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[AZA 0] 
5P.195/2000/min 
 
II. Z I V I L A B T E I L U N G ******************************** 
 
 
27. Juni 2000 
 
Es wirken mit: Bundesrichter Reeb, Präsident der II. Zivilabteilung, 
Bundesrichter Weyermann, Bundesrichter Merkli und 
Gerichtsschreiber von Roten. 
 
--------- 
 
In Sachen 
A.________ und B.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Patrick Stutz, Bahnhofstrasse 42, 5401 Baden, 
 
gegen 
Obergericht (3. Zivilkammer) des Kantons Aargau, 
 
betreffend 
Art. 9 und Art. 29 BV (öffentliches Inventar), 
wird festgestellt und in Erwägung gezogen: 
 
1.- Über den Nachlass der am 21. April 1997 mit letztem Wohnsitz in X.________ verstorbenen C.________ wurde ein Inventar im Sinne der Art. 580 ff. ZGB aufgenommen. Mit Verfügung vom 28. April 1999 legte das Gerichtspräsidium Zurzach das öffentliche Inventar bis und mit 4. Juni 1999 zur Einsicht auf, stellte ein Doppel davon den gesetzlichen Erben A.________ und B.________ zu und forderte diese gleichzeitig auf, sich binnen Monatsfrist über den Erwerb der Erbschaft zu erklären (vgl. Art. 584 und Art. 587 ZGB). 
 
Gestützt auf ein Schreiben vom 27. Mai 1999, mit dem die Bank Y.________ die Ergänzung und Berichtigung des öffentlichen Inventars für zwei fristgerecht angemeldete Forderungen verlangt hatte, korrigierte das mit der Errichtung betraute Steueramt des Kantons Aargau das öffentliche Inventar am 2. Dezember 1999. Der zuständige Gerichtspräsident verlängerte den Erben - erneut, aber letztmals - die Frist zur Erklärung über Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft bis zum 31. März 2000 und teilte ihnen das korrigierte öffentliche Inventar zur Stellungnahme binnen zehn Tagen mit (Verfügung vom 13. Dezember 1999). Entgegen dem Antrag von A.________ und B.________ in ihrer Vernehmlassung stellte er formell fest, dass die Berichtigung des öffentlichen Inventars der Gemeinde X.________ zu Recht erfolgt und das korrigierte öffentliche Inventar vom 2. Dezember 1999 gültig sei (Verfügung vom 5. Januar 2000). Die dagegen eingelegte Beschwerde von A.________ und B.________ wies das Obergericht (3. Zivilkammer) des Kantons Aargau ab, soweit darauf einzutreten war (Urteil vom 27. März 2000). 
 
 
Mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung von Art. 9 und Art. 29 BV beantragen A.________ und B.________ dem Bundesgericht die Aufhebung des obergerichtlichen Urteils vom 27. März 2000. Es ist keine Vernehmlassung eingeholt worden. 
 
2.- Kantonal letztinstanzliche Entscheide über das Verfahren der Inventaraufnahme gemäss Art. 581 ff. ZGB ergehen nicht in Zivilrechtsstreitigkeiten, sondern im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit, und können auch nicht ausnahmsweise gemäss Art. 44 lit. a-f und Art. 45 lit. b OG mit eidgenössischer Berufung angefochten werden (BGE 94 II 55 E. 2 S. 57). Ein Nichtigkeitsgrund im Sinne von Art. 68 Abs. 1 OG wird nicht geltend gemacht. Auf Bundesebene steht somit einzig die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte der Bürger offen (Art. 84 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 OG; BGE 104 II 249 E. 2, in: SJ 1979 S. 472). 
 
Verfügungen über die Errichtung des öffentlichen Inventars erlässt nach kantonalem Recht der Gerichtspräsident im summarischen Verfahren; seine Feststellungsverfügung über die Gültigkeit des öffentlichen Inventars schliesst das Verfahren der Inventaraufnahme (Art. 581-584 ZGB) ab und unterliegt damit als Endentscheid der Beschwerde an das Obergericht (vgl. Killer, in: Kommentar zur aargauischen Zivilprozessordnung, 
2. A. Aarau 1998, N. 5/33 zu § 300, S. 612/613, und N. 1 zu § 335 ZPO). Kantonal letztinstanzlich - und auch instanzabschliessend - ist das obergerichtliche Beschwerdeurteil nicht bloss Vor- oder Zwischenentscheid (Art. 87 OG in der ab 1. März 2000 gültigen Fassung, AS 2000 416 ff.; vgl. Botschaft, BBl 1999 7922, S. 7937 f. Ziffer 231. 22). 
 
 
Unter den weiteren Eintretensvoraussetzungen gibt allein die von den Beschwerdeführern selbst aufgeworfene Frage ihrer Legitimation zu Bemerkungen Anlass: Dabei sind sie gewiss nicht bloss Aufsichts- oder Disziplinarbeschwerdeführer, denen das nach Art. 88 OG vorausgesetzte rechtlich geschützte Interesse abginge (BGE 121 I 42 E. 2a S. 45 und 87 E. 1a S. 90, je mit Hinweis), sondern darin durch die Feststellung der Rechtsgültigkeit des berichtigten Inventars auf Grund ihrer Erbenstellung betroffen (vgl. Art. 587 ff. ZGB). 
Ob die Beschwerdeführer aber mit Blick auf die erhobene Rüge in der Sache auch ein aktuelles praktisches Interesse an der Aufhebung des angefochtenen Urteils haben, kann offen bleiben. 
 
3.- Unter Hinweis auf Ziffer II/1. 1 bis 1.3 auf S. 5 f. 
ihrer Beschwerdeschrift im kantonalen Verfahren rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, der unter anderem verlangt, dass eine Behörde die Vorbringen der vom Entscheid Betroffenen tatsächlich hört, sorgfältig und ernsthaft prüft und in der Entscheidfindung berücksichtigt. 
Die daraus folgende grundsätzliche Behördenpflicht, Entscheide zu begründen, sehen die Beschwerdeführer in drei Punkten verletzt: 
 
a) In Ziffer 1.3 auf S. 4 f. hatten die Beschwerdeführer dem Obergericht im Sinne einer aufsichtsrechtlichen Intervention beantragt, diese widerrechtliche vorinstanzliche Praxis ("Standardverfügung") aufzuheben, die offenkundig gegen die einschlägigen Normen des Bundeszivilrechts verstosse; solange das Inventar nicht rechtskräftig erledigt sei, dürfe den Beschwerdeführern keine Frist gemäss Art. 587 ZGB angesetzt werden. 
 
Das Obergericht hat diesen Antrag nicht übersehen, von einer Überweisung der Beschwerde an die - mit der Aufsicht über die Gerichtspräsidenten betraute (§ 32 des Gerichtsorganisationsdekrets, SAR 155. 110) - Inspektionskommission des Obergerichts aber abgesehen, da keine aufsichtsrechtlichen Aspekte auszumachen seien; die Frage, ob Auflegungs- und Deliberationsfrist gleichzeitig oder gestaffelt anzusetzen sind, sei materiellrechtlicher Natur (E. 1 S. 3). 
Es liegt damit eine Begründung vor. Sie ist knapp, erlaubt aber eine sachgerechte Anfechtung (zuletzt: BGE 124 II 146 E. 2a S. 149 mit Hinweis). Die Beschwerdeführer können geltend machen, es handle sich entgegen der Meinung des Obergerichts offenkundig um eine Aufsichtssache, weil die Inspektionskommission nicht nur "verbindliche Weisungen über die Geschäftsführung der Gerichtspräsidenten" (§ 32 Abs. 3) erlassen könne, sondern auch die beantragte Kassation einer auf rechtswidriger Praxis beruhenden Verfügung zu den Aufsichtsmitteln der Inspektionskommission gehöre (vgl. dazu Killer, N. 3 der Vorbem. §§ 317-351 ZPO; Staehelin/Sutter, Zivilprozessrecht, Zürich 1992, § 21 N. 134, S. 286). Eine Verletzung der Prüfungs- und Begründungspflicht ist nicht gegeben. 
 
b) In Ziffer 1.1 auf S. 4 enthält die Beschwerdeschrift im kantonalen Verfahren eine Schilderung des Ablaufs der Inventaraufnahme: Schuldenruf am 9. Mai 1997, Unterzeichnung des öffentlichen Inventars am 7. März 1999 sowie Ansetzung von Auflegungs- und Erklärungsfrist am 28. April 1999. 
Dortselbst hatten die Beschwerdeführer weiter die Beanstandung eines Gläubigers vom 27. Mai 1999 (scil. der Bank Y.________) erwähnt und unterstrichen: "Die Beschwerdeführerwurden von alledem in keiner Form orientiert (obgleich ihnen die Frist gemäss Art. 587 ZGB angesetzt war!)". Erst im Rahmen dieses Beschwerdeverfahrens mit entsprechender Einsicht in die Verfahrensakten hätten sie erstmals Kenntnis von diesen Interventionen erhalten. Demgegenüber hätten sie 3 mal die Deliberationsfrist erstrecken lassen; es könne auf die entsprechenden Eingaben verwiesen werden. 
 
Diese Vorgehensweise der Vorinstanz hatten die Beschwerdeführer als rechtswidrig und Bundesrecht verletzend bezeichnet: "Gemäss klarem Gesetzeswortlaut und ebenso klarer Rechtsprechung darf zwingend die Deliberationsfrist gemäss Art. 587 ZGB den Erben erst angesetzt werden, wenn die Auflegungsfrist gemäss Art. 584 ZGB abgelaufen ist und während derselben eingegangene Begehren auf Ergänzung oder Berichtigung des Inventars und eventuelle entsprechende Beschwerden dagegen durch die zuständige Behörde rechtskräftig erledigt worden sind" (Ziffer 1.2 S. 4 der Beschwerdeschrift im kantonalen Verfahren unter Hinweis auf kantonale Praxis). 
 
Die ausführliche Wiedergabe ihrer Vorbringen an der verwiesenen Stelle belegt Folgendes: Eine Rüge des Inhalts, es verletze ihren Anspruch auf rechtliches Gehör, dass sie nicht über die erwähnten Interventionen gläubigerseits orientiert worden seien und ihnen keine Möglichkeit geboten worden sei, hiezu Stellung zu nehmen, hatten die Beschwerdeführer vor Obergericht nicht erhoben, jedenfalls nicht in der Klarheit, wie sie in der bezirksgerichtlichen Rechtsmittelbelehrung als erforderlich genannt worden war (vgl. dazu Killer, N. 1 zu § 337 i.V.m. N. 8 f. zu § 323 ZPO). Zwar hatten die Beschwerdeführer die ausgebliebene Orientierung über jene Intervention unterstrichen (Ziffer 1.1), die Begründung, inwieweit das vorinstanzliche Urteil zu überprüfen ist, aber unmissverständlich auf die Frage der zeitlichen Abfolge der Fristen gemäss Art. 584 Abs. 1 und Art. 587 Abs. 1 ZGB beschränkt (Ziffer 1.2). Das sind zwei verschiedene Punkte. Der Vorwurf trifft deshalb nicht zu, das Obergericht habe "die gerügte Verletzung des rechtlichen Gehörs unbehandelt gelassen" (Ziffer 3.3.1 auf S. 7 der Beschwerdeschrift). Auf überhaupt nicht bzw. formell offensichtlich unzureichend Gerügtes einzugehen, gebietet die verfassungsmässige Prüfungs- und Begründungspflicht nicht (BGE 99 Ia 126 E. 9b S. 142; Urteil des Bundesgerichts vom 26. November 1980, E. 8b, in: SJ 1982 S. 620); der entsprechende Anspruch bezieht sich denn auch nur auf form- und fristgerechte Äusserungen, Eingaben und Anträge, die zur Klärung der konkreten Streitfrage zudem geeignet und erheblich sein müssen (BGE 112 Ia 1 E. 3c S. 3). 
c) Die von den Beschwerdeführern aufgeworfene Frage, ob Auflegungs- und Deliberationsfrist gleichzeitig oder gestaffelt anzusetzen sind, hat das Obergericht genannt (E. 1 S. 3). Es ist sodann zu den weiteren Rügen gegen das Bereinigungsverfahren übergegangen und hat die Zuständigkeit des Gerichtspräsidenten zur Entgegennahme von Berichtigungsbegehren bejaht (E. 2 S. 3 ff.) und den Einwand verworfen, der Gerichtspräsident habe sich in keiner Form mit der Inventarisierung der Forderung auseinander gesetzt (E. 3 S. 5). 
 
Die Begründung des angefochtenen Urteils zeigt, dass das Obergericht - wie die Beschwerdeführer heute hervorheben - die einleitend gestellte Frage nicht direkt beantwortet hat. Wesentlich für das Obergericht ist vielmehr gewesen, dass vorliegendenfalls die Berichtigung des Inventars während der Auflegungsfrist gemäss Art. 584 Abs. 1 ZGB erfolgt ist, dass die Berichtigung Forderungen betroffen hat, die innerhalb der Auskündungsfrist gemäss Art. 582 Abs. 1 ZGB angemeldet worden waren, und dass sich die Beschwerdeführer als alleinige gesetzliche Erben bislang über den Erwerb der Erbschaft nicht ausgesprochen haben (E. 3 S. 5). Mit dieser Begründung hat das Obergericht die Frage der Beschwerdeführer, wann den Erben die Frist zur Erklärung gemäss Art. 587 Abs. 1 ZGB anzusetzen ist, implicite beantwortet bzw. für belanglos gehalten, ob die beiden Fristen gleichzeitig angesetzt werden oder teilweise parallel laufen dürfen, solange die genannten Voraussetzungen erfüllt sind. 
 
Die obergerichtliche Vorgehensweise kann nicht als geradezu verfassungswidrig verurteilt werden, mag sie aus der Sicht des Rechtsuchenden auch nicht ganz befriedigen. Die Gerichte sind indessen nicht dazu da, abstrakte Rechtsfragen ohne Wirkung auf konkrete Rechtsverhältnisse zu beantworten (BGE 122 III 279 E. 3a S. 282; 101 II 177 E. 4c S. 190). Die Pflicht zur Gewährung des rechtlichen Gehörs gibt auch keinen Anspruch auf eine ausführliche schriftliche Begründung (zuletzt: 
BGE 124 II 146 E. 2a S. 149 mit Hinweis); die kantonale Behörde darf sich auf die für den Entscheid wesentlichen Gesichtspunkte beschränken und ist nicht verpflichtet, sich ausdrücklich mit jeder tatbeständlichen Behauptung und jedem rechtlichen Einwand auseinander zu setzen (zuletzt: BGE 124 V 180 E. 1a S. 181; 121 I 54 E. 1c S. 57, je mit Hinweisen). 
 
4.- Der Willkürvorwurf der Beschwerdeführer in der Sache selbst ist offensichtlich unbegründet. Qualifiziert falsche Rechtsanwendung (BGE 110 Ia 1 E. 2a S. 3) darf von vornherein nicht bejaht werden, wenn der gutgeheissene wie auch der abgelehnte Standpunkt in der Lehre mit sachlichen Gründen vertreten werden (z.B. BGE 104 II 249 E. 3b S. 251 f.; 122 III 439 E. 3b S. 442/443). Die Berner Kommentatoren Tuor/Picenoni sowie weitere namhafte Autoren (Rossel/Mentha und Piotet) gehen davon aus, die Fristen gemäss Art. 584 Abs. 1 und Art. 587 Abs. 1 ZGB könnten parallel laufen, während insbesondere Escher/Escher dafürhalten, mit der Ansetzung der zweiten Frist sei zuzuwarten bis nach Ablauf der ersten; beide Ansichten lassen sich auf sachliche Gründe stützen, auf den klaren Gesetzestext, die zeitliche Dringlichkeit und Anhaltspunkte in den Materialien einerseits und auf den Zweck des öffentlichen Inventars andererseits (vgl. die Zitate bei Wissmann, Basler Kommentar, N. 11-13 zu Art. 584 ZGB, der sich dem Zürcher Kommentar anschliesst; gl.M. ausführlich Pfyl, Die Wirkungen des öffentlichen Inventars (Art. 587-590 ZGB), Diss. Fribourg 1996, S. 13 ff. mit weiteren Nachweisen unter Beizug der Materialien). 
 
5.- Die unterliegenden Beschwerdeführer werden unter solidarischer Haftbarkeit kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 und 7 OG). 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird den Beschwerdeführern unter solidarischer Haftbarkeit auferlegt. 
 
3.- Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern und dem Obergericht (3. Zivilkammer) des Kantons Aargau schriftlich mitgeteilt. 
_____________ 
Lausanne, 27. Juni 2000 
 
Im Namen der II. Zivilabteilung 
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS 
Der Präsident: 
 
Der Gerichtsschreiber: