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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
2C_360/2010 
 
Urteil vom 22. November 2011 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Zünd, Präsident, 
Bundesrichter Karlen, Bundesrichterin Aubry Girardin, Bundesrichter Donzallaz, Stadelmann, 
Gerichtsschreiber Küng. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprecher Gerhard Hauser-Schönbächler, 
 
gegen 
 
Steuerverwaltung des Kantons Bern, Brünnenstrasse 66, Postfach 8334, 3001 Bern. 
 
Gegenstand 
Art. 15 BV, Art. 14 KV/BE und Art. 9 EMRK 
(Finanzierung der Pfarrerlöhne durch den Staat), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 11. März 2010. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Die Steuerverwaltung des Kantons Bern veranlagte X.________ und Y.________ am 8. Juni 2006 für die Kantons- und Gemeindesteuern 2005 mit einem steuerbaren Einkommen von Fr. 97'400.--. Da die Ehefrau 1991 aus der evangelisch-reformierten Landeskirche ausgetreten war, wurde für sie keine Kirchensteuer erhoben. 
X.________ verlangte in der Folge, dass der auf sie entfallende Teil der Kantonssteuer von Fr. 9'130.-- um anteilsmässig jenen Betrag gekürzt werde, der gemäss Staatsrechnung für Kultuszwecke und weitere innerkirchliche Angelegenheiten verwendet werde. Die kantonalen Instanzen gaben dem Begehren nicht statt. Vor dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern hat sie das Begehren präzisiert und um eine Reduktion ihres Kantonssteueranteils um 0,813%, d.h. um den Anteil der Pfarrerlöhne am Gesamtaufwand des Kantons, ersucht. 
 
B. 
X.________ beantragt dem Bundesgericht mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, den Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 11. März 2010 aufzuheben und ihre Steuerbelastung für das Jahr 2005 in dem bereits vor dem Verwaltungsgericht geltend gemachten Umfang zu reduzieren. 
Die Steuerverwaltung und das Verwaltungsgericht des Kantons Bern stellen Antrag auf Abweisung der Beschwerde. 
Die Eidgenössische Steuerverwaltung hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
1.1 Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Veranlagung der Kantons- und Gemeindesteuern 2005. Sie macht nicht geltend, die massgeblichen steuerrechtlichen Vorschriften seien unrichtig angewendet worden. Vielmehr stellt sie sich auf den Standpunkt, die Veranlagung verletze ihre Glaubens- und Gewissensfreiheit gemäss Art. 15 BV, Art. 14 KV/BV und Art. 9 EMRK. Als Atheistin könne sie nicht akzeptieren, dass die veranlagten Steuern dazu mitverwendet würden, die Löhne der Pfarrer der Landeskirchen sowie Bistumskosten zu bezahlen. Es müsse ihr daher eine entsprechende Reduktion ihrer Steuerlast gewährt werden. 
 
1.2 Streitgegenstand bildet demnach allein die Veranlagung der Beschwerdeführerin und nicht die gesetzliche Regelung, welche die Zahlung der Löhne von Pfarrern sowie von Bistumskosten vorsieht. Zur Anfechtung der Letzteren oder zu darauf gestützten Entscheiden wäre die Beschwerdeführerin auch gar nicht legitimiert. Denn Akte über die Verwendung der staatlichen Mittel greifen nicht in die Rechtsstellung der Steuerpflichtigen ein, auch wenn sie sich mittelbar auf die Höhe der Abgabelast auswirken können (BGE 119 Ia 214 E. 2b S. 217 f.; vgl. auch BGE 121 I 252 E. 1a S. 255). Demgegenüber ist die Beschwerdeführerin zur Rüge befugt, ihre Steuerveranlagung verletze ihre verfassungsmässigen Rechte, weil ihr angesichts einer beschlossenen Verwendung der staatlichen Mittel keine entsprechende Reduktion der Steuerlast gewährt werde. 
 
1.3 Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten. 
 
2. 
2.1 Art. 15 BV gewährleistet die Glaubens- und Gewissensfreiheit (Abs. 1); niemand darf gezwungen werden, einer Religionsgemeinschaft beizutreten oder anzugehören (Abs. 4). Art. 49 Abs. 6 der alten Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 (aBV) garantierte zudem ausdrücklich, dass niemand gehalten sei, Steuern zu zahlen, welche speziell für eigentliche Kultuszwecke einer Religionsgenossenschaft, der er nicht angehört, auferlegt werden. Diese Regel wird heute direkt aus dem Grundsatz von Art. 15 Abs. 1 BV abgeleitet (BGE 128 I 317 E. 2.1 S. 319). Der von der Beschwerdeführerin ebenfalls angerufene Art. 14 KV/BE vermittelt keinen weiterreichenden Schutz als die erwähnten Garantien (vgl. URS BOLZ, in: Walter Kälin/Urs Bolz (Hrsg.), Handbuch des bernischen Verfassungsrechts, 1995, S. 270). 
 
2.2 Nach der Rechtsprechung galt die Garantie von Art. 49 Abs. 6 aBV nur für die eigentlichen Kirchensteuern, also "les impôts dont le produit est spécialement affecté aux frais proprement dits du culte" (BGE 99 Ia 739 E. 2 S. 742). Dagegen bezog sie sich nicht auf die allgemeinen Steuern, mit denen die Kantone die Aufwendungen einer öffentlich-rechtlich anerkannten Kirche finanzierten. Bei Beiträgen, welche die Gemeinden aus ihren allgemeinen Mitteln den genannten Kirchen zuwendeten, fand Art. 49 Abs. 6 aBV allerdings Anwendung, und die Steuerpflichtigen, die der unterstützten Kirche nicht angehörten, konnten eine entsprechende Reduktion ihrer Gemeindesteuern verlangen (BGE 99 Ia 739 E. 3 S. 742 ff.; Urteil 2P.152/2005 vom 25. Oktober 2005 E. 2.1). 
 
2.3 Die Beschwerdeführerin übersieht nicht, dass sie nach dieser Praxis keinen Anspruch auf die verlangte Verringerung ihrer Kantonssteuer hat. Sie macht aber geltend, an der bisherigen Praxis könne nicht mehr festgehalten werden. Die neue Bundesverfassung enthalte keine Art. 49 Abs. 6 aBV entsprechende Regel mehr, so dass der Grund für die Ausnahme von der Steuerbefreiung Konfessionsloser bei den kantonalen Steuern weggefallen sei. 
 
2.4 Der Entstehungsgeschichte der neuen Bundesverfassung lassen sich keine Hinweise entnehmen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang nach dem Willen des Verfassungsgebers die Regel von Art. 49 Abs. 6 aBV weiterhin Gültigkeit haben solle. Letzterer folgte offenkundig der Auffassung des Bundesrats, wonach sich der Grundsatz von Art. 49 Abs. 6 aBV nunmehr aus Art. 15 Abs. 1 BV ableiten lasse (vgl. BBl 1997 I 157). Die Lehre geht meist ohne nähere Erklärung davon aus, dass die zu Art. 49 Abs. 6 aBV entwickelte Rechtsprechung weiterhin gelte (vgl. etwa PASCAL MAHON, in: Jean-François Aubert/Pascal Mahon, Petit commentaire de la Constitution fédérale de la Confédération suisse du 18 avril 1999, Art. 15 N. 10). Vereinzelt ist jedoch auch erklärt worden, die Zulässigkeit der kantonalen Kultusbudgets sei wegen des Wegfalls von Art. 49 Abs. 6 aBV neu zu überprüfen (URS JOSEF CAVELTI, Kultussteuern, Kultusbudgets und die nachgeführte Bundesverfassung, in: Das Religionsrecht der neuen Bundesverfassung, hrsg. von René Pahud de Mortanges, 2001, S. 60). 
 
2.5 Art. 49 Abs. 6 aBV enthielt zur Vereinbarkeit von Kirchensteuern mit der Glaubens- und Gewissensfreiheit eine Sonderregelung. Mit dem Verzicht auf ihre Aufnahme in die neue Bundesverfassung ist davon auszugehen, dass Abgabepflichten für religiöse Zwecke jetzt anhand der allgemeinen bei der Glaubens- und Gewissensfreiheit geltenden Kriterien zu beurteilen sind. Darauf deuten auch die bereits erwähnten Auffassungen von Bundesrat und Bundesgericht hin, wonach sich die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der früher in Art. 49 Abs. 6 aBV geregelten Belange nunmehr aus Art. 15 Abs. 1 BV ergibt. 
 
3. 
3.1 Art. 15 Abs. 4 BV verbürgt das Recht, jederzeit aus einer Religionsgemeinschaft auszutreten. Aus diesem Recht folgt, dass die Wirkungen der Mitgliedschaft mit dem Austritt erlöschen. Kirchensteuern dürfen deshalb für einen Zeitraum, in dem ein Ausgetretener der Kirche nicht mehr angehört hat, nicht erhoben werden (BGE 104 Ia 79 E. 4 S. 86 f.). Streitgegenstand bilden indessen keine Kirchen-, sondern die Kantonssteuern. 
Soweit die Kantone in ihrer Souveränität nicht durch die Bundesverfassung beschränkt sind, üben sie alle Rechte aus, die nicht dem Bund übertragen sind (Art. 3 BV). Zu diesen Rechten zählt auch die Steuerhoheit. Der Kanton kann diese ausüben, soweit er darin nicht durch ausdrückliche Vorschriften der Bundesverfassung oder durch allgemeine grundrechtliche Vorgaben beschränkt ist (ERNST BLUMENSTEIN/PETER LOCHER, System des schweizerischen Steuerrechts, 6. Aufl., 2002, S. 49). Die Aufwendungen des Gemeinwesens zur Erfüllung seiner allgemeinen öffentlichen Aufgaben bedingen eine Belastung der seiner Gebietshoheit unterworfenen Individuen, auch wenn zwischen diesen und der Erfüllung der einzelnen Aufgaben kein Zusammenhang besteht (Voraussetzungslosigkeit und Allgemeinheit der Steuer; ERNST BLUMENSTEIN/PETER LOCHER, a.a.O., S. 5; vgl. BGE 122 I 305 E. 4b und 124 I 289 E. 3b). Die Steuererträge fliessen daher grundsätzlich in die allgemeine Staatskasse, sie sind ohne entgegenstehende ausdrückliche Anordnung nicht zweckgebunden (MARKUS REICH, Steuerrecht, 2009, § 2 N. 2). 
Aufgrund der Allgemeinheit der Steuer spielt bei deren Erhebung die Religionszugehörigkeit keine Rolle. Die Pflicht zu ihrer Bezahlung gründet auf dem allgemeinen Mittelbedarf des Staates und nicht auf der Verfolgung besonderer religiöser Zwecke; ein religiöser Zwang geht deshalb davon grundsätzlich nicht aus. Die Steuerpflicht kann daher von vornherein nicht mit Argumenten bestritten werden, die die Mittelverwendung durch den Staat betreffen; denn bei Letzterer ist die Verbindung zur Mittelbeschaffung beim Steuerpflichtigen derart lose, dass nicht gesagt werden kann, der Einzelne unterstütze mittels seiner Steuern eine bestimmte Religionsgemeinschaft. Nur in diesem Fall wäre seine Glaubens- und Gewissensfreiheit - als subjektives Individualrecht (URS JOSEF CAVELTI/ANDREAS KLEY, in: Die schweizerische Bundesverfassung, 2. Aufl., 2008, N. 9 zu Art. 15 BV) - betroffen. Davon kann indessen schon deshalb nicht ausgegangen werden, weil nach den Berechnungen der Beschwerdeführerin lediglich ein verschwindend kleiner Anteil vom Gesamtbudget (0,813%) für Kultuszwecke verwendet wird. Auch angesichts der Anzahl Steuerpflichtiger im Kanton Bern kann keine Rede davon sein, dass die Beschwerdeführerin in auch nur in Ansätzen feststellbarem Umfang an die finanzielle Unterstützung einer Religionsgemeinschaft beiträgt. 
Auch nach der Rechtsprechung der Strassburger Organe zu Art. 9 EMRK kann die Zahlung der Steuern nicht unter Berufung auf Gewissensgründe verweigert werden, weil 40% davon für Rüstungsausgaben verwendet werden. Ebenso wenig erlaubt Art. 9 EMRK eine Verweigerung von Sozialversicherungsbeiträgen, weil diese auch für Zahlungen für Abtreibungen dienen. Schliesslich kann der Abschluss einer obligatorischen Haftpflichtversicherung und die damit verbundene Prämienzahlung nicht unter Berufung auf das individuelle Gewissen verweigert werden (Nachweise bei JOCHEN ABR. FROWEIN/WOLFGANG PEUKERT, Europäische Menschenrechtskonvention, 3. Aufl., 2009, Art. 9 N. 21 f.). 
Der schweizerische Gesetzgeber geht ebenfalls davon aus, dass die Pflicht zur Bezahlung von Steuern und Prämien obligatorischer Versicherungen die Glaubens- und Gewissensfreiheit nicht berührt und ihre Erfüllung deshalb nicht unter Berufung auf dieses Grundrecht abgelehnt werden kann (vgl. BGE 88 IV 121 E. 2 S. 122 betreffend die Pflicht zur Bezahlung von Militärpflichtersatz auch durch Armeegegner; Urteil K 57/00 vom 14. November 2000 betreffend die Pflicht zur Bezahlung von Krankenversicherungsprämien). 
 
3.2 Die Beschwerdeführerin räumt selber ein, dass die Erfüllung öffentlicher Abgabepflichten grundsätzlich nicht aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen abgelehnt werden könne. Sie bestreitet auch nicht, dass der Staat soziale Leistungen der Kirchen mitfinanzieren dürfe. Hingegen bestehe kein öffentliches Interesse daran, dass der Kanton Bern aus den allgemeinen Steuereinnahmen 445 Pfarrer besolde. Ihr als Freidenkerin sei es nicht zuzumuten, indirekt über ihre Kantonssteuern Pfarrerlöhne zu finanzieren. 
 
3.3 Es ist zwar verständlich, dass die Beschwerdeführerin als Atheistin auch nicht indirekt an die Besoldung der Pfarrer beitragen möchte. Doch ändert der Umstand, dass der Kanton Bern - im Unterschied zu anderen Schweizer Kantonen - die Pfarrer der öffentlich-rechtlich anerkannten Kirchen selber besoldet, nichts daran, dass die Pflicht zur Bezahlung der Kantonssteuern nicht in ihre Glaubens- und Gewissensfreiheit eingreift. Es spielt unter dem Gesichtswinkel dieses Grundrechts und mit Blick auf den Grundsatz der Allgemeinheit der Steuer keine Rolle, ob der Staat aus den allgemeinen Mitteln die Pfarrer selber besoldet oder er den anerkannten Kirchen entsprechende Beiträge ausrichtet und diese daraus die Löhne ihrer Geistlichen bezahlen. Der Staat richtet auch in anderen Bereichen - etwa in der Form von Stipendien - direkt Beiträge an den Lebensunterhalt von Personen aus, deren Tätigkeit er für förderungswürdig erachtet. Der Steuerpflichtige kann jedoch keine entsprechende Reduktion seiner Einkommens- und Vermögenssteuern verlangen, weil er unter Berufung auf seinen Glauben, sein Gewissen oder seine politischen Überzeugungen die geförderte Tätigkeit ablehnt. 
 
3.4 Selbst wenn unter den gegebenen Umständen eine Berührung der Glaubens- und Gewissensfreiheit bejaht würde, führte dies zu keinem anderen Ergebnis. Denn die Pflicht zur Bezahlung der unverminderten Kantonssteuer erschiene gemäss Art. 36 BV als zulässige Einschränkung dieses Grundrechts. Sie stützt sich unbestrittenermassen auf eine gesetzliche Grundlage im kantonalen Steuergesetz. Das öffentliche Interesse an der Erhebung von Einkommens- und Vermögenssteuern ist offenkundig, ebenso an der staatlichen Unterstützung der anerkannten Landeskirchen (vgl. Art. 123 Abs. 3 KV/BE). Schliesslich wäre auch der Grundsatz der Verhältnismässigkeit gewahrt, da allenfalls lediglich von einem geringfügigen Eingriff in die Glaubens- und Gewissensfreiheit gesprochen werden könnte. 
 
4. 
Aus diesen Erwägungen erweist sich die Beschwerde als unbegründet und ist abzuweisen. Bei diesem Verfahrensausgang sind die bundesgerichtlichen Kosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3. 
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und der Eidgenössischen Steuerverwaltung schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 22. November 2011 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Zünd 
 
Der Gerichtsschreiber: Küng