Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6S.4/2004 /kra 
 
Urteil vom 23. April 2004 
Kassationshof 
 
Besetzung 
Bundesrichter Schneider, Präsident, 
Bundesrichter Wiprächtiger, Zünd, 
Gerichtsschreiber Borner. 
 
Parteien 
E.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Postfach, 8023 Zürich. 
 
Gegenstand 
Fahren in angetrunkenem Zustand (Art. 91 SVG), Strafzumessung (Art. 63 StGB), bedingter Strafvollzug (Art. 41 StGB), 
 
Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 6. November 2003. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Am Sonntag, 6. Oktober 2002, um ca. 01.45 Uhr, lenkte E.________ einen Lieferwagen vom Restaurant "Zic Zac" an der Herdernstrasse in Zürich, um zum "Biergarten" zu gelangen. An der Molkenstrasse 8 geriet er in eine Polizeikontrolle. Eine Blutuntersuchung ergab für ihn eine Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille. 
B. 
Der Einzelrichter des Bezirksgerichts Zürich verurteilte E.________ am 22. April 2003 wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand zu einer unbedingten Gefängnisstrafe von 75 Tagen. 
 
Auf Berufung des Verurteilten bestätigte das Obergericht des Kantons Zürich am 6. November 2003 das erstinstanzliche Urteil. 
C. 
E.________ führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde und beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
Das Obergericht und die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich haben auf Gegenbemerkungen verzichtet. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Gegenstand der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde ist ausschliesslich der letztinstanzliche kantonale Entscheid (Art. 268 BStP), vorliegend somit das obergerichtliche Urteil. 
 
Soweit der Beschwerdeführer bemängelt, der Untersuchungsrichter habe seine Pflichten nicht richtig erfüllt (Nichteinvernahme des Kollegen des Beschwerdeführers, keine Abklärungen im "Zic Zac"), kann auf die Beschwerde nicht eingetreten werden. 
2. 
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe zu Unrecht auf vorsätzliches Führen eines Motorfahrzeugs in angetrunkenem Zustand erkannt. Er habe bloss fahrlässig gehandelt, und zwar unter einer alkoholbedingten Verminderung der Zurechnungsfähigkeit. 
2.1 War der Täter zur Zeit der Tat in seiner geistigen Gesundheit oder in seinem Bewusstsein beeinträchtigt, so dass die Fähigkeit, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder gemäss seiner Einsicht in das Unrecht der Tat zu handeln, herabgesetzt war, so kann der Richter gemäss Art. 11 StGB die Strafe nach freiem Ermessen mildern (Art. 66 StGB). 
 
Bei Trunkenheit steht in erster Linie die Steuerungsfähigkeit in Frage, da bei Rauschzuständen die Einsichtsfähigkeit in der Regel weniger beeinträchtigt ist. Nach der Rechtsprechung fällt bei einer Blutalkoholkonzentration von über 2 Gewichtspromille eine Verminderung der Zurechnungsfähigkeit in Betracht. Der Blutalkoholkonzentration kommt bei der Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit allerdings keine vorrangige Bedeutung zu. Sie bietet lediglich eine grobe Orientierungshilfe. Im Sinne einer groben Faustregel geht die Rechtsprechung davon aus, dass bei einer Blutalkoholkonzentration von unter 2 Gewichtspromille in der Regel keine Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit gegeben ist und dass bei einer solchen von 3 Promille und darüber meist Schuldunfähigkeit vorliegt. Bei einer Blutalkoholkonzentration im Bereich zwischen 2 und 3 Promille besteht somit im Regelfall die Vermutung für eine Verminderung der Zurechnungsfähigkeit. Diese Vermutung kann jedoch im Einzelfall durch Gegenindizien umgestossen werden. Der Faustregel liegt kein allgemeiner medizinischer Erfahrungsgrundsatz zu Grunde. Es gibt nämlich keine lineare Abhängigkeit der Trunkenheitserscheinung von der Blutalkoholkonzentration. Deshalb ist es prinzipiell fraglich, allein aus den Werten der Blutalkoholkonzentration das Ausmass einer alkoholtoxischen Beeinträchtigung ableiten zu wollen. Im Gegenteil haben konkrete Feststellungen über Alkoholisierung oder Nüchternheit prinzipiell Vorrang gegenüber Blutalkoholwerten. Ausschlaggebend für die Beeinträchtigung von Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ist der psycho-pathologische Zustand (der Rausch), und nicht dessen Ursache, die Alkoholisierung, die sich in der Blutalkoholkonzentration widerspiegelt (Urteil des Bundesgerichts 6S.17/2002 vom 7. Mai 2002, E. 1c/aa, publ. in Pra, 2002 157 845; BGE 122 IV 49 E. 1b; BGE 119 IV 120 E. 2b je mit Hinweisen). 
2.2 Die Blutalkoholkonzentration des Beschwerdeführers lag mit 1,6 - 1,76 Promille noch relativ deutlich unter der Marke von 2 Promille, weshalb sich von daher die Annahme einer Verminderung der Schuldfähigkeit nicht aufdrängt. Nach der Einschätzung des Blut entnehmenden Arztes stand der Beschwerdeführer "merkbar" unter Alkoholeinfluss, war aber durchaus in der Lage, einzelne Tests zu bestehen. Das Verhalten des Beschwerdeführers beurteilte er als ruhig und "angetrieben", dessen Stimmung und Sprache als unauffällig. Die ärztliche Untersuchung liefert somit keine Anhaltspunkte, die es erlauben würden, von der erwähnten Faustregel abzuweichen. Da auch der Beschwerdeführer keine Gegenindizien ins Feld führt, ist von seiner uneingeschränkten Zurechnungsfähigkeit auszugehen, als er sich nach dem Besuch des "Zic Zac" in sein Fahrzeug setzte. 
2.3 Angesichts der relativ hohen Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,6 Promille muss der Beschwerdeführer eine so grosse Menge alkoholischer Getränke zu sich genommen haben, die ihn nicht mehr daran zweifeln lassen konnte, den gesetzlichen Grenzwert von 0,8 Promille überschritten zu haben. Indem er trotz dieses Wissens sein Fahrzeug lenkte, erfüllte er den ihm vorgeworfenen Tatbestand vorsätzlich. 
3. 
Der Beschwerdeführer beanstandet in mehreren Punkten die vorinstanzliche Strafzumessung (Art. 63 StGB). Soweit er in diesem Zusammenhang den Vorsatz bestreitet, kann auf E. 2 verwiesen werden. 
 
Die Vorinstanz erwähnt ausdrücklich, dass unter anderem die Vorstrafen für die Betäubungsmitteldelikte "nur marginal" ins Gewicht fielen. Damit ist der Rüge, der Vorstrafe wegen Drogenhandels sei eine viel zu grosse Bedeutung zugemessen worden, von vornherein der Boden entzogen. Die Vorinstanz hat die einschlägige Vorstrafe aus dem Jahre 1995 (1,35 Promille) zutreffend zu Lasten des Beschwerdeführers gewertet. Dass diese Verurteilung bereits sieben Jahre zurückliegt, ist der Vorinstanz nicht entgangen. Sie wirft dem Beschwerdeführer denn auch nicht vor, er sei innert kurzer Zeit einschlägig rückfällig geworden. Sein Einwand, er sei 1998 zu Unrecht wegen Inverkehrbringens eines Personenwagens trotz entzogener Kontrollschilder gebüsst worden, ist unbehelflich, weil die entsprechende Verurteilung (zusätzlich wegen fehlender Autobahn-Vignette) rechtskräftig ist. Damit ist auch die Behauptung des Beschwerdeführers widerlegt, er habe einen ausgezeichneten automobilistischen Leumund. 
 
Die Vorinstanz hat die wesentlichen Beurteilungsmerkmale zutreffend gewürdigt und mit der Aussprechung einer Gefängnisstrafe von 75 Tagen auch den Rahmen ihres Ermessens nicht überschritten. Eine Verletzung von Bundesrecht ist zu verneinen. 
4. 
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
4.1 Gemäss dieser Bestimmung kann der Richter den Vollzug einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als 18 Monaten aufschieben, wenn Vorleben und Charakter des Verurteilten erwarten lassen, er werde auch durch eine bedingt vollziehbare Strafe von weiteren Delikten abgehalten. Der Richter hat also eine Prognose über das zukünftige Verhalten des Täters zu stellen. Dabei steht dem Sachrichter ein erhebliches Ermessen zu. Das Bundesgericht hebt einen Entscheid auf, wenn die Vorinstanz nicht von rechtlich massgebenden Gesichtspunkten ausgegangen ist oder diese in Überschreitung oder Missbrauch ihres Ermessens unrichtig gewichtet hat. Bei der Prüfung, ob der Verurteilte für ein dauerndes Wohlverhalten Gewähr bietet, ist eine Gesamtwürdigung aller wesentlichen Umstände vorzunehmen. In die Beurteilung mit einzubeziehen sind neben den Tatumständen auch das Vorleben und der Leumund sowie alle weiteren Tatsachen, die gültige Schlüsse auf den Charakter des Täters und die Aussichten seiner Bewährung zulassen. 
 
Für die Einschätzung des Rückfallrisikos ist ein Gesamtbild der Täterpersönlichkeit unerlässlich. Relevante Faktoren sind etwa strafrechtliche Vorbelastung, Sozialisationsbiographie und Arbeitsverhalten, das Bestehen sozialer Bindungen, Hinweise auf Suchtgefährdungen usw. Dabei sind die persönlichen Verhältnisse bis zum Zeitpunkt des Entscheides mit einzubeziehen. Es ist unzulässig, unter den nach Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1 StGB zu berücksichtigenden Umständen einzelnen eine vorrangige Bedeutung beizumessen und andere zu vernachlässigen oder überhaupt ausser Acht zu lassen. Dem Umstand, dass ein Führerausweisentzug einen Beschwerdeführer hart trifft, ist Rechnung zu tragen. Wie bei der Strafzumessung müssen die Gründe im Urteil so wiedergegeben werden, dass sich die richtige Anwendung des Bundesrechts überprüfen lässt (Urteil des Bundesgerichts 6S.726/2001 vom 25. Juni 2002, E. 4b mit Hinweisen, publ. in Pra, 2003 60 299). 
4.2 Die Vorinstanz stellt die verschiedenen Vorstrafen des Beschwerdeführers dar und kommt zum Schluss, alle diese Vorstrafen, insbesondere die einschlägige, wirkten sich negativ auf die Prognose aus, zeigten sie doch deutlich, dass sich der Beschwerdeführer auch durch den Strafvollzug nicht davon abhalten lasse, weiterhin die gesetzlichen Regeln zu missachten. Diese Beurteilung ist nicht zu beanstanden, soweit die Vorinstanz von den verschiedenen Vorstrafen und besonders von der einschlägigen negative Auswirkungen auf die Prognose ableitet. Der Nachsatz der Vorinstanz, dass sich der Beschwerdeführer auch durch den Strafvollzug nicht davon abhalten lasse, weiterhin die gesetzlichen Regeln zu missachten, ist zumindest missverständlich. Wenn die Vorinstanz damit zum Ausdruck bringen sollte, dem Beschwerdeführer könne keine günstige Prognose gestellt werden, weil er trotz Strafverbüssung rückfällig geworden ist, widerspräche dies der Rechtsprechung, wonach der Rückfall und die übrigen Vorstrafen nur Umstände sind, die neben allen anderen bei der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen sind (BGE 118 IV 97 E. 2c). 
 
Im Zusammenhang mit dem achtmonatigen Führerausweisentzug hält die Vorinstanz fest, der Entzug habe den Beschwerdeführer hart getroffen, weshalb von einem deutlichen Strafcharakter dieser Administrativmassnahme auszugehen sei. Ob aber die mit dieser Massnahme beabsichtigte Warnwirkung für die Zukunft deutlich sei, bleibe zu bezweifeln, habe doch der erste Ausweisentzug im Jahr 1995 von immerhin einem Monat den Beschwerdeführer nicht nachhaltig zu beeindrucken vermocht. Aus diesem Grund vermöge der letzte Ausweisentzug die Prognose nicht erheblich zu verbessern. Die Feststellung, der achtmonatige Führerausweisentzug habe den Beschwerdeführer hart getroffen, machte die Vorinstanz offenbar im Wissen darum, dass dieser als Einmannunternehmer im Elektrobereich für das Aufsuchen seiner Kundschaft und die Materialtransporte häufig auf eine Fahrgelegenheit angewiesen war. 1995 arbeitete er als Angestellter einer Temporärfirma. Ob er damals ebenfalls auf ein Fahrzeug angewiesen war, ist nicht festgestellt. Der damalige und der neuerliche Entzug erfolgten insoweit nicht unter den gleichen Voraussetzungen. Hinzu kommt, dass der letztere Führerausweisentzug doch immerhin acht mal länger dauerte. Da der Beschwerdeführer weiterhin als selbständig Erwerbender arbeiten will und nun zum ersten Mal während längerer Zeit einen einschneidenden Führerausweisentzug erdulden musste, darf von diesem Umstand eine erheblich verbesserte Prognose erwartet werden, was die Vorinstanz unzureichend gewichtet hat. 
 
Die Vorinstanz verneint eine besondere und über das übliche Mass hinaus gehende Strafempfindlichkeit, weil ein allfälliger Konkurs des Beschwerdeführers nicht einzig oder in entscheidendem Masse auf den Strafvollzug zurückgeführt werden könne. Kurz zuvor hält sie ihm jedoch zugut, durch die Halbgefangenschaft oder gemeinnützige Arbeit werde er zwar sicherlich weniger disponibel sein und allenfalls Kundenverluste hinnehmen müssen. Zumindest in diesem Ausmass ist aber seine Strafempfindlichkeit höher als diejenige eines Betroffenen mit gewöhnlichen Arbeitszeiten. 
 
Zutreffend erwähnt die Vorinstanz positiv, dass der Beschwerdeführer aus eigenem Antrieb mit dem Kokain- und Cannabiskonsum aufgehört hat. Ob er auch beim Alkoholkonsum bereit ist, ähnliche Willensanstrengungen zu unternehmen, müsste noch erhärtet werden. Denn abgesehen von den beiden Fahrten in angetrunkenem Zustand war auch bei der Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung Alkohol im Spiel, als er anlässlich eines Festes einem ihm bekannten Hund aus Jux den Befehl "fass" erteilt hatte 
 
Bei der Strafzumessung hat die Vorinstanz das Geständnis und die Einsicht des Beschwerdeführers strafmindernd veranschlagt. Da sie diese Elemente bei der Beurteilung des bedingten Strafvollzugs nicht erwähnt, ist unklar, ob sie auch hier Berücksichtigung fanden (vgl. Schneider, Basler Kommentar, Strafgesetzbuch I, N 100 zu Art. 41 StGB). 
 
Hinsichtlich der persönlichen Situation des Beschwerdeführers hält die Vorinstanz lediglich fest, er führe ein geregeltes Leben. Dabei bleibt offen, ob sich diese Feststellung einzig auf die Arbeit des Beschwerdeführers bezieht oder auch auf sein soziales Umfeld und ob daraus gültige Schlüsse für die Prognose gezogen werden können. 
4.3 Die Vorinstanz hat nach dem Gesagten massgebende Gesichtspunkte teilweise unberücksichtigt gelassen oder nicht hinreichend gewürdigt, weshalb der angefochtene Entscheid aufzuheben ist. Bei der Neubeurteilung wird eine Gesamtwürdigung vorzunehmen sein, unter Berücksichtigung der dannzumaligen persönlichen Situation des Beschwerdeführers. 
5. 
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise gutgeheissen. Soweit der Beschwerdeführer unterliegt, wird er kostenpflichtig (Art. 278 Abs. 1 BStP). Da er im Verfahren vor Bundesgericht keine besonderen Aufwendungen hatte, entfällt eine Parteientschädigung. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird, soweit darauf einzutreten ist, teilweise gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 6. November 2003 aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
2. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt. 
3. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 23. April 2004 
Im Namen des Kassationshofes 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: