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Ecriture agrandie
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1C_496/2009 
 
Urteil vom 16. Juli 2010 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Féraud, Präsident, 
Bundesrichter Aemisegger, Raselli, 
Gerichtsschreiber Haag. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Ehepaar X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwältin Erica Häuptli-Schwaller, 
 
gegen 
 
Stadtrat Aarau, Rathausgasse 1, 5000 Aarau, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Beat Ries, 
Departement Bau, Verkehr und Umwelt des Kantons Aargau, Rechtsabteilung, Entfelderstrasse 22, 
5001 Aarau. 
 
Gegenstand 
Lärmschutzprojekt Gönhard, 
 
Beschwerde gegen das Urteil vom 8. September 2009 des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau, 
3. Kammer. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Vom 21. November bis 20. Dezember 2006 legte der Stadtrat Aarau das Lärmschutzprojekt Gemeindestrassen Gönhard vom 13. September 2006 öffentlich auf. Gegen die im Lärmschutzprojekt enthaltenen Sanierungserleichterungen erhoben unter anderem die Eheleute X.________ Einsprache. Am 10. September 2007 beschloss der Stadtrat das Lärmschutzprojekt und hiess 35 Erleichterungsanträge gut, unter gleichzeitiger Abweisung der Einsprachen, soweit er darauf eintrat. Das Departement Bau, Verkehr und Umwelt des Kantons Aargau wies mit Entscheid vom 28. Juli 2008 eine unter anderem von den Eheleuten X.________ gegen das Lärmschutzprojekt erhobene Beschwerde ab. Gegen diesen Entscheid gelangten Eheleute X.________ mit Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, welches die Beschwerde mit Urteil vom 8. September 2009 abwies. 
 
B. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht vom 4. November 2009 beantragen die Eheleute X.________, das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 8. September 2009 und der Beschluss des Stadtrats Aarau vom 10. September 2007 seien aufzuheben. Sie machen in ihrer Beschwerde Rechtsverweigerung (Art. 29 Abs. 1 BV), eine Missachtung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) sowie die Verletzung der Umweltschutzgesetzgebung des Bundes geltend. 
 
Das kantonale Departement Bau, Verkehr und Umwelt und das Verwaltungsgericht beantragen die Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) hat sich zur Beschwerde geäussert, ohne einen Antrag zum Ausgang des Verfahrens zu stellen. In einer Stellungnahme zur Vernehmlassung des BAFU beantragt die Einwohnergemeinde Aarau die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden könne. Die Beschwerdeführer halten an ihren Ausführungen in der Beschwerde fest. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
1.1 Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid über das Lärmsanierungsprojekt Gönhard. Das Urteil des Verwaltungsgerichts stützt sich auf öffentliches Recht (vgl. Art. 82 lit. a BGG) und stellt einen kantonalen Endentscheid dar (vgl. Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2 i.V.m. Art. 90 BGG). Ein Ausschlussgrund im Sinne von Art. 83 BGG liegt nicht vor. Die Beschwerdeführer sind Anwohner im vom Lärmsanierungsprojekt betroffenen Quartier und Adressaten des angefochtenen Entscheids. Zudem wurde in Bezug auf ihre Liegenschaften (Weltistrasse 17 und 19) eine Sanierungserleichterung gewährt. Sie sind somit gestützt auf Art. 89 Abs. 1 BGG zur Beschwerdeführung berechtigt. 
 
1.2 Die Beschwerdeführenden verlangen zusätzlich zur Aufhebung des Verwaltungsgerichtsurteils vom 8. September 2009, der Beschluss des Stadtrats Aarau vom 10. September 2007 sei aufzuheben. Dieser unterinstanzliche Entscheid ist mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nicht selbstständig anfechtbar. Er wird mit Blick auf den Devolutiveffekt durch den Entscheid der letzten kantonalen Instanz ersetzt und gilt mit der dagegen gerichteten Beschwerde als mitangefochten (BGE 134 II 142 E. 1.4 S. 144; 129 II 438 E. 1 S. 441; 125 II 29 E. 1c S. 33 mit Hinweisen; Urteil des Bundesgerichts 1C_267/2007 vom 28. Februar 2008 E. 1.5). 
 
2. 
Die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) sowie die Frage, ob es sich bei dem von den Beschwerdeführern angerufenen Bericht über "Massnahmen zur Vermeidung von Mehrverkehr durch das Quartier Gönhard infolge Entwicklung Torfeld Süd" vom 12. Mai 2009 um ein zulässiges Novum handelt (Art. 99 Abs. 1 BGG), ist im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen, weil die Beschwerde nach den nachfolgenden Erwägungen bereits aus einem anderen Grund gutzuheissen ist. 
 
3. 
Die Beschwerdeführer machen geltend, insbesondere die im Bereich ihrer Liegenschaften an der Weltistrasse gewährten Sanierungserleichterungen seien mit der Umweltschutzgesetzgebung des Bundes nicht vereinbar. 
 
3.1 Bestehende ortsfeste Anlagen, die wesentlich zur Überschreitung der Lärmimmissionsgrenzwerte beitragen, müssen saniert werden (Art. 16 Abs. 1 USG [SR 814.01]; Art. 13 Abs. 1 der Lärmschutz-Verordnung vom 15. Dezember 1986 [LSV; SR 814.41]). Nach Art. 13 Abs. 2 LSV und Art. 11 Abs. 2 USG müssen diese Anlagen so weit saniert werden, als dies technisch und betrieblich möglich sowie wirtschaftlich tragbar ist. Ziel der Sanierung ist, zumindest eine Überschreitung der Immissionsgrenzwerte zu vermeiden. Die Vollzugsbehörde gewährt Erleichterungen, soweit die Sanierung unverhältnismässige Betriebseinschränkungen oder Kosten verursachen würde oder überwiegende Interessen namentlich des Ortsbild-, Natur- und Landschaftsschutzes, der Verkehrs- und Betriebssicherheit sowie der Gesamtverteidigung der Sanierung entgegenstehen (Art. 17 USG und Art. 14 Abs. 1 lit. a und b LSV). Bei der Gewährung von Erleichterungen wird die Überschreitung der Immissionsgrenzwerte in einer bestimmten Situation zugelassen. Es handelt es sich um eine Ausnahmebewilligung, deren Erteilung nur in Sonderfällen erfolgen soll. Die Gewährung von Erleichterungen soll nach dem Willen des Gesetzgebers restriktiv gehandhabt werden (vgl. Schrade/Wiestner, Kommentar zum Umweltschutzgesetz, N. 2 und 14 zu Art. 17). 
 
3.2 Das Gönhard-Quartier und das angrenzende Kantonsspital Aarau liegen südlich des Bahnhofs Aarau zwischen zwei Hauptverkehrsachsen (Entfelderstrasse im Westen und Buchser-/Tramstrasse im Osten). Diese Lage führt zu so genanntem Schleich- und Fluchtverkehr im Gönhard-Quartier. Im Bereich der Liegenschaften der Beschwerdeführer an der Weltistrasse sind die Immissionsgrenzwerte für Strassenverkehrslärm überschritten. Die Verkehrsanlage unterliegt somit grundsätzlich der Sanierungspflicht (Art. 16 ff. USG). 
 
Die Beschwerdeführer rügen in Bezug auf die Gewährung von Erleichterungen bei der Weltistrasse einen Verstoss gegen Art. 14 LSV. Die Vorinstanz habe nicht geprüft, ob alle Sanierungsmöglichkeiten ausgeschöpft wurden. Sie verlangen die Prüfung einer Abgrenzung des Gönhard-Quartiers entweder durch Teilfahrverbote zwischen der Bachstrasse und dem Gönhardweg (Variante A) oder die Sperrung aller Verkehrsbeziehungen zwischen Osten und Westen des Gönhard-Quartiers (Variante B) oder die Änderung des Verkehrsregimes zwischen Gönhardweg und Bachstrasse insbesondere mit Einbahnstrassen und Durchfahrtsbeschränkungen (Variante C). Welche Variante schliesslich realisiert werde, stehe zurzeit nicht im Vordergrund. Massgebend sei, den Durchgangsverkehr zu unterbinden. Mit der Realisierung einer dieser Varianten wären die Weltistrasse und weitere Strassenabschnitte des Gönhard-Quartiers lärmsaniert. Die Immissionsgrenzwerte könnten eingehalten und auf Erleichterungen könnte somit verzichtet werden. 
 
3.3 Das Verwaltungsgericht geht im angefochtenen Urteil davon aus, dass bei einer Umlenkung des Durchgangverkehrs auf das übergeordnete Strassennetz eine Lärmreduktion von 3 dB(A) auf der Weltistrasse resultieren würde. Damit könnten die massgebenden Immissionsgrenzwerte für die Weltistrasse eingehalten werden. Die Vorinstanz hält es jedoch nicht für opportun, den Durchgangsverkehr von der Weltistrasse auf die Entfelderstrasse zu zwingen, da eine solche Verkehrsverlagerung zu einem Anstieg des durchschnittlichen täglichen Verkehrs (DTV) auf der Entfelderstrasse um rund 8 % führe. Diese Verkehrszunahme erhöhe die Störwirkung wegen der steigenden Anzahl störender Einzelgeräusche. Damit würde sie zu wahrnehmbar mehr Immissionen führen in einem Bereich, in dem teilweise die Alarmwerte überschritten seien. Das Verwaltungsgericht führt weiter aus, dass die Bahnhofsstrasse sowie die Hintere Bahnhofstrasse nördlich des Gönhard-Quartiers zu den Hauptverkehrszeiten an ihre Kapazitätsgrenzen stiessen. Es erscheine deshalb vertretbar, dass der Stadtrat Massnahmen ablehne, die den Durchgangsverkehr auf das übergeordnete Strassennetz lenken. 
 
3.4 Die Entfelderstrasse weist nach den Akten einen DTV von 19'510 Fahrzeugen auf. Mit der von den Beschwerdeführern verlangten Verkehrsverlagerung erhöht sich dieser DTV nach dem angefochtenen Entscheid um ca. 8 % auf rund 21'100 Fahrzeuge. Die damit verbundene Zunahme der Lärmbelastung beträgt nach den Angaben des BAFU ca. 0.4 dB(A). Auch das Verwaltungsgericht geht im angefochtenen Entscheid von einer Zunahme des Beurteilungspegels wegen der verlangten Verkehrsverlagerung von deutlich weniger als 1 dB(A) aus. Beim Strassenverkehrslärm wird ab einer gewissen Verkehrsdichte, bei gleich bleibender Verkehrszusammensetzung und bei gleich bleibender Verkehrsverteilung über die Zeit in der Regel die Erhöhung des Beurteilungspegels um 1 dB(A) gerade noch wahrgenommen. Diese Zunahme von 1 dB(A) entspricht einer Steigerung des DTV um rund 25 % (zur Publikation bestimmtes Urteil des Bundesgerichts 1C_212/2009 vom 2. Juni 2010 E. 2.4 und 2.5). 
 
Das bedeutet nicht, dass eine Verkehrszunahme um 8 % oder eine Verkehrszunahme von unter 25 % generell unbeachtlich wäre. Nach den Ausführungen des BAFU ist indessen vorliegend aufgrund der gleich bleibenden Verkehrszusammensetzung und -verteilung davon auszugehen, dass die Verkehrszunahme um 8 % nicht zu einer wahrnehmbaren Zunahme der Lärmimmissionen an der schon jetzt stark befahrenen Entfelderstrasse führen würde. Unter diesem Gesichtspunkt wäre die Verlagerung des Durchgangverkehrs auf die Entfelderstrasse grundsätzlich möglich, obwohl dort teilweise die Alarmwerte überschritten sind. Das Argument der zu hohen Lärmbelastung auf der Entfelderstrasse kann somit nach den zutreffenden Ausführungen der Umweltfachbehörde des Bundes nicht als Grund für die Gewährung von Erleichterungen nach Art. 14 LSV bei der Weltistrasse herangezogen werden. 
 
3.5 Weiter lehnt das Verwaltungsgericht die verlangte Verkehrsverlagerung aber auch aus Kapazitätsgründen des übergeordneten Strassennetzes ab. Ein fundiertes Variantenstudium bezüglich der Verkehrsverlagerung liegt jedoch nicht vor. So wurde beispielsweise nicht untersucht, welche Auswirkungen die von den Beschwerdeführern geforderte (Teil)-Sperrung des Gönhard-Quartiers für den Durchgangsverkehr auf die Kapazität des übergeordneten Strassennetzes hätte. Nur wenn diese Angaben vorliegen, kann jedoch ermittelt werden, ob überwiegende Interessen bestehen, welche im Gönhard-Quartier die Gewährung von Erleichterungen im Sinne von Art. 14 LSV rechtfertigen. Die Vorinstanz hat ohne hinreichende Kenntnis der Folgen einer Verkehrsverlagerung auf das übergeordnete Strassennetz sinngemäss überwiegende Interessen an der Gewährung von Erleichterungen bejaht, was mit Art. 14 Abs. 1 LSV nicht vereinbar ist. 
 
4. 
Es ergibt sich, dass die Beschwerde gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben ist. In Anwendung von Art. 107 Abs. 2 BGG ist die Sache an den Stadtrat Aarau zurückzuweisen. Dieser wird zu prüfen haben, wie sich die verlangte Verkehrsverlagerung auf das übergeordnete Strassennetz auswirken würde und ob diese Auswirkungen die Gewährung von Sanierungserleichterungen im Gönhard-Quartier rechtfertigen. 
 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Stadtrat Aarau hat den Beschwerdeführern jedoch sowohl für das kantonale als auch für das bundesgerichtliche Verfahren eine angemessene Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 2 und 5 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen und das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau vom 8. September 2009 aufgehoben. Die Angelegenheit wird im Sinne der Erwägungen an den Stadtrat Aarau zurückgewiesen. 
 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3. 
Der Stadtrat Aarau hat den Beschwerdeführern für das kantonale und das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von insgesamt Fr. 5'000.-- zu bezahlen. 
 
4. 
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern, dem Stadtrat Aarau, dem Departement Bau, Verkehr und Umwelt sowie dem Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, 3. Kammer, und dem Bundesamt für Umwelt schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 16. Juli 2010 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Féraud Haag