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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
8C_265/2013  
   
   
 
 
 
Urteil vom 25. November 2013  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin, 
Bundesrichter Maillard, Bundesrichterin Heine, 
Gerichtsschreiberin Schüpfer. 
 
Verfahrensbeteiligte 
R.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Claudia Eugster, 
substituiert durch M.________, 
eidg. diplomierter Versicherungsfachmann, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Thurgau, Rechts- und Einsprachedienst,  
St. Gallerstrasse 13, 8500 Frauenfeld, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Invalidenrente/Statusfrage), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau 
vom 20. Februar 2013. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Die 1968 geborene R.________ arbeitete seit Mai 2002 vollzeitlich und ab August 2002 in einem 80 %-Pensum als Ressourcenmanagerin beim Departement A.________. Am 16. Dezember 2002 stürzte sie beim Skifahren und schlug mit dem Kopf auf die harte Skipiste auf. Zudem war sie am 21. Februar 2003 in einen Auffahrunfall verwickelt. Bei beiden Unfällen erlitt sie eine HWS-Distorsion. Am 20. April 2004 meldete sie sich bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Nach Einholung der medizinischen Unterlagen des Unfallversicherers führte das Amt für AHV und IV des Kantons Thurgau (IV-Stelle) eine Abklärung im Haushalt durch (Abklärungsbericht Haushalt vom 20. April 2004). Eine in Aufrag gegebene Begutachtung bei der Medizinischen Abklärungsstelle (MEDAS) wurde wegen Schwangerschaftsproblemen mehrmals verschoben, weshalb der Begutachtungsauftrag mit Schreiben vom 24. August 2009 zurückgegeben wurde. Am 15. November 2009 wurde R.________ Mutter einer Tochter. Nachdem die medizinischen Abklärungen wegen eines stationären Aufenthalts im Spital X.________ am 17. Juni 2010 erneut storniert worden waren, wurde bei der MEDAS vom 14. bis 16. März 2011 eine polydisziplinäre Begutachtung vorgenommen (Expertise vom 27. April 2011). Ebenso erfolgte eine erneute Abklärung im Haushalt (Bericht Haushalt vom 18. August 2011). Gestützt darauf sprach die IV-Stelle R.________ ab dem 1. Juni 2011 eine halbe Rente zu (Verfügung vom 13. August 2012). 
 
B.   
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau mit Entscheid vom 20. Februar 2013 dahin gehend ab, dass es, nach Androhung einer Reformatio in peius, die Verfügung vom 13. August 2012 aufhob und feststellte, es bestehe kein Rentenanspruch. 
 
C.   
R.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids seien ihr die gesetzlichen Leistungen, namentlich eine Invalidenrente, zuzusprechen, die Wartezeit sei am 1. Januar 2003 zu eröffnen und es sei ihr ab 1. Januar 2004 aufgrund eines Invaliditätsgrades von 45 % eine Viertelsrente zuzusprechen, welche ab dem 23. Juni 2011 (Eintritt in das Spital X.________) auf eine halbe Rente zu erhöhen sei. Eventualiter sei die Sache zur Einholung eines gerichtlichen Gutachtens zurückzuweisen. 
Die Vorinstanz schliesst auf Abweisung der Beschwerde, während die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung verzichten. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Dabei legt das Bundesgericht seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann eine - für den Ausgang des Verfahrens entscheidende (vgl. Art. 97 Abs. 1 BGG) - Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder wenn sie auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2.  
 
2.1. Die Vorinstanz ging - abweichend von der Verwaltung - davon aus, die Versicherte würde als Gesunde zu einem Pensum von 50 % einer Erwerbstätigkeit nachgehen und zu 50 % im Aufgabenbereich tätig sein und den Haushalt besorgen. Sie liess daher die Frage offen, ob auf das im Rahmen der MEDAS-Begutachtung erstellte Teilgutachten des Psychiaters Q.________, Eidg. Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 4. April 2011 abgestellt werden könne. Denn selbst bei Annahme einer 50%igen Arbeitsunfähigkeit im erwerblichen Bereich - wie von diesem Arzt attestiert -, resultiere ein rentenausschliessender Invaliditätsgrad von 13 %. Im Ergebnis bestehe deshalb weder ab Januar 2004 noch ab Juni 2011 ein Anspruch auf eine Rente.  
 
2.2. Die Beschwerdeführerin rügt, die Annahme einer Teilerwerbstätigkeit im Gesundheitsfall und damit die Anwendung der gemischten Methode verletze Bundesrecht. Sie verfüge über eine hochwertige Ausbildung und es sei kein Grund ersichtlich, weshalb sie trotz Erfüllung ihres Kinderwunsches ihre berufliche Karriere aufgegeben hätte. Darüber hinaus hätte es aufgrund einer kurzen Arbeitslosigkeit und nunmehriger Selbstständigkeit des Ehemannes einer finanziellen Notwendigkeit entsprochen, dass sie wesentlich mitverdient hätte. Schliesslich fänden sich in beiden Berichten über die Abklärung im Haushalt die identischen Angaben, dass sie ohne Behinderung seit dem Jahre 2003 wieder zu 100 % arbeiten würde. Es sei bereits ab dem 1. Januar 2003 von einer 45%igen Arbeitsunfähigkeit auszugehen.  
 
3.  
 
3.1. Ob und gegebenenfalls in welchem zeitlichen Umfang eine in einem Aufgabenbereich tätige versicherte Person (Art. 5 Abs. 1 IVG in Verbindung mit Art. 8 Abs. 3 ATSG) ohne gesundheitliche Beeinträchtigung erwerbstätig wäre (Statusfrage), ergibt sich aus der Prüfung, was sie bei im Übrigen unveränderten Umständen täte, wenn keine gesundheitliche Beeinträchtigung bestünde. Entscheidend ist somit nicht, welches Ausmass der Erwerbstätigkeit der versicherten Person im Gesundheitsfall zugemutet werden könnte, sondern in welchem Pensum sie hypothetisch erwerbstätig wäre (BGE 133 V 504 E. 3.3 S. 507; Urteil 9C_49/2008 vom 28. Juli 2008 E. 3.3; je mit Hinweisen). Bei im Haushalt tätigen Versicherten im Besonderen (vgl. Art. 27 IVV) sind die persönlichen, familiären, sozialen und erwerblichen Verhältnisse ebenso wie allfällige Erziehungs- und Betreuungsaufgaben gegenüber Kindern, das Alter, die beruflichen Fähigkeiten und die Ausbildung sowie die persönlichen Neigungen und Begabungen zu berücksichtigen. Massgebend sind die Verhältnisse, wie sie sich bis zum Erlass der Verfügung entwickelt haben, wobei für die hypothetische Annahme einer im Gesundheitsfall ausgeübten (Teil-) Erwerbstätigkeit der im Sozialversicherungsrecht übliche Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit erforderlich ist (BGE 137 V 334 E. 3.2 S. 338).  
Die auf eine Würdigung konkreter Umstände gestützte Festsetzung des hypothetischen Umfanges der Erwerbstätigkeit ist eine Tatfrage, welche das Bundesgericht nur in den genannten Schranken (E. 1) überprüft. Eine Rechtsfrage liegt nur vor, wenn die Festlegung des Umfangs der Erwerbstätigkeit im Gesundheitsfall ausschliesslich gestützt auf die allgemeine Lebenserfahrung erfolgt ist (vgl. Urteil 8C_848/2011 vom 29. Mai 2012 E. 4.4 mit Hinweisen). 
 
3.2.  
 
3.2.1. Die Vorinstanz hat ihre von der Verwaltung abweichende Qualifikation der Beschwerdeführerin als zu je 50 % im Erwerbs- und im Aufgabenbereich Tätige damit begründet, dass diese vor ihrer Tätigkeit beim Departement A.________ mit dem Hausbau beschäftigt und während dieser Zeit offensichtlich vorübergehend zu 100 % Hausfrau gewesen sei. In der Folge habe sie während der ersten drei Monate zu 100 % gearbeitet und danach noch zu 80 %. Der Umstand, dass die Beschwerdeführerin im Februar 2009 Mutter einer Tochter geworden sei, vermöge mit Sicherheit nicht dazu zu führen, dass die davor ausgeübte Tätigkeit auf 100 % erhöht worden wäre. So habe sie nach der Begutachtung bei der MEDAS auch keine Erwerbstätigkeit mehr aufgenommen, obwohl eine solche von 50 % als zumutbar erachtet worden sei. Das deute darauf hin, dass sie sich auch ohne Gesundheitsschaden zumindest im Umfang von 50 % dem grossen Haus und ihrer Tochter widmen würde.  
 
3.2.2. Entgegen der ausdrücklichen Deklaration des kantonalen Gerichts stützt sich dieses tatsächlich vorwiegend auf die allgemeine Lebenserfahrung, wenn es die Beschwerdeführerin als je hälftig als im Erwerbs- und im Aufgabengebiet Tätige qualifiziert. Namentlich kann es sich bei der Darstellung der Erwerbsbiografie der Versicherten nicht auf beweiskräftige Akten stützen und auch der Hinweis, die Beschwerdeführerin sei bereits anlässlich der ersten Abklärung im Haushalt rechtlich vertreten gewesen, weshalb die Haushaltsberichte keine zuverlässige Entscheidungsgrundlage für die Statusfrage seien, überzeugt nicht. Dieser Begründung kann in dieser pauschalisierten Form nicht gefolgt werden. Insbesondere ergibt sich eine derartige Beschränkung der Beweiskraft einer Haushaltsabklärung auch nicht aus der von der Vorinstanz zitierten Rechtsprechung. Vielmehr wird dort (BGE 128 V 93 E. 4 S. 93 f.) ausgeführt, das Gericht greife - sofern der Bericht eine zuverlässige Entscheidungsgrundlage bildet - in das Ermessen der die Abklärung tätigenden Person nur ein, wenn klar feststellbare Fehleinschätzungen vorliegen. Der blosse Umstand einer rechtlichen Vertretung im Zeitpunkt der Abklärung macht diese nicht per se unzuverlässig. Es gibt keine Belege dafür, dass die Beschwerdeführerin der Abklärungsperson gegenüber die Unwahrheit gesagt hätte. Auch war sie vor ihrem Engagement beim Departement A.________ nicht Hausfrau, sondern arbeitslos, was sich einerseits aus dem Fragebogen für den Arbeitgeber der Firma B.________, welche sich von der Versicherten auf das Ende der Probezeit per 30. November 2001 getrennt hat, und andererseits aus dem Individuellen Konto (IK-Auszug) ergibt. Die Versicherte hatte vom Dezember 2011 bis Mai 2002 Arbeitslosenentschädigung bezogen, was als "Hausfrau" nicht möglich gewesen wäre. Hingegen erfolgte die Reduktion des Arbeitspensums von 100 % auf 80 % ab August 2002 wegen des Hausbaus. Das folgt aus der Berufs- und Arbeitsanamnese gemäss MEDAS-Gutachten. Zusammenfassend steht fest, dass die Vorinstanz die Akten nicht vollständig - insbesondere auch nicht auf alle der rechtsprechungsgemäss erforderlichen Kriterien für die Beantwortung der Statusfrage (BGE 133 V 504 E. 3.3 S. 507) hin - geprüft hat, ohne rechtserhebliche Begründung von den rechtskonform erstellten Haushaltsabklärungsberichten abgewichen ist und insoweit den rechtserheblichen Sachverhalt offensichtlich unrichtig, für das Bundesgericht somit nicht verbindlich festgestellt hat (vgl. E. 1).  
 
3.2.3. Eine Prüfung der Statusfrage in Anwendung der in BGE 133 V 504 angeführten Kriterien ergibt, dass die Versicherte gemäss den beiden Haushaltsberichten nachvollziehbar darlegte, weshalb sie aufgrund der Lebenssituation ihres Ehemannes auf ihr Einkommen angewiesen sei. Bereits im ersten Haushaltsbericht vom 1. Juni 2005 erachtete die Abklärungsperson die Angaben der Versicherten, wonach sie im Gesundheitsfall zu 100 % erwerbstätig wäre, als glaubhaft. Im Abklärungsbericht Haushalt vom 19. August 2011, nachdem die Versicherte im November 2009 Mutter geworden war, ging die Abklärungsperson wiederum davon aus, dass sie zu 100 % erwerbstätig wäre. Dies sei aufgrund der Ausbildung, des beruflichen Werdegangs und der gesicherten Betreuung des Kindes durch eine KITA nachvollziehbar. In Anbetracht der gesamten Lebensumstände ist davon auszugehen, dass die Versicherte im Gesundheitsfall zu 100 % arbeitstätig wäre, wovon die Verwaltung bereits in der Verfügung vom 13. August 2012 ausgegangen ist.  
 
3.3. Die Sache ist somit an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie die von ihr offen gelassene Fragen, ob überhaupt von einem invalidisierenden Gesundheitsschaden und ob - und gegebenenfalls welche - alternative Kriterien für eine allfällige Unzumutbarkeit der willentlichen Schmerzüberwindung sprechen (BGE 130 V 352), nach Feststellung der hiefür rechtserheblichen Tatsachen, behandle. Hernach wird das kantonale Gericht über die Beschwerde neu entscheiden.  
 
4.   
Die Rückweisung der Sache zum erneuten Entscheid kommt praxisgemäss einem Obsiegen der Beschwerde führenden Partei gleich. Die Beschwerdegegnerin hat daher im vorliegenden Verfahren die Gerichtskosten zu tragen und der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung auszurichten (Art. 66 Abs. 1, Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 20. Februar 2013 wird aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.   
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 25. November 2013 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Leuzinger 
 
Die Gerichtsschreiberin: Schüpfer