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Ecriture agrandie
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_710/2022  
 
 
Urteil vom 6. März 2023  
 
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident, 
Bundesrichterinnen Heine, Viscione, 
Gerichtsschreiberin Kopp Käch. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch B.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich, Abteilung Arbeitslosenversicherung, Thurgauerstrasse 80, 8090 Zürich, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Arbeitslosenversicherung (vorinstanzliches Verfahren), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 30. September 2022 (AL.2022.00186). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Mit Verfügung vom 4. August 2021 verneinte die Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich einen Anspruch des 1974 geborenen A.________ auf Arbeitslosenentschädigung ab 2. Juli 2021. Die dagegen erhobene Einsprache hiess sie mit Einspracheentscheid vom 14. Oktober 2021 in dem Sinne gut, als sie feststellte, der Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung könne nicht wegen der arbeitgeberähnlichen Stellung von A.________ abgelehnt werden. Das Dossier wurde zur Überprüfung der Vermittlungsfähigkeit an die zuständige Amtsstelle überwiesen. Das Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) des Kantons Zürich verneinte mit Verfügung vom 2. Dezember 2021 die Vermittlungsfähigkeit von A.________ ab 2. August 2021, wobei es diese Verfügung am 14. Januar 2022 wiedererwägungsweise aufhob und die Vermittlungsfähigkeit ab 2. Juli 2021 verneinte. Die hiegegen erhobene Einsprache wies es mit Entscheid vom 10. Juni 2022 ab. 
 
B.  
A.________ erhob dagegen Beschwerde beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und beantragte, es seien ihm in Aufhebung des Einspracheentscheids vom 10. Juni 2022 die gesetzlichen Leistungen zu erbringen und es sei festzustellen, dass die Vermittlungsfähigkeit gegeben sei; eventualiter sei die Sache zu rechtskonformer Sachverhaltsfeststellung und anschliessendem neuen Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen. Am 5. August 2022 liess er dem Gericht mitteilen, dass er neu einen Rechtsvertreter habe, und zudem einen zweiten Schriftenwechsel beantragen. Mit Beschwerdeantwort vom 8. September 2022 schloss das AWA auf Abweisung der Beschwerde. Das Sozialversicherungsgericht verfügte am 14. September 2022, A.________ werde eine Kopie der Eingabe des AWA zugestellt und es erachte die Anordnung eines weiteren Schriftenwechsels nicht als erforderlich. Es bleibe den Parteien jedoch unbenommen, sich nochmals zur Sache zu äussern und weitere sachbezogene Unterlagen einzureichen. Über allenfalls vom Gericht als nötig erachtete weitere Verfahrensschritte werde zu einem späteren Zeitpunkt entschieden. Ordne das Gericht keine weiteren Verfahrensschritte an, werde der Endentscheid den Verfahrensbeteiligten zu gegebener Zeit schriftlich mitgeteilt. Mit Urteil vom 30. September 2022 hiess das Sozialversicherungsgericht die Beschwerde in dem Sinne teilweise gut, dass der angefochtene Entscheid vom 10. Juni 2022 insoweit aufgehoben werde, als darin die Vermittlungsfähigkeit ab dem 9. März 2022 verneint werde. Es wies die Sache an das AWA zurück, damit dieses über die Vermittlungsfähigkeit ab besagtem Zeitpunkt neu entscheide. 
A.________ liess am 5. Oktober 2022 (Poststempel) bezugnehmend auf die verfahrensleitende Verfügung vom 14. September 2022 und am 2. November 2022 bezugnehmend auf das Urteil vom 30. September 2022 je eine Eingabe beim Sozialversicherungsgericht einreichen. 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________ beantragen, das Urteil des Sozialversicherungsgerichts vom 30. September 2022 sei aufzuheben und es seien ihm die gesetzlichen Leistungen gemäss AVIG zuzusprechen; eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Das Sozialversicherungsgericht verzichtet in materieller Hinsicht auf einen Antrag und verneint eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im vorinstanzlichen Verfahren. Das AWA und das Staatssekretariat für Wirtschaft haben sich nicht vernehmen lassen. 
Mit Stellungnahme vom 14. Februar 2023 zur Vernehmlassung des Sozialversicherungsgerichts vom 13. Januar 2023 hält A.________ an seinem Standpunkt fest 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG; zum Ganzen: BGE 145 V 57 E. 4). 
 
2.  
 
2.1. Der Beschwerdeführer rügt unter anderem eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, namentlich des Replikrechts (Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 6 EMRK). Zur Begründung macht er im Wesentlichen geltend, die Vorinstanz habe am 14. September 2022 die Zustellung der Beschwerdeantwort vom 8. September 2022 an ihn verfügt und mitgeteilt, sie erachte die Anordnung eines weiteren Schriftenwechsels nicht als erforderlich. Gleichzeitig habe sie jedoch auf die Möglichkeit der Parteien hingewiesen, sich nochmals zur Sache zu äussern und weitere sachbezogene Unterlagen einzureichen. Zur Einreichung einer Stellungnahme bestehe in der Regel eine Frist von 30 Tagen. Die Verfügung vom 14. September 2022 sei am 21. September 2022 bei seinem Rechtsvertreter eingegangen. Der Erlass des angefochtenen Urteils vom 30. September 2022 sei - in Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör - bereits nach wenigen Tagen und ohne Berücksichtigung seiner Eingabe vom 4. Oktober 2022 erfolgt.  
 
2.2. Die Vorinstanz verneint in ihrer Vernehmlassung eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Die praxisgemässe Frist zur Einreichung einer unaufgeforderten Stellungnahme betrage zehn Tage ab Erhalt der Rechtsschrift der Gegenpartei. Nach Zustellung der am 15. September 2022 versendeten Beschwerdeantwort sei diese Frist bei Urteilsfällung am 30. September 2022 eingehalten worden.  
 
3.  
 
3.1. Gemäss Art. 29 Abs. 2 BV sowie nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK haben die Parteien Anspruch auf rechtliches Gehör. Aus dieser verfassungsmässigen Garantie folgt unter anderem das Recht einer Partei, sich im Rahmen eines Gerichtsverfahrens zu den Stellungnahmen und Vernehmlassungen der anderen Verfahrensparteien, unteren Instanzen und weiteren Stellen zu äussern (BGE 133 I 98 E. 2.1). Dieses Äusserungsrecht steht einer Prozesspartei unabhängig davon zu, ob die eingereichte Eingabe neue Tatsachen oder rechtliche Argumente enthält und ob sie im Einzelfall geeignet ist, den richterlichen Entscheid zu beeinflussen. Es ist Sache der Parteien und nicht des Gerichts zu beurteilen, ob eine neue Eingabe oder ein neues Beweismittel Bemerkungen erfordert (BGE 146 III 97 E. 3.4.1; 138 I 484 E. 2.1; je mit Hinweisen). Die Wahrnehmung des Replikrechts setzt voraus, dass die fragliche Eingabe der Partei vor Erlass des Urteils zugestellt wird, damit sie sich darüber schlüssig werden kann, ob sie sich dazu äussern will (BGE 137 I 195 E. 2.3.1 mit Hinweisen). In diesem Sinne ist der Prozesspartei die konkrete Möglichkeit zur Replik einzuräumen (BGE 133 I 100 E. 4.3-4.6 mit Hinweisen; Urteil 9C_557/2008 vom 3. April 2009 E. 3.2, nicht publ. in: BGE 135 III 289). Hierzu genügt es grundsätzlich, den Parteien die Eingabe zur Information zuzustellen (BGE 138 I 484 E. 2.4; 138 III 252 E. 2.2; zum Ganzen: Urteil 5A_242/2020 vom 30. Juni 2020 E. 3.2.1 mit Hinweisen, in: SZZP 2020 S. 571).  
Soll die Partei ihr Replikrecht effektiv wahrnehmen können, muss ihr das Gericht ausreichend Zeit für eine Stellungnahme lassen. Allerdings muss das Gericht mit der Entscheidfällung auch nur so lange zuwarten, bis es annehmen darf, dass der Adressat auf eine weitere Eingabe verzichtet habe. Welche Wartezeit ausreichend ist, hängt vom Einzelfall ab. Die Rechtsprechung bejaht in aller Regel eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, wenn das Gericht "nur wenige Tage" nach der Mitteilung entscheidet (BGE 137 I 195 E. 2.6). In einer allgemeinen Formulierung hielt das Bundesgericht fest, dass jedenfalls vor Ablauf von zehn Tagen nicht, hingegen nach zwanzig Tagen schon von einem Verzicht auf das Replikrecht ausgegangen werden dürfe (Urteil 5A_242/2020 vom 30. Juni 2020 E. 3.2.1 mit einer Zusammenfassung der Rechtsprechung, in: SZZP 2020 S. 571; Urteile 1B_595/2022 vom 23. Dezember 2022 E. 2.5 und 8C_43/2021 vom 27. April 2021 E. 3.2). 
 
3.2. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist formeller Natur (BGE 144 IV 302 E. 3.1 mit Hinweisen). Eine Verletzung des Replikrechts führt ungeachtet der materiellen Begründetheit des Rechtsmittels zur Gutheissung der Beschwerde und zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids (Urteile 9C_186/2022 vom 13. September 2022 E. 1.2; 6B_1434/2021 vom 8. Juni 2022 E. 2.4.1; 1B_25/2020 vom 27. Mai 2020 E. 3.2; je mit Hinweisen)  
 
3.3. Dem vorinstanzlichen Urteil lässt sich nicht entnehmen, wann der Beschwerdeführer Kenntnis von der Beschwerdeantwort erhalten hat; in den Rechtsschriften finden sich divergierende Aussagen dazu.  
Die objektive Beweislast für die Tatsache und das Datum der Zustellung eines behördlichen Entscheids trägt nach der Rechtsprechung die Behörde, die daraus Rechte ableiten will (BGE 142 IV 125 E. 4.3; 136 V 295 E. 5.9; Urteil 9C_260/2021 vom 6. Dezember 2021 E. 4.6.1, in SVR 2022 AHV Nr. 12 S. 30). Die in den Verfahrensakten liegende Verfügung vom 14. September 2022 trägt zwar einen Stempel vom 15. September 2022, es ist aber nicht ersichtlich, worauf er sich bezieht. Der Versand erfolgte offensichtlich mit normaler Post, ist doch weder auf der Verfügung ein Vermerk auf ein Einschreiben bzw. eine Gerichtsurkunde angebracht noch findet sich ein Track&Trace-Auszug bzw. Empfangsschein für Gerichtsurkunden in den Akten. Ist die Tatsache oder - wie vorliegend - das Datum der Zustellung uneingeschriebener Sendungen strittig, muss, da der Beweis für das Zustelldatum im konkreten Fall auch nicht anderweitig erbracht wird, im Zweifel rechtsprechungsgemäss auf die Darstellung des Empfängers abgestellt werden (BGE 142 IV 125 E. 4.3; 136 V 295 E. 5.9; 129 I 8 E. 2.2 und 124 V 400 E. 2a; Urteile 8C_386/2022 vom 13. September 2022 E. 4.5 und 9C_289/2020 vom 23. September 2020 E. 3.2.2 mit Hinweisen). 
 
3.4. Ist mithin nach Gesagtem auf die Darstellung des Beschwerdeführers abzustellen, wonach die Verfügung vom 14. September 2022 seinem Rechtsvertreter am 21. September 2022 zugestellt worden sei, erfolgte das angefochtene Urteil vom 30. September 2022 vor Ablauf von zehn Tagen und damit rechtsprechungsgemäss in Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (E. 3.1 hiervor). Eine Heilung dieses Mangels ist im bundesgerichtlichen Verfahren namentlich infolge der beschränkten Kognition nicht möglich (BGE 133 I 100 E. 4.9; Urteile 9C_186/2022 vom 13. September 2022 E. 1.5 und 9C_547/2021 vom 14. Dezember 2021 E. 2.3, je mit Hinweisen). Bei dieser Ausgangslage kann die Frage offen bleiben, ob die vom 4. Oktober 2022 datierende, am 5. Oktober 2022 der Post übergebene Eingabe des Beschwerdeführers rechtzeitig erfolgte; anzumerken ist jedoch, dass diesbezüglich entgegen der in der Beschwerde vertretenen Auffassung nicht von einer Frist von 30 Tagen ausgegangen werden kann.  
 
3.5. Zusammenfassend ist die Beschwerde insoweit gutzuheissen, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur Gewährung der Verfahrensrechte und anschliessenden Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens ist es nicht angezeigt, auf die weiteren, materiellen Vorbringen des Beschwerdeführers einzugehen.  
 
4.  
Die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz mit noch offenem Ausgang gilt für die Frage der Auferlegung der Gerichtskosten wie auch der Parteientschädigung als vollständiges Obsiegen im Sinne von Art. 66 Abs. 1 sowie Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG (BGE 132 V 215 E. 6.1; Urteil 8C_424/2022 vom 10. Januar 2023 E. 6.1). Das Verfahren ist grundsätzlich kostenpflichtig (Art. 62 BGG); dem unterliegenden, in seinem amtlichen Wirkungskreis und nicht in seinem eigenen Vermögensinteresse handelnden AWA sind indessen keine Gerichtskosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 4 BGG; BGE 133 V 640 E. 4; Urteil 8C_157/2022 vom 8. September 2022 E. 4). Der Beschwerdeführer ist qualifiziert, aber nicht anwaltlich vertreten. Ihm ist daher gestützt auf Art. 68 Abs. 1 BGG und Art. 9 des Reglements über die Parteientschädigung und die Entschädigung für die amtliche Vertretung im Verfahren vor dem Bundesgericht vom 31. März 2006 (SR 173.110.210.3) eine angemessene Parteientschädigung zuzusprechen (vgl. Urteil 9C_279/2022 vom 24. November 2022 E. 7 mit Hinweis). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 30. September 2022 aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Der Beschwerdegegner hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'400.- zu entschädigen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 6. März 2023 
 
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Wirthlin 
 
Die Gerichtsschreiberin: Kopp Käch