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[AZA 7] 
H 372/01 Gi 
 
IV. Kammer 
 
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ferrari; 
Gerichtsschreiber Schmutz 
 
Urteil vom 28. März 2002 
 
in Sachen 
G.________, 1948, Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprecherin Katharina Probst-Meyer, Moosackerweg 24, 4704 Niederbipp, 
 
gegen 
Ausgleichskasse des Kantons Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, Beschwerdegegnerin, 
 
und 
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern 
 
A.- Mit Verfügung vom 1. Juni 2001 lehnte die Ausgleichskasse des Kantons Bern das Gesuch der 1949 geborenen, mit Z.________ verheirateten G.________ um Herabsetzung der AHV/IV/EO-Beiträge für die Jahre 1997 bis 2000 und das 1. Quartal 2001 im Gesamtbetrag von Fr. 3'226. 90 (inkl. 
Mahngebühren) ab, weil eine betreibungsamtliche Berechnung vom 30. Januar 2001 ergeben habe, dass das Einkommen des Ehepaares das betreibungsrechtliche Existenzminimum um Fr. 600.- übersteige. 
 
B.- Die hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 8. Oktober 2001 ab. 
 
C.- G.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag auf Herabsetzung ihrer Beiträge führen und ersucht um die unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung. 
 
Die Kasse schliesst auf Abweisung der Beschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG). 
 
2.- a) Gemäss Art. 11 Abs. 1 AHVG können Beiträge, deren Bezahlung einem obligatorisch Versicherten nicht zumutbar ist, auf begründetes Gesuch hin für bestimmte oder unbestimmte Zeit angemessen herabgesetzt werden; sie dürfen jedoch nicht geringer sein als der Mindestbeitrag. 
 
b) Ob eine Notlage besteht, ist auf Grund der gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse und nicht allein anhand des Erwerbseinkommens zu beurteilen. Die Voraussetzung der Unzumutbarkeit ist erfüllt, wenn der Schuldner bei der Bezahlung des vollen Beitrages seinen eigenen Notbedarf und jenen seiner Familie nicht befriedigen könnte, d.h. wenn das betreibungsrechtliche Existenzminimum im Sinne des SchKG unterschritten würde (BGE 120 V 274 Erw. 5a mit Hinweisen). 
 
c) Zur Prüfung der Frage, ob sich eine Herabsetzung der Beiträge rechtfertigt, ist auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners abzustellen, die im Zeitpunkt gegeben sind, in dem er bezahlen sollte. Dies ist der Zeitpunkt, in welchem die Verfügung über das Herabsetzungsgesuch in Rechtskraft erwächst, und gegebenenfalls jener, in welchem die kantonale Rekursbehörde oder das Eidgenössische Versicherungsgericht über eine solche Herabsetzung entscheidet. 
In diesem Zusammenhang kann das Eidgenössische Versicherungsgericht ausnahmsweise nach Erlass der Kassenverfügung oder des vorinstanzlichen Entscheids eingetretene neue Tatsachen berücksichtigen, obwohl es an den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt gebunden ist (BGE 120 V 275 Erw. 5a/dd mit Hinweisen). Diese neuen Tatsachen müssen jedoch offensichtlich klar bewiesen sein (BGE 104 V 63 Erw. 1 in fine, bestätigt in BGE 116 V 294 Erw. 2c in fine, 107 V 80 Erw. 3b; ZAK 1989 S. 112 Erw. 3b). 
 
3.- a) Die Beschwerdeführerin bringt vor, das Betreibungsamt E.________ habe am 29. Juni 2001 bei der Neuberechnung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums erstmals berücksichtigt, dass beide Ehepartner G.________ die in Kosovo (recte: Bosnien-Herzegowina) lebenden Eltern finanziell unterstützten und dies zu einer Unterschreitung des betreibungsrechtlichen Existenzbedarfs führe. Sie belegt dies mit der Anzeige über die Ausstellung eines Verlustscheins mit der Nummer X.________, den das Betreibungsamt E.________ am 13. Juli 2001 der Steuerverwaltung des Kantons Bern ausfertigte. Darin wurde angemerkt, der Pfändungsvollzug am 11. Juni 2001 habe ergeben, dass das Ehepaar G.________ das ihm zustehende Existenzminimum monatlich um Fr. 986.- unterschreite. 
 
b) Damit ist die erstmals vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht vorgebrachte Tatsache der betreibungsamtlich festgestellten Unterschreitung des Existenzminimums offensichtlich klar bewiesen. Sie kann trotz der Bindung an den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt berücksichtigt werden, weil vorliegend keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Beschwerdeführerin den für die Bestimmung der Zumutbarkeit der vollen Beitragszahlung massgebenden Zeitpunkt dilatorisch hinausgeschoben hat (vgl. BGE 120 V 275 Erw. 5a/dd). Die Ausgleichskasse wird nach der Rückweisung der Sache über das Ausmass des mit dem vorliegenden Entscheid im Grundsatz anzuerkennenden Anspruchs auf Herabsetzung der AHV/IV/EO-Beiträge für die Jahre 1997 bis 2000 und das 1. Quartal 2001 zu befinden haben. 
 
4.- Entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Verfahrens hat die Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 134 OG e contrario; Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG); der Versicherten steht eine Parteientschädigung zu (Art. 135 in Verbindung mit Art. 159 Abs. 1 OG); damit erweist sich ihr Antrag auf Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung als gegenstandslos. 
 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
I.In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden 
der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons 
Bern vom 8. Oktober 2001 und die Verfügung der Ausgleichskasse 
des Kantons Bern vom 1. Juni 2001 aufgehoben, 
und es wird die Sache an die Ausgleichskasse 
des Kantons Bern zurückgewiesen, damit sie im Sinne 
der Erwägungen über das Ausmass der Herabsetzung des 
AHV/IV/EO-Beitrags der Beschwerdeführerin entscheide. 
 
II.Die Gerichtskosten von Fr. 700.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
III. Die Ausgleichskasse des Kantons Bern hat der Beschwerdeführerin 
 
für das Verfahren vor dem Eidgenössischen 
Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von 
Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 
 
IV.Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern (Sozialversicherungsrechtliche Abteilung) und dem Bundesamt für Sozialversicherung 
 
 
zugestellt. 
Luzern, 28. März 2002 
 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Die Präsidentin der IV. Kammer: 
 
Der Gerichtsschreiber: