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Ecriture agrandie
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
5A_671/2008 /ber 
 
Urteil vom 3. November 2008 
II. zivilrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Raselli, Präsident, 
Bundesrichterinnen Escher, Jacquemoud-Rossari, 
Gerichtsschreiber Zbinden. 
 
Parteien 
X.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Roger Burges, 
 
gegen 
 
Obergericht des Kantons Bern, kantonale Rekurskommission für fürsorgerische Freiheitsentziehungen, Hochschulstrasse 17, 
3012 Bern, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
unentgeltliche Rechtspflege (fürsorgerische Freiheitsentziehung), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts 
des Kantons Bern, kantonale Rekurskommission 
für fürsorgerische Freiheitsentziehungen, vom 10. September 2008. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
X.________ wurde mit Verfügung des Regierungstatthalteramtes Thun vom 21. August 2008 gestützt auf die Bestimmungen über den fürsorgerischen Freiheitsentzug auf unbestimmte Zeit in das Psychiatriezentrum Münsingen (PZM) eingewiesen. Die Einweisung war mit der deutlichen Verwahrlosung des Betroffenen bei gleichzeitiger Überbelastung des Umfeldes und einer Benzodiazepinintoxikation begründet, die zur Bewusstlosigkeit des Betroffenen führte und dessen notfallmässige Einlieferung in das Spital erforderte. 
 
B. 
Der durch Rechtsanwalt Burges vertretene Betroffene rekurrierte dagegen an die kantonale Rekurskommission für fürsorgerische Freiheitsentziehung und ersuchte um Entlassung; ferner beantragte er die unentgeltliche Rechtspflege mit Bestellung seines Anwalts als unentgeltlichen Rechtbeistand. Mit Urteil vom 10. September 2008 wies die Kommission sowohl den Rekurs in der Sache (Ziffer 1) als auch das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ab und gewährte keine Entschädigung (Ziffer 2 und 3). 
 
C. 
Der Betroffene gelangt mit Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht und beantragt, die Ziffern 2 und 3 des Urteils der Rekurskommission aufzuheben, die unentgeltliche Rechtspflege zu bewilligen und ihm einen amtlichen Rechtsbeistand in der Person von Rechtsanwalt Burges zu bestimmen. Für das Verfahren vor Bundesgericht ersucht er ebenso um unentgeltliche Rechtspflege. Die kantonale Rekurskommission schliesst auf Abweisung des Rekurses. 
 
D. 
Der Beschwerdeführer hat sich im Anschluss an die Vernehmlassung der Rekurskommission mit einer am 20. Oktober 2008 der Post übergebenen Eingabe unaufgefordert vernehmen lassen. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
1.1 Angefochten ist ein letztinstanzlicher Entscheid (Art. 75 Abs. 1 BGG), mit dem die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung in einem Verfahren der fürsorgerischen Freiheitsentziehung verweigert worden ist. Dabei handelt es sich um einen Zwischenentscheid, der einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG; BGE 129 I 129 E. 1.1), dessen ungeachtet, ob er während des Hauptverfahrens, zusammen mit dessen Endentscheid oder nach diesem ergangen ist (Urteil 5A_108/2007 vom 11. Mai 2007, E. 1.2). 
 
1.2 Bei Zwischenentscheiden folgt der Rechtsweg jenem der Hauptsache. Diese betrifft einen kantonalen Entscheid über die fürsorgerische Freiheitsentziehung (Art. 397a ZGB), gegen den die Beschwerde in Zivilsachen gegeben ist (Art. 72 Abs. 2 lit. b Ziff. 6 BGG). Ist sie gegen die Hauptsache zulässig, kann sie auch gegen den vorgenannten Zwischenentscheid ergriffen werden. Mit der Beschwerde in Zivilsachen kann eine Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG), zu dem laut der Begriffsbestimmung des BGG auch das Verfassungsrecht gehört. Gerügt werden kann ferner eine Verletzung des Völkerrechts (Art. 95 lit. b BGG). 
 
2. 
2.1 Die Rekurskommission verweigerte die unentgeltliche Rechtspflege und den unentgeltlichen Rechtsbeistand mit der Begründung, es sei dem eloquenten Beschwerdeführer möglich und zumutbar gewesen, seine Interessen persönlich vor Gericht sachgerecht zu vertreten. 
 
2.2 Der Beschwerdeführer macht geltend, Eloquenz bedeute lediglich, dass sich eine Person in einer bestimmten Sprache äussern könne, sage aber nichts über deren Fähigkeit aus, sich im Verfahren betreffend fürsorgerische Freiheitsentziehung allein zurecht zu finden. Der obergerichtliche Entscheid sei ungenügend begründet. Das Obergericht erwähne, er leide an einer Suchterkrankung mit ihren Folgeerscheinungen, welche sich offenbar dazu eigne, das rationale Denken auszuschalten, und hebe überdies hervor, dass er seit frühster Jugend mit verschiedensten Suchtmitteln in Kontakt gekommen sei. Im Januar 2008 habe sich seine Wohnung nach einem vorangegangenen Mischkonsum von Kokain, Heroin, Benzodiazepinen und Hanf total verwahrlost präsentiert. Der Beschwerdeführer verweist sodann auf die Verfügung vom 21. August 2008, wonach die Einweisung wegen deutlicher Verwahrlosung bei gleichzeitiger Überbelastung des Umfeldes und einer Benzodiazepinintoxikation erfolgte, welche Vergiftung seine Bewusstlosigkeit und die notfallmässige Spitaleinweisung zur Folge gehabt habe. Hingewiesen wird schliesslich auf das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADS), dessentwegen der Beschwerdeführer seit 2007 mit Ritalin behandelt wird. All dies spricht nach Ansicht des Beschwerdeführers insgesamt klar gegen die Fähigkeit, sich im Verfahren ohne fachkundige Hilfe eines Anwalts zurecht zu finden. 
 
2.3 Das Obergericht räumt in seiner Vernehmlassung ein, es liege eine Suchterkrankung mit ihren Folgeerscheinungen vor, welche indes zum Zeitpunkt der Verhandlung die Urteilsfähigkeit des Beschwerdeführers nicht beeinträchtigt habe. Der Beschwerdeführer sei sich zudem über die Möglichkeit, ein Rechtsmittel zu ergreifen, im Klaren gewesen. Unbegründet sei ferner der Vorwurf der mangelnden Begründung der Verfügung, sei doch aus dem angefochtenen Entscheid ersichtlich, dass die Angelegenheit keine komplexen Sach- und Rechtsfragen aufgeworfen habe und auch keine Gründe beim Betroffenen vorgelegen hätten, die den Beizug eines Rechtsvertreters erheischten. Mit Ausnahme eines adulten ADS leide der Beschwerdeführer an keiner seine Urteilsfähigkeit mindernden psychischen Störung. 
 
2.4 In seiner unaufgefordert eingereichten Replik vom 19. Oktober 2008 beharrt der Beschwerdeführer auf dem in der Beschwerde aufgeführten Standpunkt. 
 
3. 
3.1 Gemäss Art. 29 Abs. 3 BV hat die bedürftige Partei Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung, wenn ihre Interessen in schwerwiegender Weise betroffen sind und der Fall in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten bietet, die den Beizug eines Rechtsvertreters erforderlich machen. Dabei fallen neben der Komplexität der Rechtsfragen und der Unübersichtlichkeit des Sachverhalts auch in der Person des Betroffenen liegende Gründe in Betracht, wie etwa seine Fähigkeit, sich im Verfahren zurecht zu finden (BGE 128 I 225 E. 2.5.2 S. 232; 122 I 49 E. 2c/bb S. 51, 275 E. 3a S. 276; 120 Ia 43 E. 2a S. 44 f. mit Hinweisen). Dass das entsprechende Verfahren von der Untersuchungsmaxime beherrscht wird, schliesst die unentgeltliche Verbeiständung nicht aus (BGE 122 II 8; 125 V 32 E. 4b S. 36). Ein geistiges Gebrechen der betroffenen Person lässt indes für sich allein noch nicht auf deren Unfähigkeit schliessen, sich im Verfahren zurecht zu finden. In den Verfahren betreffend fürsorgerische Freiheitsentziehung leiden die Betroffenen in der Regel an derartigen gesundheitlichen Störungen, wobei sich aber immer wieder zeigt, dass sie dennoch ihre Rechte im Zusammenhang mit der Anstaltseinweisung ausreichend wahrnehmen können (SPIRIG, Zürcher Kommentar, N. 63 zu Art. 397d ZGB). In Fällen, wo das Verfahren besonders stark in die Rechtsstellung der betroffenen Person eingreift, muss die unentgeltliche Verbeiständung grundsätzlich geboten sein (BGE 119 Ia 264 E. 3b S. 265). Nichts anderes ergibt sich aus Art. 397f Abs. 2 ZGB, wonach das Gericht dem Betroffenen "wenn nötig" einen Beistand zu bestellen hat. Auch wenn nach dem Gesagten eine rechtskundige Verbeiständung im Verfahren betreffend fürsorgerische Freiheitsentziehung nicht generell geboten ist, muss angesichts der Schwere des Eingriffs bei Grenz- und Zweifelsfällen eher zu Gunsten der betroffenen Person entschieden werden (5A_368/2007 vom 18. September 2007, E. 3). 
 
3.2 Gestützt auf diese Grundsätze hat das Bundesgericht eine gegen die Verweigerung der unentgeltlichen Verbeiständung erhobene Beschwerde gutgeheissen, weil die Schwere der geistigen Störung begründete Zweifel aufkommen liess, dass die Betroffene auf sich allein gestellt in der Lage gewesen wäre, ihre Rechte vor Gericht wahrzunehmen (Urteil 5P.393/2006 vom 8. November 2006, E. 2.3). Eine weitere Gutheissung erfolgte in einem ähnlich gelagerten Fall, wobei hier die Schwere der geistigen Störung auf die Unfähigkeit zur selbständigen Wahrung der Interessen vor Gericht schliessen liess (Urteil 5A_368/2007 vom 18. September 2007, E. 2). Sodann wurde die anwaltliche Verbeiständung bei einem an einer psychotischen Störung leidenden Betroffenen mit langer Suchtkarriere als notwendig erachtet, wobei ein kurz vor der Verhandlung eingeholtes zusätzliches Gutachten eine verminderte Steuerungsfähigkeit im Rahmen einer schizoaffektiven Störung mit deutlich beeinträchtigtem Denken und Verfolgungswahn diagnostizierte (5A_310/2008 vom 6. Juni 2008). In einem weiteren Fall wurde Art. 29 Abs. 3 BV als verletzt betrachtet, weil einerseits die Schwierigkeit beim Abfassen einer formell korrekten Beschwerde nicht zu unterschätzen war und anderseits die wirksame Anfechtung auf Grund widersprüchlicher Grundlagen nicht einfach erschien (Urteil 5A_595/2007 vom 26. November 2007, E. 3.2; zu widersprüchlichen Gutachten: vgl. auch Urteil 5A_90/2008 vom 8. April 2008, E. 3). Gutgeheissen wurde schliesslich eine Beschwerde, weil sich der angefochtene Entscheid namentlich nicht zur Frage der Notwendigkeit der Verbeiständung äusserte (Urteil 5A_72/2007 vom 5. April 2007, E. 2.4). 
 
3.3 Bereits am 27. März 2008 wurde der Beschwerdeführer wegen einer durch Polytoxikomanie ausgelösten Verwahrlosung in das Psychiatriezentrum Münsingen eingewiesen. Am 21. August 2008 erfolgte eine weitere Verlegung in eine Anstalt durch den Regierungstatthalter aufgrund einer deutlichen Verwahrlosung bei gleichzeitiger Überbelastung des Umfeldes und wegen einer die notfallmässige Spitaleinweisung erfordernden Benzodiazepinvergiftung. Nach dem im angefochtenen Urteil erwähnten Bericht der Sozialdienste ist der Beschwerdeführer seit Jugendtagen mit verschiedensten Suchtmitteln in Kontakt gekommen, und es sind in der Folge verschiedenste Verurteilungen wegen Verstosses gegen das Betäubungsmittelgesetz ausgesprochen worden. Nach einer Phase selbstständigen Wohnens sei der Beschwerdeführer - so die Rekurskommission - im April 2005 erneut bei der Sozialhilfe mit der Bitte um Unterstützung vorstellig geworden; im August 2005 habe er seine Wohnung verloren und sei gemäss seinen persönlichen Ausführungen vier Monate zuvor mit Kokain "abgestürzt". Im Oktober 2005 sei ein Hausbesuch in der neuen seit September 2005 bezogenen Wohnung durchgeführt worden, wobei die Verhältnisse als "nicht wohnlich" aber akzeptabel beschrieben worden seien. Nach einem erneuten Hausbesuch im September 2006 habe der Sozialdienst aufgrund der angetroffenen Verwahrlosung im Wohnbereich unterstützend eingegriffen. Im Januar 2008 sei dann eine total verwahrloste Wohnung vorgefunden worden. Der Beschwerdeführer ist seit September 2006 aus eigener Initiative bei der Methadonabgabe angemeldet. Damals, so der Beschwerdeführer, habe er Kokain, Heroin, Benzodiazepine, Hanf und andere Substanzen konsumiert. Seit Mai 2007 wird der Beschwerdeführer aufgrund der Diagnose ADS mit Ritalin behandelt. Ferner hat er seinen eigenen Angaben zufolge Antidepressiva eingenommen. Der Beschwerdeführer wurde sodann mit Verfügung des Regierungstatthalters vom 12. August 2008 in die Villa Schlossberg eingewiesen. Nach dem Bericht der Psychiatriedienste Thun vom 18. August 2008 über die Zuweisung musste der Beschwerdeführer nach einer Überdosis aus der Toilette der Villa Schlossberg befreit und notfallmässig in ärztliche Pflege verbracht werden. Im Zusammenhang mit dem Aufenthalt in der Villa wird berichtet, der Beschwerdeführer sei für die Institution nicht mehr tragbar gewesen, sei jeweils "verladen" zu den Sitzungen erschienen. Nach dem Bericht des PZM vom 18. August 2008 machte der Beschwerdeführer einen verwahrlosten Eindruck. 
 
Dass sich der Beschwerdeführer, wie das Obergericht festhält, anlässlich der Verhandlung "eloquent" gebärdete und über die Möglichkeit der Einlegung eines Rechtsmittels informiert gewesen sei, bedeutet noch nicht, dass er seine Interessen an der Verhandlung ohne fremde Hilfe hätte wahrnehmen können. Die tatsächlichen Umstände im Zusammenhang mit der Suchterkrankung des Beschwerdeführers, aber auch die Diagnose ADS lassen vielmehr begründete Zweifel an dieser Fähigkeit aufkommen. Dieser Schluss rechtfertigt sich nicht zuletzt auch deshalb, weil der Beschwerdeführer bereits für das Rekursverfahren einen Anwalt mit der Wahrung seiner Interessen betraut hatte, welcher Rekurs gegen die verweigerte Entlassung einlegte und den Beschwerdeführer überdies an die Verhandlung begleitete. Indem die Rekurskommission die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung allein mit der Begründung verweigerte, ein amtlicher Rechtsbeistand sei nicht erforderlich, hat sie Art. 29 Abs. 3 BV verletzt. 
 
4. 
Damit ist die Beschwerde gutzuheissen und sind die Ziffern 2 und 3 des angefochtenen Urteils aufzuheben. Die Sache ist zur Prüfung der weiteren Voraussetzungen der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung und gegebenenfalls zur Ernennung des amtlichen Rechtsbeistands und zur Festsetzung seiner Entschädigung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
5. 
Dem Kanton Bern sind keine Kosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 4 BGG). Hingegen hat er den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 800.-- zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 BGG). 
 
6. 
Mit der Kosten- und Entschädigungsregelung wird das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren gegenstandslos. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen und die Ziffern 2 und 3 des Urteils des Obergerichts des Kantons Bern, kantonale Rekurskommission für fürsorgerische Freiheitsentziehung, vom 10. September 2008 werden aufgehoben. Die Sache wird zur Prüfung der weiteren Voraussetzungen der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung und gegebenenfalls zur Ernennung des amtlichen Rechtsbeistands und zur Festsetzung seiner Entschädigung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2. 
Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren wird als gegenstandslos abgeschrieben. 
 
3. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
4. 
Der Kanton Bern hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 800.-- zu entschädigen. 
 
5. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Obergericht des Kantons Bern, kantonale Rekurskommission für fürsorgerische Freiheitsentziehungen, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 3. November 2008 
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Raselli Zbinden