Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6B_981/2009 
 
Urteil vom 25. Februar 2010 
Strafrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Favre, Präsident, 
Bundesrichter Wiprächtiger, Bundesrichterin 
Jacquemoud-Rossari. 
Gerichtsschreiber Briw. 
 
Parteien 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, 8090 Zürich, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
X._________, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Ambulante Behandlung, Aufschub der Freiheitsstrafe, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 28. August 2009. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Das Bezirksgericht Zürich fand X._________ am 28. August 2008 schuldig des Verbrechens gemäss Art. 19 Ziff. 1 Abs. 2, 4 und 5 i.V.m. Ziff. 2 lit. a und c BetmG, der mehrfachen Übertretung von Art. 19a Ziff. 1 BetmG sowie der mehrfachen Tätlichkeit (Art. 126 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 lit. c StGB). Es sprach ihn vom Vorwurf der Geldwäscherei frei. Es bestrafte ihn mit unbedingten Freiheits- und Geldstrafen sowie mit Busse. Den Vollzug der Freiheitsstrafe schob es zwecks ambulanter Behandlung auf. 
 
Im Appellationsverfahren stellte das Obergericht des Kantons Zürich am 28. August 2009 u.a. fest, die bezirksgerichtlichen Schuldsprüche seien rechtskräftig geworden. Von der Anklage der Geldwäscherei sprach es ihn ebenfalls frei. Es bestrafte ihn mit 2¾ Jahren Freiheitsstrafe (wovon 75 Tage durch Untersuchungshaft erstanden waren) und Fr. 3'000.-- Busse, teilweise als Zusatzstrafe zu einem Strafbefehl vom 3. März 2004. Es ordnete die ambulante Behandlung psychischer Störungen sowie eine Suchtbehandlung (Art. 63 StGB) an und vermerkte, dass er sich bereits im vorzeitigen Massnahmevollzug befand. Den Vollzug der Freiheitsstrafe sowie die mit Strafbefehl vom 3. März 2004 bedingt aufgeschobene Strafe von 90 Tagen Gefängnis, die es für vollziehbar erklärte, schob es zum Zwecke des Massnahmevollzugs auf. 
 
B. 
Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich erhebt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, die ambulante Massnahme aufzuheben und die Freiheitsstrafe zu vollziehen, eventuell die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 63 StGB (i.V.m. Art. 56 Abs. 1 lit. c StGB). Die Voraussetzungen einer Massnahme und des Strafaufschubs seien nicht gegeben. 
 
1.1 Die Vorinstanz stellt fest, das überzeugende psychiatrische Gutachten diagnostiziere eine Kokainsucht (wobei der Beschwerdegegner aktuell drogenfrei lebe; ICD-10 F14.2) und eine neurotische Persönlichkeitsstörung im Sinne einer Charakterneurose (ICD-10 F60.9). Es sei grundsätzlich von einer Rückfallgefahr auszugehen, insbesondere wegen der nur "anbehandelten" charakterneurotischen Anlage. Eine psychotherapeutische Behandlung sei angebracht. Der Gutachter bejahe eine Rückfallgefahr klar, falls die Drogensucht nicht behandelt werde. Seine heutige Abstinenz führe nicht zur Verneinung der Massnahmebedürftigkeit. Sonst würde schlechter gestellt, wer bereits vor der Gerichtsverhandlung seine Sucht angehe. 
 
Sie begründet den Vollzugsaufschub einerseits mit der gutachterlich festgestellten Kernstörung der Neurose, die in einer konflikthaften Autoritätsproblematik liege, welche in der Haft noch konsolidiert würde, und andererseits damit, dass der Beschwerdegegner sich beruflich und familiär aufgefangen habe. Der Strafvollzug brächte eine Destabilisierung mit sich. Er unterziehe sich seit Oktober 2007 einer Psychotherapie, welche inzwischen als Massnahme geführt werde. Deren Weiterführung sei sehr wichtig. 
 
1.2 Gemäss Art. 63 Abs. 1 lit. b StGB kann eine ambulante Behandlung angeordnet werden, wenn zu erwarten ist, dadurch lasse sich der Gefahr weiterer mit dem Zustand des Täters in Zusammenhang stehender Taten begegnen. Gemäss Art. 63 Abs. 2 StGB kann das Gericht eine Freiheitsstrafe zu Gunsten einer ambulanten Behandlung aufschieben, um der Art der Behandlung Rechnung zu tragen. Dabei ist auch unter dem neuen Recht vom Ausnahmecharakter des Strafaufschubs auszugehen. Eine ambulante Massnahme und entsprechend der damit verbundene mögliche Aufschub der Strafe bedürfen einer besonderen Rechtfertigung (Urteil 6B_724/2008 vom 19. März 2009, E. 3.2.3 mit Hinweis auf BGE 129 IV 161 E. 4.1 und 4.3). 
1.2.1 Die Anordnung einer Massnahme bedeutet zugleich eine ungünstige Prognose, so dass eine gleichzeitig ausgefällte Strafe nicht gemäss Art. 42 (bedingt) oder Art. 43 StGB (teilbedingt) aufgeschoben werden kann (Urteil 6B_141/2009 vom 24. September 2009 E. 1). 
1.2.2 Die vier Vorstrafen stehen im Zusammenhang mit Verkehrsregelverletzungen, und auch der Kokainhandel diente u.a. der Finanzierung eines Luxusautos. Die persönlichen Verhältnisse, die berufliche Entwicklung sowie das Bestreben um Weiterbildung sind günstige Voraussetzungen einer Massnahme. Er war geständig und hatte sich schon vor Anordnung der Massnahme in psychiatrische Behandlung begeben. Die Vorinstanz beurteilt die Weiterführung der Therapie nachvollziehbar als sehr wichtig (angefochtenes Urteil S. 20 mit Hinweis auf den Arztbericht vom 1. Juli 2009, act. 93). 
 
Die Beschwerdeführerin bestreitet, dass der psychiatrische Befund als "schwere" Störung im Sinne von Art. 63 Abs. 1 StGB qualifiziert werden kann. Die "psychisch schwere Störung" ist eine psychiatrische Indikation. Das Gesetz verweist dafür ausdrücklich auf die lex artis der ärztlichen Wissenschaften (BGE 127 IV 154 E. 3d). Vom Gutachten kann nicht ohne triftige Gründe abgewichen werden. Der psychiatrische Befund unterliegt indessen der normativen Wertung durch das Gericht. Die von der Rechtsprechung geforderte nähere Qualifizierung der "Persönlichkeitsstörung" und ihres symptomatischen Zusammenhangs mit der Tat wird vom Gutachten geleistet. Eine Behandlung ist angezeigt. Die Störung gründet in der Lebensgeschichte und den Erziehungsverhältnissen, die zu einer "Behinderung und Verbiegung seiner Persönlichkeitsentwicklung" (Gutachten S. 46) geführt hatten. Der Beschwerdegegner hatte die in der Pubertät und Frühadoleszenz anstehenden Entwicklungsschritte nicht bewältigen können. Ein Scheitern der Therapie würde die Legalprognose nachhaltig verschlechtern. 
1.2.3 Diese tatsächliche Aussicht auf erfolgreiche Behandlung würde bei einem Strafvollzug erheblich beeinträchtigt. Eine sofortige Behandlung bietet sehr gute Resozialisierungschancen. Es liegt auf der Hand, dass ein Rückfall in den Kokainkonsum die Gefahr des Drogenhandels mit sich bringt. Dass es aufgrund der "neurotischen Verstrickung in seine innerlich fixierten Autoritätskonflikte" in Zukunft "irgendwelche Delikte" (so das Gutachten S. 50) sein könnten, erscheint nachvollziehbar. Auch für die Beschwerdeführerin ist klar, dass ein Strafvollzug eine Autoritätsproblematik mit sich bringen kann. Wie sie ausführt, war der Beschwerdegegner bis zu seiner Verhaftung gesellschaftlich integriert, immer berufstätig und in normalen familiären Verhältnissen. Diese Normalität war aber durch die Persönlichkeitsstörung gebrochen, welche sich in den strafbaren Handlungen zeigte. Es ist daher entgegen der Beschwerdeführerin ersichtlich, worin die besondere Rückfallgefahr liegt und auch, worin die Vordringlichkeit der Behandlung besteht, nämlich in der therapeutisch unterstützten Überwindung der Entwicklungsdefizite. Die tatsächlichen Anstrengungen des zur Einsicht gelangten Beschwerdegegners lassen sich nicht als blosse bekenntnishafte Aussagen zur Vermeidung des Strafvollzugs interpretieren. Der Aufschub des Strafvollzugs (Art. 63 Abs. 2 StGB) lässt sich aus Gründen der Heilbehandlung rechtfertigen (BGE 129 IV 161 E. 4.1). Der Beschwerdegegner kommt gut weg. Darin liegt keine Ermessensverletzung der Vorinstanz. 
 
2. 
Die Beschwerde ist abzuweisen. Es sind weder Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG) noch Entschädigungen auszurichten. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Es werden keine Kosten erhoben und keine Entschädigungen ausgerichtet. 
 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 25. Februar 2010 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Favre Briw