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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
8C_415/2014  
   
   
 
 
 
Urteil vom 29. August 2014  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin, 
Bundesrichter Maillard, Bundesrichterin Heine, 
Gerichtsschreiber Grunder. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Andreas Petrik, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons St. Gallen,  
Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Invalidenrente), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 20. März 2014. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Der 1953 geborene A.________ meldete sich am 6. Februar 2011 wegen Arthrose in den Schultergelenken zum Leistungsbezug bei der Invalidenversicherung an. Die IV-Stelle des Kantons St. Gallen tätigte berufliche Abklärungen (Fragebogen für Arbeitgebende der B.________ GmbH, vom 21. November 2011 und Auszug aus dem individuellen Konto) und holte u.a. das interdisziplinäre Gutachten der Medizinischen Abklärungsstelle C.________, vom 3. August 2012 ein. Nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren lehnte sie mit Verfügung vom 15. November 2012 einen Anspruch auf Invalidenrente mangels leistungsbegründenden Invaliditätsgrades ab. 
 
B.   
Die hiegegen eingereichte Beschwerde, mit welcher der Versicherte beantragen liess, ihm sei eine ganze Invalidenrente zuzusprechen, eventualiter sei die Sache für weitere Abklärungen zurückzuweisen, wies das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen ab (Entscheid vom 20. März 2014). 
 
C.   
Mit Beschwerde lässt A.________ die vorinstanzlich gestellten Rechtsbegehren erneuern. Ferner ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. 
 
Das Bundesgericht führt keinen Schriftenwechsel durch. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Eine Beanstandung des Sachverhalts ist nur möglich, wenn die Feststellung offensichtlich unrichtig erfolgte oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht sowie die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Die vorinstanzlichen, auf medizinischen Untersuchungen beruhenden Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit der versicherten Person sind grundsätzlich Entscheidungen über eine Tatfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 ff.), die das Bundesgericht seiner Urteilsfindung zugrunde zu legen hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Ebenfalls Tatfrage ist die konkrete Beweiswürdigung. Dagegen sind die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes und der Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c ATSG Rechtsfragen (BGE 132 V 393 E. 3.2 und 4 S. 397 ff.), die das Bundesgericht im Rahmen der den Parteien obliegenden Begründungs- bzw. Rügepflicht (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 133 II 249 E. 1.4.1 und 1.4.2 S. 254) frei überprüfen kann, wendet doch das Bundesgericht das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Soweit die Beurteilung der Zumutbarkeit von Arbeitsleistungen auf die allgemeine Lebenserfahrung gestützt wird, geht es ebenfalls um eine Rechtsfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 ff.). Rechtsfrage ist ferner, nach welchen Gesichtspunkten die Entscheidung über die Verwertbarkeit der Restarbeitsfähigkeit erfolgt (Urteil 9C_190/2009 vom 11. Mai 2009 E. 3.3). 
 
2.   
Das fortgeschrittene Alter wird, obgleich an sich ein invaliditätsfremder Faktor, in der Rechtsprechung als Kriterium anerkannt, welches zusammen mit weiteren persönlichen und beruflichen Gegebenheiten dazu führen kann, dass die einer versicherten Person verbliebene Resterwerbsfähigkeit auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt realistischerweise nicht mehr nachgefragt wird, und dass ihr deren Verwertung auch gestützt auf die Selbsteingliederungspflicht nicht mehr zumutbar ist (BGE 107 V 17 E. 2c S. 21; Urteile I 401/01 vom 4. April 2002 E. 4b; I 831/05 vom 21. August 2006 E. 4.1.1 mit Hinweisen). Der Einfluss des Lebensalters auf die Möglichkeit, das verbliebene Leistungsvermögen auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt zu verwerten, lässt sich nicht nach einer allgemeinen Regel bemessen, sondern hängt ab von den Umständen, die mit Blick auf die Anforderungen der Verweisungstätigkeiten massgebend sind (beispielsweise Art und Beschaffenheit des Gesundheitsschadens und seiner Folgen; absehbarer Umstellungs- und Einarbeitungsaufwand und in diesem Zusammenhang auch Persönlichkeitsstruktur, vorhandene Begabungen und Fertigkeiten, Ausbildung, beruflicher Werdegang oder Anwendbarkeit von Berufserfahrung aus dem angestammten Bereich; Urteile 9C_124/2010 vom 21. September 2010 E. 5.1; 9C_427/2010 vom 14. Juli 2010 E. 2.4.1; I 617/02 vom 10. März 2003 E. 3.2.3). 
 
3.   
Zu prüfen ist die Rechtsfrage (E. 1 hievor; Urteil 8C_776/2008 vom 18. Juni 2009 E. 5.2), ob der Beschwerdeführer angesichts seines fortgeschrittenen Alters nach allgemeiner Lebenserfahrung in einem als ausgeglichen unterstellten Arbeitsmarkt (vgl. Art. 7 Abs. 1 und Art. 16 ATSG) noch als vermittelbar gelten und die ihm verbliebene Leistungsfähigkeit erwerblich verwerten kann. Zur Beurteilung dieser Frage ist auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem aus medizinischer Sicht die sich auf die Arbeitsfähigkeit auswirkenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen feststehen (BGE 138 V 457). 
 
4.  
 
4.1.  
 
4.1.1. Es ist unbestritten, dass zur Beurteilung des Gesundheitszustands und der Arbeitsfähigkeit auf das in allen Teilen beweiskräftige Gutachten der Medizinischen Abklärungsstelle C.________ vom 3. August 2012 abzustellen ist. Danach waren die Beeinträchtigungen an der rechten Schulter und dem rechten Arm als Zustand nach Implantation einer Gelenksprothese mit anschliessender Entwicklung einer Frozen Shoulder zu verstehen. Mit dem rechten Arm waren das Heben vom Boden bis Taillenhöhe noch für Lasten bis 7 kg, das Tragen einhändig sowie Stossen und Ziehen von Lasten noch bis 10 kg möglich. Wegen der fehlenden Beweglichkeit in der Schulter vermochte der Versicherte keine Lasten mehr über Taillenhöhe zu heben. Er war für Verrichtungen mit der rechten Hand, bei welchen nur Ellenbogen, Handgelenk und Finger, nicht aber die Schulter eingesetzt werden mussten, einsatzfähig. Das Tragen vorne beidseitig war noch für Lasten bis 15 kg möglich. Auch in der linken Schulter bestand eine entsprechende Bewegungseinschränkung. Wegen dieser Behinderungen war der Versicherte im zuletzt ausgeübten Beruf nicht mehr, in einer Verweisungstätigkeit, bei welchen er nicht Kälte, Nässe oder Zugluft ausgesetzt wäre, hiegegen vollständig arbeitsfähig.  
 
4.1.2. Zur Verwertbarkeit der verbliebenen Arbeitsfähigkeit hat die Vorinstanz erwogen, zumindest Kontroll- und Überwachungstätigkeiten seien zumutbar, da dabei die Arme nur selten sowie ohne kraftfordernde oder andere ungünstige Bewegungen eingesetzt werden müssten und im Übrigen die Feinmotorik laut Gutachten der Medizinischen Abklärungsstelle C.________ erhalten sei. Die fehlenden Deutschkenntnisse hinderten die Aufnahme einer leidensadaptierten Hilfstätigkeit nicht, zumal solche dazu nicht notwendig seien. Allerdings erschwere das fortgeschrittene Alter die Verwertbarkeit der verbliebenen Arbeitsfähigkeit auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt, weil anzunehmen sei, dass ein potentieller Arbeitgeber ältere Hilfsarbeiter ohne gewinnbringende berufliche Erfahrung nur zu einem unterdurchschnittlichen Lohn einsetzen würde. Daher rechtfertige es sich, von dem gestützt auf Tabellenlöhne zu ermittelnden Invalideneinkommen einen Abzug gemäss BGE 126 V 75 von 15 % vorzunehmen.  
 
4.2.  
 
4.2.1. Der Beschwerdeführer macht im Wesentlichen geltend, der vorliegende Sachverhalt sei vergleichbar mit demjenigen, der dem Urteil 9C_954/2012 vom 10. Mai 2013 (publ. in: Plädoyer 2013, Heft 4, S. 57) zugrunde lag. Danach hatte der Versicherte während 25 Jahren als Portier im gleichen Hotel gearbeitet, in welcher körperlich mittel- bis schweren Tätigkeit er sich keine feinmotorischen Fähigkeiten aneignen konnte; ein wesentlicher Teil der ihm zumutbaren, leichten Verweisungstätigkeiten, die teils stehend, teils sitzend verrichtet werden konnten und kein Tragen über 5 kg oder Überkopfarbeiten erforderten, fielen ausser Betracht, weil er schmerzbedingt nur eingeschränkt ziehen oder stossen und Verrichtungen mit den Händen vornehmen konnte; hinzu kamen gehäuft aufgetretene symptomatische Hypoglykämien, die Schichtdienste sowie das Führen von Fahrzeugen und Maschinen verhinderten; in Frage kamen daher am ehesten Kontroll- und Überwachungsarbeiten in der Industrie, für welchen Berufswechsel der 60 Jahre alte Versicherte ein hohes Mass an Anpassungsfähigkeit hätte aufbringen müssen, was angesichts der beruflichen Karriere wenig wahrscheinlich erschien (E. 3.2.1 f.).  
 
4.2.2. Der Beschwerdeführer übersieht, dass er allein wegen der Frozen Shoulder rechts sowie der damit vergleichbaren Symptomatik am linken Schultergelenk in der Arbeitsfähigkeit eingeschränkt war. Daneben litt er an keinen weiteren körperlichen oder psychischen Beeinträchtigungen. Ihm war insbesondere möglich, einhändig Lasten bis 10 kg zu stossen und zu ziehen oder vorne beidhändig Lasten bis 15 kg zu tragen; zudem war er für feinmotorisch zu verrichtende Tätigkeiten nicht beeinträchtigt. Unter diesen Umständen ist - anders als im Falle von 9C_954/2012 - anzunehmen, dass er leichte Montage-, industrielle Fertigungs- oder Abpackarbeiten (worauf im Gutachten der Medizinischen Abklärungsstelle C.________ vom 3. August 2012 hingewiesen wurde) sowie Kontroll- oder Überwachungsfunktionen uneingeschränkt arbeitsfähig war. Schliesslich spricht der in der Beschwerde unter Hinweis auf das Gutachten der Medizinischen Abklärungsstelle C.________ dargelegte berufliche Werdegang gegen die Annahme, dass er sich an die neuen Gegebenheiten nicht anzupassen vermochte. So war der Beschwerdeführer als angelernter Mitarbeiter von 1978 bis 1989 bei der Hero, von 1991 bis 2000 als Kontrolleur bei der Firma D.________ mit leichten bis mittelschweren Tätigkeiten (Überprüfen von Serumröhrchen auf die Dichtigkeit hin) und nach einem Aufenthalt im Heimatland, wo er im Betrieb des Vaters in der Landwirtschaft arbeitete (2000 bis 2008), ab Januar 2009 bei der B.________ GmbH beschäftigt, die ihm eine Arbeitsgelegenheit zuwies, bei der er 5 bis 10 kg schwere Eiskartons stapelte. Insgesamt übersieht der Beschwerdeführer, dass nach ständiger Rechtsprechung das fortgeschrittene Alter allein nicht entscheidend ist zur Beurteilung der Frage, inwiefern der versicherten Person die Verwertung der verbliebenen Arbeitsfähigkeit auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt noch zumutbar ist (vgl. E. 2 hievor).  
 
4.3. Der Beschwerdeführer wendet gegen die vorinstanzliche Bestimmung des Invaliditätsgrades gemäss Art. 16 ATSG nichts ein, weshalb mit dem kantonalen Gericht ohne Weiteres davon auszugehen ist, dass er ein den Anspruch auf eine Invalidenrente ausschliessendes Invalideneinkommen zu erzielen vermochte.  
 
5.   
Dem Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ist stattzugeben, da die Bedürftigkeit ausgewiesen ist, die Beschwerde nicht als aussichtslos bezeichnet werden kann und die anwaltliche Vertretung geboten war (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG; vgl. BGE 125 V 201 E. 4a S. 202 und 371 E. 5b S. 372). Dem Beschwerdeführer wird eine angemessene Entschädigung zugesprochen (Art. 64 Abs. 2 Satz 2 BGG). Er wird indessen darauf hingewiesen, dass er der Gerichtskasse Ersatz zu leisten hat, wenn er später dazu in der Lage ist (Art. 64 Abs. 4 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und Rechtsanwalt Andreas Petrik wird als unentgeltlicher Anwalt bestellt. 
 
3.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes vorläufig auf die Gerichtskosten genommen. 
 
4.   
Dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers wird aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1'400.- ausgerichtet. 
 
5.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 29. August 2014 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Leuzinger 
 
Der Gerichtsschreiber: Grunder