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[AZA 0/2] 
6A.40/2001/sch 
 
KASSATIONSHOF 
************************* 
 
26. Juni 2001 
 
Es wirken mit: Bundesrichter Schubarth, Präsident des 
Kassationshofes, Schneider, Bundesrichterin Escher und 
Gerichtsschreiber Kipfer Fasciati. 
 
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In Sachen 
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Othmar Schürmann, Bahnhofstrasse 39, Postfach 254, Biel, 
 
gegen 
Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführern, 
 
betreffend 
Entzug des Führerausweises, 
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen das Urteil der Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführern vom 20. Dezember 2000), hat sich ergeben: 
 
A.- Am 4. Juni 1999 fuhr in der Stadt Biel eine Polizeipatrouille um ca. 11 Uhr 05 hinter dem Auto von X.________ her. Dabei stellte sie fest, dass der Fahrzeuglenker auf dem Bahnhofplatz, wo er mit 20 bis 30 km/h unterwegs war, ungebremst über den Fussgängerstreifen fuhr, obwohl eine ältere Frau diesen im gleichen Moment überquerte. Die Frau stand auf dem vierten oder fünften Balken des Streifens und musste stehen bleiben, um von X.________ nicht angefahren zu werden. Der Fussgängerstreifen weist bis zur Verkehrsinsel in der Strassenmitte acht Balken auf. Die Strecke in Fahrtrichtung des Automobilisten besteht aus zwei Strassenabschnitten, die längs durch eine Verkehrsinsel der Busbetriebe getrennt sind. Der Strassenabschnitt rechts der Businsel ist für den Busverkehr vorgesehen, während auf dem linken Strassenabschnitt einerseits die Bushaltefläche entlang der Businsel und links davon die Einspurstrecke für den übrigen motorisierten Verkehr markiert sind. Am Ende dieser beiden Strassenabschnitte liegt der Fussgängerstreifen, der durchgehend verläuft und erst in der Strassenmitte, also vor der Strassenseite der Gegenfahrbahn, durch eine Fussgängerinsel unterbrochen wird. Die Businsel längs des fraglichen Strassenabschnittes verflacht dagegen auf den Fussgängerstreifen hin. 
 
B.- Mit Urteil vom 28. September 2000 sprach der Gerichtspräsident 8 des Gerichtskreises II Biel-Nidau X.________ des Nichttragens der Sicherheitsgurten als Fahrzeuglenker sowie des Nichtgewährens des Vortrittes gegenüber einer sich auf dem Fussgängerstreifen befindlichen Fussgängerin in Anwendung von Art. 33 Abs. 2, 57 Abs. 5 sowie Art. 90 Ziff. 1 SVG und weiteren einschlägigen Bestimmungen schuldig und verurteilte ihn zu einer Busse von Fr. 360.-- unter Auferlegung der Verfahrenskosten. 
Dieses Urteil erwuchs in Rechtskraft. 
 
C.- Mit Verfügung vom 20. August 1999 entzog das Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons Bern X.________ den Führerausweis für Motorfahrzeuge in Anwendung von Art. 16 Abs. 2 und Art. 17 SVG für die Dauer eines Monats. 
 
Die von X.________ dagegen erhobene Beschwerde wies die Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführern am 20. Dezember 2000 kostenfällig ab. 
 
D.- X.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht mit den Rechtsbegehren, der Entscheid der Rekurskommission sei aufzuheben, und es sei lediglich eine Verwarnung auszusprechen; eventuell sei das Verfahren an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- a) Das Bundesgericht prüft die Zulässigkeit der bei ihm eingereichten Beschwerden von Amtes wegen und mit freier Kognition (BGE 126 I 81 E. 1; 125 I 253 E. 1a, mit Hinweisen). 
b) Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, nicht aber Unangemessenheit gerügt werden (Art. 104 OG). Da als Vorinstanz eine richterliche Behörde entschieden hat, ist das Bundesgericht an die Feststellung des Sachverhalts gebunden, soweit dieser nicht offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften festgestellt worden ist (Art. 105 Abs. 2 OG; vgl. BGE 121 II 127 E. 2). Neue Tatsachen werden nur berücksichtigt, soweit die Vorinstanz den Sachverhalt von Amtes wegen abklären muss und die Nichterhebung eine Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften darstellt (BGE 124 II 409 E. 3a, S. 420 f.). 
 
Für solch schwerwiegende Fehler finden sich keine Hinweise. Damit ist der Beschwerdeführer mit seinen Ausführungen zum Sachverhalt und zur Gefährdung der Fussgängerin nicht zu hören, soweit er mit diesen vom angefochtenen Entscheid abweicht. 
 
2.- a) Der Beschwerdeführer rügt, dass die Vorinstanz den auf einer unvollständigen Abklärung des Sachverhaltes basierenden Entscheid des Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamtes des Kantons Bern geschützt und die Administrativmassnahme bestätigt hat. Das Amt habe die Entzugsverfügung vor Erlass eines rechtskräftigen Urteils im Strafverfahren und daher ohne die entsprechende Aktenkenntnis lediglich gestützt auf die polizeiliche Anzeige, erlassen. 
 
b) Der Vorwurf ist unbegründet. Der in BGE 119 Ib 158 ff. aufgestellte Grundsatz, wonach die Verwaltungsbehörde mit ihrem Entscheid grundsätzlich zuzuwarten hat, bis ein rechtskräftiges Strafurteil vorliegt, soweit der Sachverhalt oder die rechtliche Qualifikation des in Frage stehenden Verhaltens für das Verwaltungsverfahren von Bedeutung sind, wurde nicht verletzt. Die Vorinstanz hat gemäss den Ausführungen des Beschwerdeführers selbst ein entsprechendes Sistierungsbegehren gutgeheissen und den Entscheid des Strafrichters abgewartet. Die allfällige Verletzung des erwähnten bundesgerichtlichen Grundsatzes durch das Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt wäre damit bereits im kantonalen Beschwerdeverfahren geheilt worden. 
 
3.- a) Der Beschwerdeführer wirft der Vorinstanz vor, sie sei entgegen den in BGE 119 Ib 158 E. 3a vom Bundesgericht gemachten Vorgaben von der tatbeständlichen und rechtlichen Würdigung des Strafurteils abgewichen. 
Sie habe dem Umstand nicht Rechnung getragen, dass der Strafrichter das Verschulden als leicht taxiert habe und überdies von einer geringen Gefährdung ausgegangen sei. 
Die Busse betrage trotz einer oberen Grenze von Fr. 1'000.-- für Strafmandate lediglich Fr. 360.--, worin ein Betrag von Fr. 60.-- für das Nichttragen der Sicherheitsgurte enthal- ten sei. Im Übrigen seien die besonderen Umstände der Verkehrssituation verschuldensmässig entlastend zu berücksichtigen. 
 
b) Dem Gerichtspräsidenten 8 des Gerichtskreises II Biel-Nidau standen als Beweismittel die Einvernahme des Beschwerdeführers, zwei Zeugeneinvernahmen von Polizisten, ein massstabgetreuer Situationsplan und weitere Aktenstücke zur Verfügung. In Würdigung dieser Beweise hält die Vorinstanz fest, der fragliche Fussgängerstreifen führe über neun Meter bis zur Strassenmitte, wo sich die Fussgängerinsel befinde. Der Beschwerdeführer habe wegen der Businsel auf die linke Einspurstrecke ausweichen, anschliessend vor dem Fussgängerstreifen wegen der Fussgängerinsel jedoch wieder leicht nach rechts schwenken müssen. Nach den übereinstimmenden Aussagen der beiden Polizisten habe sich die von rechts kommende Fussgängerin bereits auf dem vierten oder fünften Balken des Streifens befunden, also ca. fünf Meter vom Trottoir entfernt. 
Es müsse davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer der Fussgängerin den Weg abgeschnitten und folglich mindestens eine erhöhte abstrakte Gefährdung geschaffen habe, was ihm auch verschuldensmässig vorzuwerfen sei. Der Einwand, angesichts der schwierig zu erfassenden örtlichen Situation habe der Beschwerdeführer gemeint, der Fussgängerstreifen sei durch die Verkehrsinsel der Busbetriebe unterbrochen worden, könne nicht gehört werden. Zum einen hätte der Beschwerdeführer gerade deswegen umso aufmerksamer fahren müssen; zum andern aber sei er ortskundig, und er hätte deshalb auch wissen können, dass die Verkehrsinsel der Busbetriebe den Fussgängerstreifen nicht unterbreche. Vorzuwerfen sei indessen dem Beschwerdeführer vor allem die Tatsache, dass er die Fussgängerin, wie er in seiner Stellungnahme an die Vorinstanz festgehalten habe, offensichtlich gar nicht bemerkt habe. Dem Gerichtspräsidenten gegenüber habe er erklärt, dort niemanden gesehen zu haben, und er sei sehr erstaunt gewesen, dass die Polizei ihn angehalten habe. Er habe denn zuerst geglaubt, dass es sich um einen andern Fussgängerstreifen handle. Die Vorinstanz leitet daraus ab, dass der Beschwerdeführer recht unaufmerksam gewesen sein müsse, als er der Fussgängerin den Vortritt nicht gewährt habe, was ihm als nicht mehr leichtes Verschulden anzulasten sei. Damit seien weder Verschulden noch Gefährdung gering. 
 
c) Es ist nicht ersichtlich, inwiefern die Vorinstanz von den tatsächlichen Feststellungen des Strafrichters abgewichen sein soll. Sie legt ihren Überlegungen den Sachverhalt zu Grunde, der von der Strafbehörde beurteilt wurde. Die Berücksichtigung der eigenen Ausführungen des Beschwerdeführers gegenüber dem Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt ist zulässig. Der Beschwerdeführer macht denn auch nicht geltend, sie würden von den Strafakten abweichen. 
 
Ist der Sachverhalt in allen relevanten Elementen bekannt, ist die Verwaltungsbehörde in der rechtlichen Beurteilung des Falles frei (BGE 119 Ib 158 E. 3c/bb, S. 164). 
 
4.- a) Die Voraussetzungen für einen Führerausweisentzug sind in Art. 16 SVG geregelt. Die Vorinstanz gibt die Rechtsprechung zu dieser Gesetzesbestimmung zutreffend wieder. Es ist darauf zu verweisen (Art. 36a Abs. 3 OG) und lediglich ergänzend festzuhalten, dass die zitierte Praxis letztmals im Entscheid 126 II 358 E. 1 bestätigt wurde. 
 
b) Gemäss Art. 33 Abs. 2 SVG hat der Fahrzeugführer vor Fussgängerstreifen besonders vorsichtig zu fahren und nötigenfalls anzuhalten, um den Fussgängern, die sich schon auf dem Streifen befinden oder im Begriffe sind, ihn zu betreten, den Vortritt zu lassen. An dieser besonderen Vorsicht hat es der Beschwerdeführer mangeln lassen. Er hat die Fussgängerin, welche auf dem Streifen bereits recht weit vorgerückt war, nicht einmal bemerkt. 
Aber selbst wenn er sie gesehen hätte, wäre sein Verhalten rechtlich nicht anders zu qualifizieren. Der Fussgänger hat auf dem Fussgängerstreifen den Vortritt. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist zudem das Zögern resp. Stehenbleiben eines Fussgängers auf dem Streifen immer als Aufforderung zum Anhalten zu verstehen - es sei denn, der Fussgänger bringe unmissverständlich durch Handzeichen zum Ausdruck, dass er auf sein Vortrittsrecht verzichte. Die rechtliche Qualifikation des Falles durch die Vorinstanz - welche zutreffend feststellt, dass sie damit nicht vom Urteil des Strafrichters abweicht -, verletzt kein Bundesrecht. Es ist ebenfalls nicht zu beanstanden, dass die Gefährdung der Fussgängerin verschuldensmässig berücksichtigt worden ist. 
 
c) Der Beschwerdeführer kann aus der Tatsache nichts für sich ableiten, dass ihn der Strafrichter nicht in Anwendung von Art. 90 Ziff. 2 SVG, sondern lediglich in Anwendung von Art. 90 Ziff. 1 SVG schuldig gesprochen hat. Eine strafrechtliche Verurteilung wegen einfacher Verletzung von Verkehrsregeln nach Art. 90 Ziff. 1 SVG führt nicht zwingend zur Annahme eines leichten Falles im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 SVG. Zwar entspricht die schwere Verletzung von Verkehrsregeln nach Art. 90 Ziff. 2 SVG dem schweren Fall nach Art. 16 Abs. 3 SVG (BGE 123 II 106 E. 2a), doch umfasst die einfache Verletzung von Verkehrsregeln sowohl den leichten wie den mittelschweren Fall nach Art. 16 Abs. 2 SVG
 
d) Schliesslich dringt der Beschwerdeführer mit dem Hinweis auf seinen guten persönlichen und automobilistischen Leumund sowie seine berufliche Angewiesenheit auf ein Fahrzeug nicht durch. Der Beschwerdeführer wurde im Jahre 1996 wegen einer Überschreitung der signalisierten Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 24 km/h verwarnt. Die berufliche Angewiesenheit auf den Führerausweis ist erst bei der Dauer der Massnahme und nicht schon bei der Frage nach der Art der Massnahme zu berücksichtigen (BGE 126 II 196 E. 2c S. 201). Vorliegend wurde die minimale Entzugsdauer von einem Monat angeordnet. 
 
e) In gesamthafter Würdigung von Verschulden, geschaffener Gefahr und automobilistischem Leumund kann nicht mehr von einem leichten Fall im Sinne von Art. 16 Abs. 2 SVG ausgegangen werden. 
5.- a) Der Beschwerdeführer stellt den Eventualantrag, der angefochtene Entscheid sei im Kostenpunkt aufzuheben und zur anteilmässigen Kostenverteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Er macht geltend, im kantonalen Rekursverfahren seien ihm die gesamten Kosten von Fr. 500.-- auferlegt worden, obwohl er mit seinem Antrag auf Sistierung des Administrativverfahrens bis zur rechtskräftigen Beurteilung des Vorfalles durch den Strafrichter durchgedrungen sei. 
 
b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts kann bei einem sich in der Sache auf Bundesverwaltungsrecht stützenden kantonalen Entscheid mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde kraft Sachzusammenhangs auch die mit dem Entscheid verbundene, auf selbständigem kantonalem Recht beruhende Kosten- und Entschädigungsregelung wegen Verletzung von Bundes(verfassungs)recht mitangefochten werden, ohne dass es darauf ankommt, ob über diese prozessualen Nebenfolgen bundesverwaltungsrechtliche Normen bestehen oder die Einhaltung solcher Normen streitig ist. Voraussetzung ist lediglich, dass die Verwaltungsgerichtsbeschwerde - wie hier - auch in der Sache selbst ergriffen wird; ist dies nicht der Fall, steht bei der ausschliesslichen Anwendung von kantonalem Verfahrensrecht nur die staatsrechtliche Beschwerde offen (BGE 126 V 143 E. 1c, S. 146; 122 II 174 E. 1b, S. 277 f.; je mit Hinweisen). Auf den Eventualantrag ist folglich einzutreten. 
 
c) Der Präsident der Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführern hat das Verfahren vor der Rekurskommission bis zum Vorliegen eines rechtskräftigen Strafurteils eingestellt. Eine solche Einstellung kann gemäss kantonalem Recht auf Antrag oder von Amtes wegen erfolgen. Die Verfügung, welche kostenlos ergangen ist, stellt einen prozessleitenden Schritt dar, der keine Auswirkungen auf den materiellen Entscheid hat. In der Sache selbst ist der Beschwerdeführer im kantonalen Rekursverfahren unterlegen. Die Kosten für dieses Verfahren in der Höhe von Fr. 500.-- wurden ihm deshalb zu Recht vollumfänglich überbunden. 
 
6.- Damit ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. 
 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer die Kosten zu tragen (Art. 156 Abs. 1 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1.- Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.-Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführern sowie dem Strassenverkehrsamt des Kantons Bern und dem Bundesamt für Strassen schriftlich mitgeteilt. 
_____________ 
Lausanne, 26. Juni 2001 
 
Im Namen des Kassationshofes des 
SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: