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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
5A_552/2010 
 
Urteil vom 23. Februar 2011 
II. zivilrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichterin Hohl, Präsidentin, 
Bundesrichter Marazzi, von Werdt, 
Gerichtsschreiber V. Monn. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Romeo Da Rugna, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Y.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Alban Brodbeck, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Eheschutzmassnahmen, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Glarus vom 9. Juli 2010. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
X.________ (geb. 1970) und Y.________ (geb. 1966) heirateten am 15. Januar 1999. Sie sind die Eltern des A.________ (geb. 1999), des B.________ (geb. 2001) und des C.________ (geb. 2004). Seit Juni 2008 leben die Parteien getrennt; Y.________ verliess den gemeinsamen Haushalt. Jedenfalls seit Ende 2008 waren A.________ beim Vater und die beiden anderen Söhne bei der Mutter untergebracht. Am 5. März 2009 stellte Y.________ zuständigenorts ein Eheschutzgesuch. Anlässlich einer Referentenaudienz vom 4. Juni 2009 verständigten sich die Parteien darauf, dass der Sohn A.________ für die Dauer des Eheschutzverfahrens weiterhin vom Vater und die beiden anderen Söhne von der Mutter betreut werden sollten. Am 25. November 2009 erliess die Kantonsgerichtsvizepräsidentin eine umfassende Eheschutzverfügung. Sie wies die eheliche Wohnung dem Ehemann zu, unter dessen Obhut sie auch die drei Söhne stellte. Ferner legte sie den vom Ehemann rückwirkend und bis zur Rechtskraft der Eheschutzverfügung zu leistenden Unterhalt für die beiden jüngeren Söhne und für die Ehefrau fest. Sodann räumte sie der Mutter ein Besuchsrecht ein, entband sie von jeglicher Unterhaltspflicht mit Ausnahme allfälliger Kinderzulagen, die sie an den Ehemann weiterzuleiten hat, verpflichtete den Ehemann, bis Ende März 2010 monatlich Fr. 1'300.-- an ihren Unterhalt beizutragen, und ordnete die Gütertrennung an. Schliesslich wies sie ein Gesuch um provisio ad litem der Ehefrau ab. 
Anfang Juni 2010 hat Y.________ beim Kantonsgericht Glarus die Scheidungsklage eingereicht. Das Scheidungsverfahren ist hängig. 
 
B. 
Mit Entscheid vom 9. Juli 2010 hiess das Obergericht des Kantons Glarus den von Y.________ gegen die Eheschutzverfügung vom 25. November 2009 eingereichten Rekurs teilweise gut. Es stellte den Sohn A.________ für die Dauer des Getrenntlebens bzw. des Scheidungsverfahrens unter die Obhut des Vaters und die beiden Söhne B.________ und C.________ unter diejenige der Mutter (Dispositiv-Ziff. 1), regelte das jeweilige Besuchs- und Ferienrecht der Eltern (Dispositiv-Ziff. 2-4), verpflichtete den Vater, rückwirkend ab 1. Januar 2009 an den Unterhalt von B.________ und C.________ monatlich je Fr. 1'200.-- zuzüglich allfälliger Kinderzulagen (Dispositiv-Ziff. 5) und an denjenigen der Mutter monatlich Fr. 2'425.-- zu bezahlen (Dispositiv-Ziff. 6), wobei er nachweislich bereits geleistete Unterhaltszahlungen und allfällige für seine Ehefrau bezahlte Mieten abziehen könne (Dispositiv-Ziff. 7). Soweit Y.________ Kinderzulagen auch für den Sohn A.________ beziehe, wurde sie verpflichtet, diese an X.________ zu überweisen (Dispositiv-Ziff. 8). Schliesslich verpflichtete das Obergericht den Ehemann zur Bezahlung eines einmaligen Prozesskostenvorschusses von Fr. 8'000.-- an seine Ehefrau (Dispositiv-Ziff. 9). 
 
C. 
Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 11. August 2010 gelangt X.________ (nachfolgend Beschwerdeführer) an das Bundesgericht. Er beantragt, den oberinstanzlichen Entscheid aufzuheben und den erstinstanzlichen Entscheid vollumfänglich zu bestätigen; eventuell sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Er macht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs und des Willkürverbots geltend. In ihrer Vernehmlassung vom 17. Januar 2011 beantragt Y.________ (nachfolgend Beschwerdegegnerin) Abweisung der Beschwerde. Der Beschwerdeführer hat mit Eingabe vom 24. Januar 2011 dazu Stellung genommen. Die Beschwerdegegnerin hat nicht dupliziert. 
Mit Verfügung vom 31. August 2010 hat die Präsidentin der II. zivilrechtlichen Abteilung dem Gesuch um aufschiebende Wirkung, dem sich die Beschwerdegegnerin nicht widersetzt hat, stattgegeben. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
1.1 Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Endentscheid in einer nicht vermögensrechtlichen Zivilsache (Art. 72 Abs. 1, Art. 75 Abs. 1 und Art. 90 BGG). Die Beschwerde in Zivilsachen steht somit offen. 
 
1.2 Weil Eheschutzentscheide vorsorgliche Massnahmen im Sinn von Art. 98 BGG darstellen (BGE 133 III 393 E. 5.1 und 5.2 S. 396 f.), kann einzig die Verletzung verfassungsmässiger Rechte gerügt werden. Hierfür gilt das strenge Rügeprinzip (Art. 106 Abs. 2 BGG). Das bedeutet, dass das Bundesgericht nur klar und detailliert erhobene und soweit möglich belegte Rügen prüft, während es auf ungenügend begründete Rügen und rein appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid nicht eintritt. Wird die Verletzung des Willkürverbots gerügt, reicht es sodann nicht aus, die Rechtslage aus Sicht des Beschwerdeführers darzulegen und den davon abweichenden angefochtenen Entscheid als willkürlich zu bezeichnen; vielmehr ist im Einzelnen darzulegen, inwiefern das kantonale Gericht willkürlich entschieden haben soll und der angefochtene Entscheid deshalb an einem qualifizierten und offensichtlichen Mangel leidet (BGE 134 II 244 E. 2.2 S. 246). 
 
1.3 Beide Parteien legen neue Dokumente vor. Gemäss Art. 99 Abs. 1 BGG dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nur soweit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt. In der Beschwerde ist darzutun, inwiefern die erwähnte Voraussetzung für eine nachträgliche Einreichung von Beweismitteln erfüllt sein soll (BGE 133 III 393 E. 3 S. 395). Die vom Beschwerdeführer hier vorgetragene blosse Behauptung, erst der angefochtene Entscheid habe Anlass zur Nachreichung von Dokumenten gegeben, ist unzureichend. Die neu ins Recht gelegten Schriftstücke sind daher unbeachtlich. 
 
2. 
Der Beschwerdeführer rügt Willkür in der Sachverhaltsfeststellung (Art. 9 BV) und eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV). Er habe die Erziehungsfähigkeit der Beschwerdegegnerin vor beiden kantonalen Instanzen bestritten und einen Antrag auf Einholung eines Gutachtens gestellt, aber das Obergericht habe die Frage der Erziehungsfähigkeit überhaupt nicht angeschnitten und sei auf seine Einwendungen nicht eingegangen. 
 
2.1 Das mit der "Regelung des Getrenntlebens" (Marginalie zu Art. 176 ZGB) befasste Eheschutzgericht trifft nach den Bestimmungen über die Wirkungen des Kindesverhältnisses die nötigen Massnahmen, wenn die Ehegatten unmündige Kinder haben (Art. 176 Abs. 3 ZGB). Für die Zuteilung der Obhut an einen Elternteil gelten grundsätzlich die gleichen Kriterien wie im Scheidungsfall. Nach der Rechtsprechung hat das Wohl des Kindes Vorrang vor allen anderen Überlegungen, insbesondere vor den Wünschen der Eltern. Vorab muss deren Erziehungsfähigkeit geklärt werden. Ist sie bei beiden Elternteilen gegeben, sind vor allem Kleinkinder und grundschulpflichtige Kinder demjenigen Elternteil zuzuteilen, der die Möglichkeit hat und dazu bereit ist, sie persönlich zu betreuen. Erfüllen beide Elternteile diese Voraussetzung ungefähr in gleicher Weise, kann die Stabilität der örtlichen und familiären Verhältnisse ausschlaggebend sein. Schliesslich ist - je nach Alter der Kinder - ihrem eindeutigen Wunsch Rechnung zu tragen. Diesen Kriterien lassen sich die weiteren Gesichtspunkte zuordnen, so die Bereitschaft eines Elternteils, mit dem anderen in Kinderbelangen zusammenzuarbeiten, oder die Forderung, dass eine Zuteilung der Obhut von einer persönlichen Bindung und echter Zuneigung getragen sein sollte (vgl. BGE 115 II 206 E. 4a S. 209; 115 II 317 E. 2 und 3 S. 319 ff.; 117 II 353 E. 3 S. 354 f.; 136 I 178 E. 5.3 S. 180 f.). 
Bei der Beurteilung der für die Obhutszuteilung massgebenden Kriterien verfügt das Sachgericht über grosses Ermessen (vgl. alle soeben zitierten Urteile). Auf Willkürbeschwerde hin kann das Bundesgericht deshalb nur eingreifen, wenn das Sachgericht grundlos von in Lehre und Rechtsprechung anerkannten Grundsätzen abgewichen ist, wenn es Gesichtspunkte berücksichtigt hat, die keine Rolle hätten spielen dürfen, oder wenn es umgekehrt rechtserhebliche Umstände ausser Acht gelassen hat. Der Ermessensentscheid muss sich als im Ergebnis offensichtlich unbillig, als in stossender Weise ungerecht erweisen (BGE 109 la 107 E. 2c S. 109; 128 III 4 E. 4b S. 6 f.; 132 III 97 E. 1 S. 99). 
 
2.2 Mit Bezug auf die Frage der Erziehungsfähigkeit hat sich das Obergericht mit der Wiedergabe der Schlussfolgerungen der Eheschutzrichterin begnügt, die die Erziehungsfähigkeit für beide Elternteile als gegeben erachtet hat. Es hat sich weder zu den diesbezüglichen Einwendungen des Beschwerdeführers noch zu seinem Antrag auf Begutachtung geäussert und auch keine eigenen Feststellungen getroffen. In diesem Sinne trifft der Vorwurf des Beschwerdeführers zu. 
Dagegen wendet die Beschwerdegegnerin ein, die Parteien hätten sich am 4. Juni 2009 im Rahmen des erstinstanzlichen Massnahmeverfahrens über die Obhutszuteilung geeinigt. Dies ist nur teilweise richtig. Mit der fraglichen Vereinbarung haben die Parteien die Obhut lediglich für die Dauer des Massnahmeverfahrens geregelt, sich aber nicht allgemein über die Obhutszuteilung geeinigt. Zudem ist zu beachten, dass der Beschwerdeführer seine Einwendungen gegen die Erziehungsfähigkeit der Mutter auch danach aufrechterhalten und im Rechtsmittelverfahren wiederholt hat. Folglich kann nicht gesagt werden, der Beschwerdeführer habe die Erziehungsfähigkeit der Beschwerdegegnerin anerkannt. 
Mithin hat das Obergericht einen Entscheid gefällt, ohne alle rechtserheblichen Umstände abgeklärt zu haben, und ist damit in Willkür verfallen. Insofern erweist sich die Beschwerde als begründet. 
 
3. 
Nach dem Gesagten ist der angefochtene Entscheid aufzuheben und zur Ergänzung des Beweisverfahrens und neuem Entscheid an das Obergericht zurückzuweisen. Da die Festlegung der Unterhaltsleistungen von der Obhutszuteilung abhängt, kann auf die diesbezüglichen Rügen nicht eingetreten werden. Von der Aufhebung des angefochtenen Entscheids ist auch dessen Kostenregelung betroffen, so dass der Antrag auf Änderung derselben gegenstandslos wird. 
Da der Ausgang des Verfahrens noch offen ist, werden der einschlägigen Praxis entsprechend die Gerichtskosten beiden Parteien zur Hälfte auferlegt und die Parteientschädigungen wettgeschlagen (Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 2 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Das Urteil des Obergerichts des Kantons Glarus vom 9. Juli 2010 wird aufgehoben und die Sache zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden den Parteien je zur Hälfte auferlegt. 
 
3. 
Die Parteikosten werden wettgeschlagen. 
 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Glarus schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 23. Februar 2011 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber: 
 
Hohl V. Monn