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[AZA 7] 
H 199/99 Gb 
 
II. Kammer 
 
Präsident Lustenberger, Bundesrichter Meyer und Ferrari; 
Gerichtsschreiber Grünvogel 
 
Urteil vom 26. Mai 2000 
 
in Sachen 
 
Ausgleichskasse des Kantons Bern, Abteilung Leistungen, Chutzenstrasse 10, Bern, Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
S.________, Beschwerdegegner, 
 
und 
 
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern 
 
A.- Am 8. Juli 1996 erklärte der am 24. Juni 1931 geborene S.________ gegenüber der Ausgleichskasse des Kantons Bern den Aufschub der Altersrente, was diese mit Schreiben vom 19. September 1996 bestätigte. Im Herbst 1998 rief er die Rente auf den 1. Januar 1999 ab. Darauf sprach ihm die Kasse mit Verfügung vom 6. Januar 1999 eine Altersrente in der Höhe von Fr. 1416. - im Monat zu. Dabei berücksichtigte sie die Aufschubsdauer von zwei Jahren und sechs Monaten mit einem der Lohn- und Preisentwicklung angepassten prozentualen Zuschlag von 13.9 % zur aufgeschobenen Rente. 
 
B.- Dagegen erhob S.________ Beschwerde mit dem Antrag, die angefochtene Verfügung sei dahingehend abzuändern, dass bei der Bemessung der Rentenhöhe ein Aufschubszuschlag von 22.4 % zu berücksichtigen sei. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern hiess die Beschwerde insoweit gut, als es die angefochtene Verfügung aufhob und die Sache an die Kasse "zum weiteren Vorgehen im Sinne der Erwägungen unter vorläufiger Weiterausrichtung der Altersrente in der Höhe von Fr. 1416. -" im Monat zurückwies (Entscheid vom 4. Mai 1999). 
 
C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die Kasse die Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheids. 
Während S.________ den vorinstanzlichen Antrag wiederholt, hat sich das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) nicht vernehmen lassen. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- a) Die Vorinstanz hat die vorliegend einschlägigen Bestimmungen über die Möglichkeit und Wirkung des Aufschubs des Beginns des Rentenbezuges richtig dargelegt (Art. 39 AHVG; Art. 55ter AHVV sowohl in der bis Ende 1996, als auch seit Anfang 1997 geltenden Fassung). Darauf kann verwiesen werden. Weiter hat das kantonale Gericht in zutreffender Anwendung der Übergangsbestimmungen (lit. c Abs. 1 Satz 1 ÜbBest AHVG zur 10. AHV-Revision und lit. c Abs. 1 ÜbBest AHVV der Änderungen vom 29. November 1995) dargetan, dass der bei der Berechnung der aufgeschobenen Rente zu berücksichtigende Aufschubszuschlag nach Inkrafttreten der 10. AHV-Revision (1. Januar 1997) immer nach der neuen Regelung festzulegen ist. Danach beträgt der Zuschlag für eine während 2 Jahren und 6 Monaten aufgeschobene Rente 13.9 %, wogegen Art. 55ter AHVV in der bis Ende 1996 gültig gewesenen Fassung dafür einen Zuschlag von 22.4 % vorsah. 
 
b) Zu ergänzen ist, dass der Grundsatz von Treu und Glauben den Bürger und die Bürgerin in ihrem berechtigten Vertrauen auf behördliches Verhalten schützt und u.a. bedeutet, dass falsche Auskünfte von Verwaltungsbehörden unter bestimmten Voraussetzungen eine vom materiellen Recht abweichende Behandlung der Rechtsuchenden gebieten. Gemäss aus Art. 4 Abs. 1 der Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 (aBV) abgeleiteter Rechtsprechung ist eine Berufung auf den Vertrauensschutz auch bei fehlender Auskunftserteilung möglich, sofern eine bestimmte gesetzlich gebotene Auskunft im konkreten Anwendungsfall unterblieben ist (BGE 113 V 70 Erw. 2, 112 V 120 Erw. 3b). 
Auf den 1. Januar 2000 ist die neue Bundesverfassung vom 18. April 1999 (BV) in Kraft getreten (Art. 1 des entsprechenden Bundesbeschlusses vom 28. September 1999 [AS 1999 2555]). Die - im vorliegenden Zusammenhang interessierende - Grundrechtsgarantie, von den staatlichen Organen nach Treu und Glauben behandelt zu werden, wird nunmehr durch Art. 9 BV gewährleistet. Daneben wurde im zum Einleitungstitel (mit den allgemeinen Bestimmungen) zählenden Art. 5 Abs. 3 BV ein für die gesamte Rechtsordnung im Sinne einer grundlegenden Handlungsmaxime geltendes Prinzip von Treu und Glauben verankert (Botschaft über eine neue Bundesverfassung vom 20. November 1996, BBl 1997 I 134). Die hievor angeführte Rechtsprechung zum verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz gilt auch unter der Herrschaft von Art. 9 BV, weshalb offen bleiben kann, ob im hier zu beurteilenden Fall bereits die neue oder noch die alte Bundesverfassung anwendbar ist (nicht veröffentlichtes Urteil S. vom 9. Mai 2000, K 23/98). 
 
2.- In der Mitteilung Nr. 29 an die AHV-Ausgleichskassen und EL-Durchführungsstellen vom 13. Februar 1996 wies das BSV die Kassen an, u.a. im Hinblick auf die bevorstehende Änderung der prozentualen Zuschläge das Merkblatt Nr. 3.06 "Aufschub der Altersrenten" ab sofort nicht mehr zu verwenden. Ein neues Merkblatt werde sobald als möglich herausgegeben. Weiter seien die Versicherten, die ihre Altersrenten bereits aufgeschoben, jedoch noch nicht abgerufen hätten, zu informieren, dass sämtliche ab 1. Januar 1997 abgerufenen Altersrenten nur noch mit den tieferen, jedoch indexierten Zuschlägen ausgerichtet würden. 
 
3.- a) In dieser Weisung sah die Vorinstanz die Pflicht der Kasse begründet, den Versicherten nach Erhalt der Aufschubserklärung vom 8. Juli 1996 über die bevorstehende Änderung des prozentualen Zuschlags zur aufgeschobenen Rente zu informieren. Weiter hielt das kantonale Gericht fest, da die Kasse diese Pflicht verletzt habe, sei der Beschwerdegegner so zu stellen, wie wenn er richtig orientiert worden wäre. Damit wendet es für die Leistungspflicht der Beschwerdeführerin den Grundsatz von Treu und Glauben im Zusammenhang mit behördlichen Aufklärungspflichten an (Erw. 1b in fine hievor). 
 
b) Der vorinstanzlichen Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Zwar können Weisungen des BSV als administrative Aufsichtsbehörde eine Aufklärungspflicht der Kasse begründen. Indessen gebietet die fragliche Mitteilung nach unmissverständlichem Wortlaut einzig, jene Versicherten über die bevorstehende Änderung in der Zuschlagsberechnung zu informieren, welche ihre Altersrente zum Weisungszeitpunkt (13. Februar 1996) bereits aufgeschoben, jedoch noch nicht abgerufen hatten. Es finden sich keine triftigen Gründe, die ein Abweichen vom Wortlaut erlauben würden. Vielmehr scheint Ziel der angeführten Weisung zu sein, all jene zu erreichen, welche die Rente noch unter der altrechtlichen Regelung abrufen konnten. Dass es dem Sinn und Zweck der fraglichen Weisung entsprechen soll, darüber hinaus auch jene Versicherten über die bevorstehende Änderung des Zuschlags zu orientieren, welche erst nach dem 13. Februar 1996 den mindestens für ein Jahr geltenden Aufschub (Art. 39 Abs. 1 AHVG) erklärt haben und damit die Rente ohnehin erst unter der neuen Regelung abrufen können, ist nicht erstellt. Aus der Anweisung, im Hinblick auf die bevorstehende Änderung der prozentualen Zuschläge das Merkblatt Nr. 3.06 "Aufschub der Altersrenten" ab sofort nicht mehr zu verwenden, ist Derartiges nicht abzuleiten. 
 
c) Es kann sich damit einzig die Frage stellen, ob eine Berufung auf den Vertrauensschutz wegen falscher Auskunftserteilung durch eine Behörde zuzulassen ist. Hiefür fehlt es in den Akten indessen an Anhaltspunkten. Der Beschwerdegegner macht auch nicht geltend, auf eine konkrete Anfrage eine unrichtige oder unvollständige Auskunft erhalten zu haben. Insbesondere bringt er nicht vor, er habe das vom BSV herausgegebene Merkblatt Nr. 3.06 "Aufschub der Altersrenten" von der Kasse auf entsprechende Anfrage hin nach dem 13. Februar 1996 ausgehändigt erhalten, was sich heute ohnehin kaum mehr abklären liesse. 
 
d) Aus diesen Erwägungen ist zu schliessen, dass die Ausgleichskasse nicht verpflichtet war, den Versicherten auf die per 1. Januar 1997 eintretende Änderung der Zuschlagsbemessung aufmerksam zu machen. Entsprechend fehlt es an einer Vertrauensgrundlage, welche eine vom Gesetz abweichende Behandlung erlauben würde. 
 
4.- Da die um zwei Jahre und sechs Monate aufgeschobene Rente durch die Kasse in Anwendung der geltenden Bestimmungen festgelegt worden ist und niemand Vorteile aus seiner eigenen Rechtsunkenntnis ableiten kann (Erw. 1b), erweist sich die Rentenverfügung der Kasse als rechtens. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
I. In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 4. Mai 1999 aufgehoben. 
 
II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
 
Luzern, 26. Mai 2000 
 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der II. Kammer: 
 
Der Gerichtsschreiber: