Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
[AZA 3] 
1P.157/2000/odi 
 
I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG 
********************************** 
 
22. Mai 2000 
 
Es wirken mit: Bundesrichter Aemisegger, Präsident der 
I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundesrichter Aeschlimann, 
Bundesrichter Féraud und Gerichtsschreiber Steinmann. 
 
--------- 
 
In Sachen 
 
1. Erbengemeinschaft Hans Röthlisberger, 
bestehend aus: 
-Margrit S c h m i d - Röthlisberger, Meienhof, Märwil, 
-Ulrich Röthlisberger, Bohl, Märwil, 
2. Adolf Gaupp, Bahnhofstrasse 26, Müllheim Dorf, 
3. Alfred Max Schmid, Obere Dorfstrasse 14, Zezikon, 
4. Paul Schmid, Meienhof, Märwil, Beschwerdeführer, alle vertreten durch Rechtsanwalt Richard Weber, Bahnhofstrasse 7, Weinfelden, 
 
gegen 
Güterzusammenlegungskorporation Affeltrangen, p.A. Gemeindeammann Hans Matthey, Fabrikstrasse 5, Affeltrangen, Departement für Inneres und Volkswirtschaft des KantonsT h u r g a u,Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau, 
 
betreffend 
Wahl des Präsidenten des Vorstandes der 
Güterzusammenlegung, hat sich ergeben: 
 
A.- Für die Gesamtmelioration in den Gemeinden Affeltrangen, Buch, Märwil und Zezikon besteht seit 1982 die öffentlichrechtliche Korporation "Güterzusammenlegung Affeltrangen" (GZ). Organe der Güterzusammenlegungskorporation sind u.a. die Korporationsversammlung, der Vorstand und die Schlichtungskommission (§ 3 der Statuten). 
 
B.-Die Grundeigentümer im Perimetergebiet wurden am 23. März 1999 zur Korporationsversammlung vom 13. April 1999 eingeladen. Die Traktanden sahen verschiedene Wahlen und insbesondere die Wahl eines neuen Präsidenten vor. Einem Beiblatt zur Traktandenliste war zu entnehmen, dass der Präsident nach § 10 der Statuten den Vorsitz in der Schlichtungskommission führe und der neu zu wählende Präsident demnach gleichzeitig Präsident der Schlichtungskommission werde. 
 
 
Am 13. April 1999 gelangte die Erbengemeinschaft Röthlisberger an den Präsidenten der Korporation und ersuchte um Abänderung von § 10 der Statuten, um die Personalunion von Vorstandspräsident und Vorsitzendem der Schlichtungskommission auszuschliessen; demnach solle von der Versammlung für den Vorsitz der Schlichtungskommission eine andere Person bestimmt werden. 
 
Anlässlich der Versammlung vom 13. April 1999 verlas der Vizepräsident die Eingabe der Erbengemeinschaft Röthlisberger. Er hielt dafür, dass der Vorschlag eine Änderung der Statuten bezwecke und dessen Behandlung mangels Traktandierung eine Ergänzung der Traktandenliste erfordere. 
Er liess daher über die Traktandenergänzung abstimmen. Die Versammlung verwarf diese Ergänzung der Traktandenliste. In der Folge wurden die Wahlen entsprechend der Einladung durchgeführt und wurde ein neuer Präsident in der Person von Jakob Thurnheer gewählt. 
 
C.- In der Folge rekurrierten die Erben Röthlisberger sowie Adolf Gaupp, Alfred Schmid und Paul Schmid beim Departement für Inneres und Volkswirtschaft des Kantons Thurgau (DIV) und verlangten einerseits die Aufhebung der Wahl des Präsidenten des Vorstandes und Rückweisung des Wahlgeschäfts an die Güterzusammenlegungskorporation, andererseits eine entsprechende Änderung von § 10 der Statuten. Sie machten zum einen geltend, anlässlich der Korporationsversammlung hätte nicht nur über den Ordnungsantrag der Traktandenergänzung, sondern materiell über ihren Antrag abgestimmt werden müssen; zum andern verstosse die Wahl von Jakob Thurnheer zum Präsidenten des Vorstandes und gleichzeitig zum Vorsitzenden der Schlichtungskommission - ebenso wie § 10 der Statuten - gegen § 29 Abs. 1 der Verfassung des Kantons Thurgau. 
 
Das Departement wies den Rekurs am 11. August 1999 ab. Dessen Entscheid fochten die Rekurrenten beim Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau an. Dieses wies die Be-schwerde am 12. Januar 2000 ab. In seinem Urteil führte es im Wesentlichen aus, über einen kurzfristig eingereichten und nicht vorangekündigten Statutenänderungsantrag brauche nicht zwingend sofort befunden zu werden; die Wahl des Präsidenten habe deswegen nicht aufgeschoben werden müssen. Die beanstandete Personalunion verstosse im Übrigen nicht gegen die Kantonsverfassung, sodass die Wahl des Präsidenten auch in dieser Hinsicht nicht zu beanstanden sei. 
D.- Gegen dieses Urteil des Verwaltungsgerichts haben die Erben von Hans Röthlisberger, nämlich Margrit Schmid und Ulrich Röthlisberger, sowie Adolf Gaupp, Alfred Schmid und Paul Schmid beim Bundesgericht am 13. März 2000 staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Sie beantragen die Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts und des Entscheides des Departementes. 
In formeller Hinsicht rügen sie das Abstimmungsverfahren anlässlich der Korporationsversammlung; in materieller Hinsicht erachten sie die Wahl des Präsidenten, der gleichzeitig der Schlichtungskommission angehört, als verfassungswidrig. Hierfür machen sie eine Missachtung des Grundsatzes der unverfälschten Stimmabgabe im Sinne von Art. 34 Abs. 2 BV geltend und rügen eine Verletzung des Willkürverbotes nach Art. 9 BV, von § 29 Abs. 1 der Thurgauer Kantonsverfassung und von Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Auf die Begründung der Beschwerde im Einzelnen ist in den nachfolgenden Erwägungen einzugehen. 
 
Das Verwaltungsgericht und das Departement für Inneres und Volkswirtschaft beantragen die Abweisung der Beschwerde. 
Die Güterzusammenlegungskorporation hat auf eine Stellungnahme verzichtet. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- a) Die Beschwerdeführer beantragen neben der Aufhebung des Verwaltungsgerichtsurteils auch diejenige des Departementsentscheides. 
Dieser Antrag ist unzulässig. Nach der Rechtsprechung kann ein unterinstanzlicher Entscheid nur dann mitangefochten werden, wenn der letzten kantonalen Instanz nicht sämtliche vor Bundesgericht erhobenen Rügen unterbreitet werden konnten oder wenn diese die erhobenen Rügen mit einer engeren Kognition prüft, als sie dem Bundesgericht zusteht (BGE 125 I 492 E. 1a/aa, mit Hinweisen). Es ist nicht ersichtlich und wird in der Beschwerde nicht dargetan, dass das Verwaltungsgericht nicht sämtliche erhobenen Rügen mit voller Kognition geprüft hatte. Deshalb kann auf die Beschwerde insofern nicht eingetreten, als mit ihr die Aufhebung des Departementsentscheides verlangt wird. 
 
b) Die Beschwerdeführer sind alle Mitglieder der Güterzusammenlegungskorporation Affeltrangen. Ob sie in dieser Eigenschaft bzw. als Urheber eines Antrages an die Korporationsversammlung zur staatsrechtlichen Beschwerde legitimiert sind, wird im Zusammenhang mit dem Anfechtungsgegenstand und den erhobenen Rügen zu prüfen sein. Dabei ist zwischen der Anfechtung des Abstimmungsvorgehens und der Wahl des Präsidenten wegen der beanstandeten Personalunion zu unterscheiden. 
 
2.- Als erstes ist zu prüfen, ob das Abstimmungsverfahren anlässlich der Korporationsversammlung vor der Verfassung standhält. 
 
a) Es stellt sich vorerst die Frage, ob die Beanstandung des Abstimmungsverfahrens mit staatsrechtlicher Beschwerde nach Art. 84 Abs. 1 lit. a OG oder mit Stimmrechtsbeschwerde im Sinne von Art. 85 lit. a OG zu rügen ist. 
 
Nach Art. 85 lit. a OG beurteilt das Bundesgericht Beschwerden betreffend die politische Stimmberechtigung der Bürger und betreffend kantonale Wahlen und Abstimmungen. Als kantonal im Sinne dieser Bestimmung gelten neben den Wahlen und Abstimmungen auf kantonaler Ebene auch jene in den Gemeinden (BGE 119 Ia 167 E. 1a S. 169; 110 Ia 183 E. 3c S. 186; 108 Ia 38 E. 2 S. 39). Ferner fallen nicht nur Wahlen und Abstimmungen in den Kantonen, Bezirken und politischen Gemeinden unter Art. 85 lit. a OG, sondern auch diejenigen in anderen Körperschaften, soweit sie dem öffentlichen Recht unterstehen (BGE 120 Ia 194 E. 1a S. 196). 
 
Die Korporation Güterzusammenlegung Affeltrangen ist nach § 1 der Statuten eine öffentlichrechtliche Korporation im Sinne des thurgauischen Einführungsgesetzes zum ZGB. 
Dieser Umstand allein rechtfertigt es indessen nicht, die Stimmrechtsbeschwerde zuzulassen. Denn diese Art der staatsrechtlichen Beschwerde bezieht sich auf das politische Stimmrecht und das Wahlrecht, wie es den Stimmberechtigten (auf Grund des kantonalen Rechts) zukommt. Das Bundesgericht hat daher die Stimmrechtsbeschwerde für zulässig erklärt in Fällen von Walliser Bürgergemeinden, von zugerischen Korporationsgemeinden oder Kirchgemeinden (BGE 105 Ia 368 [ZBl 81/1980 S. 243], BGE 120 Ia 194). Die Stimmrechtsbeschwerde war demgegenüber ausgeschlossen in einem Falle einer thurgauischen Meliorationskorporation (BGE 105 Ia 368 mit [fragwürdigem] Hinweis auf BGE 80 Ia 228), da hier nicht das politische Stimmrecht, sondern vielmehr die Grundeigentümerschaft entscheidender Ansatzpunkt bildete (vgl. hierzu insbesondere Christoph Hiller, Die Stimmrechtsbeschwerde, Diss. Zürich 1990, S. 188 f.). 
 
In Anbetracht dieser Sachlage ist die vorliegende Beschwerde hinsichtlich des Abstimmungsverfahrens in der öffentlichrechtlichen Meliorationskorporation nicht als Stimmrechtsbeschwerde, sondern als staatsrechtliche Beschwerde im Sinne von Art. 84 Abs. 1 lit. a OG entgegenzunehmen. Demnach ist zu prüfen, ob das Abstimmungsverfahren vor dem Willkürverbot (nach Art. 4 aBV bzw. Art. 9 BV) standhält. 
b) Nach § 5 der Statuten tritt die Korporationsversammlung zur Beratung und Beschlussfassung von Statutenänderungen und anderen wichtigen Angelegenheiten zusammen und nimmt die Wahlen vor. Die Versammlung wird gemäss § 6 der Statuten grundsätzlich durch den Vorstand einberufen; ferner kann ein Drittel der Mitglieder eine Einberufung verlangen; die Einladung mit Bekanntgabe der Traktanden hat mindestens zehn Tage vor dem Versammlungstermin zu erfolgen. Dem Vorstand obliegt nach § 8 Ziff. 1 der Statuten neben der Einberufung und Leitung der Korporationsversammlung auch die Vorbehandlung der Beratungsgegenstände. 
 
Wann ein Antrag an die Korporationsversammlung noch als rechtzeitig gestellt gilt, ist gemäss Departementsentscheid (S. 8) weder dem Meliorationsgesetz noch den Statuten zu entnehmen. Demnach ist insofern von den Statuten auszugehen, als diese eine Traktandierungspflicht, welche den Mitgliedern eine entsprechende Vorbereitung ermöglicht, und eine Vorbehandlung durch den Vorstand vorsehen. Diesen Vorschriften kommt im Hinblick auf den vorliegenden Fall deshalb besondere Bedeutung zu, weil mit dem Antrag aus der Reihe der Korporationsmitglieder eine Statutenänderung und somit eine wichtige Frage zur Diskussion gestellt wurde. Da das Geschäft nicht im Voraus traktandiert werden konnte, erforderte dessen Behandlung daher eine Änderung bzw. Ergänzung der Traktandenliste. Dass der Verhandlungsleiter den Antrag unter diesem Titel der Versammlung zur Abstimmung unterbreitete, ist daher nicht zu beanstanden. 
 
Es ist auch nicht ersichtlich, inwiefern das Stimmrecht der Korporationsmitglieder verletzt sein sollte. Zum einen machen die Beschwerdeführer nicht geltend, dass ihnen unabhängig vom Zeitpunkt der Unterbreitung ein Antragsrecht zustehe, welches an der Korporationsversammlung zwingend zu einer Abstimmung in der Sache selbst führen müsste. Sie legen auch nicht dar - und vermögen auch keine gesetzlichen Verfahrensregeln anzugeben -, dass sie zumindest Anspruch auf eine Erheblichkeitserklärung durch die Korporationsversammlung im Sinne der Ausführungen des Departementes hätten. 
Auch aus der Abstimmungsfreiheit - sofern diese im Sinne des ungeschriebenen Bundesverfassungsrechts (BGE 121 I 138 E. 3) bzw. aus Art. 34 Abs. 2 BV analog auf den vorliegenden Fall anwendbar wäre - lässt sich ein derartiger Anspruch auf jeden Fall nicht ableiten. Zum andern wurde die freie Willensbildung und die unverfälschte Stimmabgabe auch deshalb nicht beeinträchtigt, weil der Versammlungsleiter keinen Zweifel darüber offen liess, was Gegenstand der Abstimmung bildete und dass ausschliesslich über die Änderung bez. Ergänzung der Traktandenliste abgestimmt wurde. Bei dieser Sachlage kann nicht gesagt werden, der Versammlungsleiter habe mit dem Abstimmungsverfahren gegen das Willkürverbot verstossen. 
 
c) Demnach erweist sich die Beschwerde in diesem Punkte als unbegründet. 
 
3.- Weiter ist auf die Rüge einzugehen, die Wahl eines neuen Präsidenten verstosse deswegen gegen § 29 Abs. 1 der Kantonsverfassung und Art. 6 Ziff. 1 EMRK, weil der Präsident gleichzeitig den Vorsitz in der Schlichtungskommission führe. Auch insofern ist die vorliegende Beschwerde als staatsrechtliche Beschwerde im Sinne von Art. 84 Abs. 1 lit. a OG zu behandeln. Es ist daher zu prüfen, ob die Beschwerdeführer im Sinne von Art. 88 OG überhaupt zur Beschwerde legitimiert sind. 
 
Die Wahl des Präsidenten stellt eine organisatorische Massnahme dar, welche für sich allein keine unmittelbaren Rechte und Pflichten gegenüber Dritten begründet. Die Wahl hat keine konkrete Betroffenheit der Beschwerdeführer in rechtlicher Hinsicht zur Folge. Eine solche ist insbesondere deshalb nicht ersichtlich, weil keiner der Beschwerdeführer geltend macht, konkret durch ein Verfahren - vor der Schlichtungskommission - betroffen zu sein, in dem die beanstandete Personalunion sich unmittelbar und in verfassungswidriger Weise auf sie auswirken würde. Es ist nicht zulässig, anlässlich der Bestellung eines Organs eine inzidente Kontrolle der Statuten geltend zu machen; eine Überprüfung der Statuten auf ihre Verfassungsmässigkeit in abstrakter Weise wäre lediglich im Anschluss an die Verabschiedung oder Änderung der Statuten möglich. Die Rechtslage im vorliegenden Fall unterscheidet sich daher von der Konstellation in BGE 124 I 255, wo sich die Frage der Unbefangenheit der bernischen Bodenverbesserungskommission in Anbetracht der Stellung des Sekretärs in einem konkreten Einzelfall stellte. 
 
Aus diesen Gründen kann auf diesen Teil der Beschwerde nicht eingetreten werden. 
 
4.- Die vorliegende Beschwerde ist daher abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. In Anbetracht des Verfahrensausgangs sind die bundesgerichtlichen Kosten den Beschwerdeführern in solidarischer Haftbarkeit aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 und 7 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird den Beschwerdeführern unter solidarischer Haftbarkeit auferlegt. 
3.- Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern, der Güterzusammenlegungskorporation Affeltrangen sowie dem Departement für Inneres und Volkswirtschaft und dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt. 
______________ 
Lausanne, 22. Mai 2000 
 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS 
Der Präsident: 
 
Der Gerichtsschreiber: