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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
8C_250/2013  
   
   
 
 
 
Urteil vom 29. Juli 2013  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin, 
Bundesrichter Ursprung, Bundesrichterin Heine, 
Gerichtsschreiberin Polla. 
 
Verfahrensbeteiligte 
C.________, 
vertreten durch Advokatin Raffaella Biaggi, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle Basel-Stadt, Lange Gasse 7, 4052 Basel,  
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 12. Dezember 2012. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Der 1956 geborene C.________ studierte in seinem Heimatland Türkei Wirtschaft, türkische Sprache und Literatur. Nachdem er 1986 in der Schweiz ein Asylgesuch gestellt hatte, erhielt er später die Niederlassungsbewilligung und übte von 1986 bis 1993 verschiedene Tätigkeiten aus. Bis 1999 studierte er an der Universität X.________ Wirtschaft, deutsche Philologie und Informatiklinguistik. Parallel dazu arbeitete C.________ als Netzwerkadministrator. Von Juli 2002 bis März 2006 war er als Inhaber einer Einzelfirma für Informatik-Dienstleistungen selbstständig erwerbend. Ergänzend erhielt er von 2004 bis 2006 wirtschaftliche Sozialhilfe. Im März 2005 fand für kurze Zeit eine psychiatrische Behandlung statt. Wegen seines Krankheitserlebens reiste er am 24. März 2006 in die Türkei. Am 19. Juni 2007 beantragte er bei der Türkischen Generaldirektion der Sozialversicherungen (Sosyal Sigortalar Kurumlu [SSK]) die Überweisung der zu seinen Gunsten an die Schweizerische Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) geleisteten Beiträge. Nach erfolgter Prüfung veranlasste die Schweizerische Ausgleichskasse (SAK) mit Verfügung vom 12. November 2007 die Auszahlung der entsprechenden Beiträge für die Jahre 1986 bis 2003 von insgesamt Fr. 41'713.85 an die SSK.  
 
A.b. Nachdem C.________ am 5. November 2008 in die Schweiz zurückkehrte, meldete er sich unter Hinweis auf psychische Probleme bei der IV-Stelle Basel-Stadt zum Leistungsbezug an. Gestützt auf das psychiatrische Gutachten des Dr. med. K.________, vom 5. September 2011, stellte ihm die Verwaltung mit Vorbescheid vom 26. September 2011 den Anspruch auf eine ganze Rente der Invalidenversicherung in Aussicht. In der Folge informierte die Ausgleichskasse Basel-Stadt die IV-Stelle darüber, dass C.________ die Mindestbeitragsdauer für den Bezug einer IV-Rente nicht erfülle, da die SAK seine AHV-Beiträge an die SSK überwiesen habe. Mit Vorbescheid vom 10. Januar und Verfügung vom 24. April 2012 verneinte die IV-Stelle einen Rentenanspruch des C.________.  
 
B.  
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt mit Entscheid vom 12. Dezember 2012 ab. 
 
C.  
C.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei ihm die gesetzliche Invalidenrente zuzusprechen, eventualiter sei die Sache an die IV-Stelle zur Neubeurteilung zurückzuweisen. Ferner sei ihm die unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung zu bewilligen. 
Während die IV-Stelle auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Dabei legt das Bundesgericht seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann eine - für den Ausgang des Verfahrens entscheidende (vgl. Art. 97 Abs. 1 BGG) - Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder wenn sie auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2.  
Die Beschwerde richtet sich gegen die vorinstanzliche Verneinung eines Rentenanspruchs mit der Begründung, die Auszahlung des AHV-Guthabens an die SSK sei unrechtmässig erfolgt, da der Beschwerdeführer weder die Schweiz als seinen Wohnort aufgegeben habe noch in Bezug auf seinen Antrag auf Überweisung urteilsfähig gewesen sei. Streitig ist, ob Vorinstanz und Verwaltung die versicherungsmässigen Voraussetzungen der genannten Leistungen zu Recht als nicht erfüllt erachtet haben. 
 
3.  
 
3.1.  
 
3.1.1. Im kantonalen Entscheid werden die für schweizerische und ausländische Staatsangehörige mit Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt in der Schweiz geltenden versicherungsmässigen und leistungsspezifischen Voraussetzungen des Anspruchs auf (ordentliche und ausserordentliche) Rentenleistungen der Invalidenversicherung zutreffend dargelegt (vgl. Art. 6 Abs. 2 IVG, Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Republik Türkei über Soziale Sicherheit vom 1. Mai 1969 und dessen Schlussprotokoll [SR 0.831.109.763.1]). Darauf wird verwiesen.  
 
3.1.2. Feststellungen über innere oder psychische Tatsachen - wie beispielsweise was jemand wollte, wusste, beabsichtigte, in Kauf nahm, womit er rechnete, in welcher Absicht und aus welchen Beweggründen er handelte oder hypothetisch gehandelt hätte, ob er volle Einsicht in sein Handeln hatte - sind Sachverhaltsfeststellungen (BGE 130 IV 58 E. 8.5 S. 62; nicht publ. E. 3.1 f. des Urteils BGE 133 V 640; Urteil 8C_55/2008 vom 5. März 2008 E. 3 mit Hinweis; Meyer/Dormann in: Niggli/Uebersax/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl. Basel 2011, Art. 105 N. 34b). Rechtsfrage ist hingegen der Schluss aus einem bestimmten Geisteszustand (Tatfrage) auf das Vorhandensein oder Fehlen der Urteilsfähigkeit (vgl. E. 4.2 hienach), soweit dies vom Begriff der Urteilsfähigkeit selbst abhängt bzw. von der allgemeinen Lebenserfahrung oder vom hohen Grad der Wahrscheinlichkeit, der für den Ausschluss dieser Fähigkeit erforderlich ist (BGE 124 III 5 E. 4 Ingress S. 13; 111 V 58 E. 3c S. 62; Urteile 5P.39/2004 vom 6. Oktober 2004 E. 4.3 und K 125/98 vom 3. Mai 1999 E. 3c; Meyer/Dormann, a.a.O., Art. 105 N. 35d).  
 
3.2. In BGE 136 V 33 hielt das Bundesgericht fest, dass die Rückvergütung von AHV-Beiträgen den Ausschluss eines aus diesen Beiträgen abgeleiteten anwartschaftlich bestehenden Rentenanspruchs bewirkt (Art. 18 Abs. 3 AHVG in Verbindung mit Art. 6 der Verordnung vom 29. November 1995 über die Rückervergütung der von Ausländern an die Alters- und Hinterlassenenversicherung bezahlten Beiträge [RV-AHV, SR 831.131.12]; Urteil [des Eidg. Versicherungsgerichts] H 48/05 vom 28. Juni 2005 E. 2.1). Diese Konsequenz ergibt sich schliesslich auch klar aus Art. 10a Abs. 2 des schweizerisch-türkischen Sozialversicherungsabkommens: Danach können türkische Staatsangehörige, deren Beiträge nach Abs. 1 an die türkische Sozialversicherung überwiesen wurden, gegenüber der schweizerischen AHV und IV aufgrund dieser Beiträge keinerlei Ansprüche mehr geltend machen. Mit der Auszahlung der Beiträge verzichtet der Ausländer definitiv auf entsprechende Leistungen der schweizerischen AHV/IV (Urteil [des Eidg. Versicherungsgerichts] H 383/00 vom 12. Juli 2001 E. 3c). Diese Regelung ist auch im Ergebnis nicht unbillig; denn die entsprechenden Beiträge werden gemäss Art. 10a Abs. 3 des Abkommens an den zuständigen türkischen Versicherungsträger weitergeleitet und für den Erwerb des Anspruchs auf eine türkische Rente den türkischen Beiträgen und Zeiten gleichgestellt; ergibt sich aus der Überweisung für den Versicherten kein Vorteil aus der türkischen Rentenversicherung, so zahlt der zuständige Träger dem Berechtigten die überwiesenen Beiträge aus. Diese sind somit für den Beschwerdeführer nicht verloren, sondern werden im Sinne einer völkerrechtlich geregelten und damit für das Bundesgericht verbindlichen (Art. 190 BV) internationalen Koordinationsregelung im Rahmen der türkischen, und nicht mehr der schweizerischen Sozialversicherung berücksichtigt, wie das kantonale Gericht bereits richtig erwog.  
 
4.  
 
4.1. Die Vorinstanz hielt zutreffend fest, die beantragte Auszahlung an die SSK sei zu Recht erfolgt; obschon sich der Beschwerdeführer nicht offiziell beim Einwohneramt Basel-Stadt abgemeldet hatte, habe dieser am 24. März 2006 die Schweiz verlassen und am 12. November 2007 - somit eineinhalb Jahre nach seiner Ausreise - Antrag auf die Überweisung der AHV-Beiträge gestellt. Gemäss Antragsformular sei er am 13. März 2006 "für immer in die Türkei zurückgekehrt¨. Von der Türkei aus habe er seine Wohnung und seine Geschäftsräume gekündigt. Die Auszahlung durch die Zentrale Ausgleichskasse (ZAK) sei erst nach Überprüfung des Zentralen Ausländerregisters erfolgt, indem das Ausreisedatum vom 24. März 2006 vermerkt war. Die von der Vorinstanz auf Grund einer konkreten Beweiswürdigung beantworteten Tatfragen werden als falsch kritisiert, ohne dass der Beschwerdeführer darzulegen vermag, inwiefern diese Sachverhaltsfeststellungen offensichtlich unrichtig sein oder auf einer Rechtsverletzung nach Art. 95 BGG beruhen sollen (Art. 97 Abs. 1 BGG). Der Hinweis, die ZAK hätte weitere Abklärungen vornehmen müssen, gehen fehl, denn diese durfte gestützt auf die Gegebenheiten von seiner definitiven Ausreise ausgehen.  
 
4.2. Hinsichtlich des Einwandes, die Überweisung der AHV-Beiträge sei rechtswidrig gewesen, weil der Beschwerdeführer bei Antragsstellung nicht urteilsfähig gewesen sei, führte die Vorinstanz aus, der Beschwerdeführer leide zwar an einer paranoiden Schizophrenie, daraus könne jedoch nicht auf eine Urteilsunfähigkeit geschlossen werden, zumal keine entsprechende medizinische Feststellung bestehe. Diese Auffassung ist nicht bundesrechtswidrig. Daran vermag auch der Bericht der Frau Dr. med. W.________, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, vom 22. Dezember 2008 nichts zu ändern, wonach die Urteilsfähigkeit in manchen Belangen - insbesondere bezüglich Verfolgungswahn - beeinträchtigt sei. Die Vorinstanz legte nachvollziehbar dar, dass der Beschwerdeführer trotz mindestens seit März 2005 bestehender paranoider Schizophrenie mit Blick auf die von ihm veranlasste Auszahlung der AHV-Beiträge an die SSK als urteilsfähig anzusehen ist, zumal die Urteilsfähigkeit nur verneint werden darf, wenn hierfür ein hoher Wahrscheinlichkeitsgrad spricht (E. 3.1.2). Trotz psychotischer Zustände finden sich in den medizinischen Dokumenten keine Angaben darüber, dass der Beschwerdeführer seine Angelegenheiten aufgrund eingeschränkter Urteilsfähigkeit nicht mehr selbst zu besorgen vermöchte. So hielt Frau Dr. med. W.________ in Zusammenhang mit der Beurteilung seiner Arbeitsfähigkeit wohl eine Überforderung als selbstständiger Unternehmer fest, die diesbezügliche Urteilsfähigkeit schien sie offenbar nicht in Frage zu stellen (Bericht vom 15. Mai 2009). Dazu passt auch der von der Vorinstanz festgehaltene Umstand, dass der Beschwerdeführer über Monate hinweg die Überweisung der Beiträge verfolgt hatte und sich nach der Auszahlung erkundigte. Das kantonale Gericht konnte ohne dabei Bundesrecht zu verletzen daraus schlussfolgern, dass die SAK die Urteilsfähigkeit in Bezug auf die beantragte Überweisung vermuten durfte.  
 
5.  
Die Vorinstanz hat somit zu Recht den Anspruch des Beschwerdeführers auf eine Rente der Invalidenversicherung verneint. 
 
6.  
Dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege, einschliesslich der unentgeltlichen Verbeiständung, ist stattzugeben, da die Bedürftigkeit ausgewiesen ist, die Beschwerde nicht als aussichtslos bezeichnet werden kann und die anwaltliche Vertretung geboten war (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG; vgl. BGE 125 V 201 E. 4a S. 202 und 371 E. 5b S. 372). Es ist eine aufwandgemässe Entschädigung zuzusprechen. Der Beschwerdeführer wird indessen darauf hingewiesen, dass er der Gerichtskasse Ersatz zu leisten hat, wenn er später dazu in der Lage ist (Art. 64 Abs. 4 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und Advokatin Raffaella Biaggi wird als unentgeltliche Anwältin bestellt. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes vorläufig auf die Gerichtskasse genommen. 
 
4.  
Der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers wird aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1800.- ausgerichtet. 
 
5.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 29. Juli 2013 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Leuzinger 
 
Die Gerichtsschreiberin: Polla