Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6B_212/2010 
 
Urteil vom 27. Mai 2010 
Strafrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Favre, Präsident, 
Bundesrichter Schneider, Wiprächtiger, Mathys, 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, 
Gerichtsschreiber Keller. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8001 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Einfache Verletzung von Verkehrsregeln; Willkür, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 14. Januar 2010. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Das Stadtrichteramt der Stadt Zürich verurteilte X.________ am 14. Oktober 2008 wegen Überschreitens der zulässigen Parkzeit bis zu zwei Stunden (Art. 90 Ziff. 1 SVG i.V.m. Art. 27 Abs. 1 SVG sowie Art. 48 Abs. 8 SSV) und bestrafte ihn mit einer Busse von Fr. 40.--. 
Das Bezirksgericht Zürich stützte mit Urteil vom 29. April 2009 diesen Entscheid. 
 
B. 
X.________ erhob Berufung an das Obergericht des Kantons Zürich. Dieses bestätigte am 14. Januar 2010 Strafe und Schuldspruch ebenfalls. 
 
C. 
X.________ erhebt Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht. Er beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache sei zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Eventualiter sei er von Schuld und Strafe freizusprechen. Es sei ferner festzustellen, dass die Vorinstanz Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 29 Abs. 1 BV verletzt habe. Es seien keine Kosten zu erheben, und dem Beschwerdeführer sei eine angemessene Parteientschädigung zuzusprechen. 
 
D. 
Die Vorinstanz sowie die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich verzichten auf eine Vernehmlassung. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Der Beschwerdeführer parkierte am 13. Juni 2008 um 14.30 Uhr bzw. 14.55 Uhr seinen Personenwagen an der Neugutstrasse in Zürich in der blauen Zone. Hierbei überschritt er die zulässige Parkzeit bis zu zwei Stunden. 
 
2. 
2.1 Der Beschwerdeführer anerkennt den Sachverhalt insoweit, als er sein Fahrzeug tatsächlich am genannten Ort abgestellt hat. Er wendet sich jedoch gegen die Auffassung der Vorinstanz, er habe die Parkzeit überschritten. Vielmehr habe er Güterumschlag getätigt, was rechtlich nicht als Parkieren zu qualifizieren sei. Das Umzugsgut habe aus zahlreichen Kisten bestanden, die aus dem Estrich der Wohnung seiner Ehefrau heruntergetragen und in sein Auto hätten verladen werden müssen. Eine Zwischenlagerung im Eingangsbereich des Hauses oder auf dem Trottoir sei aus verschiedenen Gründen nicht möglich gewesen (Diebstahlsgefahr, Platzgründe, feuerpolizeiliche Gründe). 
Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb die für einen Güterumschlag benötigte Zeit nicht auch innerhalb eines Parkfelds zur Verfügung stehen sollte. Er hätte somit sein Fahrzeug zeitlich unbeschränkt ausserhalb eines Parkfeldes abstellen dürfen, nicht jedoch innerhalb, da diesfalls kein Güterumschlag vorliege. Diese Auffassung sei paradox und verletze Bundesrecht. Eine Parkzeitbeschränkung bestehe innerhalb eines Parkfeldes ebenso wenig wie ausserhalb eines solchen. Die Einholung einer Spezialbewilligung wäre zwar möglich, jedoch im konkreten Fall absolut unverhältnismässig gewesen. Einer Bewilligung bedürfe es nur, wenn keine Gemeinverträglichkeit des Güterumschlags mehr bestehe. 
2.2 
2.2.1 Die Vorinstanz führt aus, es könne offengelassen werden, ob der Beschwerdeführer, wie von ihm behauptet, Kisten vom Estrich in das vor dem Haus abgestellte Fahrzeug transportiert habe, da seine Vorgehensweise nicht mehr vom gesetzlichen Begriff des Güterumschlags gedeckt sei. Die Vorinstanz verweist hierzu auf die Erwägungen der ersten Instanz, die einen Güterumschlag verneint hat, weil der Transport der Kisten vom Estrich hinunter zum Fahrzeug sowie die Rückkehr in den Estrich lediglich der Vorbereitung des Ein- und Ausladens gedient habe. 
2.2.2 Der Fahrzeuglenker werde im Weiteren beim Güterumschlag lediglich in Bezug auf die geltenden Halteverbote privilegiert, nicht jedoch bezüglich der zeitlichen und örtlichen Parkbeschränkungen. Diese Parkbeschränkungen seien nicht unbeachtlich, wenn der Lenker irgendwelche Gegenstände während des Parkierens irgendwo hinbringe oder abhole. Sinn und Zweck der Privilegierung des Güterumschlags bestehe darin, das Liefern und Abholen unhandlicher Güter auch dort zu ermöglichen, wo das Parkieren nicht erlaubt sei. Sei ein Parkplatz vorhanden, müssten die Bestimmungen für das entsprechende Parkfeld auch beim Ein- und Auslad eingehalten werden. Dies habe nicht nur für gebührenpflichtige Parkplätze, sondern auch für die blaue Zone zu gelten. Es sei im Übrigen nicht ersichtlich, weshalb der Beschwerdeführer die Parkzeit mit der Parkscheibe ordnungsgemäss eingestellt habe, jedoch von einer unbeschränkten Parkzeit für den Güterumschlag ausgehe. Der Beschwerdeführer hätte die Möglichkeit gehabt, eine Spezialbewilligung bei der Polizei einzuholen oder sein Fahrzeug vor Ablauf der Parkzeit wieder in den Verkehr einzufügen und einen neuen Platz in der blauen Zone zu suchen. 
2.3 
2.3.1 Unter "Güterumschlag" im Sinne des Strassenverkehrsrechts ist das Verladen oder Ausladen von Sachen zu verstehen, die nach Grösse, Gewicht oder Menge die Beförderung durch ein Fahrzeug nötig machen (BGE 122 IV 136 E. 3b mit Hinweis auf BGE 89 IV 213). Das Bundesgericht setzte sich in einem anderen älteren Urteil im Zusammenhang mit einem zivilrechtlichen Haftpflichtfall sehr ausführlich mit der Frage auseinander, wie der Begriff des Einladens zu verstehen sei. Es kam dabei zum Schluss, dass sowohl in der schweizerischen Umgangssprache, die hierin kaum von der vorherrschenden allgemeinen deutschen Volkssprache abweiche, sehr oft von "Einladen" (oder auch "Laden", "Verladen", "Aufladen") in einem weiten Sinne gesprochen werde. Diese Ausdrücke bezeichneten bei solcher Gebrauchsweise neben dem Absetzen des Gutes auf das Transportfahrzeug auch die Vor- und Nachstadien dieser Handlung. Wegleitend sei dabei der mit dem "Einladen" verfolgte Zweck, das Gut vom bisherigen Standort zum Fahrzeug zu bringen und, wenn es einmal darauf abgestellt sei, dann auch so zu platzieren und wenn nötig zu verkeilen oder zu befestigen, dass es in gehöriger Weise transportiert werden könne (BGE 82 II 445 E. 3 mit Hinweisen). 
2.3.2 Es ist nicht einsichtig, weshalb der Begriff des Verladens als Teil des Güterumschlags im strassenverkehrsrechtlichen Sinne anders als in BGE 82 II 445 verstanden werden sollte. Zum Güterumschlag gehören somit auch die Vor- und Nachstadien des Ein- und Ausladens. Wie Art. 21 Abs. 2 VRV ausdrücklich festhält, ist beim Güterumschlag, der nicht ausserhalb der Strasse bzw. abseits vom Verkehr durchgeführt werden kann, die Ladetätigkeit ohne Verzug zu beenden. Mit anderen Worten darf der Güterumschlag nur so lange dauern, als dies im konkreten Fall notwendig ist. 
2.3.3 Im zu beurteilenden Fall ist ein allfälliger Transport der Zügelkisten vom Estrich in das vor dem Haus abgestellte Auto als Güterumschlag zu charakterisieren. Wie der Beschwerdeführer zu Recht geltend macht, wäre ein Zwischenlager, zumal im Hausgang bzw. auf offener Strasse, wenig praktikabel. 
2.4 
2.4.1 Sinn und Zweck der Privilegierung des Güterumschlags besteht darin, das Verladen oder Ausladen von Sachen zu erleichtern, die aufgrund ihrer Grösse, ihres Gewichts oder der Menge nur erschwert umgeschlagen werden können. Der Umschlag solcher Güter muss daher - ungeachtet fehlender regulärer Parkiermöglichkeiten - möglichst nahe am Umschlagpunkt durchgeführt werden. Dies findet sinngemäss allerdings dort seine Grenzen, wo der ungestörte Verkehrsfluss nicht mehr garantiert ist (HANS GIGER, SVG Kommentar, 7. Aufl. 2008, Art. 37 N. 12; vgl. auch RENÉ SCHAFFHAUSER, Grundriss des schweizerischen Strassenverkehrsrechts, Bd. 1, 2002, N. 800, wonach der Fahrzeugführer im Rahmen des Zumutbaren Bequemlichkeitsverluste in Kauf zu nehmen hat). Sind Parkiermöglichkeiten vorhanden, wie im vorliegenden Fall in Form von Parkfeldern der blauen Zone, so sind daher vorab diese zu benützen, um eine möglichst geringe Behinderung der übrigen Strassenbenützer zu verursachen (Art. 21 Abs. 2 VRV). 
2.4.2 Die von der Vorinstanz vorgenommene Beschränkung der Privilegierung des Güterumschlags gegenüber den allgemeinen Parkiervorschriften auf Situationen, in denen Parkflächen nicht vorhanden oder frei sind (so auch SCHAFFHAUSER, a.a.O., N. 800 mit Hinweis auf einen diesbezüglichen Entscheid des Zürcher Obergerichts vom 7. März 1988), ist daher zu eng. 
2.4.3 Das Bundesgericht hat eine Zahlungspflicht bei Benützung eines gebührenpflichtigen Parkfeldes auch im Rahmen des Güterumschlags bejaht (BGE 114 IV 62 E. 3), was in der Literatur auf Zustimmung gestossen ist (vgl. etwa ANDRÉ BUSSY/BAPTISTE RUSCONI, Code Suisse de la circulation routière, 3. Aufl. 1996, Art. 21 VRV N. 2; SCHAFFHAUSER, a.a.O., N. 800 und N. 812). Wie der Beschwerdeführer ausführt, war ihm diese Rechtsprechung bekannt, weshalb er in der blauen Zone die Parkzeit mit der Parkscheibe ordnungsgemäss eingestellt habe. 
2.4.4 Es stellt sich die Frage, wie zu verfahren ist, wenn die ordentliche Parkzeit abgelaufen, der Güterumschlag aber - wie vorliegend - noch nicht beendet ist. Eine Verlängerung der Parkzeit durch das Neueinstellen der Parkscheibe ist gemäss Art. 48 Abs. 4 SSV, wonach die Einstellung der Parkscheibe bis zur Wegfahrt nicht verändert werden darf, verboten. Abs. 8 derselben Bestimmung weist den Automobilisten zudem an, den Motorwagen (unter Vorbehalt einer hier nicht einschlägigen Ausnahme) spätestens bei Ablauf der erlaubten Parkzeit wieder in den Verkehr einzufügen. Ein blosses Verschieben des Motorwagens auf ein anderes, in der Nähe liegendes Parkfeld ist unzulässig. 
Die von der Vorinstanz angeführten Verhaltensanweisungen an den Beschwerdeführer (Einholen einer Spezialbewilligung bei der Polizei oder Wiedereingliederung in den Verkehr und anschliessendes Suchen eines neuen Parkfeldes in der blauen Zone) erweisen sich in der Situation des Beschwerdeführers als wenig hilfreich. Die polizeiliche Spezialbewilligung hätte vorgängig eingeholt werden müssen und erscheint für einen Güterumschlag im vorliegenden, eher bescheidenen Umfang auch nicht sachgerecht. Die Wiedereingliederung in den Verkehr wäre zwar - wie der Beschwerdeführer einräumt - möglich gewesen, hätte jedoch zu einer Verlängerung des Güterumschlags geführt und den Beschwerdeführer der Gefahr ausgesetzt, kein freies Parkfeld in zumutbarer Nähe mehr zu finden. Der weitere Güterumschlag hätte diesfalls ausserhalb der zulässigen Parkfläche durchgeführt werden müssen. Dies wäre zwar zulässig gewesen, hätte aber kaum der Vorschrift einer möglichst geringen Behinderung der übrigen Strassenbenützer (Art. 21 Abs. 2 VRV, vgl. oben E. 2.4.1) entsprochen. 
2.4.5 Die Privilegierung des Güterumschlags gilt, wie in E. 2.4.1 erwähnt, nicht nur dort, wo das Parken überhaupt nicht erlaubt ist, sondern auch da, wo die Parkzeit - wie etwa in einer blauen Zone - zeitlich beschränkt ist. Der Fahrzeugführer hat deshalb - sofern vorhanden - freie Parkfelder zu benützen und die dort geltenden Bestimmungen einzuhalten. Dauert der Güterumschlag länger als die gestattete Parkzeit, darf der Fahrzeugführer den Güterumschlag so lange fortführen, als dieser unbedingt notwendig ist (Art. 21 Abs. 2 VRV). Die vorgängige Einholung einer polizeilichen Spezialbewilligung erweist sich lediglich als notwendig, wenn die Dauer des Güterumschlags die ordentliche Parkzeit deutlich übersteigen sollte. 
2.4.6 Auf die übrigen Vorbringen des Beschwerdeführers ist bei dieser Sachlage nicht einzugehen. Die Vorinstanz hat einerseits zu prüfen, ob der Beschwerdeführer tatsächlich Umzugskisten vom Estrich in das vor dem Haus stehende Fahrzeug transportiert hat. Andererseits hat sie zu ermitteln, wie viel Zeit der Beschwerdeführer dazu unbedingt benötigte. 
 
3. 
Die Beschwerde ist gutzuheissen. Das angefochtene Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 14. Januar 2010 ist aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 BGG). 
Der Beschwerdeführer war nicht anwaltlich vertreten. Er macht eine Parteientschädigung von Fr. 1'000.-- geltend, da er einen hohen Aufwand für das Abfassen der Beschwerdeschrift und das Studium der Rechtslage gehabt habe. Besondere Verhältnisse oder Auslagen weist er nicht nach und belegt seinen Aufwand auch nicht näher. Eine Entschädigung rechtfertigt sich daher nicht (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 113 Ib 353 E. 6b). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Das angefochtene Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 14. Januar 2010 wird aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben und keine Entschädigungen zugesprochen. 
 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 27. Mai 2010 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Favre Keller