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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
9C_301/2007 
 
Urteil vom 28. September 2007 
II. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident, 
Bundesrichter Lustenberger, Seiler, 
Gerichtsschreiber Fessler. 
 
Parteien 
IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen, Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
S.________, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwältin Hannelore Fuchs, Oberer Graben 44, 9000 St. Gallen. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 8. Mai 2007. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Die 1956 geborene S.________ meldete sich im Dezember 2002 bei der Invalidenversicherung an und beantragte eine Rente. Die IV-Stelle des Kantons St. Gallen klärte die gesundheitlichen und erwerblichen Verhältnisse ab. Unter anderem liess sie die Versicherte im Psychiatriezentrum X.________ abklären (Gutachten vom 20. Juli 2005). Mit Verfügung vom 4. Oktober 2005 verneinte die IV-Stelle den Anspruch von S.________ auf eine Invalidenrente. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 23. Mai 2006 fest. 
B. 
Die Beschwerde der S.________ hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 8. Mai 2007 teilweise gut. Es hob den Einspracheentscheid vom 23. Mai 2006 auf und wies die Sache an die IV-Stelle zurück, damit sie nach Vornahme von Abklärungen im Sinne der Erwägungen über den Anspruch der Versicherten auf IV-Leistungen neu verfüge. 
C. 
Die IV-Stelle des Kantons St. Gallen führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt die Aufhebung des Entscheids vom 8. Mai 2007. 
 
S.________ lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen, unter Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Beim angefochtenen Rückweisungsentscheid handelt es um einen - selbständig eröffneten - Vor- oder Zwischenentscheid im Sinne von Art. 93 BGG (zur Publikation in der Amtlichen Sammlung vorgesehenes Urteil 9C_15/2007 vom 25. Juli 2007 E. 4.2). Die Zulässigkeit der Beschwerde setzt somit - alternativ - voraus, dass der Entscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Abs. 1 lit. a) oder dass die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (Abs. 1 lit. b). 
2. 
2.1 Ein im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG nicht wieder gutzumachender Nachteil ist rechtlicher Natur und auch mit einem für die Beschwerde führende Partei günstigen Endentscheid nicht oder nicht vollständig behebbar (Urteile 4A_85/2007 vom 11. Juni 2007 E. 3.1 und 4A_92/2007 vom 8. Juni 2007 E. 2). Die Rückweisung der Sache an die IV-Stelle zu weiterer oder ergänzender Abklärung und neuer Entscheidung stellt lediglich insoweit einen solchen Nachteil dar, als die Verwaltung durch materielle Vorgaben wesentlich in ihrem Beurteilungsspielraum eingeschränkt wird und davon in der Folge nicht mehr abgewichen werden kann (zur Publikation in der Amtlichen Sammlung vorgesehenes Urteil 9C_15/2007 vom 25. Juli 2007 E. 5.2). Dies trifft u.a. zu, wenn das kantonale Gericht abweichend von der IV-Stelle eine andere Invaliditätsbemessungsmethode für anwendbar erklärt (vgl. zur Publikation in der Amtlichen Sammlung vorgesehenes Urteil I 126/07 vom 6. August 2007 E. 1.2). So verhält es sich vorliegend. Die am Recht stehende IV-Stelle bemass die Invalidität nach der gemischten Methode (vgl. dazu BGE 125 V 146 E. 2a-c S. 148 ff. sowie BGE 130 V 393 und SVR 2006 IV Nr. 42 S. 151 [I 156/04]). Dabei ging sie davon aus, die Versicherte würde ohne gesundheitliche Beeinträchtigung im Umfang von 80 % eines Normalarbeitspensums einem Erwerb nachgehen und daneben im Aufgabenbereich Haushalt tätig sein. Demgegenüber wäre die Beschwerdegegnerin nach Auffassung des kantonalen Gerichts im Gesundheitsfall voll erwerbstätig. Der Invaliditätsgrad sei daher durch Einkommensvergleich zu ermitteln (vgl. dazu Art. 16 ATSG und BGE 128 V 29 E. 1 S. 30). 
2.2 Hingegen stellt die Verpflichtung der IV-Stelle zur Vornahme weiterer oder ergänzender Abklärungen und neuer Entscheidung durch das kantonale Gericht keinen im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG nicht wieder gutzumachenden Nachteil dar. Dies gilt, selbst wenn die vorinstanzliche Feststellung, der rechtserhebliche Sachverhalt sei ungenügend abgeklärt, offensichtlich unrichtig wäre oder auf einer qualifiziert unrichtigen oder sogar willkürlichen Beweiswürdigung beruhte. Auch eine solche Rechtsverletzung (Art. 95 lit. a und Art. 97 Abs. 1 BGG; vgl. zum Umfang der Abklärungsbefugnis der Versicherungsträger resp. zu den Schranken der Mitwirkungspflicht der Versicherten Urteil U 571/06 vom 29. Mai 2007) vermag dem Nachteil an sich unnötiger Abklärungen nicht rechtlichen Charakter zu geben. Nur so lässt sich der Zweck der Ausnahmeregelung des Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG erreichen, dass das Bundesgericht sich nicht mehr als ein Mal mit derselben Streitsache befassen muss (vgl. BGE 131 III 404 E. 3.3 S. 407, 122 I 39 E. 1a/aa S. 41). In diesem Sinne ist ein nicht wieder gutzumachender Nachteil ex lege zu verneinen, wenn und soweit die Rügen die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung betreffen. 
 
Die alternative Zulässigkeitsvoraussetzung nach 93 Abs. 1 lit. b BGG (Einsparung eines bedeutenden Aufwands an Zeit und Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren) übernimmt die Vorschrift von Art. 50 OG (BBl 2001 4334). Nach der zu dieser Bestimmung ergangenen Rechtsprechung bildet die selbständige Anfechtbarkeit von Zwischenentscheiden aus prozessökonomischen Gründen eine Ausnahme, die restriktiv anzuwenden ist (BGE 118 II 91 E. 1b S. 92). Denn der Normzweck dieser Bestimmung liegt nebst der Vermeidung unnötigen Verfahrensaufwandes darin zu verhindern, dass sich das Bundesgericht mehrmals mit derselben Streitsache zu befassen hat. Das Bundesgericht prüft nach freiem Ermessen, ob die Voraussetzung von Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG erfüllt ist. Zudem wird vorausgesetzt, dass der Beschwerdeführer in der Beschwerde darlegt, dass und inwiefern ein bedeutender Aufwand eingespart werden kann, oder zumindest dass dies aus den Akten hervorgeht (Urteil 4A_109/2007 vom 30. Juli 2007; Urteil 4A_7/2007 vom 18. Juni 2007 E. 2.2). Vorliegend ist weder dargetan noch aus den Akten ersichtlich, dass die Abklärungen, welche gemäss angefochtenem Entscheid vorzunehmen sind, weitläufig sind und einen bedeutenden Aufwand an Zeit und Kosten zur Folge haben. 
2.3 Nach dem Gesagten ist die Beschwerde nach Art. 93 Abs. 1 BGG zulässig und darauf einzutreten, da auch die übrigen formellen Gültigkeitserfordernisse gegeben sind, soweit die IV-Stelle sich gegen die verbindliche Vorgabe im angefochtenen Rückweisungsentscheid der Bemessung der Invalidität nach der Einkommensvergleichsmethode wehrt. Dagegen ist auf die Beschwerde nicht einzutreten, soweit gerügt wird, die vorinstanzliche Rückweisung zu weiterer Abklärung sei unnötig, die Sache sei spruchreif. 
3. 
3.1 In welchem zeitlichen Umfang eine versicherte Person ohne gesundheitliche Beeinträchtigung erwerbstätig wäre, ist eine Tatfrage, soweit es um die Würdigung konkreter Umstände und nicht ausschliesslich um die Anwendung allgemeiner Lebenserfahrungssätze geht. Diesbezügliche Feststellungen des kantonalen Gerichts sind somit für das Bundesgericht verbindlich, soweit sie nicht offensichtlich unrichtig sind oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG; Urteile I 693/06 vom 20. Dezember 2006 E. 4.1 und I 701/06 vom 5. Januar 2007 E. 3.2; vgl. auch BGE 132 V 393 E. 3.3 S. 399). 
3.2 Die vorinstanzliche Annahme einer Vollerwerbstätigkeit im Gesundheitsfall ist weder offensichtlich unrichtig noch das Ergebnis qualifiziert unrichtiger oder sogar willkürlicher Beweiswürdigung. Daran ändert entgegen der Beschwerde führenden IV-Stelle nichts, dass es auch Umstände gibt, welche lediglich für eine Teilerwerbstätigkeit sprechen. Insbesondere kann nicht als willkürliche Beweiswürdigung bezeichnet werden, dass die Vorinstanz dem finanziellen Aspekt grosses oder sogar entscheidendes Gewicht bei der Bestimmung des zeitlichen Umfangs einer erwerblichen Tätigkeit im Gesundheitsfall beigemessen hat. Soweit die IV-Stelle im Speziellen vorbringt, die Versicherte sei aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters, ihrer niedrigen beruflichen Qualifikation und ihrem über 20-jährigen Fernbleiben vom Arbeitsmarkt praktisch chancenlos, überhaupt eine Vollzeitstelle zu «ergattern», handelt es sich offenbar um einen allgemeinen Erfahrungssatz, welcher allerdings nicht weiter unterlegt wird. Unbehelflich ist auch der Einwand, die Versicherte arbeite nicht im Rahmen der gemäss Gutachten des Psychiatriezentrums X.________ vom 20. Juli 2005 attestierten Restarbeitsfähigkeit von 60 %. Art und Umfang der trotz gesundheitlicher Beeinträchtigung noch zumutbaren Arbeitsfähigkeit sind ja gerade streitig und zur Klärung dieser Frage hat die Vorinstanz die Sache an die IV-Stelle zurückgewiesen. 
3.3 Die Beschwerdeführerin ist somit als ohne gesundheitliche Beeinträchtigung Vollerwerbstätige zu betrachten und demzufolge der Invaliditätsgrad nach der Einkommensvergleichsmethode zu ermitteln. Die Beschwerde, soweit zulässig, ist somit unbegründet. 
4. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten der Beschwerde führenden IV-Stelle aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die Verwaltung hat zudem der Beschwerdegegnerin eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung ist demzufolge gegenstandslos. 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der IV-Stelle des Kantons St. Gallen auferlegt. 
3. 
Die IV-Stelle des Kantons St. Gallen hat der Beschwerdegegnerin für das Verfahren vor dem Bundesgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2'000.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, der Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt. 
Luzern, 28. September 2007 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: