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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
5A_395/2007 /blb 
 
Urteil vom 27. November 2007 
II. zivilrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Raselli, Präsident, 
Bundesrichter Meyer, Marazzi, 
Gerichtsschreiber Möckli. 
 
Parteien 
X.________ (Ehefrau), 
Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Fürsprecherin Ursula Zimmermann, 
 
gegen 
 
Y.________ (Ehemann), 
Beschwerdegegner, 
vertreten durch Fürsprecherin Ruth M. Cimber Schudel. 
 
Gegenstand 
Vorsorgliche Massnahmen nach Art. 137 ZGB
 
Beschwerde in Zivilsachen gegen den Entscheid 
des Obergerichts des Kantons Bern, Appellationshof, 1. Zivilkammer, vom 5. Juli 2007. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Die Parteien sind seit 1988 verheiratet und haben sechs gemeinsame Kinder mit den Jahrgängen 1988, 1989, 1991, 1995, 1997 und 1999. Im Jahr 2003 wurde der gemeinsame Haushalt aufgehoben. Gemäss gerichtlich genehmigter Trennungsvereinbarung wurden die vier älteren Kinder unter die Obhut des Vaters und die beiden jüngeren unter die Obhut der Mutter gestellt. In der Vereinbarung wurde festgehalten, dass die Parteien angesichts der aktuellen finanziellen Verhältnisse weder gegenseitig noch für die Kinder Unterhalt leisten könnten, dass der Vater aber die Kinderzulage für die beiden jüngeren Kinder an die Mutter weiterleite. 
B. 
Gestützt auf ein Gesuch der Mutter um vorsorgliche Massnahmen gemäss Art. 137 ZGB verurteilte der Gerichtspräsident 1 des Gerichtskreises II Biel-Nidau den Vater mit Entscheid vom 5. März 2007, für die beiden jüngeren Kinder einen Unterhaltsbeitrag von je Fr. 500.-- zuzüglich Kinderzulagen zu bezahlen. Die weitergehenden Begehren (Kinder- und Ehegattenunterhalt) wurden abgewiesen. 
Auf beidseitige Appellation setzte das Obergericht des Kantons Bern, 1. Zivilkammer, die Unterhaltsbeiträge auf je Fr. 386.-- zuzüglich Kinderzulagen fest. 
C. 
Gegen diesen Entscheid hat die Mutter am 12. Juli 2007 Beschwerde in Zivilsachen erhoben mit den Begehren um dessen Aufhebung sowie um Verurteilung des Vaters zu Kinderunterhaltsbeiträgen von je Fr. 600.-- zuzüglich Kinderzulage sowie um Ehegattenunterhalt von mindestens Fr. 619.--. In seiner Vernehmlassung vom 8. August 2007 verlangt der Vater die Aufhebung des obergerichtlichen Entscheids. Beide Parteien verlangen die unentgeltliche Rechtspflege. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Die Beschwerde richtet sich gegen einen Entscheid, der kantonal letztinstanzlich ist und das Massnahmeverfahren abschliesst (Art. 75 Abs. 1 und Art. 90 BGG). Es stehen einzig Unterhaltsbeiträge im Streit, womit eine vermögensrechtliche Zivilsache vorliegt. Angesichts der ungewissen Dauer der vorsorglichen Massnahmen ist der notwendige Streitwert von Fr. 30'000.-- erreicht (Art. 51 Abs. 4 und Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG). Die Beschwerde in Zivilsachen erweist sich somit als zulässig. 
Weil das Gesetz keine Anschlussbeschwerde vorsieht und Begehren um Abänderung des angefochtenen Entscheides zu eigenen Gunsten folglich binnen der Beschwerdefrist von Art. 100 BGG mit selbständiger Beschwerde zu erheben sind, ist das sinngemässe Begehren in der Vernehmlassung, es sei überhaupt von einer Unterhaltsfestsetzung abzusehen, unzulässig (vgl. auch Kälin, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, 2. Aufl., Bern 1994, S. 221 und insb. S. 376). Das Bundesgericht könnte allerdings Vorbringen in der Vernehmlassung insoweit von sich aus aufgreifen, als in Kinderbelangen uneingeschränkt die Offizialmaxime gilt (BGE 120 II 229 E. 1c S. 231; 122 III 404 E. 3d S. 408; 126 III 298 E. 2a/bb S. 303) und demzufolge eine Reformatio in peius grundsätzlich möglich ist; hierfür besteht jedoch im vorliegenden Fall kein Anlass. 
2. 
Massnahmen für die Dauer des Ehescheidungsverfahrens, die sich auf Art. 137 ZGB stützen, stellen vorsorgliche Massnahmen im Sinn von Art. 98 BGG dar, womit nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte gerügt werden kann und hierfür das Rügeprinzip gilt (Art. 106 Abs. 2 BGG). Vorliegend rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung des Willkürverbots (Art. 9 BV). 
3. 
Das Obergericht ist von einem Nettoeinkommen des Beschwerdegegners von Fr. 7'031.-- und einem Existenzminimum von Fr. 6'259.-- ausgegangen (Grundbetrag 1250, Zuschlag vier Kinder 2000, Hypothek 1667, Nebenkosten 421, Krankenkasse 486, Telefon 100, Arbeitsweg 100, auswärtiges Essen 220, Steuern 135, abzüglich Wohnbeitrag A.________ 120). 
Die Beschwerdeführerin kritisiert daran, dass die Kinderzulagen für die vier beim Beschwerdegegner lebenden Kinder von total Fr. 816.-- weder zu dessen Einkommen geschlagen noch den Kindern als eigene Einnahmen angerechnet, sondern einfach unberücksichtigt gelassen worden seien. Dieses Geld stehe aber effektiv zur Verfügung, weshalb ein unerträglicher Widerspruch zur tatsächlichen Situation und damit Willkür vorliege. Der erstinstanzliche Richter habe denn in einem späteren uP-Entscheid die Kinderzulagen richtigerweise zum Einkommen des Beschwerdegegners geschlagen; auch vor diesem Hintergrund ergebe sich eine willkürliche Diskrepanz zum obergerichtlichen Unterhaltsentscheid. Unter Berücksichtigung, dass A.________ vom Lehrlingslohn Fr. 120.-- abgebe, betrage das anrechenbare Einkommen des Beschwerdegegners richtigerweise Fr. 7'967.--, während sich das Existenzminimum auf Fr. 6'148.-- belaufe (Grundbetrag 1250, Zuschlag vier Kinder 2000, Hypothek 1653 [recte 1667], Nebenkosten 300, Telefon 100, Krankenkasse 376, auswärtiges Essen 220, Arbeitsweg 100, Steuern 135). Der Beschwerdegegner sei somit in der Lage, für die zwei bei ihr lebenden Kinder je Fr. 600.-- zuzüglich Kinderzulage und für sie selbst Fr. 619.-- zu bezahlen. 
4. 
Von vornherein nicht zu berücksichtigen sind die teilweise tiefer angesetzten Positionen im Existenzminimum des Beschwerdegegners; diese erscheinen in der Beschwerde nur tabellarisch, ohne dass die Beschwerdeführerin dazu Ausführungen machen würde, weshalb die Beschwerde in dieser Hinsicht unsubstanziiert bleibt (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 117 Ia 10 E. 4b S. 11 f.; 130 I 258 E. 1.3 S. 262). Einerlei ist sodann, ob der Wohnkostenbeitrag von A.________ zum Einkommen des Beschwerdegegners geschlagen oder von dessen Existenzminimum abgezogen wird; abgesehen davon mangelt es der Beschwerde auch diesbezüglich an Ausführungen. 
Was die Behandlung der Kinderzulagen anbelangt, erweist sich der angefochtene Entscheid aus mehreren Gründen als nicht willkürlich. Erstens ist in der Lehre umstritten, ob Kinderzulagen ganz, teilweise oder gar nicht zum Einkommen des bezugsberechtigten Elternteils zu rechnen sind (vgl. Hausheer/Spycher, Handbuch des Unterhaltsrechts, Bern 1997, N. 01.32 m.w.H.). Wird eine Frage in der Lehre kontrovers behandelt, so liegt nach der Praxis des Bundesgerichts keine Willkür vor, wenn sich der kantonale Richter für eine der dort vertretenen Meinungen entscheidet (Urteil 2P.256/2004, E. 3.1). Zweitens hat das Obergericht erwogen, unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Beschwerdeführerin bei bestehender Leistungsfähigkeit gegenüber den vier beim Beschwerdegegner lebenden Kindern ebenfalls unterhaltspflichtig wäre und die beiden bei ihr lebenden Kinder überdies jünger seien als die anderen, sei eine gewisse Ungleichbehandlung gerechtfertigt. Damit setzt sich die Beschwerdeführerin nicht auseinander, weshalb ihre Willkürrüge unsubstanziiert bleibt (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 117 Ia 10 E. 4b S. 11 f.; 130 I 258 E. 1.3 S. 262). Drittens würde es ohnehin nicht genügen, wenn der angefochtene Entscheid sich nur in der Begründung als unhaltbar erwiese; vielmehr müsste er auch im Ergebnis willkürlich sein (BGE 127 I 54 E. 2b S. 56; 128 II 259 E. 5 S. 281; 129 I 49 E. 4 S. 58). Nach dem angefochtenen Entscheid kommen den beiden Kindern unter der Obhut der Beschwerdeführerin rund Fr. 100.-- (zuzüglich Krankenkassenprämien) weniger zu als den vier Kindern unter der Obhut des Beschwerdegegners, während es sich nach dem Begehren bzw. dem Berechnungsmodus der Beschwerdeführerin genau umgekehrt verhalten würde, indem sie für "ihre" beiden Kinder Fr. 600.-- verlangt und den anderen weiterhin Fr. 500.-- zugesteht. Hält sich aber die aus den beiden Berechnungsarten ergebende Ungleichbehandlung zwischen den Kindern ungefähr in Waage, kann mit der Wahl der einen Berechnungsart jedenfalls im Ergebnis keine Willkür vorliegen. 
Die Beschwerde ist nach dem Gesagten abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. 
5. 
Beide Parteien sind offensichtlich prozessarm, weshalb ihnen die unentgeltliche Rechtspflege zu erteilen ist (Art. 64 Abs. 1 BGG), je unter Beigabe der sie vertretenden Rechtsanwältin (Art. 64 Abs. 2 BGG). Die Gerichtsgebühr, die der Beschwerdeführerin aufzuerlegen ist (Art. 66 Abs. 1 BGG), wird deshalb einstweilen auf die Gerichtskasse genommen. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die Beschwerde in Zivilsachen wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
2. 
Beiden Parteien wird die unentgeltliche Rechtspflege erteilt. Der Beschwerdeführerin wird Ursula Zimmermann und dem Beschwerdegegner wird Ruth Cimber als unentgeltliche Anwältin beigegeben. 
3. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt, einstweilen aber auf die Gerichtskasse genommen. 
4. 
Beide Parteien werden aus der Gerichtskasse mit Fr. 2'000.-- entschädigt. 
5. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, Appellationshof, 1. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 27. November 2007 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: