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[AZA 0/2] 
6S.596/2000/hev 
 
KASSATIONSHOF 
************************* 
 
Sitzung vom 22. Februar 2001 
 
Es wirken mit: Bundesrichter Schubarth, Präsident des 
Kassationshofes, Bundesrichter Schneider, Wiprächtiger 
und Gerichtsschreiber Borner. 
 
--------- 
 
In Sachen 
B.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Caterina Nägeli, Grossmünsterplatz 9, Zürich, 
 
gegen 
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich, 
 
betreffend 
Strafzumessung (Widerhandlung gegen das BetmG), (eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde gegen den Entscheid der II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich vom 23. Mai 2000), hat sich ergeben: 
 
A.- B.________ begann im Oktober 1997 ihrem (drogensüchtigen) Ehemann bei dessen Drogenhandel behilflich zu sein, indem sie mehrmals Geldzahlungen und einmal auch 200 Gramm Kokaingemisch entgegennahm. Als ihr Mann wegen Drogenhandels in Untersuchungshaft genommen wurde, übernahm sie dessen Platz im Betäubungsmittelhandel, wo sie als Mitorganisatorin fungierte. So war sie bis im April 1998 an der Einfuhr von 4 Kilogramm Kokaingemisch aus der Dominikanischen Republik beteiligt und an einem Versuch, ein weiteres Kilogramm in die Schweiz einzuführen. 
 
B.- Das Bezirksgericht Zürich verurteilte B.________ am 1. November 1999 wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz, mehrfacher Widerhandlung gegen das ANAG und Anstiftung zu Urkundenfälschung zu drei Jahren Gefängnis. 
 
Auf Berufung der Verurteilten und der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich sprach das Obergericht des Kantons Zürich B.________ frei vom Vorwurf der Anstiftung zu Urkundenfälschung; es sprach sie schuldig der mehrfachen qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz und der mehrfachen Widerhandlung gegen das ANAG und verhängte eine Gefängnisstrafe von dreieinhalb Jahren. 
 
C.- B.________ führt Nichtigkeitsbeschwerde und beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Sache zur Aussprechung einer bedingten Freiheitsstrafe an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Das Obergericht und die Staatsanwaltschaft haben auf eine Stellungnahme verzichtet. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- Im Rahmen der Strafzumessung führt die Vorinstanz aus, die erste Instanz habe die für die Zumessung der Strafe hier massgebenden Bestimmungen zutreffend dargestellt und das Tatverschulden unter Berücksichtigung des Vorlebens und der persönlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin bewertet. Diesen Erwägungen sei grundsätzlich beizupflichten. 
 
Ergänzend stellt die Vorinstanz die Veränderungen in der persönlichen Situation der Beschwerdeführerin dar. Deren Ehemann sei nach Verbüssung einer Freiheitsstrafe wegen Drogendelikten in die Dominikanische Republik ausgeschafft worden; gegen ihn bestehe eine Landesverweisung von zehn Jahren. Gemäss Arztbericht leide die Beschwerdeführerin an einer posttraumatischen Belastungsstörung mit Anpassungsstörung, Angst und depressiver Reaktion und befinde sich deswegen seit Februar 2000 in einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung (eine Stunde pro Woche). 
 
Die erste Instanz habe zu Recht das Verschulden der Beschwerdeführerin bezüglich des Betäubungsmittelhandels insgesamt als schwer qualifiziert. Massgeblich sei dabei angesichts der grossen Menge von rund vier Kilogramm Kokain die objektive Tatschwere. Ebenfalls zutreffend habe die erste Instanz die Beschwerdeführerin in einer eher oberen Position in der Hierarchie der Handelsorganisation eingestuft. Wenn die Beschwerdeführerin als Mutter von zwei kleinen Kindern - und selbst nach der Verhaftung des andern Elternteils - eine solche Funktion im internationalen Drogenhandel übernommen habe und damit bereit gewesen sei, die Risiken beziehungsweise die allfälligen Folgen beim Entdecktwerden dieser illegalen Tätigkeit - wie etwa die durch ihre eigene Verhaftung zwingend erforderliche Fremdbetreuung der Kinder - einzugehen, so falle dieser Umstand verschuldensmässig negativ ins Gewicht. Sie habe nämlich unter diesen Umständen eine höhere Hemmschwelle zu ihrer deliktischen Tätigkeit überwinden müssen. (...) Insgesamt erweise sich das Verschulden der Beschwerdeführerin auch in subjektiver Hinsicht als schwer. 
 
Mit der ersten Instanz sei auch das Verschulden bezüglich der ANAG-Widerhandlungen nicht als leicht zu bezeichnen. 
 
Ausgehend von diesem schweren beziehungsweise nicht leichten Verschulden und unter Berücksichtigung, dass die Strafe auf Grund der mehrfachen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz und gegen das ANAG und der Mehrheit von Delikten erheblich zu schärfen sei, wäre eine Strafe in der Grössenordnung von rund fünf Jahren Zuchthaus angemessen. 
 
Zu Gunsten der Beschwerdeführerin sei jedoch zu berücksichtigen, dass sie sich nach kurzem Leugnen im ganzen Verfahren geständig und kooperativ gezeigt habe. 
Dies führe zu einer erheblichen Strafminderung. Die Trennung von ihren noch relativ kleinen Kindern und die schlechte psychische Verfassung bewirkten sodann eine besondere Strafempfindlichkeit der Beschwerdeführerin. 
Diese Umstände seien ebenfalls in leichtem Masse strafmindernd zu gewichten. Es sei an dieser Stelle jedoch klar festzuhalten, dass die Strafe grundsätzlich und primär nach dem Verschulden und nicht auf Grund der Straffolgen festzusetzen sei, weshalb es wegen der erwähnten Umstände nicht zu einer so massiven Strafreduktion führen könne, wie dies die Verteidigerin meine. Auch unter Berücksichtigung der Gründe, welche die schuldangemessene Strafe reduzierten, erscheine die von der ersten Instanz ausgefällte Strafe jedoch als zu milde, auch wenn nun gegenüber dem erstinstanzlichen Urteil ein kleiner Teil der Anklagevorwürfe weggefallen sei. Die Strafe sei daher auf dreieinhalb Jahre Zuchthaus zu erhöhen. 
 
2.- Gemäss Art. 63 StGB misst der Richter die Strafe nach dem Verschulden des Täters zu; er berücksichtigt die Beweggründe, das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse des Schuldigen. Damit das Bundesgericht überprüfen kann, ob die verhängte Strafe im Einklang mit den Zumessungsregeln des Bundesrechts steht und ob der Sachrichter sein Ermessen überschritten hat oder nicht, müssen alle wesentlichen Strafzumessungskriterien in der schriftlichen Urteilsbegründung Erwähnung finden. Die Begründung der Strafzumessung muss in der Regel den zur Anwendung gelangenden Strafrahmen nennen und die Tat- und Täterkomponenten so erörtern, dass festgestellt werden kann, ob alle rechtlich massgeblichen Gesichtspunkte Berücksichtigung fanden und wie sie gewichtet wurden, d.h. ob und in welchem Grade sie strafmindernd oder straferhöhend in die Waagschale fielen (BGE 117 IV 112 E. 1). Geht die obere Instanz von einem wesentlich geringeren Deliktsbetrag aus und führt sie zudem strafmindernde Gründe an, welche die untere Instanz nicht berücksichtigt hat, so darf sie nicht ohne weitere Begründung die von der ersten Instanz ausgefällte Strafe als angemessen ansehen (BGE 118 IV 18 E. 1c/bb; Trechsel, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2. Auflage, Art. 63 N 24a am Ende). 
 
a) Einleitend zur Strafzumessung führt die Vorinstanz aus, die erste Instanz habe die für die Zumessung der Strafe massgebenden Bestimmungen zutreffend dargestellt und das Tatverschulden unter Berücksichtigung des Vorlebens und der persönlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin bewertet. Diesen Erwägungen sei grundsätzlich beizupflichten. In ergänzendem Sinne sei das Folgende zu bemerken ... (angefochtener Entscheid S. 10 Ziff. 1). Gegen Schluss (S. 14 unten) hält sie fest, auch unter Berücksichtigung der Gründe, welche die schuldangemessene Strafe reduzierten, erscheine die von der ersten Instanz ausgefällte Strafe als zu milde, auch wenn nun gegenüber dem erstinstanzlichen Urteil ein kleiner Teil der Anklagevorwürfe weggefallen sei. Die Strafe sei daher auf 3½ Jahre Zuchthaus zu erhöhen. 
 
Die Vorinstanz nimmt in ihren Ergänzungen zum erstinstanzlichen Urteil keine unterschiedliche Beurteilungen der wesentlichen Strafzumessungsmerkmale vor. 
Abweichend vom erstinstanzlichen Urteil bringt sie zu Gunsten der Beschwerdeführerin deren schlechte psychische Verfassung in Anschlag und dass ein kleiner Teil der Anklagevorwürfe weggefallen sei. Wenn sie nun - obwohl sie mehrfach auf die zutreffenden Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil verweist - die von der ersten Instanz ausgefällte Strafe um ein halbes Jahr erhöht, entsteht eine nicht mehr nachvollziehbare Diskrepanz zu jenem Urteil. 
Im Einzelnen ergibt sich folgendes Bild: Die Vorinstanz beurteilt das Verschulden der Beschwerdeführerin bezüglich des Betäubungsmittelhandels - ebenso wie die erste Instanz - als schwer. Die Vorinstanz beschreibt dieses Verschulden zwar etwas ausführlicher als die erste Instanz, was sich jedoch zwanglos als Entgegnung auf das Plädoyer der Beschwerdeführerin vor Obergericht erklären lässt. Übereinstimmend gehen beide Instanzen davon aus, dass die Beschwerdeführerin in der Hierarchie des Drogenhandels eine eher obere Position eingenommen habe. Den Umstand, dass die Beschwerdeführerin als Mutter zweier kleiner Kinder angesichts des Risikos, beim Drogenhandel erwischt und von ihren Kindern getrennt zu werden, eine höhere Hemmschwelle habe überwinden müssen, fällt gemäss Vorinstanz verschuldensmässig ins Gewicht. Aber auch hier ist keine unterschiedliche Beurteilung im Vergleich zur ersten Instanz ersichtlich, wenn diese festhält, die Tatsache, dass die Beschwerdeführerin Mutter zweier pflegebedürftiger Kinder sei, hätte genügen können und müssen, sie vom Betäubungsmittelhandel abzuhalten. Den Einwand der Beschwerdeführerin, sie sei in den Drogenhandel eingestiegen, um eine anstehende Krebsoperation ihres Vaters bezahlen zu können, haben beide Instanzen als Schutzbehauptung zurückgewiesen. 
Schliesslich beurteilen auch beide Gerichte das Verschulden der Beschwerdeführerin bezüglich der ANAG-Widerhandlungen übereinstimmend als nicht mehr leicht. 
 
Wenn die Vorinstanz somit von denselben wesentlichen Beurteilungsmerkmalen ausgeht wie die erste Instanz und deren Strafmass ohne weitere Begründung um ein halbes Jahr erhöht, so ist ihr Entscheid nicht mehr nachvollziehbar und aufzuheben (vgl. BGE 118 IV 18 E. 1c/bb). Sollte die Vorinstanz der Überzeugung sein, die erste Instanz sei fälschlicherweise von einer zu tiefen "Einsatzstrafe" ausgegangen (sie selbst spricht vor Berücksichtigung der strafmindernden Elemente von einer Strafe in der Grössenordnung von rund fünf Jahren), so hätte sie dafür sachliche Gründe anführen müssen. 
 
b) Falls sich die persönlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin bis zum neuen Entscheid nicht ändern sollten, hätte die Vorinstanz der schlechten psychischen Verfassung der Beschwerdeführerin wiederum Rechnung zu tragen wie auch dem Umstand, dass die Beschwerdeführerin durch den Vollzug einer unbedingten Freiheitsstrafe von ihren noch relativ kleinen Kindern getrennt wird. Dabei fällt auch ihre besondere familiäre Situation ins Gewicht. 
Der ältere Sohn (geboren 1990) muss wegen Sprachstörungen eine Sonderschule besuchen, und ihr Ehemann wurde für die Dauer von zehn Jahren des Landes verwiesen und in die Dominikanische Republik ausgeschafft. Unter diesen Umständen wird die Beschwerdeführerin durch die Trennung von ihren Kindern in besonders hohem Mass betroffen, was bei der Strafzumessung seinen entsprechenden Niederschlag finden soll (BGE 102 IV 231 E. 3). 
 
Die Vorinstanz stellt im Zusammenhang mit der Strafempfindlichkeit der Beschwerdeführerin klar, "dass die Strafe grundsätzlich und primär nach dem Verschulden und nicht auf Grund der Straffolgen festzusetzen ist". 
Sollte die Vorinstanz damit zum Ausdruck bringen wollen, dass die Straffolgen bei der Beurteilung des Verschuldens ohne Bedeutung seien, verstiesse diese Ansicht gegen Bundesrecht. Gemäss Art. 63 StGB hat der Richter die Strafe nach dem Verschulden zuzumessen und dabei unter anderem die persönlichen Verhältnisse des Schuldigen zu berücksichtigen. Führen die persönlichen Verhältnisse im Einzelfall zu besonders belastenden Straftatfolgen, so hat das der Richter je nach Intensität bei der Strafzumessung angemessen zu berücksichtigen (vgl. dazu: 
Matthias Härri, Folgenberücksichtigung bei der Strafzumessung, ZStrR 116/1998, S. 212 ff., insbesondere S. 216 ff. mit Hinweisen). 
 
3.- Nach dem Gesagten ist der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens ist das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos. Die Vertreterin der Beschwerdeführerin ist angemessen zu entschädigen, und eine Kostenpflicht entfällt (Art. 278 Abs. 2 und 3 BStP). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1.- Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, der Entscheid des Obergerichts des Kantons Zürich vom 23. Mai 2000 aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.- Es werden keine Kosten erhoben. 
 
3.- Die Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin wird für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 2'200.-- entschädigt. 
4.- Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Staatsanwaltschaft und dem Obergericht (II. Strafkammer) des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt. 
 
--------- Lausanne, 22. Februar 2001 
 
 
Im Namen des Kassationshofes 
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS 
Der Präsident: 
 
Der Gerichtsschreiber: