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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6B_81/2010 
6B_126/2010 
 
Urteil vom 29. April 2010 
Strafrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Favre, Präsident, 
Bundesrichter Schneider, Wiprächtiger, 
Gerichtsschreiber Boog. 
 
Verfahrensbeteiligte 
6B_81/2010 
X.________, vertreten durch Rechtsanwalt 
Dr. Lorenz Baumann, 
Beschwerdeführer, 
 
und 
 
6B_126/2010 
Y.________, vertreten durch Rechtsanwalt Jürg Federspiel, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
1. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8001 Zürich, 
Beschwerdegegnerin 1 
2. A.________, vertreten durch Rechtsanwalt Roger Müller, 
Beschwerdegegnerin 2. 
 
Gegenstand 
6B_81/2010 
Menschenhandel, 
 
6B_126/2010 
Menschenhandel, 
 
Beschwerden gegen das Urteil des Obergerichts 
des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 30. November 2009. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Das Bezirksgericht Zürich erklärte die Eheleute X.________ und Y.________ mit Urteil vom 1. Dezember 2008 des Menschenhandels im Sinne von Art. 182 Abs. 1 StGB zum Nachteil von A.________ sowie der mehrfachen Widerhandlung gegen Art. 23 Abs. 1 al. 5 und Abs. 2 ANAG schuldig und verurteilte sie je zu einer Geldstrafe von 360 Tagessätzen à Fr. 30.--, wovon 199 Tagessätze als durch Untersuchungshaft geleistet gelten. Den Vollzug der Strafen schob es bei einer Probezeit von 2 Jahren bedingt auf. Von der Anklage des Menschenhandels zum Nachteil von zwei weiteren Geschädigten sprach es sie frei. Ferner verpflichtete das Bezirksgericht X.________ und Y.________ unter solidarischer Haftung zur Bezahlung einer Genugtuung von Fr. 3'000.-- zuzüglich 5% seit dem 11. November 2007 an A.________. Im Mehrbetrag wies es das Genugtuungsbegehren ab. Die Schadenersatzforderung verwies es auf den Zivilweg. Schliesslich sah es von der Verpflichtung zur Leistung einer Ersatzforderung ab. 
 
Das Obergericht des Kantons Zürich wies die von X.________ und von Y.________ gegen diesen Entscheid erhobenen Berufungen mit Urteil vom 30. November 2009 ab und bestätigte das erstinstanzliche Urteil, soweit es nicht in Rechtskraft erwachsen war. Die Staatsanwaltschaft hatte ihre Berufung gegen das bezirksgerichtliche Urteil zurückgezogen. 
 
B. 
X.________ und Y.________ führen je Beschwerde beim Bundesgericht mit dem Antrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und sie seien von der Anklage des Menschenhandels freizusprechen. Eventualiter beantragen sie die Rückweisung der Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz. Beide Beurteilten stellen ferner das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Y.________ ersucht überdies um Erteilung der aufschiebenden Wirkung für ihre Beschwerde. 
 
C. 
Es wurden keine Vernehmlassungen eingeholt. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Die Beschwerden des Beschwerdeführers und der Beschwerdeführerin wenden sich gegen den Schuldspruch wegen Menschenhandels. Sie beziehen sich auf denselben Sachverhalt und richten sich gegen dasselbe Urteil. In beiden Beschwerden werden dieselben Rechtsfragen aufgeworfen und weitgehend dieselben Rügen vorgetragen. Es rechtfertigt sich daher, die beiden Beschwerden - dem Antrag der Beschwerdeführerin entsprechend - zu vereinigen und in einem einzigen Entscheid gemeinsam zu beurteilen (vgl. BGE 126 V 283 E. 1; 113 Ia 390 E. 1). 
 
2. 
Dem angefochtenen Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde: 
 
Die Beschwerdeführerin traf im Sommer/Herbst 2007 in Brasilien die Beschwerdegegnerin 2, mit welcher sie seit gut sechs Jahren bekannt war. Im Wissen um ihre Armut bot sie der Beschwerdegegnerin 2 eine Erwerbstätigkeit als Prostituierte in der B.________ Bar in Zürich an. Daraufhin entschloss sich die Beschwerdegegnerin 2 in die Schweiz einzureisen, um auf diese Weise Geld verdienen und den Lebensunterhalt für die zwei ihrer drei Kinder bestreiten zu können, für welche sie in Brasilien zu sorgen hatte. Von Brasilien aus informierte die Beschwerdeführerin den Beschwerdeführer über die erfolgte "Rekrutierung" und beauftragte ihn, für die Beschwerdegegnerin 2 ein Flugticket zu besorgen. Nachdem sich die Geschädigte einen Pass beschafft hatte, flog sie über Sao Paulo nach Mailand, wo sie vom Beschwerdeführer und einer Drittperson am 11. November 2007 in Empfang genommen und am gleichen Tag nach Zürich chauffiert wurde. In der Liegenschaft der B.________ Bar in Zürich wurde ihr ein Zimmer zugewiesen, für welches sie pro Tag Fr. 60.-- zu bezahlen hatte, und ein Betrag von Fr. 400.-- als sog. Essensgeld ausgehändigt. In der Folge arbeitete die Beschwerdegegnerin 2 während der Öffnungszeiten der Bar als Prostituierte und bediente ihre Kunden im eigenen Zimmer. Mit den Einnahmen aus dieser Tätigkeit begann sie, ihre Schulden, welche sich aus den Kosten für das Flugticket von Fr. 1'860.-- und für den Transport von Mailand nach Zürich von Fr. 200.-- sowie dem Essensgeld von Fr. 400.-- zusammensetzten, abzubezahlen (angefochtenes Urteil S. 14; erstinstanzliches Urteil S. 75). 
 
Die kantonalen Instanzen gingen davon aus, die Beschwerdegegnerin 2 sei im Zeitpunkt, als sie von der Beschwerdeführerin angesprochen worden sei, ohne jegliches Einkommen und wirtschaftlich nicht in der Lage gewesen, für sich selber und ihre zwei von ihr betreuten Kinder aufzukommen. Sie habe sich in einer auswegslosen Lage befunden und habe sich für ihre Einreise in die Schweiz zusätzlich noch massiv verschulden müssen. Diese Umstände, welche die Beschwerdegegnerin 2 zu ihrer Tätigkeit in der Schweiz veranlasst hätten, seien beiden Beschwerdeführern bekannt gewesen (angefochtenes Urteil S. 17 ff.). 
 
3. 
3.1 Der Beschwerdeführer und die Beschwerdeführerin rügen eine Verletzung von Bundesrecht. Die Beschwerdegegnerin 2 sei in ihrem sexuellen Selbstbestimmungsrecht nicht beeinträchtigt gewesen. Sie habe gewusst, dass sie sich prostituieren werde, und sei auf eigenen Wunsch in die Schweiz gekommen. Dass sie aus wirtschaftlich prekären Verhältnissen stamme, ändere daran nichts. Ein Einverständnis in die Tätigkeit als Prostituierte sei nur unwirksam, wenn die Entscheidungsfreiheit der Frau durch die wirtschaftliche Not wesentlich eingeschränkt gewesen sei und der Täter dies ausnütze. Ein blosses "Benützen" der Notlage genüge indes nicht. Es könne "nicht Sinn und Zweck des Strafrechts sein, dass partout keine Frau aus ärmlichen Verhältnissen in die Schweiz vermittelt werden dürfe" bzw. dass sich "nur noch reiche Damen [...] für die Prostitution entscheiden" könnten. Dies liefe auf eine unzulässige Bevormundung und Einschränkung der Handlungsfähigkeit hinaus. Sie hätten die Beschwerdegegnerin 2 im zu beurteilenden Fall nicht ausgebeutet. Sie seien ihr lediglich bei der Organisierung der Einreise behilflich gewesen, indem er (der Beschwerdeführer) ihr den Flug bezahlt, sie in Mailand abgeholt und ihr als Starthilfe Fr. 400.-- ausgehändigt habe. Sie hätten beide davon ausgehen dürfen, dass die Beschwerdegegnerin 2 selbstbestimmt in die Schweiz habe einreisen wollen, um hier als Prostituierte zu arbeiten (Beschwerde 1 S. 5 ff.; Beschwerde 2 S. 5 ff.). 
 
3.2 Die Vorinstanz nimmt an, die Beschwerdegegnerin 2 habe sich in einer eigentlichen Notlage befunden und sei dem Beschwerdeführer und der Beschwerdeführerin finanziell vollkommen ausgeliefert gewesen. Bei dieser Ausgangslage sei die Beschwerdegegnerin 2 aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse und der unerfreulichen sozialen Situation in einem besonderen Masse verletzlich gewesen. Ihre Einwilligung in die Prostitution sei daher nicht frei von Zwängen gewesen und könne nicht als freie Entscheidung betrachtet werden. Damit sei die Beschwerdegegnerin 2 in ihrem sexuellen Selbstbestimmungsrecht verletzt worden. Dass der Beschwerdeführer und die Beschwerdeführerin ihr nicht bloss Hilfe geleistet hätten, ergebe sich zudem aus der erheblichen Abhängigkeit, in welche sich diese mit ihrer Einreise in die Schweiz begeben habe. Dabei sei namentlich die für ihre Verhältnisse horrende Verschuldung und ihr illegaler Aufenthaltsstatus von Bedeutung. Ausserdem habe die Beschwerdegegnerin 2 in der von den Beschwerdeführern geführten Bar Kunden akquirieren müssen und hätten diese auch von der Vermietung des Zimmers profitiert (angefochtenes Urteil S. 24 ff.; vgl. auch erstinstanzliches Urteil S. 128 ff.). 
 
4. 
4.1 Gemäss Art. 182 Abs. 1 StGB wird mit Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bestraft, wer als Anbieter, Vermittler oder Abnehmer mit einem Menschen u.a. zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung Handel treibt. Der Tatbestand des Menschenhandels schützt Opfer, die etwa unter Anwendung von Gewalt oder anderer Formen der Nötigung, durch Entführung, Täuschung, Missbrauch von Macht oder Ausnützung besonderer Hilflosigkeit zum Zwecke der Ausbeutung angeworben und ins Ausland verbracht werden (vgl. Art. 3 lit. a des Zusatzprotokolls zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels [SR 0.311.542]). Das Unrecht besteht in der Ausnützung einer Machtposition durch den Täter und der Aufhebung des Selbstbestimmungsrechts des Opfers, über das wie über ein Objekt verfügt wird. 
 
Ein Schuldspruch wegen Menschenhandels im Sinne von Art. 182 Abs. 1 StGB setzt voraus, dass die betroffene Person in ihrem sexuellen Selbstbestimmungsrecht verletzt worden ist. Die in Kenntnis der konkreten Sachlage erfolgte und ihrem tatsächlichen Willen entsprechende Zustimmung der betroffenen Person schliesst den Tatbestand aus. Ob diese im Einzelfall selbstbestimmt gehandelt hat, ist im Lichte der konkreten Umstände zu beurteilen. Das faktische Einverständnis allein ist nicht massgebend, soweit die Tathandlung nur rein äusserlich mit dem Willen der betroffenen Person erfolgt. Nach der Rechtsprechung ist der Tatbestand des Menschenhandels in der Regel erfüllt, wenn junge, aus dem Ausland kommende Frauen unter Ausnützung einer Situation der Verletzlichkeit (situazione di vulnerabilità) zur Ausübung der Prostitution in der Schweiz engagiert werden. Diese besondere Situation kann in schwierigen wirtschaftlichen oder sozialen Umständen oder in einschränkenden persönlichen und/oder finanziellen Abhängigkeiten bestehen. Eine Einwilligung in die Tätigkeit als Prostituierte und in die (illegale) Überführung in die Schweiz ist mithin nicht wirksam, wenn sie auf derartige Umstände der Betroffenen im Herkunftsland zurückzuführen ist. Bei dieser Sachlage verfügt die betroffene Person nicht über die erforderliche Entscheidungsfreiheit (BGE 129 IV 81 E. 3.1; 128 IV 117 E. 4a - c; 126 IV 225 E. 1c und d a.E.). 
 
Die neuere Rechtsprechung wendet den Tatbestand des Menschenhandels gemäss Art. 182 StGB auch auf Täter an, die im Ausland Prostituierte für ihre eigenen Bordelle in der Schweiz anwerben und verpflichten (BGE 129 IV 81 E. 3.1; 128 IV 117 E. 6d). 
 
4.2 Nach den Feststellungen der kantonalen Instanzen ist die Beschwerdegegnerin 2 freiwillig in die Schweiz eingereist, um sich hier zu prostituieren. Die Vorinstanz geht daher zutreffend von einem grundsätzlichen Einverständnis der Beschwerdegegnerin 2 aus. Sie nimmt allerdings an, dass dieses Einverständnis nicht auf einer freien Entscheidung beruhte. Diese Auffassung verletzt kein Bundesrecht. 
 
Es trifft zu, dass nach der Rechtsprechung die sexuelle Selbstbestimmung bei Prostituierten nicht bereits eingeschränkt ist, wenn sie einer Vermittlung in ein Etablissement zustimmen. Dies gilt allerdings nur, soweit die Person spontan der Prostitution nachgeht und die Hilfe von Vermittlern im selben Umfang wie in anderen Bereichen in Anspruch nimmt. In dieser Hinsicht ist den Besonderheiten bei der Prostitution Rechnung zu tragen und namentlich etwa die Situation der sich illegal in der Schweiz aufhaltenden Frauen zu berücksichtigen (BGE 128 IV 117 E. 4a). Ob das Einverständnis in die Tätigkeit als Prostituierte aus freien Stücken erfolgt, beurteilt sich nach den sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen, unter denen sich die Frauen zur Prostitution entschliessen. Erfolgt die Entscheidung aus einer ernsthaften wirtschaftlichen Bedrängnis aufgrund der Armut und den schlechten sozialen Verhältnissen im Heimatland heraus, ist sie nicht freiwillig (BGE 128 IV 117 E. 5a und c). Dies trifft hier uneingeschränkt zu. Die Beschwerdegegnerin 2 hat in die Tätigkeit als Prostituierte nicht bloss eingewilligt, um ihre eigene Situation zu verbessern. Nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz stand sie nach ihrer Trennung von ihrem Ehemann wirtschaftlich absolut mit leeren Händen da und befand sich, angesichts der Notwendigkeit, für die beiden Kinder aufzukommen, in einer auswegslosen Lage (angefochtenes Urteil S. 18). Sie hat mithin aus einer Situation der Bedürftigkeit und Verwundbarkeit der Tätigkeit als Prostituierte zugestimmt. Ihre Einwilligung kann daher nicht als freiwillig erachtet werden. 
 
Wie die Vorinstanz schliesslich zutreffend feststellt, war den Beschwerdeführern diese wirtschaftliche Bedrängnis der Beschwerdegegnerin 2 bekannt, und haben sie wissentlich davon profitiert. Damit ist der Schuldspruch wegen Menschenhandels nicht zu beanstanden. 
 
Die Beschwerden erweisen sich daher als unbegründet. 
 
5. 
Aus diesen Gründen sind die Beschwerden abzuweisen. Bei diesem Ausgang tragen der Beschwerdeführer und die Beschwerdeführerin die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens (Art. 66 Abs. 1 BGG). Da ihre Rechtsbegehren von vornherein als aussichtslos erschienen, sind ihre Gesuche um unentgeltliche Rechtspflege abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Mit dem Entscheid in der Sache wird das Gesuch der Beschwerdeführerin um aufschiebende Wirkung gegenstandslos. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerden werden abgewiesen. 
 
2. 
Die Gesuche um unentgeltliche Rechtspflege werden abgewiesen. 
 
3. 
Die Gerichtskosten von je Fr. 800.-- werden dem Beschwerdeführer und der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 29. April 2010 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Favre Boog