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Ecriture agrandie
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
1C_620/2019  
 
 
Urteil vom 16. Dezember 2019  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Chaix, Präsident, 
Bundesrichter Merkli, Fonjallaz, Kneubühler, Haag, 
Gerichtsschreiber Dold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Bundesamt für Justiz, 
Direktionsbereich Internationale Rechtshilfe, 
Bundesrain 20, 3003 Bern, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
A.________, 
Beschwerdegegner, 
vertreten durch Rechtsanwalt Olivier Francioli. 
 
Gegenstand 
Auslieferung an die USA; Auslieferungshaft, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid 
des Bundesstrafgerichts, Beschwerdekammer, 
vom 19. November 2019 (RH.2019.21). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Mit Schreiben vom 7. und 13. Juni 2019 ersuchten die USA die Schweiz um Festnahme des chinesischen Staatsangehörigen A.________ zwecks Auslieferung. Die Festnahme erfolgte am 13. Juni 2019. Mit Note vom 22. Juli 2019 stellten die USA ein Auslieferungsgesuch zur Verfolgung der A.________ im Haftbefehl bzw. der Anklageschrift des U.S. District Court for the District of Columbia vom 7. bzw. 26. Juni 2019 zur Last gelegten Straftaten. Es wird ihm im Wesentlichen vorgeworfen, vier "Verteidigungsgeräte" (defense articles) ohne eine entsprechende Bewilligung aus den USA exportiert bzw. dies versucht zu haben. 
Am 22. August 2019 ordnete das Bundesamt für Justiz (BJ) die Auslieferung an, wobei es die Prüfung der von A.________ erhobenen Einrede des politischen Delikts durch das Bundesstrafgericht vorbehielt. Mit Eingabe vom 20. September 2019 erhob A.________ gegen den Auslieferungsentscheid Beschwerde an das Bundesstrafgericht. Mit Entscheid vom 28. Oktober 2019 vereinigte das Bundesstrafgericht das Verfahren betreffend die Einrede des politischen Delikts mit dem Beschwerdeverfahren. Es hiess die Beschwerde gut und hob den Auslieferungsentscheid vom 22. August 2019 auf. Das Verfahren betreffend die Einrede des politischen Delikts schrieb es als gegenstandslos ab. Dagegen erhob das BJ am 11. November 2019 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht (Verfahren 1C_592/2019). 
Einen Tag nach dem Entscheid des Bundesstrafgerichts verlangte A.________ die sofortige Entlassung aus der Auslieferungshaft. Am 31. Oktober 2019 wies das BJ das Gesuch ab. Eine von A.________ dagegen eingelegte Beschwerde hiess das Bundesstrafgericht mit Entscheid vom 19. November 2019 gut, soweit es darauf eintrat. Es hob den Entscheid des BJ auf und ordnete die Haftentlassung an. 
Noch am gleichen Tag stellte das BJ im Verfahren betreffend die Auslieferung (Verfahren 1C_592/2019) ein Gesuch um Anordnung einer superprovisorischen Massnahme. Mit Präsidialverfügung vom 20. November 2019 hiess das Bundesgericht das Gesuch gut und ordnete die vorläufige Aufrechterhaltung der Haft an. Diese Anordnung wurde nach Anhörung des Beschwerdegegners mit Präsidialverfügung vom 2. Dezember 2019 bestätigt. 
 
B.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht vom 25. November 2019 beantragt das BJ, der Haftentlassungsentscheid des Bundesstrafgerichts vom 19. November 2019 sei aufzuheben. 
Der Beschwerdegegner beantragt, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten, eventualiter sei sie abzuweisen. Das Bundesstrafgericht verweist in seiner Vernehmlassung auf den angefochtenen Entscheid. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Angefochten ist ein Haftentlassungsentscheid im Rahmen eines Auslieferungsverfahrens. Es geht insoweit um ein Sachgebiet, bei dem die Beschwerde nach Art. 84 Abs. 1 BGG möglich ist. 
Der angefochtene Haftprüfungsentscheid schliesst das Auslieferungsverfahren nicht ab. Gemäss Art. 93 Abs. 2 BGG sind auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen Vor- und Zwischenentscheide nicht anfechtbar. Vorbehalten bleiben Beschwerden gegen Entscheide unter anderem über die Auslieferungshaft, sofern die Voraussetzungen von Absatz 1 erfüllt sind. Gemäss lit. a dieser Bestimmung ist die Beschwerde gegen einen Zwischenentscheid zulässig, wenn er einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann. Ein solcher Nachteil ist hier zu bejahen, denn im Falle einer Flucht des Beschwerdegegners wäre die Schweiz möglicherweise ausser Stande, ihrer Auslieferungsverpflichtung nachzukommen (Art. 1 des Auslieferungsvertrags vom 14. November 1990 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und den Vereinigten Staaten von Amerika [SR 0.353.933.6; im Folgenden: AVUS]; für die entsprechende Situation im strafprozessualen Haftprüfungsverfahren vgl. BGE 138 IV 92 E. 1.2 S. 94 f. mit Hinweis). 
Weiter ist nach Art. 84 BGG erforderlich, dass es sich um einen besonders bedeutenden Fall handelt (vgl. dazu im Einzelnen BGE 145 IV 99 E. 1 S. 104 ff. mit Hinweisen). Das Bundesstrafgericht hat die Haftentlassung mit der Begründung angeordnet, die Auslieferungsvoraussetzungen seien nicht erfüllt, weil es an der beidseitigen Strafbarkeit fehle. Das Bundesgericht hat sich mit dieser Frage im Verfahren 1C_592/2019 zu befassen. Über die Frage, ob eine Auslieferungsverpflichtung besteht, ist damit noch nicht letztinstanzlich entschieden. Der Zusammenhang mit dem Hauptverfahren verleiht dem vorliegenden Fall besondere Bedeutung im Sinne von Art. 84 BGG
Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen sind ebenfalls erfüllt und geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist einzutreten. 
 
2.   
Das BJ geht davon aus, dass unklar sei, wie es sich verhalte, wenn das Bundesstrafgericht die Auslieferung ablehne und in der Folge auch die Auslieferungshaft aufhebe. Setze sich der Verfolgte vor dem Entscheid des Bundesgerichts ins Ausland ab, werde eine wirksame Wahrnehmung des Beschwerderechts durch das BJ verhindert. 
In dieser Hinsicht ist das Urteil 1C_146/2012 vom 23. März 2012 in Erinnerung zu rufen, in dem sich das Bundesgericht mit dieser Frage befasst hat. Danach muss das BJ in derartigen Fällen spätestens am auf die Zustellung des Haftentlassungsentscheids folgenden Werktag Beschwerde erheben und als vorsorgliche Massnahme die Aufrechterhaltung der Auslieferungshaft verlangen. Der Verfolgte darf gemäss Art. 49 Abs. 3 IRSG (SR 351.1) ohne Zustimmung des Bundesamts nicht freigelassen werden. Das Bundesamt ist zwar grundsätzlich gehalten, seine Zustimmung zu erteilen, wenn das Bundesstrafgericht die Haftentlassung verfügt. Es kann jedoch bis zum Entscheid des Bundesgerichts über die Anordnung vorsorglicher Massnahmen zuwarten, sofern es das Gesuch innerhalb der erwähnten Frist eingereicht hat (a.a.O., E. 1.4.2 mit Hinweisen). 
Im vorliegenden Fall stellte das BJ das Gesuch um vorsorgliche Aufrechterhaltung der Inhaftierung fristgemäss im bereits hängigen Auslieferungsverfahren. Es durfte deshalb nach der dargelegten Rechtsprechung seine Zustimmung zur Freilassung des Beschwerdegegners vorläufig verweigern. 
 
3.   
Im Auslieferungsverfahren ist - anders als bei der strafprozessualen Haft - die Inhaftierung des Verfolgten während des ganzen Verfahrens die Regel, die Entlassung dagegen die Ausnahme (Art. 47 Abs. 1 IRSG; BGE 136 IV 20 E. 2.2 S. 23 mit Hinweisen). 
Das Bundesstrafgericht hielt zur Begründung seines Entscheids fest, die Auslieferung des Beschwerdegegners sei infolge der fehlenden beidseitigen Strafbarkeit seiner Ansicht nach offensichtlich unzulässig, weshalb die Auslieferungshaft nicht gerechtfertigt sei. 
Wie aus dem ebenfalls heute ergehenden Urteil des Bundesgerichts im Verfahren 1C_592/2019 hervorgeht, verneinte das Bundesstrafgericht die beidseitige Strafbarkeit zu Unrecht. Somit erscheint die Auslieferung nicht als offensichtlich unzulässig, weshalb eine Haftentlassung gestützt auf Art. 50 Abs. 3 und Art. 51 IRSG derzeit nicht in Frage kommt. Dass eine Haftentlassung aus anderen Gründen angezeigt sein könnte, macht der Beschwerdegegner nicht geltend und ist auch nicht ersichtlich. Eine Rückweisung der Sache an das Bundesstrafgericht zur neuen Beurteilung erübrigt sich damit. 
 
4.   
Die Beschwerde ist aus diesen Erwägungen gutzuheissen und der Entscheid des Bundesstrafgerichts insoweit aufzuheben, als damit in Aufhebung der Verfügung des BJ vom 31. Oktober 2019 die Haftentlassung angeordnet wurde. 
Der Beschwerdegegner stellt ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. Da die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, ist dem Gesuch zu entsprechen (Art. 64 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Bundesstrafgerichts vom 19. November 2019 wird insoweit aufgehoben, als damit in Aufhebung der Verfügung des BJ vom 31. Oktober 2019 die Haftentlassung angeordnet wurde. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen. 
 
2.1. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.  
 
2.2. Rechtsanwalt Olivier Francioli wird zum unentgeltlichen Rechtsbeistand ernannt und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 1'000.-- entschädigt.  
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Bundesstrafgericht, Beschwerdekammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 16. Dezember 2019 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Chaix 
 
Der Gerichtsschreiber: Dold