren bekannt war und er sich trotz des geringeren Alters des Opfers nicht näher erkundigte, reicht zur Bejahung eines Eventualvorsatzes bezüglich der Altersdifferenz nicht aus. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang auch, ob er die entsprechende Gesetzesvorschrift kannte. Das Gesetz ist von Amtes wegen anzuwenden und entbindet die Vorinstanz nicht, das Wissen und den Tatwillen des Beschwerdeführers abzuklären. Die Beschwerde ist gutzuheissen und die Sache zur ergänzenden Feststellung des Sachverhalts an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
2. 
2.1 
Der Beschwerdeführer rügt, der angefochtene Entscheid verstosse gegen Art. 52 StGB. Die Einstellung aus Opportunitätsgründen nach Art. 52 StGB sei gegenüber einem Freispruch subsidiär bzw. nicht anwendbar. 
 
2.2 Diese Frage kann offen bleiben, da die Sache zur ergänzenden Sachverhaltsfeststellung und zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen wird. Anzumerken ist, dass Art. 52 StGB nicht zu jenen Vorschriften des Erwachsenenstrafrechts gehört, welche auf das Jugendstrafverfahren anwendbar sind. Die Verfahrenseinstellung wird separat in Art. 7 teilweise i.V.m. Art. 21 des Bundesgesetzes über das Jugendstrafrecht vom 20. Juni 2003 (JStG; SR. 311.1) geregelt. 
 
3. 
Die Beschwerde in Strafsachen ist gutzuheissen und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und Abs. 4 BGG). Der Kanton Appenzell Ausserrhoden hat dem Beschwerdeführer eine Entschädigung zu zahlen (Art. 68 Abs. 1 und Abs. 2 BGG). Damit wird das Gesuch des Beschwerdeführers um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege gegenstandslos. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen, der Rekursentscheid der Staatsanwaltschaft Appenzell Ausserrhoden vom 30. Juni 2009 aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3. 
Der Kanton Appenzell Ausserrhoden hat dem Vertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt D. Kehl, für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 3'000.-- zu bezahlen. 
 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und der Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell A.Rh. schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 22. Januar 2010 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: 
 
Favre Koch