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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 7} 
I 741/06 
 
Urteil vom 31. Januar 2007 
II. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident, 
Bundesrichter Borella, Seiler, 
Gerichtsschreiber Maillard. 
 
Parteien 
IV-Stelle Luzern, Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern, Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
1. P.________, 1994, 
vertreten durch seine Eltern R.________ und S.________ und diese vertreten durch den Procap, Schweizerischer Invaliden-Verband, Froburgstrasse 4, 4600 Olten, 
2. CSS Versicherung AG, Tribschenstrasse 21, 6005 Luzern, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom 3. August 2006. 
 
Sachverhalt: 
A. 
P.________, geboren 1994, leidet seit einer 1995 erlittenen Streptokokkensepsis an einer Spitzfussstellung und einer Beinverkürzung rechts. Die IV-Stelle Luzern gewährte ihm zunächst verschiedene medizinische Massnahmen. Mit Verfügung vom 30. April 2004, bestätigt durch Einspracheentscheid vom 19. August 2005, lehnte sie jedoch weitere medizinische Massnahmen (insbes. Spitalbehandlung, Physiotherapie und Mietkosten für Elektro-Stimulator) ab. 
B. 
Das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Sozialversicherungs-rechtliche Abteilung, hiess die gegen den Einspracheentscheid erhobenen Beschwerden von P.________ und der CSS Kranken-Versicherung AG (nachfolgend: CSS) mit Entscheid vom 3. August 2006 gut und hob den Einspracheentscheid vom 19. August 2005 auf. Die IV-Stelle wurde verpflichtet, auch über den 31. Dezember 2003 hinaus für die medizinischen Massnahmen (namentlich Spitalbehandlung, Physiotherapie, Mietkosten für Compex-Stimulator) aufzukommen. 
C. 
Die IV-Stelle Luzern führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben. 
 
P.________, die CSS und das kantonale Gericht beantragen Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Das Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (BGG [SR 173.110]) ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205 und 1243). Da der angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 395 Erw. 1.2). 
2. 
Der angefochtene Entscheid betrifft Leistungen der Invalidenversicherung. Das Bundesgericht prüft daher nur, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzte, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt wurde (Art. 132 Abs. 2 OG [in der Fassung gemäss Ziff. III des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Änderung des IVG, in Kraft seit 1. Juli 2006] in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG). 
3. 
3.1 Streitig und zu prüfen ist, ob der Beschwerdegegner über den 31. Dezember 2003 hinaus Anspruch auf Übernahme der anbegehrten medizinischen Massnahmen hat. 
3.2 Nach Art. 12 IVG und Art. 2 Abs. 1 IVV besteht ein Anspruch auf Übernahme medizinischer Massnahmen durch die Invalidenversicherung, wenn durch diese Vorkehr stabile oder wenigstens relativ stabilisierte Folgezustände von Geburtsgebrechen, Krankheit oder Unfall - im Einzelnen: Beeinträchtigungen der Körperbewegung, der Sinneswahrnehmung oder der Kontaktfähigkeit - behoben oder gemildert werden, um die Erwerbsfähigkeit dauernd und wesentlich zu verbessern oder vor wesentlicher Beeinträchtigung zu bewahren (BGE 120 V 279 Erw. 3a; AHI 2003 S. 104 Erw. 2; SVR 1995 IV Nr. 34 S. 89 f. Erw. 1a). 
 
Vom strikten Erfordernis der Korrektur stabiler Funktionsausfälle oder Defekte ist im Falle von Minderjährigen gegebenenfalls abzusehen (vgl. Art. 5 Abs. 2 IVG und Art. 8 Abs. 2 ATSG). Hier können medizinische Vorkehren schon dann überwiegend der beruflichen Eingliederung dienen und trotz des einstweilen noch labilen Charakters des Leidens von der Invalidenversicherung übernommen werden, wenn ohne diese Vorkehren eine Heilung mit Defekt oder ein anderer stabilisierter Zustand einträte, welcher die Berufsbildung oder die Erwerbsfähigkeit voraussichtlich beeinträchtigen würde. Die entsprechenden Kosten werden bei Minderjährigen also von der Invalidenversicherung getragen, wenn das Leiden mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem schwer korrigierbaren, die spätere Ausbildung und Erwerbsfähigkeit erheblich behindernden stabilen pathologischen Zustand führen würde (BGE 131 V 21 Erw. 4.2 mit Hinweisen). 
4. 
Die Vorinstanz hat in einlässlicher Würdigung der medizinischen Unterlagen, insbesondere der vom Versicherten im kantonalen Verfahren aufgelegten Berichte des Universitäts-Kinderspitals beider X.________ vom 26. September 2005 und 8. Dezember 2005 festgestellt, dass die bisherigen und die noch geplanten medizinischen Massnahmen eine Funktionsverbesserung des rechten Beines, bei zwar stabilem, aber noch verbesserungswürdigem Zustand bezwecken würden. Die medizinischen Vorkehren könnten den ursprünglichen Defektzustand (Fehlstellung und Beinverkürzung nach Streptokokken-Infekt) zwar nicht vollumfänglich beseitigen, jedoch könnten durch sie die negativen Auswirkungen des Defekts im Alltag erheblich vermindert werden und würde ohne sie aller Voraussicht nach ein stabilisierter Zustand eintreten, durch welchen die spätere Erwerbsfähigkeit des Versicherten nachhaltig beeinträchtigt wäre. 
4.1 Die vorinstanzliche Annahme, die anbegehrten medizinischen Massnahmen würden die berufliche Eingliederung des Versicherten verbessern, ist weder offensichtlich unrichtig, noch unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen getroffen worden, und daher für das Bundesgericht verbindlich (vgl. Erw. 2). 
4.2 Soweit die Beschwerdeführerin die Klassifizierung des Berichtes der Universitäts-Kinderspitals beider X.________ vom 26. September 2005 als Gutachten in Frage stellt, trifft es zwar zu, dass Berichte der behandelnden Ärzte aufgrund deren auftragsrechtlichen Vertrauensstellung zum Patienten mit Vorbehalt zu würdigen sind (BGE 125 V 353 Erw. 3b/cc). Dies gilt für den allgemein praktizierenden Hausarzt wie den behandelnden Spezialarzt (Urteil S. vom 20. März 2006, I 655/05 Erw. 5.4 mit Hinweisen). Es ist aber zu beachten, dass diese Berichte - wie alle anderen Beweismittel auch - im Verfahren vor dem kantonalen Versicherungsgericht der freien Beweiswürdigung unterliegen (Art. 61 lit. c in fine ATSG; vgl. dazu BGE 125 V 352 Erw. 3a). Hinsichtlich des Beweiswertes eines Arztberichtes ist also entscheidend, ob der Bericht für die streitigen Belange umfassend ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht, auch die geklagten Beschwerden berücksichtigt, in Kenntnis der Vorakten (Anamnese) abgegeben worden ist, in der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge und der medizinischen Situation einleuchtet und ob die Schlussfolgerungen des Experten begründet sind. Ausschlaggebend für den Beweiswert ist grundsätzlich somit weder die Herkunft eines Beweismittels noch die Bezeichnung der eingereichten oder in Auftrag gegebenen Stellungnahme als Bericht oder Gutachten (BGE 125 V 352 Erw. 3a). 
4.3 Während die Vorinstanz ihre Feststellungen auf den genannten, in sich schlüssigen und überzeugenden Bericht vom 26. September 2005 stützen kann, liegt keine davon abweichende fachärztliche Stellungnahme bei den Akten, welche die anderslautenden Schlussfolgerungen der Beschwerdeführerin untermauern könnten. Die letzte Eintragung des Regionalen ärztlichen Dienst der Invalidenversicherung im Verlaufsprotokoll datiert vom 17. August 2004. Der von der Beschwerdeführerin kritisierte Bericht wird im Übrigen vom Bericht des Universitäts-Kinderspitals beider X.________ vom 8. Dezember 2005 in allen Teilen bestätigt. Diesen Bericht hat ein anderer Facharzt, gegen den die Beschwerdeführerin keine Vorbehalte erhebt, verfasst. 
4.4 Aufgrund des von der Vorinstanz rechtskonform festsgestellten Sachverhalts sind die Voraussetzungen, unter denen ein Minderjähriger Anspruch auf medizinische Massnahmen der Invalidenversicherung hat, erfüllt. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist damit unbegründet und abzuweisen. 
5. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 134 Satz 2 OG in der seit 1. Juli 2006 geltenden Fassung). Die Gerichtskosten sind der Beschwerdeführerin als unterliegender Partei aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG). Dem Prozessausgang entsprechend hat der durch die Procap, Schweizerischer Invaliden-Verband, vertretene Beschwerdegegner Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 159 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 135 OG; BGE 122 V 278). 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet. 
3. 
Die Beschwerdeführerin hat dem Beschwerdegegner für das Verfahren vor dem Bundesgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1000.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse Luzern und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt. 
Luzern, 31. Januar 2007 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: