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Ecriture agrandie
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_411/2024  
 
 
Urteil vom 25. April 2024  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Abrecht, Präsident, 
Bundesrichter Hurni, Kölz, 
Gerichtsschreiber Schurtenberger. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Philippe Currat, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Bundesanwaltschaft, 
Guisanplatz 1, 3003 Bern, 
Bundesstrafgericht, Strafkammer, Viale Stefano Franscini 7, 6500 Bellinzona. 
 
Gegenstand 
Entlassung aus der Sicherheitshaft während des erstinstanzlichen Verfahrens, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Bundesstrafgerichts, Beschwerdekammer, vom 5. März 2024 (BH.2024.2). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Bundesanwaltschaft führte eine Strafuntersuchung gegen den gambischen Staatsangehörigen A.________ wegen des Verdachts von Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Er wurde am 26. Januar 2017 in der Schweiz verhaftet und befindet sich seither in Untersuchungs- respektive Sicherheitshaft, die jeweils nach gerichtlichen Haftprüfungen verlängert wurde (vgl. zuletzt das Urteil 7B_572/2023 vom 21. September 2023). 
 
B.  
Am 17. April 2023 erhob die Bundesanwaltschaft gegen A.________ Anklage bei der Strafkammer des Bundesstrafgerichts wegen vorsätzlicher Tötung, mehrfacher vorsätzlicher Tötung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, mehrfacher schwerer Körperverletzung, mehrfacher Folter als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, mehrfacher Vergewaltigung, eventualiter als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, mehrfacher Freiheitsberaubung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und weiteren Delikten. Am 5. Juli 2023 reichte die Bundesanwaltschaft der Strafkammer eine "Änderung und Erweiterung (Art. 333 Abs. 1 und 2 StPO) " der Anklageschrift ein, wobei die angeklagten Straftatbestände um jene des Mordes ergänzt wurden. 
Im Rahmen der Hauptverhandlung nach Abschluss des ergänzenden Beweisverfahrens stellte A.________ am 24. Januar 2024 bei der Verfahrensleitung der Strafkammer ein Haftentlassungsgesuch. Die Verfahrensleitung leitete das Gesuch mit Stellungnahme vom 25. Januar 2024 an das Kantonale Zwangsmassnahmengericht des Kantons Bern weiter, welches es mit Entscheid vom 5. Februar 2024 abwies. Die dagegen erhobene Beschwerde wies die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts mit Beschluss vom 5. März 2024 ab. 
 
C.  
Mit Eingabe vom 5. April 2024 erhebt A.________ beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, den angefochtenen Entscheid aufzuheben und ihn unverzüglich aus der Haft zu entlassen, subsidiär die Angelegenheit zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Weiter ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Rechtsverbeiständung für das bundesgerichtliche Beschwerdeverfahren. 
Die Strafkammer und die Vorinstanz haben unter Verweisung auf den angefochtenen Entscheid auf eine Vernehmlassung verzichtet. Die Staatsanwaltschaft hat mit Eingabe vom 11. April 2024 die Abweisung der Beschwerde beantragt. Der Beschwerdeführer machte am 15. April 2024 eine Eingabe betreffend seine Bedürftigkeit. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Der angefochtene Entscheid der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts betrifft die Beurteilung eines Gesuchs um Entlassung aus der Sicherheitshaft (Art. 230 StPO). Dagegen steht die Beschwerde in Strafsachen nach Art. 78 ff. und insbesondere Art. 79 BGG offen. Der Beschwerdeführer hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und befindet sich, soweit aus den Akten ersichtlich, nach wie vor in Haft. Er ist deshalb nach Art. 81 Abs. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt. Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt, weshalb auf die Beschwerde einzutreten ist. 
 
2.  
Nach Art. 221 StPO sind Untersuchungs- und Sicherheitshaft unter anderem zulässig, wenn die beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist und ernsthaft zu befürchten ist, dass sie sich durch Flucht dem Strafverfahren oder der zu erwartenden Sanktion entzieht (Abs. 1 lit. a; sog. Fluchtgefahr). An Stelle der Haft sind Ersatzmassnahmen anzuordnen, wenn sie den gleichen Zweck wie die Haft erfüllen (Art. 212 Abs. 2 lit. c und Art. 237 ff. StPO). 
Die Vorinstanz bejaht sowohl das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts als auch den besonderen Haftgrund der Fluchtgefahr. Sodann beurteilt sie die Haft als verhältnismässig, da dem Beschwerdeführer eine Gefängnisstrafe von mindestens 10 Jahren drohe. 
 
3.  
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 5 Abs. 1 lit. c, Art. 6 Abs. 1 und Art. 13 EMRK sowie Art. 29 Abs. 1, Art. 29a, Art. 30 Abs. 1 und Art. 31 Abs. 2 BV. Er meint, es gebe ein Komplott ("collusion manifeste") der Verfahrensleitung der Strafkammer, der Haftgerichte und der Anklage, mit dem Ziel, ihn systematisch und endgültig seines Anspruchs auf eine unabhängige richterliche Prüfung der Haft zu berauben. 
Soweit der Beschwerdeführer damit eine Befangenheit der Verfahrensleitung des erstinstanzlichen Strafgerichts, des Zwangsmassnahmengerichts oder der Staatsanwaltschaft geltend machen will, kann auf diese ausserhalb des Streitgegenstands liegenden Vorbringen von vornherein nicht eingetreten werden (Urteile 7B_320/2023 vom 21. Februar 2024 E. 2.4; 1B_174/2022 vom 17. August 2022 E. 3.1; 1B_460/2017 vom 17. Januar 2018 E. 1.1). 
Soweit der Beschwerdeführer die fehlende Unabhängigkeit der Vorinstanz geltend machen will, beschränkt er sich auf pauschale und nicht weiter substanziierte Vorwürfe. Auch darauf ist nicht weiter einzugehen (vgl. Art. 42 Abs. 2 BGG). 
 
4.  
 
4.1. In der Hauptsache rügt der Beschwerdeführer, das Zwangsmassnahmengericht habe es zu Unrecht unterlassen, seinem Antrag auf Beizug der Protokolle respektive Aufzeichnungen der Hauptverhandlungen nachzukommen, und damit namentlich seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Weiter sei die Vorinstanz in "willkürlicher Weise" vom Vorliegen eines dringenden Tatverdachts und der Verhältnismässigkeit der Haft ausgegangen.  
 
4.2. Die Vorinstanz hält diesbezüglich fest, der Beschwerdeführer habe sein Haftentlassungsgesuch - abgesehen vom pauschalen Vorbringen, die sich in den Akten befindenden Fakten würden zweifellos belegen, dass die Tatbestandsmerkmale der Straftaten, die ihm in der Anklageschrift vorgeworfen würden, nicht gegeben seien - ausschliesslich mit rechtlichen Argumenten begründet. Daher habe für die Verfahrensleitung der Strafkammer keine Veranlassung bestanden, der Vorinstanz die Protokolle oder Aufzeichnungen der Hauptverhandlung zu übermitteln. Soweit der Beschwerdeführer zum Ausdruck gebracht habe, das Zwangsmassnahmengericht müsse die Protokolle oder Aufzeichnungen der gut zweiwöchigen Hauptverhandlung beiziehen und würdigen, sprenge dies den Rahmen des Haftprüfungsverfahrens. Ein liquider Beweis, der die Annahme des dringenden Tatverdachts nach erhobener Anklage als unhaltbar erscheinen lasse, sei somit nicht angeboten worden.  
 
4.3. Was der Beschwerdegegner dagegen vorbringt, vermag nicht zu überzeugen:  
 
4.3.1. Entgegen seiner Ansicht hat die Vorinstanz nicht festgehalten, es seien nur die von der Staatsanwaltschaft ins Verfahren eingebrachten Beweismittel im Sinne von Art. 227 Abs. 2 StPO zu berücksichtigen. Sie hat lediglich und zu Recht darauf hingewiesen, dass das Beschleunigungsgebot in Haftsachen (Art. 31 Abs. 3-4 BV, Art. 5 Abs. 2 StPO) nur wenig Raum für Beweismassnahmen lässt und daher das Haftgericht zur Frage des dringenden Tatverdachtes bzw. zur Schuldfrage weder ein eigentliches Beweisverfahren durchzuführen noch dem erkennenden Strafgericht vorzugreifen hat (statt vieler BGE 143 IV 316 E. 3.1 mit Hinweisen). Angesichts der Frist von fünf Tagen, innert welcher das Zwangsmassnahmengericht zu entscheiden hatte (Art. 227 Abs. 5 i.V.m. Art. 229 Abs. 3 lit. b StPO), ist der Vorinstanz darin zuzustimmen, dass die Aufzeichnungen der rund zwei Wochen dauernden Hauptverhandlung keiner umfassenden Würdigung im Haftverfahren zugänglich sind.  
Damit ist indessen nicht gesagt, dass Beweisanträge zum dringenden Tatverdacht im Haftverfahren ausgeschlossen wären. Vielmehr wurde der Beschwerdeführer bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass insbesondere der liquide Alibibeweis möglich bleibt (BGE 143 IV 316 E. 3.1 mit Hinweisen; zuletzt Urteil 1B_1/2023 vom 30. Januar 2023 E. 3.1). Einen solchen hat der Beschwerdeführer mit seinem pauschalen Antrag auf (vollständigen) Beizug der Protokolle respektive Aufzeichnungen der Hauptverhandlungen jedoch nicht erbracht. 
 
4.3.2. Das Bundesgericht hat inzwischen mit zehn Urteilen - zuletzt mit Urteil vom 21. September 2023 - festgehalten, dass der allgemeine Haftgrund des dringenden Tatverdachts vorliegt (BGE 143 IV 316; zuletzt Urteile 7B_572/2023 vom 21. September 2023 E. 3; 1B_227/2023 vom 19. Juni 2023 E. 3; 1B_181/2023 vom 27. April 2023 E. 3; 1B_1/2023 vom 30. Januar 2023 E. 3). Bei dieser Sachlage hat sich das Haftgericht von Bundesrechts wegen nicht jedes Mal aufs Neue detailliert mit bereits ausführlich widerlegten Einwänden zu befassen. Vielmehr trifft den Beschwerdeführer diesfalls die prozessuale Obliegenheit, sich mit den ergangenen Entscheiden nachvollziehbar auseinanderzusetzen bzw. im Einzelnen darzulegen, welche neuen Untersuchungsergebnisse den dargelegten Tatverdacht entkräften (vgl. Urteil 7B_572/2023 vom 21. September 2023 E. 3.4 und 3.5).  
Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers hat er weder vor dem Zwangsmassnahmengericht noch vor der Vorinstanz oder dem Bundesgericht entscheiderhebliche neue Fakten zum Haftgrund des dringenden Tatverdachts in hinreichender Weise dargetan. Mit dem über weite Strecken pauschalen und nicht weiter substanziierte Hinweis auf die Gesamtheit der vor dem zuständigen Strafgericht erhobenen neuen Beweismittel sowie sämtliche im Zuge der Hauptverhandlung ergangenen Aussagen - die seine Unschuld klarerweise belegen würden - ist der Beschwerdeführer weder seiner entsprechenden prozessualen Obliegenheiten in den vorinstanzlichen Verfahren noch seiner Begründungspflicht vor Bundesgericht (vgl. Art. 42 Abs. 2 BGG) hinreichend nachgekommen. 
 
4.4. Nach dem Gesagten ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz die vom Beschwerdeführer beantragten zusätzlichen Beweismittel nicht beigezogen und für die Beurteilung des dringenden Tatverdachts in erster Linie auf die bereits ergangenen Entscheide abgestellt hat. Was die Beurteilung in der Sache angeht, kann auch im bundesgerichtlichen Verfahren auf die bisherigen zur Sache ergangenen Urteile des Bundesgerichts verwiesen werden, mit welchen der Beschwerdeführer sich nicht auseinandersetzt (zuletzt Urteil 7B_572/2023 vom 21. September 2023 mit Hinweisen).  
 
5.  
Schliesslich rügt der Beschwerdeführer, die Vorinstanz habe zu Unrecht sein Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für das vorinstanzliche Verfahren wegen Aussichtslosigkeit abgewiesen. Diese Abweisung beruhe auf der willkürlichen Abweisung seiner Beweisanträge und diene einzig dem Zweck, seinen Anspruch auf ein faires Haftverfahren zu vereiteln. 
Die Rüge ist unbegründet. Angesichts des Umstands, dass das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts bereits in zehn Urteilen des Bundesgerichts bestätigt wurde (zuletzt Urteil 7B_572/2023 vom 21. September 2023 mit Hinweisen) und der Beschwerdeführer entgegen seiner Ansicht gerade keine neuen Umstände aufgezeigt hat, ist nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz sein Ersuchen als aussichtslos beurteilte. 
 
6.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. 
Der Beschwerdeführer stellt für das Verfahren vor Bundesgericht ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. Was er darlegt, reicht nicht aus, um seine finanzielle Bedürftigkeit (Art. 64 Abs. 1 BGG) zu belegen. Diesbezüglich besteht kein Anlass, von den Erwägungen der zuletzt in der Sache ergangenen Urteile abzuweichen (zuletzt Urteil 7B_572/2023 vom 21. September 2023 E. 5 mit Hinweisen). Ausserdem erweist sich die vorliegende Beschwerde als aussichtslos. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist daher abzuweisen. Die Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Bundesanwaltschaft, dem Bundesstrafgericht, Strafkammer, dem Bundesstrafgericht, Beschwerdekammer, und dem Kantonalen Zwangsmassnahmengericht des Kantons Bern schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 25. April 2024 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Abrecht 
 
Der Gerichtsschreiber: Schurtenberger