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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
2C_152/2011 
 
Urteil vom 25. August 2011 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Zünd, Präsident, 
Bundesrichter Seiler, Stadelmann, 
Gerichtsschreiber Uebersax. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Advokat Dr. Jean-Louis von Planta, 
 
gegen 
 
Migrationsamt des Kantons Basel-Stadt, 
Spiegelgasse 12, Postfach, 4001 Basel, 
Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Basel-Stadt, Bereich Recht, Spiegelgasse 6, 4001 Basel. 
 
Gegenstand 
Wegweisung und Widerruf der Niederlassungsbewilligung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt, als Verwaltungsgericht, 
vom 22. Dezember 2010. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
1.1 Der französische Staatsangehörige X.________, geb. 1976, verfügt seit dem Jahre 1995 über die Niederlassungsbewilligung im Kanton Basel-Stadt. Er ist mit einer Schweizerin verheiratet und hat mit dieser zwei Kinder mit den Geburtsjahrgängen 1999 und 2002. 
 
1.2 Am 22. April 1996 wurde X.________ wegen Widerhandlung gegen das Transportgesetz zu einer Busse von Fr. 30.-- verurteilt. Am 24. August 2000 bestrafte ihn das Bezirksamt Baden wegen Sachbeschädigung sowie Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte mit einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von vier Tagen und einer Busse von Fr. 200.--. Mit Urteil des Strafgerichts Basel-Stadt vom 30. November 2007 wurde er infolge versuchter vorsätzlicher Tötung, versuchten Totschlags, Gefährdung des Lebens, einfacher Körperverletzung, qualifizierter Sachbeschädigung, Beschimpfung sowie Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte und mehrfacher einfacher Verletzung der Verkehrsregeln zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren, davon die Hälfte mit bedingtem Vollzug, sowie einer Busse von Fr. 300.-- verurteilt. Zusätzlich wurde eine ambulante psychiatrische Behandlung während und nach dem Strafvollzug angeordnet. Diesem Urteil lag im Wesentlichen ein Familienstreit wegen einer amourösen Beziehung des Halbbruders von X.________ mit dessen Ehefrau zugrunde, in dessen Verlauf X.________ zweimal versuchte, seinen Halbbruder umzubringen, und dabei einmal auch Dritte gefährdete. Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt bestätigte das Strafurteil am 13. Februar 2009 und verbot zusätzlich X.________, sich seinem Halbbruder und dessen Wohnort auf weniger als 100 Metern zu nähern. 
 
1.3 Am 13. August 2009 widerrief das Migrationsamt des Kantons Basel-Stadt die Niederlassungsbewilligung von X.________ und wies ihn aus der Schweiz weg. Mit Entscheid vom 26. Mai 2010 wies das Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Basel-Stadt einen dagegen erhobenen Rekurs ab. 
 
1.4 Am 31. Mai 2010 verurteilte das Bezirksstatthalteramt Arlesheim X.________ wegen mehrfachen Führens eines Motorfahrzeuges in fahrunfähigem sowie in angetrunkenem Zustand, versuchter Vereitelung einer Massnahme zur Feststellung der Fahrunfähigkeit, einfacher Verletzung von Verkehrsregeln und pflichtwidrigen Verhaltens nach einem Unfall, alles begangen am 25. Oktober 2009, zu einer unbedingten Geldstrafe von 60 Tagessätzen à Fr. 30.-- sowie einer Busse von Fr. 500.--. 
 
1.5 Mit Urteil vom 22. Dezember 2010 wies das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt als Verwaltungsgericht einen Rekurs gegen den Departementsentscheid vom 31. Mai 2010 ab. 
 
1.6 X.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und subsidiäre Verfassungsbeschwerde beim Bundesgericht mit den Anträgen, es seien die Entscheide des Migrationsamts, des Justiz- und Sicherheitsdepartements sowie das Appellationsgerichts aufzuheben und es sei ihm die Niederlassungsbewilligung zu erteilen. Überdies sei ihm die unentgeltliche Prozessführung mit seinem Anwalt als Rechtsbeistand zu gewähren. 
 
1.7 Das Justiz- und Sicherheitsdepartement sowie das Appellationsgericht schliessen unter Verzicht auf weitere Ausführungen auf Abweisung der Beschwerde. Die Stellungnahme des Bundesamts für Migration ist als verspätet aus dem Recht zu weisen. 
 
2. 
2.1 Gegen den Widerruf einer Niederlassungsbewilligung steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nach Art. 82 ff. BGG offen (BGE 135 II 1 E. 1.2.1 S. 4). Wegen des Devolutiveffekts ist sie hingegen nur gegen das letztinstanzliche Urteil des Appellationsgerichts zulässig; soweit der Beschwerdeführer die unterinstanzlichen Entscheide mitanficht, ist auf die Beschwerde mithin nicht einzutreten (vgl. Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG sowie BGE 134 II 142 E. 1.4 S. 144; 129 II 438 E. 1 S. 441). Ebenfalls nicht einzutreten ist auf den Antrag, dem Beschwerdeführer die Niederlassungsbewilligung zu erteilen; würde sich der Widerruf derselben als rechtswidrig erweisen, würde die unbefristete Niederlassungsbewilligung (vgl. Art. 34 Abs. 1 AuG) nämlich einfach weiterbestehen und bräuchte gar nicht neu zugesprochen zu werden. 
 
2.2 Erweist sich die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten als zulässig, ist die subsidiäre Verfassungsbeschwerde ausgeschlossen (vgl. Art. 113 BGG). 
 
3. 
3.1 Gemäss Art. 63 Abs. 1 lit. a in Verbindung mit Art. 62 lit. b AuG kann die Niederlassungsbewilligung widerrufen werden, wenn ein Ausländer zu einer längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Als "längerfristig" gilt eine Freiheitsstrafe, deren Dauer ein Jahr überschreitet (BGE 135 II 377 E. 4.2 und E. 4.5 S. 379 ff.). Diese Voraussetzung ist hier unbestrittenermassen erfüllt. Auch wenn ein Widerrufsgrund vorliegt, bleibt zu prüfen, ob der Widerruf auch als verhältnismässig erscheint. Dabei sind namentlich die Schwere des Verschuldens, der Grad der Integration bzw. die Dauer der bisherigen Anwesenheit sowie die dem Betroffenen drohenden Nachteile zu berücksichtigen (BGE 135 II 377 E. 4.3 ff. S. 381 ff.; vgl. auch Art. 96 Abs. 1 AuG). Bei schweren Straftaten, insbesondere bei Gewalt- unter Einschluss von Tötungsdelikten, und bei Rückfall bzw. wiederholter Delinquenz besteht ein wesentliches öffentliches Interesse an der Verweigerung der weiteren Anwesenheit eines Ausländers, selbst wenn dieser sein ganzes bisheriges Leben in der Schweiz verbracht hat (vgl. BGE 130 II 176 E. 4.4.2 S. 190; 122 II 433 E. 2c S. 436; BGE 2C_903/2010 vom 6. Juni 2011 E. 3.1). 
 
3.2 Wie das Appellationsgericht zu Recht ausführt, wiegt das Verschulden des Beschwerdeführers schwer. Nicht nur hat er zweimal einen Tötungsversuch unternommen, sondern er ist wiederholt in verschiedener Hinsicht straffällig geworden und liess sich auch nach bereits ausgesprochenem Widerruf der Niederlassungsbewilligung nicht von einer neuen Straftat abhalten. Bei den versuchten Tötungsdelikten war er im Übrigen bereits verheiratet und Vater zweier Kinder. Dass er gemäss psychiatrischem Gutachten an einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ mit zusätzlich narzisstischen und dissozialen Anteilen leidet und deshalb behandlungsbedürftig ist, ist wohl zu berücksichtigen, vermag ihn aber nicht massgeblich zu entlasten, fand dies doch bereits im Strafurteil und bei der Strafbemessung Beachtung. Sodann ist der Beschwerdeführer erst als Erwachsener in die Schweiz gekommen und hat vor allem seine Jugendzeit in Frankreich verbracht. Wie unter anderem seine Straffälligkeit belegt und wie es auch aus seinen sonstigen persönlichen Verhältnissen hervorgeht, ist er hier nicht besonders gut integriert. Eine Rückkehr nach Frankreich ist ihm selbst ohne weiteres zumutbar. Seine Frau und Kinder haben zwar das Schweizer Bürgerrecht. Angesichts der Schwere der Delinquenz überwiegen aber die öffentlichen Sicherheitsinteressen an einem Widerruf der Niederlassungsbewilligung die privaten Interessen, das Familienleben weiterhin in der Schweiz leben zu können. Dies gilt umso mehr, als es der Familie möglich und zumutbar sein wird, wie das Appellationsgericht ausführt, durch Wohnsitznahme des Beschwerdeführers im nahen Frankreich die familiären Beziehungen weiter zu pflegen. Im Übrigen ist der Widerruf der Niederlassungsbewilligung für sich allein mit keinem Verbot der Einreise zu Besuchszwecken verbunden (vgl. das Urteil des Bundesgerichts 2C_832/2009 vom 29. Juni 2010 E. 5). Wieweit der Beschwerdeführer mit einem Einreiseverbot belegt werden darf bzw. wieweit allfällige Suspensionen zwecks Familienbesuchs zu prüfen wären, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Dass mit dem Widerruf der Niederlassungsbewilligung allenfalls Schwierigkeiten bei der Betreuung der Kinder und in finanzieller Hinsicht verbunden sind, hat sich der Beschwerdeführer selbst zuzuschreiben. Insgesamt erweist sich der angefochtene Entscheid mithin nicht als unverhältnismässig. 
 
3.3 Aus analogen Gründen verstösst der angefochtene Entscheid auch nicht gegen Art. 8 EMRK oder gegen die Kinderrechtskonvention. Mit Blick auf das Schweizer Bürgerrecht der Ehefrau und der Kinder des Beschwerdeführers stellt der Widerruf der Niederlassungsbewilligung zwar einen Eingriff in das Recht auf Familienleben nach Art. 8 Ziff. 1 EMRK dar; dieser erweist sich aber angesichts der Interessenlage als gemäss Art. 8 Ziff. 2 EMRK gerechtfertigt. Die Kinderrechtskonvention vermittelt demgegenüber keinen eigentlichen Anspruch auf ausländerrechtliche Bewilligung zwecks Familienlebens, sondern verlangt lediglich die Berücksichtigung des Kindeswohls bei behördlichen Massnahmen. Auch insoweit fällt die Interessenabwägung aber zu Lasten des Beschwerdeführers aus. 
 
3.4 Zu prüfen bleibt damit einzig, ob die mit dem Widerruf der Niederlassungsbewilligung verbundene Verweigerung der Anwesenheit in der Schweiz das Freizügigkeitsabkommen (FZA) verletzt. Nach Art. 5 Abs. 1 Anhang I FZA dürfen die vom Freizügigkeitsabkommen gewährten Rechtsansprüche nur durch Massnahmen eingeschränkt werden, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind. Erforderlich ist allerdings, im Unterschied zur Rechtslage nach Art. 63 AuG, dass eine gegenwärtige Gefährdung vorliegt (vgl. BGE 136 II 5 E. 4 S. 19 ff.; 130 II 176 E. 3 S. 179 ff.; BGE 2C_903/2010 vom 6. Juni 2011 E. 4). Zu Recht konnte das Appellationsgericht aus dem psychiatrischen Gutachten ableiten, dass vom Beschwerdeführer weiterhin eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung ausgeht. Wie die Vorinstanz für das Bundesgericht verbindlich festgestellt hat (vgl. Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG), ist sein psychiatrisches Defizit nicht vollständig behandelbar noch wird die angeordnete Therapie konsequent durchgeführt. Überdies ist der Beschwerdeführer bereits wieder straffällig geworden, was nicht nur seine Zusicherung in Frage stellt, er werde sich nunmehr an die Rechtsordnung halten, sondern vielmehr eine fortbestehende Gefährdung zusätzlich belegt. Es ist demnach mit dem Freizügigkeitsabkommen vereinbar, dem Beschwerdeführer die weitere Anwesenheit in der Schweiz zu untersagen. 
 
4. 
4.1 Die Beschwerde erweist sich als offensichtlich unbegründet und ist im vereinfachten Verfahren nach Art. 109 BGG abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Ergänzend wird auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Entscheid verwiesen (vgl. Art. 109 Abs. 3 BGG). 
 
4.2 Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist wegen Aussichtslosigkeit seiner Begehren abzuweisen (vgl. Art. 64 BGG). Angesichts des Ausgangs des Verfahrens wird der unterliegende Beschwerdeführer mithin kostenpflichtig, wobei seinen finanziellen Verhältnissen bei der Festlegung der Gerichtsgebühr Rechnung zu tragen ist (Art. 66 Abs. 1 und Art. 65 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2. 
Auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird nicht eingetreten. 
 
3. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen. 
 
4. 
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
5. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Migrationsamt, dem Justiz- und Sicherheitsdepartement und dem Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt, als Verwaltungsgericht, sowie dem Bundesamt für Migration schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 25. August 2011 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Zünd 
 
Der Gerichtsschreiber: Uebersax