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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
P 37/04 
 
Urteil vom 26. November 2004 
I. Kammer 
 
Besetzung 
Präsident Borella, Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi, Lustenberger und Ursprung; Gerichtsschreiber Widmer 
 
Parteien 
1. I.________, 1965, vertreten durch das Sozialamt X.________, 
2. Sozialamt X.________, 
Beschwerdeführerinnen, 
 
gegen 
 
Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen, Beschwerdegegnerin 
 
Vorinstanz 
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen 
 
(Entscheid vom 15. Juni 2004) 
 
Sachverhalt: 
A. 
I.________, geboren 1965, Mutter der 1994 geborenen R.________, bezieht seit Jahren Ergänzungsleistungen zur Invalidenrente. Die vom Vater für R.________ geschuldeten Unterhaltsbeiträge wurden seit 1. Dezember 1994 vom Sozialamt X.________ (im Folgenden: Sozialamt) bevorschusst. Gemäss Verfügung der Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen vom 6. Februar 2003 belief sich die Ergänzungsleistung ab 1. Januar 2003 einschliesslich der kantonalrechtlichen Ergänzungsleistung von Fr. 241.- auf Fr. 2487.- im Monat. Der Berechnung lagen als Einnahmen nebst der Invalidenrente familienrechtliche Unterhaltsbeiträge in der Höhe von Fr. 8927.- im Jahr für die Tochter R.________ zugrunde. Nachdem das Sozialamt die Alimentenbevorschussung für R.________ mit Verfügung vom 21. August 2003 rückwirkend ab 30. November 1994 eingestellt und die ausbezahlten Leistungen zurückgefordert hatte, beantragte I.________ am 27. August 2003 die Erhöhung der Ergänzungsleistung. Am 18. September 2003 teilte ihr die Sozialversicherungsanstalt mit, die Alimentenbevorschussung werde bei der EL-Berechnung weiterhin berücksichtigt, und gleichentags erliess sie eine Verfügung, mit welcher sie die monatliche Ergänzungsleistung ab 1. Oktober 2003 auf Fr. 2473.- (einschliesslich kantonale Ergänzungsleistung von Fr. 241.-) festsetzte. Beim Einkommen rechnete sie familienrechtliche Unterhaltsbeiträge in der Höhe von Fr. 9094.- im Jahr, entsprechend dem Betrag der bislang vom Sozialamt bevorschussten Alimente, an. Auf Einsprache von I.________ und des Sozialamtes hin hielt die Sozialversicherungsanstalt mit Entscheid vom 12. Dezember 2003 an ihrer Berechnung fest. 
B. 
I.________ und das Sozialamt führten Beschwerde mit dem Antrag, der Einspracheentscheid sei aufzuheben und bei der Berechnung der Ergänzungsleistung sei von der Anrechnung familienrechtlicher Unterhaltsbeiträge für die Tochter R.________ als Einkünfte abzusehen. Mit Entscheid vom 15. Juni 2004 wies das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen die Beschwerde ab. 
C. 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde erneuern I.________ und das Sozialamt das vorinstanzlich gestellte Rechtsbegehren. 
Während die Sozialversicherungsanstalt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
1.1 Nach Art. 103 lit. a in Verbindung mit Art. 132 OG ist zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Eidgenössische Versicherungsgericht berechtigt, wer durch die angefochtene Verfügung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat. Die Rechtsprechung betrachtet als schutzwürdiges Interesse im Sinne von Art. 103 lit. a OG jedes praktische oder rechtliche Interesse, welches eine von einer Verfügung betroffene Person an deren Änderung oder Aufhebung geltend machen kann. Das schutzwürdige Interesse besteht somit im praktischen Nutzen, den die Gutheissung der Beschwerde dem Verfügungsadressaten verschaffen würde, oder - anders ausgedrückt - im Umstand, einen Nachteil wirtschaftlicher, ideeller, materieller oder anderweitiger Natur zu vermeiden, welchen die angefochtene Verfügung mit sich bringen würde. Das rechtliche oder auch bloss tatsächliche Interesse braucht somit mit dem Interesse, das durch die von der beschwerdeführenden Person als verletzt bezeichnete Norm geschützt wird, nicht übereinzustimmen. Immerhin wird verlangt, dass die Person durch die angefochtene Verfügung stärker als jedermann betroffen sei und in einer besonderen, beachtenswerten, nahen Beziehung zur Streitsache stehe (BGE 127 V 3 Erw. 1b, 82 Erw. 3a/aa, 125 V 342 Erw. 4a, je mit Hinweisen). 
Die Massstäbe, welche Art. 103 lit. a OG und die Praxis bezüglich der Beschwerdebefugnis im letztinstanzlichen Verfahren setzen, sind auch für das erstinstanzliche Beschwerdeverfahren richtungsweisend. Im Hinblick auf die derogatorische Kraft des Bundesrechts und entsprechend dem Grundsatz der Einheit des Verfahrens dürfen nach der Rechtsprechung bei Streitigkeiten des Bundesverwaltungsrechts, die mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Eidgenössische Versicherungsgericht weitergezogen werden können, auf kantonaler Ebene an die Beschwerdebefugnis nicht strengere Anforderungen gestellt werden, als sie Art. 103 lit. a OG für die Legitimation zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorsieht. Wer gemäss Art. 103 lit. a OG im letztinstanzlichen Verfahren beschwerdebefugt ist, muss deshalb auch im kantonalen Rechtsmittelverfahren zum Weiterzug berechtigt sein (BGE 123 V 114 Erw. 3 mit Hinweisen). 
1.2 Im Lichte dieser Grundsätze ist das kantonale Gericht zu Recht auf die für die Stadt Z.________ eingereichte Beschwerde des Sozialamtes eingetreten. Dieses hat die R.________ zustehenden Unterhaltsbeiträge bevorschusst und ihre Zahlungen rückwirkend auf den 30. November 1994 eingestellt mit der Begründung, dass der Unterhalt des Kindes mit Ergänzungsleistungen zu finanzieren sei. Damit ist die Stadt Z.________ durch die angefochtene Verfügung in einer besonderen Weise betroffen und hat ein schutzwürdiges finanzielles Interesse an deren Änderung, indem sie im Falle der Gutheissung der Beschwerde von der Pflicht zur Alimentenbevorschussung entbunden wäre. Ihre Beschwerdelegitimation ist deshalb zu bejahen (vgl. ARV 1999 Nr. 14 S. 79 Erw. 2b mit Hinweisen). 
2. 
Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist nur soweit einzutreten, als Ergänzungsleistungen kraft Bundesrechts streitig sind. Im vorliegenden Verfahren ist daher nicht zu prüfen, ob und allenfalls inwieweit sich die Höhe der kantonalen Ergänzungsleitungen ändern würde, wenn keine familienrechtlichen Unterhaltsbeiträge als Einkommen bei der Berechnung des Anspruchs zu berücksichtigen wären (vgl. BGE 124 V 146 Erw. 1 mit Hinweis). 
3. 
3.1 Laut Art. 2c lit. a ELG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 ELG haben Schweizer Bürger mit Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt (Art. 13 ATSG) in der Schweiz, die Anspruch auf eine halbe oder ganze Invalidenrente haben, Anspruch auf Ergänzungsleistungen, wenn die von diesem Gesetz anerkannten Ausgaben die anrechenbaren Einnahmen übersteigen. Nach Art. 3a ELG hat die jährliche Ergänzungsleistung dem Betrag zu entsprechen, um den die anerkannten Ausgaben die anrechenbaren Einnahmen übersteigen (Abs. 1). Die anerkannten Ausgaben und anrechenbaren Einnahmen von Ehegatten, Personen mit rentenberechtigten oder an der Rente beteiligten Kindern sowie von Waisen, die im gleichen Haushalt leben, sind zusammenzurechnen (Abs. 4). 
3.2 Als Einnahmen anzurechnen sind gemäss Art. 3c ELG nebst Erwerbseinkünften (Abs. 1 lit. a) Renten, Pensionen und anderen wiederkehrenden Leistungen, einschliesslich der Renten der AHV sowie der IV (Abs. 1 lit. d), u.a. familienrechtliche Unterhaltsbeiträge (Abs. 1 lit. h). Nicht als Einnahmen anzurechnen sind demgegenüber Unterstützungen der öffentlichen Sozialhilfe (Art. 3c Abs. 2 lit. b ELG) sowie öffentliche oder private Leistungen mit ausgesprochenem Fürsorgecharakter (Art. 3c Abs. 2 lit. c ELG). 
4. 
Im vorliegenden Fall streitig und zu prüfen ist, ob die vom Sozialamt bevorschussten Unterhaltsbeiträge für die Tochter der EL-Bezügerin, R.________, als Einnahmen gemäss Art. 3c Abs. 1 lit. h ELG (familienrechtliche Unterhaltsbeiträge) anzurechnen sind oder ob sie als Unterstützungen der öffentlichen Sozialhilfe nach Art. 3c Abs. 2 lit. b ELG bei der Ermittlung des EL-Anspruchs ausser Acht zu lassen sind mit der Folge, dass die Ergänzungsleistung entsprechend heraufzusetzen wäre. 
In Übereinstimmung mit der Auffassung der Sozialversicherungsanstalt gelangte die Vorinstanz zum Schluss, dass die Alimentenbevorschussung an die Stelle des Unterhaltsbeitrages trete und unter ergänzungsleistungsrechtlichem Gesichtspunkt in der ausgerichteten Höhe wie ein vom Alimentenschuldner selber geleisteter familienrechtlicher Unterhaltsbeitrag anzurechnen sei. Demgegenüber stellen sich die Beschwerdeführer auf den Standpunkt, bei der Alimentenbevorschussung handle es sich um eine besondere Form von Sozialhilfe, die gleich zu behandeln sei wie die allgemeine Sozialhilfe und daher bei der EL-Berechnung nicht als Einkommen angerechnet werden dürfe. 
5. 
5.1 Gemäss dem von der Vormundschaftsbehörde Y.________ am 16. Dezember 1994 genehmigten Unterhaltsvertrag vom 7. Dezember 1994 zwischen I.________ und B.________, dem Vater von R.________, verpflichtete sich dieser, für das Kind monatliche Unterhaltsbeiträge von Fr. 600.- ab Geburt bis zum vollendeten sechsten Altersjahr, Fr. 700.- vom angefangenen siebten bis zum vollendeten 12. Altersjahr und Fr. 800.- vom angefangenen 13. Altersjahr bis zur Mündigkeit, zuzüglich allfälliger Kinderzulagen, zu leisten. Seit 1. Dezember 1994 wurden diese Unterhaltsbeiträge vom Sozialamt bevorschusst, nachdem der Vater von R.________ seinen Zahlungspflichten nicht oder nur teilweise nachgekommen war. 
5.2 Gemäss Art. 289 ZGB steht der Anspruch auf Unterhaltsbeiträge dem Kind zu und wird durch Leistung an dessen gesetzlichen Vertreter erfüllt (Abs. 1). Kommt jedoch das Gemeinwesen für den Unterhalt auf, so geht der Unterhaltsanspruch - im Sinne einer Subrogation (Tuor/ Schnyder/Rumo-Jungo, Das schweizerische Zivilgesetzbuch, 12. Aufl., 2002, S. 423) - mit allen Rechten auf das Gemeinwesen über (Abs. 2). Laut Art. 293 Abs. 2 ZGB regelt das öffentliche Recht die Ausrichtung von Vorschüssen für den Unterhalt des Kindes, wenn die Eltern ihrer Unterhaltspflicht nicht nachkommen. 
Nach dieser gesetzlichen Regelung handelt es sich beim Unterhaltsanspruch des Kindes gegenüber der unterhaltsverpflichteten Person um seinen persönlichen Anspruch. Im Fall der Alimentenbevorschussung tritt die Gemeinde in die Rechte des Kindes ein. Die vom Gemeinwesen gestützt auf kantonales öffentliches Recht geleisteten Vorschüsse wiederum ersetzen die ausbleibenden Zahlungen der unterhaltspflichtigen Eltern (oder des Elternteils) und erfüllen damit den Unterhaltsanspruch des Kindes. 
Demgegenüber steht die Ergänzungsleistung der rentenberechtigten Person - im vorliegenden Fall der Mutter - zu (Art. 2c ELG). Würden die Alimentenvorschüsse nun bei der EL-Berechnung ausser Acht gelassen, hätte dies zur Folge, dass der auf die Gemeinde übergegangene, von dieser bevorschusste und zu verfolgende Unterhaltsanspruch des Kindes durch höhere Ergänzungsleistungen, für welche die Mutter anspruchsberechtigt ist, substituiert würde. Damit würde der Unterhalt des Kindes mit Ergänzungsleistungen finanziert, obwohl er aufgrund der gesetzlichen Regelung infolge Uneinbringlichkeit der Forderung oder Zahlungsunwilligkeit des unterhaltsverpflichteten Vaters mittels Vorschüssen der Gemeinde zu tragen ist. Eine derartige Finanzierung, die faktisch einer Subventionierung der bevorschussenden Gemeinde durch die Träger der Ergänzungsleistung (Kantone und Bund; vgl. dazu Art. 1a Abs. 1 und Art. 9 ELG; Erwin Carigiet, Ergänzungsleistungen zur AHV/IV, Zürich 1995, S. 181) gleich käme, wäre mit dem geltenden System des ELG nicht zu vereinbaren. 
5.3 Damit in Einklang steht auch die Wegleitung des BSV über die Ergänzungsleistungen zur AHV und IV (WEL) in der Fassung vom 1. Januar 2004, die in Ziff. 2129 festhält, dass die aufgrund einer kantonalen oder kommunalen Regelung bevorschussten Unterstützungsleistungen (z.B. Alimentenbevorschussung) als familienrechtliche Unterhaltsleistungen nach Art. 3c Abs. 1 lit. h ELG voll als Einkommen anzurechnen sind. Sodann stellt Wolffers (Grundriss des Sozialhilferechts, 2. Aufl. 1999, S. 26) fest, dass die Alimentenbevorschussung keine Sozialhilfeleistung, sondern der Sozialhilfe vorgelagert sei. Schliesslich vertritt auch Stefan Werlen (Der Anspruch auf Ergänzungsleistungen und deren Berechnung, Diss. Baden 1995, S. 175) die Auffassung, dass die (vom Gemeinwesen) tatsächlich bevorschussten Unterhaltsbeiträge als Einkünfte anzurechnen sind. 
5.4 Die Vorbringen der Beschwerdeführer vermögen an diesem Ergebnis nichts zu ändern. Entscheidend ist, dass nach der gesetzlichen Ordnung die vom Gemeinwesen vorschussweise bezahlten Alimente an die Stelle der vom unterhaltsverpflichteten Vater geschuldeten, nicht einbringlichen Unterhaltsbeiträge treten und damit eben unter Art. 3 Abs. 1 lit. h ELG fallen, während die gegenteilige Lösung, wonach die nicht geleisteten Unterhaltsbeiträge für das Kind mittels Heraufsetzung der der Mutter zustehenden Ergänzungsleistung zu kompensieren wären, systemwidrig und sachfremd wäre. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
Luzern, 26. November 2004 
 
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
 
Der Präsident der I. Kammer: Der Gerichtsschreiber: