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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
P 43/03 
 
Urteil vom 25. Juni 2004 
IV. Kammer 
 
Besetzung 
Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiber Attinger 
 
Parteien 
Amt für AHV und IV des Kantons Thurgau, Ausgleichskasse, EL-Stelle, St. Gallerstrasse 13, 8501 Frauenfeld, Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
P.________, 1932, Beschwerdegegnerin, vertreten 
durch Rechtsanwalt Dr. Urs Haubensak, Hauptstrasse 5, 8280 Kreuzlingen 
 
Vorinstanz 
AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau, Weinfelden 
 
(Entscheid vom 16. Juni 2003) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Mit Verfügung vom 31. Oktober 2002 lehnte das Amt für AHV und IV des Kantons Thurgau das Gesuch der 1932 geborenen P.________ um Ausrichtung von Ergänzungsleistungen zur Altersrente mit Wirkung ab 1. März 2001 ab, da ein Einnahmenüberschuss vorliege. Bei der Ermittlung der anrechenbaren Einnahmen wurde namentlich dem Umstand Rechnung getragen, dass die Versicherte am 30. Juni 1994 zu Gunsten der Einzelfirma ihres (nunmehr verstorbenen) Ehemannes (Firma A.________) einen Forderungsverzicht über Fr. 355'465.70 geleistet hatte. 
B. 
Die AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau hiess die gegen die leistungsablehnende Verfügung gerichtete Beschwerde mit Entscheid vom 16. Juni 2003 teilweise gut und verpflichtete das Amt für AHV und IV zur Ausrichtung von Ergänzungsleistungen in Höhe von Fr. 721.-- pro Monat für den Zeitraum vom 1. März bis 31. Dezember 2001 sowie von Fr. 771.-- pro Monat für die Zeit ab 1. Januar 2002. Dabei rechnete die Rekurskommission im Rahmen der EL-Ermittlung u.a. nur den Differenzbetrag (d.h. Fr. 63'517.30) zwischen dem genannten Forderungsverzicht (Fr. 355'465.70) und dem davon für die Sanierung der Unterbilanz der Einzelfirma benötigten Betrag (Fr. 291'948.40) als seinerzeitiges Verzichtsvermögen an. 
C. 
Das Amt für AHV und IV führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag auf Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids. 
P.________ lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen, während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Letztinstanzlich ist nur mehr streitig, ob die Beschwerdegegnerin am 30. Juni 1994 auf einen Vermögensbestandteil von Fr. 355'465.70 oder aber auf einen solchen von bloss Fr. 63'517.30 verzichtet hat. Ersteres macht das Beschwerde führende Amt für AHV und IV geltend, wogegen letztere Auffassung von Vorinstanz und Versicherter vertreten wird. 
2. 
2.1 Die Rekurskommission hat im angefochtenen Entscheid die hier massgebende gesetzliche Bestimmung und die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze über die Anrechnung von Einkünften und Vermögenswerten, auf die - ohne rechtliche Verpflichtung und ohne adäquate Gegenleistung - verzichtet worden ist (Art. 3c Abs. 1 lit. g ELG; BGE 123 V 37 Erw. 1, 121 V 205 Erw. 4a, je mit Hinweisen), richtig wiedergegeben. Darauf wird verwiesen. 
2.2 Zutreffend sind auch die vorinstanzlichen Ausführungen, wonach Ergänzungsleistungen ausgerichtet werden, um Bezügerinnen und Bezügern von Renten der AHV oder der Invalidenversicherung das Existenzminimum zu gewährleisten, ohne dass die Versicherten Sozialhilfe beziehen müssen (Art. 112 Abs. 6 in Verbindung mit Art. 196 Ziff. 10 BV). Mit den Leistungen gemäss ELG soll somit der gegenwärtige Grundbedarf, sollen die laufenden Lebensbedürfnisse gedeckt werden. Aus diesem Grunde sind bei der Ermittlung der Anspruchsberechtigung grundsätzlich nur tatsächlich vereinnahmte Einkünfte und vorhandene Vermögenswerte zu berücksichtigen, über die der Leistungsansprecher ungeschmälert verfügen kann (BGE 127 V 369 Erw. 5a, 122 V 24 Erw. 5a, 121 V 205 Erw. 4a, je mit Hinweisen). Dasselbe hat sinngemäss auch für den Verzichtstatbestand nach Art. 3c Abs. 1 lit. g ELG zu gelten, sodass einem Leistungsansprecher auf Grund dieser Bestimmung nur solche hypothetische Aktiven aufgerechnet werden dürfen, die einen reellen, wirtschaftlich realisierbaren Wert darstellen (oder im Verzichtszeitpunkt darstellten). Eine Forderung, auf die verzichtet wurde, gilt mit Bezug auf den Verzichtszeitpunkt in der Regel dann als uneinbringlich, wenn vorgängig sämtliche zumutbaren rechtlichen Möglichkeiten zu deren Realisierung ausgeschöpft worden waren (in ZAK 1991 S. 137 Erw. 2c erwähntes, nicht veröffentlichtes Urteil R. vom 3. April 1989, P 51/88). 
Diesbezüglich ist auf die Rechtsprechung zu Art. 3c Abs. 1 lit. h in Verbindung mit lit. g ELG (bzw. zu den bis Ende 1997 gültig gewesenen, gleich lautenden Art. 3 Abs. 1 lit. g in Verbindung mit lit. f ELG) zu verweisen, wonach die objektive Uneinbringlichkeit von familienrechtlichen Unterhaltsbeiträgen nicht ohne weiteres angenommen werden darf, solange zu deren Erhältlichmachung nicht sämtliche zumutbaren rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Von dieser Regel kann abgewichen und Uneinbringlichkeit der Unterhaltsbeiträge auch bei Fehlen rechtlicher Schritte angenommen werden, wenn klar ausgewiesen ist, dass der Unterhaltspflichtige nicht in der Lage ist, seinen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Dieser Nachweis kann insbesondere mittels amtlicher Bescheinigungen (z.B. der Steuerveranlagungsbehörde oder des Betreibungsamtes) über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Unterhaltspflichtigen erbracht werden. Ist auf Grund solcher Beweismittel erstellt, dass die dem Unterhaltsberechtigten rechtlich zustehenden Beiträge uneinbringlich sind, kann von ihm nicht verlangt werden, gegen den geschiedenen Partner die Betreibung einzuleiten oder einen Zivilprozess anzustrengen, wenn dies lediglich zu einem unnötigen Leerlauf führte und an der Uneinbringlichkeit der Forderung mit grösster Wahrscheinlichkeit nichts ändern würde (BGE 120 V 443 Erw. 2 mit Hinweisen; Pra 1998 Nr. 12 S. 72 Erw. 4a; SVR 1996 EL Nr. 20 S. 59 Erw. 4; Urteil C. vom 11. Februar 2004, P 68/02). 
3. 
3.1 Unter sämtlichen Verfahrensbeteiligten ist unbestritten, dass die Beschwerdegegnerin vom ihr angefallenen Erbschaftsanteil am Nachlass ihres 1961 verstorbenen Vaters den Betrag von Fr. 355'465.70 in die Einzelunternehmung ihres Ehemannes investierte. Als diese Jahre später an die vier gemeinsamen Söhne übergehen sollte, steckte die Einzelfirma offenkundig in grossen finanziellen Schwierigkeiten. Nach den Angaben der Beschwerdegegnerin im vorinstanzlichen Verfahren pochte die Bank X.________ auf eine Sanierung und Restrukturierung und machte einen eigenen Forderungsverzicht von einem solchen der Versicherten abhängig. Unter diesen Umständen habe sie mit schriftlicher Erklärung vom 30. Juni 1994 auf ihre gesamte Investition im Betrieb ihres Ehemannes von Fr. 355'465.70 verzichtet. In der Folge verkaufte Letzterer am 7. Juli 1994 den gesamten Geschäftsbetrieb seiner Einzelfirma mit Aktiven und Passiven "zum Preis von Fr. 1.-- (einem Franken) entsprechend dem Aktivenüberschuss in der Übernahmebilanz" an die von den vier Söhnen neu gegründete B.________ AG. In die ("sanierte") Übernahmebilanz hatten u.a. Forderungsverzichte der Bank X.________ über Fr. 450'000.-- und der Beschwerdegegnerin über Fr. 291'948.40 Eingang gefunden. Der Unternehmung war offenbar auch nach erfolgter Sanierung und Übertragung auf die Söhne bzw. Umwandlung in eine Aktiengesellschaft kein Erfolg beschieden. Bereits am 2. April 1996 wurde über die B.________ AG der Konkurs eröffnet. Nach Durchführung des Konkursverfahrens wurde der Beschwerdegegnerin bei einer zugelassenen Lohnforderung von Fr. 11'458.35 ein Verlustschein über Fr. 10'892.05 ausgestellt. 
3.2 Der Rekurskommission ist darin beizupflichten, dass die seinerzeitige Investition eines Teils der ihr zugefallenen Erbschaft in die Einzelfirma ihres Ehemannes keinen Verzichtstatbestand im Sinne von Art. 3c Abs. 1 lit. g ELG darstellt. Entgegen der Auffassung des Beschwerde führenden Amtes für AHV und IV kommt dem Umstand, dass "keine Rechtspflicht zur Einlage in die Firma des Ehemannes" bestand, keinerlei Bedeutung zu. Anders präsentiert sich die Ausgangslage mit Bezug auf den am 30. Juni 1994 im Zusammenhang mit den Sanierungsbemühungen geleisteten Forderungsverzicht. Mangels einer diesbezüglichen rechtlichen Verpflichtung und jeglicher Gegenleistung (vgl. hiezu die Erwägungen im angefochtenen Entscheid) ist in Übereinstimmung mit der Vorinstanz von einem Vermögensverzicht auszugehen (BGE 123 V 37 Erw. 1, 121 V 205 Erw. 4a). Ebenfalls richtig erkannt hat die Rekurskommission, dass die Frage der Bonität der Forderung gegenüber dem Ehemann bzw. dessen Einzelfirma im Zeitpunkt der Verzichtserklärung nicht ausgeblendet werden darf. Wie im angefochtenen Entscheid einlässlich darlegt wird, war der Betrieb vor der Bilanzsanierung durch die erwähnten Forderungsverzichte massiv überschuldet. Eine Geltendmachung der Forderung durch die Beschwerdegegnerin oder die Verweigerung des von der Bank X.________ (auch) von ihr verlangten Forderungsverzichts hätte unmittelbar zum Konkurs der Einzelfirma geführt und angesichts der bestehenden Überschuldung zum Verlust der gesamten Investition der Ehefrau. Unter diesen Umständen ist die (weitgehende) Uneinbringlichkeit der Forderung im Verzichtszeitpunkt klar ausgewiesen. Daran hätte, wie aufgezeigt, ein Beharren der Beschwerdegegnerin auf ihrer Forderung gegenüber dem Ehemann nichts geändert, weshalb im Lichte der in Erw. 2.2 hievor dargelegten Rechtsprechung - in Übereinstimmung mit der Vorinstanz - ein Vermögensverzicht im Sinne von Art. 3c Abs. 1 lit. g ELG nur insoweit angenommen werden kann, als der Forderungsverzicht von gesamthaft Fr. 355'465.70 den für die Sanierung der Einzelfirma seitens der Beschwerdegegnerin benötigten Betrag von Fr. 291'948.40 überstieg. Die Rekurskommission hat mithin zu Recht einen auf das Jahr 1994 zurückgehenden Vermögensverzicht über Fr. 63'517.30 berücksichtigt und ein entsprechendes (um die seitherige jährliche Amortisation vermindertes) Verzichtsvermögen in die EL-Berechnung einbezogen. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Das Amt für AHV und IV des Kantons Thurgau hat der Beschwerdegegnerin für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1'500.-- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, der AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
Luzern, 25. Juni 2004 
 
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
 
Der Präsident der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber: