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Ecriture agrandie
 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1P.313/2003 /bmt 
 
Urteil vom 6. Oktober 2003 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident, 
Bundesrichter Aeschlimann, Reeb, 
Gerichtsschreiber Pfisterer. 
 
Parteien 
X.________ und sechs Mitbeteiligte, 
Beschwerdeführer, alle vertreten durch Rechtsanwalt lic.iur. Roger Vago, Hermann Götz-Strasse 21, Postfach 2290, 8401 Winterthur, 
 
gegen 
 
Präsident des Zentralwahlbüros der Stadt Zürich als Kreiswahlvorsteherschaft der Wahlkreise I bis VI, Stadt Zürich, Stadthaus, Postfach, 8022 Zürich, 
 
Präsidentin der Kreiswahlvorsteherschaft des Wahlkreises VIII, Affoltern, Gemeindeverwaltung, Postfach 330, 8910 Affoltern am Albis, 
 
Präsident der Kreiswahlvorsteherschaft des Wahlkreises XIII, Pfäffikon, Gemeinderatskanzlei, Hochstrasse 1, 8330 Pfäffikon, 
 
Präsident der Kreiswahlvorsteherschaft des Wahlkreises XV, Winterthur-Land, Gemeinderatskanzlei, Bahnhofstrasse 29, 8353 Elgg, 
 
Präsident des Kreiswahlvorsteherschaft des Wahlkreises XVI, Andelfingen, Gemeinderatskanzlei, Postfach 182, 8450 Andelfingen, 
 
Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich, Kaspar Escher-Haus, Postfach, 8090 Zurich. 
 
Gegenstand 
Publikation der Listen für die Erneuerungswahl der Mitglieder des Kantonsrates für die Amtsdauer 
2003-2007, 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen die Verfügung der Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich vom 4. April 2003. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Der Kantonsrat des Kantons Zürich veröffentlichte im Amtsblatt des Kantons Zürich vom 20. September 2002 seinen Beschluss über die Verteilung der Kantonsratsmandate für die Amtsdauer 2003-2007. Er wies darin den einzelnen Wahlkreisen die Anzahl Mitglieder im Kantonsrat gemäss Art. 32 Abs. 2 KV und § 74 des Gesetzes des Kantons Zürich vom 4. September 1983 über die Wahlen und Abstimmungen (Wahlgesetz, WAG) zu. 
B. 
Der Regierungsrat des Kantons Zürich ordnete am 23. Oktober 2002 gestützt auf § 7 Abs. 1 WAG sowie auf § 1 Abs. 1 des Gesetzes des Kantons Zürich vom 5. April 1981 über die Organisation und die Geschäftsordnung des Kantonsrates (Kantonsratsgesetz) an, die Erneuerungswahl des Kantonsrates finde am 6. April 2003 statt. Gleichzeitig erliess er die weiteren erforderlichen Anordnungen zur Durchführung der Wahlen. Insbesondere forderte er die Stimmberechtigten auf, die Wahlvorschläge bis am 11. Februar 2003 und die Erklärungen über Listenverbindungen bis am 5. März 2003 bei den Präsidenten der Kreiswahlvorsteherschaften einzureichen. Diese wurden zudem angewiesen, die Veröffentlichung der Listen und Listenverbindungen sowie die weiteren zur Durchführung der Wahlen notwendigen Verfügungen zu erlassen. Dieser Beschluss des Regierungsrates wurde im Amtsblatt des Kantons Zürich vom 1. November 2002 veröffentlicht. 
 
Die Präsidenten der Kreiswahlvorsteherschaften der Wahlkreise I bis VI (Stadt Zürich), VIII (Affoltern), XIII (Pfäffikon), XV (Winterthur-Land) und XVI (Andelfingen) veröffentlichten die Listen und Listenverbindungen gemäss § 77 Abs. 3 und § 81 WAG im März 2003. 
C. 
X.________ und neun Mitbeteiligte reichten gegen diese Verfügungen am 31. März 2003 gemeinsam je eine Beschwerde bei der Direktion der Justiz und des Innern und beim Regierungsrat des Kantons Zürich ein. Sie beantragten in beiden Beschwerden im Wesentlichen die Aufhebung der Verfügungen des Präsidenten des Zentralwahlbüros der Stadt Zürich sowie der Präsidenten der Kreiswahlvorsteherschaften der Wahlkreise VIII, XII, XV und XVI. 
Die Direktion der Justiz und des Innern und der Regierungsrat des Kantons Zürich traten am 4. April bzw. 16. April 2003 auf die Beschwerden nicht ein. 
D. 
X.________ und sechs Mitbeteiligte führen gegen den Entscheid der Direktion der Justiz und des Innern mit Eingabe vom 19. Mai 2003 staatsrechtliche Beschwerde. Sie stellen den Antrag, der Nichteintretensentscheid vom 4. April 2003 sei aufzuheben. 
 
Am 30. Mai 2003 haben sie zudem eine separate staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Regierungsrates vom 16. April 2003 eingereicht (Verfahren 1P.339/2003). 
E. 
Es sind keine Vernehmlassungen eingeholt worden. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
1.1 Nach Art. 85 lit. a OG beurteilt das Bundesgericht Beschwerden betreffend die politische Stimmberechtigung der Bürger und betreffend kantonale Wahlen und Abstimmungen. Der angefochtene Entscheid der Direktion der Justiz und des Innern (DJI) schützt die Verfügungen des Präsidenten des Zentralwahlbüros der Stadt Zürich als Kreiswahlvorsteherschaft der Wahlkreise I bis VI (Stadt Zürich) sowie der Präsidenten der Kreiswahlvorsteherschaften der Wahlkreise VII (Affoltern), XIII (Pfäffikon), XV (Winterthur-Land) und XVI (Andelfingen) hinsichtlich der Wahlen des Kantonsrates für die Legislaturperiode 2003-2007. Er berührt damit die politischen Rechte und kann mit einer Stimmrechtsbeschwerde nach Art. 85 lit. a OG angefochten werden. 
1.2 Die Beschwerdeführer sind stimm- und wahlberechtigt im Kanton Zürich. Daher sind sie zur Stimmrechtsbeschwerde hinsichtlich der Erneuerungswahl des Kantonsrates für die Amtsdauer 2003-2007 legitimiert. Weil auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Stimmrechtsbeschwerde grundsätzlich einzutreten. 
2. 
2.1 Die Begründungspflicht gemäss Art. 90 Abs. 1 lit. b OG gilt auch für Stimmrechtsbeschwerden. Das Bundesgericht prüft demnach nur die rechtsgenüglich erhobenen Rügen. Die Beschwerdeführer müssen den wesentlichen Sachverhalt darlegen, die als verletzt behaupteten Verfassungsbestimmungen nennen und überdies dartun, inwiefern diese verletzt sein sollen (BGE 129 I 185 E. 1.6 S. 189 mit Hinweisen). 
2.2 Soweit die Beschwerdeführer behaupten, der Nichteintretensentscheid der DJI sei in Bezug auf die Verfügung des Präsidenten der Kreiswahlvorsteherschaft des Wahlkreises VIII (Affoltern) verfassungswidrig, kann auf die Beschwerde nicht eingetreten werden. Sie haben es unterlassen, im vorstehend (E. 2.1) umschriebenen Sinn rechtsgenüglich auszuführen, inwiefern die DJI fälschlicherweise erkannt haben soll, sie könne mangels genügender Bestimmbarkeit der angefochtenen Anordnung nicht auf die Beschwerde eintreten. 
3. 
3.1 Die Beschwerdeführer sind der Meinung, die DJI hätte von Amtes wegen berücksichtigen müssen, dass die Anordnung der Kreiswahlvorsteherschaft der Stadt Zürich nichtig sei. Die Direktion habe deshalb eine formelle Rechtsverweigerung begangen. Die Beschwerdeführer stützen sich hierzu auf den Entscheid 1P.267/2002 vom 18. Dezember 2002, publiziert in BGE 129 I 185 ff. 
3.2 Nichtigkeit, d. h. absolute Unwirksamkeit einer Verfügung, wird nur angenommen, wenn der ihr anhaftende Mangel besonders schwer wiegt, wenn er offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar ist und wenn zudem die Rechtssicherheit durch die Annahme der Nichtigkeit nicht ernsthaft gefährdet wird. Diese Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein (BGE 127 II 32 E. 3g S. 47 f.; 122 I 97 E. 3a/aa; 118 Ia 336 E. 2a S. 340; 117 Ia 202 E. 8a S. 220 f., je mit Hinweisen). 
3.3 Das Bundesgericht führte in seinem Urteil vom 18. Dezember 2002 (BGE 129 I 185 ff.) aus, die Wahlkreiseinteilung betreffend den Stadtzürcher Gemeinderat sei bundesverfassungswidrig und der Mangel wiege schwer. 
 
Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer hat es jedoch nicht festgestellt, die Wahlen für die Amtsdauer 2002-2006 seien nichtig. Es hat vielmehr aus Gründen der Rechtssicherheit und der Verhältnismässigkeit auf die Aufhebung der Wahlen verzichtet. Das Vorbringen der Beschwerdeführer geht somit an der Sache vorbei. Eine formelle Rechtsverweigerung liegt nicht vor. Gleiches gilt in Bezug auf die übrigen vor der DJI angefochtenen Verfügungen. Auch diese sind nicht nichtig. 
4. 
4.1 Die Beschwerdeführer halten weiter dafür, der angefochtene Entscheid verletze die Garantie auf freie Willensbildung und unverfälschte Stimmabgabe (Art. 34 Abs. 2 BV). Die Wahlrechtsfreiheit sei ein unverzichtbares und unverjährbares Recht. Die DJI hätte daher auf ihre Beschwerde eintreten sollen, obwohl sie die Frist zur Anfechtung des Kantonsratsbeschlusses verpasst hätten. 
4.2 Die Rüge der Verfassungswidrigkeit kantonaler Entscheide kann trotz Ablaufs der Beschwerdefrist gegenüber dem ursprünglichen Sachentscheid erhoben werden, wenn die Verletzung eines unverzichtbaren und unverjährbaren Freiheitsrechts geltend gemacht wird (BGE 115 Ia 293 E.1c; 107 Ia 333 E. 1a, je mit Hinweisen; vgl. auch ZBl 78/1977, S. 183). Diese Rechtsprechung hat das Bundesgericht in seiner jüngeren Praxis allerdings präzisiert. Es hat ausgeführt, auf eine verspätet vorgebrachte Rüge sei im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde nicht stets dann einzutreten, wenn die Verletzung eines Grundrechts beanstandet werde, welches als unverjährbar und unverzichtbar gelte. Zum einen dürfe die so bestimmte Gruppe von Grundrechten nicht als abschliessender Katalog im Sinne eines numerus clausus verstanden werden. Zum andern müsse der angerufenen Grundrechtsgarantie eine besonders weitreichende Bedeutung und Tragweite zukommen, damit eine Verfügung, die auf einer rechtskräftigen Anordnung beruht, noch angefochten werden könne. Die Hürden zur Anerkennung einer Grundrechtsgarantie als unverjährbar und unverzichtbar seien deshalb speziell hoch anzusetzen, d. h., es sei zu verlangen, dass das angerufene Grundrecht in einem Schutzbereich angesprochen werde, der derart fundamentale Aspekte der Persönlichkeit oder der Menschenwürde betrifft, dass ein Eingriff schon an sich als besonders schwerwiegend erscheine (vgl. BGE 118 Ia 209 E. 2c S. 213 f.; ZBl 101/2000, S. 31 f.). 
4.3 Ein solches Recht steht hier nicht zur Diskussion. Selbst wenn man unterstellen wollte, der kantonsrätliche Beschluss vom 26. August 2002 über die Verteilung der Anzahl Kantonsratsmandate auf die einzelnen Wahlkreise erweise sich im Lichte von BGE 129 I 185 ff. nachträglich als mangelhaft, so träfe diese Anordnung jedenfalls nicht einen Schutzbereich des angerufenen Grundrechts (Art. 34 Abs. 2 BV), der im eben umschriebenen Sinne (E. 4.2) als unverjährbar und unverzichtbar qualifiziert werden müsste. Die DJI war deshalb nicht gehalten, die Anordnung des Kantonsrates vom 26. August 2002 zu überprüfen. Dies wäre im Übrigen auch nicht in ihrer Zuständigkeit gelegen (vgl. § 125 Abs. 1 WAG). 
4.4 Im Zusammenhang mit der Frage der Zuständigkeit bringen die Beschwerdeführer vor, der Regierungsrat und die DJI hätten sich beide fälschlicherweise für nicht zuständig erklärt. 
4.4.1 Gegen die Verfügungen des Präsidenten der Kreiswahlvorsteherschaft kann bei der Direktion für Justiz und Inneres Beschwerde erhoben werden (§ 92 WAG). Über Beschwerden wegen der Verletzung des Stimmrechts bei kantonalen Volkswahlen entscheidet der Regierungsrat, unter Vorbehalt von § 92 (§ 125 Abs. 1 WAG). 
4.4.2 Die Kompetenzen sind klar abgegrenzt: Die DJI ist zuständig, soweit es sich um Verfügungen der Präsidenten der Kreiswahlvorsteherschaften nach § 79 WAG handelt (Prüfung, ob die eingegangenen Wahlvorschläge den (formellen) Erfordernissen gemäss §§ 75, 76 und 78 WAG entsprechen und ob die Unterschriften gültig sind). Bei der Verteilung der Mandate auf die einzelnen Wahlkreise geht es indessen um die allfällige Verletzung der freien Willensbildung und der unverfälschten Stimmabgabe. Beschwerden dieser Art fallen in die Zuständigkeit des Regierungsrates. Eine materielle Rechtsverweigerung seitens der DJI liegt nicht vor. Ob sich der Regierungsrat zu Recht für unzuständig erachtet hat, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Entscheides. 
5. 
5.1 Die Beschwerdeführer machen sodann geltend, entgegen der Ansicht der DJI habe ihnen nicht zugemutet werden können, bereits gegen den Beschluss des Kantonsrates vom 26. August 2002 vorzugehen. Die DJI habe deshalb gegen das Rechtsverweigerungsverbot von Art. 29 Abs. 1 BV verstossen. 
5.2 Diese Rüge ist ebenfalls unbegründet. Die Beschwerdeführer machen keine genügenden Gründe geltend, welche es rechtfertigen würden, vom Grundsatz abzuweichen, wonach in Wahl- und Abstimmungsangelegenheiten eine gegen Vorbereitungshandlungen gerichtete Beschwerde sofort nach deren Anordnung (in der Regel innert dreissig Tagen) einzureichen ist. 
Solche speziellen Gründe sind hier auch nicht ersichtlich. Obwohl dieser Grundsatz für das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde aufgestellt wurde, kann er auch für das kantonale Rechtsmittelverfahren Geltung beanspruchen (vgl. BGE 118 Ia 271 E. 1d und 1e mit Hinweisen). Die DJI beruft sich denn auch ausdrücklich auf diese Regel. Die Beschwerdeführer wären daher gehalten gewesen, die von ihnen behauptete Verfassungswidrigkeit der Mandatsverteilung des Kantonsrates nach der Publikation des Beschlusses vom 26. August 2002 innert der kantonalen Rechtsmittelfrist zu rügen. Dies gilt umso mehr, als die Beschwerdeführer zu jenem Zeitpunkt bekanntlich ein sachverwandtes Rechtsmittel bezüglich der Stadtzürcher Gemeinderatswahlen vor Bundesgericht hängig hatten. 
6. 
Zusammenfassend erweist sich die Stimmrechtsbeschwerde daher insgesamt als unbegründet, soweit darauf eingetreten werden kann. 
 
Nach der Praxis des Bundesgerichts werden bei Stimmrechtsbeschwerden keine Kosten erhoben. Mit Blick auf den Prozessausgang besteht auch kein Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 159 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die Stimmrechtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
2. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
3. 
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern, dem Präsidenten des Zentralwahlbüros der Stadt Zürich als Kreiswahlvorsteherschaft der Wahlkreise I bis VI, Stadt Zürich, der Präsidentin der Kreiswahlvorsteherschaft des Wahlkreises VIII, Affoltern, dem Präsidenten der Kreiswahlvorsteherschaft des Wahlkreises XIII, Pfäffikon, dem Präsidenten der Kreiswahlvorsteherschaft des Wahlkreises XV, Winterthur-Land, dem Präsidenten der Kreiswahlvorsteherschaft des Wahlkreises XVI, Andelfingen, und der Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 6. Oktober 2003 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: