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Urteilskopf

105 II 253


42. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 13. Dezember 1979 i.S. Kantonalbank von Bern gegen Lüthy-Pfund-Stiftung (Berufung)

Regeste

Erbvertrag, in dem einer Bank ein Vermächtnis ausgesetzt wird mit dem Auftrag, den vermachten Betrag zur Errichtung einer Stiftung zu verwenden.
- Zustandekommen der Stiftung (E. 1).
- Unter welchem Titel kann die Stiftung gegen die Bank Anspruch auf das Stiftungsvermögen erheben? (E. 2.)
- Behandlung der auf dem vermachten Betrag erhobenen Erbschaftssteuern (E. 3).

Sachverhalt ab Seite 253

BGE 105 II 253 S. 253

A.- Karl und Flora Lüthy-Pfund schlossen am 26. Mai 1924 einen Erbvertrag, in dem sie unter anderem sich gegenseitig zu Erben ihrer Hinterlassenschaft einsetzten und bestimmten: "Das Vermögen ist von der Kantonalbank von Bern zu verwalten" (Ziff. 3 und 4). In Ziffer 5 bis 7 des Erbvertrags richtete Karl Lüthy verschiedene Vermächtnisse aus und
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regelte die Modalitäten für deren Auszahlung. Ziffer 8 des Erbvertrags hatte folgenden Wortlaut:
"Der Kantonalbank von Bern, ein Legat von Fr. 500'000.-, schreibe:
Fünfhunderttausend Franken.
Die Kantonalbank von Bern wird beauftragt, dieses Legat zur Errichtung einer Stiftung, mit Sitz in Biel, unter dem Namen "Lüthy-Pfund" zu verwenden, unter den nachfolgenden nähern Bestimmungen:
1. Das Stiftungsvermögen beträgt Fr. 500'000.-, schreibe:
Fünfhunderttausend Franken.
2. Zweck der Stiftung:
Der jährliche Zins des Stiftungsvermögens soll dienen:
a) Zur Hälfte zur Bestreitung der Kosten von Ferienaufenthalten armer kränklicher schulpflichtiger Kinder in Biel.
b) Zur Hälfte zur Bestreitung von Auslagen von Ferienreisen des Ober-Gymnasiums und der obern Klassen der Mädchensekundarschule in Biel und zum Ankauf von literarischen Werken, vorwiegend schweizerischer Autoren, für die Schulbibliothek des Gymnasiums in Biel. Zu letzterem Zwecke sollen jährlich mindestens Fr. 2'000.- verwendet werden.
Das Stiftungsvermögen soll unangetastet bleiben.
3. Organisation Die Stiftung wird verwaltet durch einen Stiftungsrat von drei Mitgliedern, die vom Regierungsrat des Kantons Bern zu wählen sind. Der Stiftungsrat erhält das Recht, die nötigen Vorschriften zur Erreichung des Stiftungszweckes zu erlassen.
Dem Stiftungsrat wird ebenfalls die Vorsorge für die zweckdienliche Geldanlage überbunden; dabei ist dem Grundsatze Rechnung zu tragen, dass das Stiftungsvermögen möglichst in mündelsichern Papieren anzulegen ist. Die Wertpapiere sind auf der Kantonalbank von Bern zu deponieren. Das Legat ist innerhalb Jahresfrist nach dem Todestage des überlebenden Ehegatten Lüthy-Pfund in barem Gelde oder in Wertpapieren auszurichten und auf der Kantonalbank von Bern zu deponieren.
Sollte die in diesem Erbvertrag erfolgte Stiftungserrichtung von irgend einer Seite angefochten werden, so verfügt Herr Karl Lüthy-Pfund, dass aus seinem Nachlass innerhalb Jahresfrist nach dem Todestage des überlebenden Ehegatten Lüthy-Pfund der Kantonalbank von Bern in barem Gelde oder in Wertpapieren ein Legat von Fr. 500'000.- (Fünfhunderttausend Franken) auszurichten ist.
Mit dem Vermächtnis wird die Auflage verbunden, dass der jährliche Zins desselben verwendet werden soll:
a) Zur Hälfte zur Bestreitung der Kosten von Ferienaufenthalten armer kränklicher schulpflichtiger Kinder in Biel;
b) Zur Hälfte zu Bestreitung der Auslagen von Ferienreisen des Ober-Gymnasiums und der Obern Klassen der
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Mädchensekundarschule in Biel und zum Ankauf von literarischen Werken, vorwiegend schweizerischer Autoren, für die Schulbibliothek des Gymnasiums in Biel.
Zu letzterem Zwecke sollen jährlich mindestens Fr. 2'000.- verwendet werden.
Das Kapital des Vermächtnisses soll unangetastet bleiben."
In Ziffer 9 des Erbvertrags wurde Flora Lüthy ermächtigt, die Vermächtnisse zugunsten ihrer Verwandten durch letztwillige Verfügung aufzuheben oder abzuändern und über die entsprechenden Vermögensteile anderweitig zu verfügen sowie weitere Vermächtnisse auszurichten und nach dem allfälligen Vorversterben ihres Mannes einen oder mehrere Erben einzusetzen, wobei jedoch
"die unter Ziffer fünf und acht dieses Erbvertrages ausgesetzten Legate zu Gunsten der Verwandten des Herrn Karl Lüthy und der Kantonalbank von Bern unter allen Umständen zu Recht bestehen bleiben und aus der Erbschaft ausgerichtet werden sollen." Am 27. Dezember 1932 ordnete Karl Lüthy durch letztwillige Verfügung an:
"Sollte durch die Folgen der Wirtschaftskrisis nach dem Ableben des überlebenden Ehegatten das Vermögen unter Fr. 900'000.- ... fallen, so wird das zu wohltätigen Zwecken bestimmte Legat von Fr. 500'000.- verkleinert bis zur Hälfte des übrigbleibenden Vermögens."
Dieser Anordnung stimmte die Ehefrau schriftlich zu.
Am 5. September 1935 starb Karl Lüthy in Conches GE und am 22. Februar 1972 Flora Lüthy in Zürich. Diese hatte durch Testament vom 10. Mai 1966 Rechtsanwalt Dr. Staehelin zu ihrem Willensvollstrecker eingesetzt. Der Erbvertrag vom 26. Mai 1924 wurde nicht angefochten.
Nach dem Ableben von Flora Lüthy wählte der Regierungsrat des Kantons Bern H. Kern, F. Pellaton und W. Bernhard zu Mitgliedern des Stiftungsrates der Lüthy-Pfund Stiftung (im folgenden Stiftung genannt). Diese errichteten am 3. März 1976 vor dem Notar die Stiftungsurkunde. Die Gründung der Stiftung wurde am 20. März 1976 im Handelsamtsblatt publiziert.
Am 20. April 1972, also rund zwei Monate nach dem Tod Flora Lüthys, teilte der Willensvollstrecker Dr. Staehelin der Kantonalbank von Bern mit, das ihr ausgesetzte Vermächtnis betrage Fr. 500'000.-, abzüglich die von Frau Lüthy bereits bezahlten Erbschaftssteuern von Fr. 77'650.45, mithin also Fr. 422'349.55. Gleichzeitig ersuchte er die Bank, diejenigen Wertschriften, welche den Betrag von Fr. 422'349.55 überstiegen,
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an die Privatbank & Verwaltungsgesellschaft Zürich zu überweisen. Mit Schreiben vom 16. Mai 1972 äusserte die Kantonalbank Zweifel daran, ob die Erbschaftssteuern vom Legat abzuziehen seien. In der Folge schloss sie sich jedoch der Betrachtungsweise des Willensvollstreckers an und überwies von den damals noch bei ihr liegenden Vermögenswerten in der Höhe von Fr. 505'953.10 (nach Abzug des um die Erbschaftssteuern reduzierten Vermächtnisses von Fr. 422'349.55) Fr. 83'603.55 an die Privatbank & Verwaltungsgesellschaft Zürich.
Im Jahre 1976 stellte die Kantonalbank von Bern der Stiftung den Betrag von Fr. 422'349.55 zur Verfügung. Diese verlangte jedoch die Auszahlung des vollen Stiftungsvermögens von Fr. 500'000.-. Eine Einigung kam nicht zustande.

B.- Mit Klageschrift vom 12. Februar 1979 stellte die Stiftung beim Appellationshof des Kantons Bern das Begehren, die Kantonalbank von Bern sei zu verpflichten, ihr Fr. 77'650.45 (Differenz zwischen dem ausgesetzten Stiftungsvermögen von Fr. 500'000.- und dem zur Verfügung gestellten Betrag von Fr. 422'349.55) nebst 5% Zins seit 6. Mai 1977 sowie einen Betrag in richterlich zu bestimmender Höhe mit Zins zu 5% ab 27. Januar 1978 und Fr. 110.- Betreibungskosten zu zahlen.
Der Appellationshof des Kantons Bern hiess die Klage am 21. Juni 1979 im wesentlichen gut und verpflichtete die Beklagte, der Klägerin Fr. 77'650.45 nebst 5% Zins seit 6. Mai 1977 sowie Fr. 110.- Betreibungskosten zu zahlen. Soweit die Klage weiterging, wurde sie abgewiesen.

C.- Gegen diesen Entscheid erhebt die Beklagte Berufung an das Bundesgericht mit dem Antrag auf Abweisung der Klage. Die Klägerin beantragt die Abweisung der Berufung.
Das Bundesgericht weist die Berufung ab.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1. Nach Art. 81 Abs. 1 ZGB kann eine Stiftung entweder in der Form einer öffentlichen Urkunde oder durch letztwillige Verfügung errichtet werden. Ob die Stiftung im vorliegenden Fall schon durch den Erbvertrag vom 26. Mai 1924 oder erst nach dem Ableben Flora Lüthy durch die Handlungen des Regierungsrats bzw. der von diesem gewählten Stiftungsratsmitglieder errichtet worden sei, kann offenbleiben.
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a) Nimmt man das Letzte an, dann wurde die Stiftung formgemäss errichtet. Etwas anderes behauptet auch die Beklagte nicht.
b) Geht man jedoch davon aus, dass die Stiftung durch den Erbvertrag vom 26. Mai 1924 errichtet worden ist, dann wendet die Beklagte ein, eine so errichtete Stiftung sei nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE 96 II 273 ff.) nichtig.
Nach Rechtsprechung und Lehre können Verfügungen von Todes wegen, die in der Form des Erbvertrags getroffen wurden, neben Bestimmungen vertraglicher Art, welche beide Parteien binden, auch letztwillige Verfügungen enthalten, die gemäss Art. 509 ZGB frei widerruflich sind (BGE 101 II 309 /310, BGE 96 II 281 E. 3 mit Hinweisen). Das von der Beklagten angeführte Präjudiz bezieht sich nun lediglich auf einen Fall, in dem eine Stiftung durch vertragliche (beidseitig bindende) Bestimmungen eines Erbvertrags errichtet worden war. Nur für diesen Fall hielt das Bundesgericht fest, Art. 81 Abs. 1 ZGB schliesse die Errichtung einer Stiftung durch einen Erbvertrag im materiellen Sinne, das heisst durch eine den Stifter vertraglich bindende Verfügung von Todes wegen, aus. Den andern Fall, die Gründung einer Stiftung durch eine in einem Erbvertrag enthaltene (frei widerrufliche) letztwillige Verfügung, hatte das Bundesgericht nicht zu entscheiden. In den Erwägungen führte es diesbezüglich immerhin aus, Art. 81 Abs. 1 ZGB stehe der Gründung einer Stiftung durch eine in einem Erbvertrag enthaltene letztwillige Verfügung, wie sie vorkommen könne, nicht entgegen (BGE 96 II 286 /87).
Nun hat aber Karl Lüthy eine Ersatzverfügung getroffen für den Fall, dass "die in diesem Erbvertrag erfolgte Stiftungserrichtung von irgend einer Seite angefochten werden" sollte. Für diesen Fall richtete er der Beklagten aus seinem Nachlass ein Vermächtnis von Fr. 500'000.- aus mit der Auflage, das Kapital des Vermächtnisses unangetastet zu lassen und die Zinsen für bestimmt umschriebene Zwecke zu verwenden. Diese Bestimmung stellt, obschon im Rahmen eines Erbvertrags getroffen, materiell eine letztwillige (frei widerrufliche) Verfügung von Todes wegen dar, durch welche der Beklagten ein Vermächtnis ausgerichtet wurde. Nimmt man an, die Stiftung sei damit bereits errichtet worden, dann war dies gemäss Art. 81 Abs. 1 ZGB nach den gemachten Ausführungen zulässig. Nimmt man dagegen an, die Stiftung sei durch diese testamentarische Anordnung
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noch nicht errichtet worden, dann wurde sie jedenfalls in der Folge durch den Regierungsrat und die von diesem gewählten Stiftungsräte gegründet. Dass dieser Gründungsakt an einem Formmangel leide, behauptet die Beklagte nicht. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Stiftung auch in diesem Falle rechtsgültig zustande gekommen ist. Die Beklagte hat ihr denn auch in der Folge den Betrag von Fr. 422'349.55 zur Verfügung gestellt und dadurch deren Existenz konkludent anerkannt. Wenn sie heute behauptet, die Stiftung sei nichtig, setzt sie sich mit ihrem eigenen früheren Verhalten in Widerspruch. Wäre die Errichtung der Stiftung tatsächlich nichtig, müsste die Beklagte ja die der Klägerin überwiesene Summe von Fr. 422'349.55 zurückverlangen. Soweit geht sie aber selbst nicht.
c) Zusammenfassend ist also festzuhalten, dass die Stiftung unter jeder rechtlichen Annahme in jedem Fall rechtsgültig errichtet worden ist.

2. a) Streitig ist zwischen den Parteien, unter welchem Titel und in welcher rechtlichen Stellung die Klägerin aktivlegitimiert sei und Anspruch auf das Stiftungsvermögen erheben könne. Die Vorinstanz ist der Meinung, die Klägerin sei (Nach-)Vermächtnisnehmerin und als solche aktivlegitimiert. Die Beklagte behauptet dagegen, die Klägerin sei weder Vermächtnis- noch Nachvermächtnisnehmerin, sondern lediglich Auflageberechtigte und habe als solche kein Klagerecht.
b) Nach den Ausführungen des angefochtenen Urteils und den Rechtsschriften fallen hinsichtlich der Rechtsstellung der Klägerin im vorliegenden Prozess drei Möglichkeiten in Betracht:
- Der Erblasser setzte die Beklagte als Vor- und die Klägerin als Nachvermächtnisnehmerin ein;
- Der Erblasser setzte die Beklagte als Vermächtnisnehmerin ein und machte ihr die Auflage, den Betrag des Vermächtnisses vollumfänglich der Klägerin zur Verfügung zu stellen; dieser kommt darnach nicht die Stellung einer Nachvermächtnisnehmerin, sondern nur diejenige einer Auflagebegünstigten zu;
- Der Erblasser setzte die Klägerin als Vermächtnisnehmerin ein und wies der Beklagten lediglich die Funktion einer "Durchgangsstation", bzw., die Rolle eines Willensvollstreckers oder Beauftragten zu.
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Welche dieser drei Möglichkeiten bei der Errichtung der letztwilligen Anordnungen gewollt war, kann wiederum offenbleiben, weil unter jeder Annahme die Klägerin aktiv- und die Beklagte passivlegitimiert ist.
c) Nimmt man an, die Beklagte sei Vor- und die Klägerin Nachvermächtnisnehmerin der Fr. 500'000.-, ist folgendes zu bemerken: ESCHER vertrat in der 2. Auflage seines Kommentars die Auffassung, nach schweizerischem Recht (und im Gegensatz zum deutschen Recht) richte sich die Forderung eines Nachvermächtnisnehmers grundsätzlich nicht gegen den Vorvermächtnisnehmer, weil er zu diesem in keinem Rechtsverhältnis stehe. Anderseits sei der Beschwerte bzw. der Erbe, der das Vermächtnis dem Vorvermächtnisnehmer bereits ausgehändigt habe, nicht mehr in der Lage, den Anspruch des Nachvermächtnisnehmers zu erfüllen. Die Lösung müsse in der Weise gesucht werden, dass dem Beschwerten oder Erben mit dem Eintritt des Nachvermächtnisfalles ein Rückleistungsanspruch gegen den Vorvermächtnisnehmer entstehe, den er geltend machen könne und müsse, um das Vermächtnis dem Nachvermächtnisnehmer ausliefern zu können (ESCHER, 2. Aufl., N. 8 der Vorbemerkungen zu Art. 488-493 ZGB; auch TUOR, N. 16 zu Art. 488 ZGB). In der 3. Auflage des Kommentars kam ESCHER jun. jedoch von dieser Lösung ab, die er als umständlich bezeichnete. Er führte aus, Art. 488 Abs. 1 ZGB, wonach der Erblasser den Vorerben verpflichten könne, eine Erbschaft einem Nacherben auszuliefern, könne entsprechend auch auf den Vor- und Nachvermächtnisnehmer angewendet werden, was zur Annahme eines direkten Forderungsrechts des Nachvermächtnisnehmers gegenüber dem Vorvermächtnisnehmer führe, wobei sich die Forderung auf die Aushändigung des zugewiesenen Vermögensvorteils richte (ESCHER, 3. Aufl., N. 8 der Vorbemerkungen zu Art. 488-493 ZGB). Dieser Auffassung scheint sich PIOTET angeschlossen zu haben, wenn er schreibt, das Nachvermächtnis sei immer vom (Vor-)Vermächtnisnehmer und nicht von einem Erben geschuldet (Schweizerisches Privatrecht, IV/1, S. 141).
Dieser Ansicht ist beizupflichten. Steht danach dem Nachvermächtnisnehmer ein direktes Forderungsrecht gegenüber dem Vorvermächtnisnehmer zu, dann ist im vorliegenden Fall die Klägerin aktiv- und die Beklagte passivlegitimiert.
d) Geht man davon aus, der Beklagten sei ein Vermächtnis
BGE 105 II 253 S. 260
in der Höhe von Fr. 500'000.- ausgerichtet worden mit der Auflage, den fraglichen Betrag der Klägerin zur Verfügung zu stellen, dann erweist sich die Beklagte als auflagebeschwerte Vermächtnisnehmerin und die Klägerin als Begünstigte. Nach Art. 482 Abs. 1 ZGB kann die Vollziehung einer Auflage von jedermann verlangt werden, der an ihr ein Interesse hat. Ein solches berechtigtes Interesse hat in erster Linie der Begünstigte. Die Aktivlegitimation der Klägerin ist demnach auch unter diesem Gesichtspunkt gegeben.
Die Beklagte legt grosses Gewicht auf die Unterscheidung zwischen Vermächtnis und Auflage und macht geltend, die Auflage bezwecke zwar eine Begünstigung, gewähre aber dem Begünstigten (im Gegensatz zum Vermächtnisnehmer) kein Forderungsrecht und mache ihn nicht zum Gläubiger. Zur Begründung dieser Ansicht stützt sie sich auf die Lehre (ESCHER, 3. Aufl., N. 19 zu Art. 482 ZGB und N. 8 Ziff. 3 zu Art. 493 ZGB; PIOTET, Schweizerisches Privatrecht, IV/1, S. 148/49), die sie jedoch unvollständig zitiert. Wohl führt ESCHER am angegebenen Ort aus, dass der aus einer Auflage Begünstigte nicht Gläubiger werde, weil sonst der Unterschied gegenüber dem Vermächtnisnehmer verwischt würde. Er fährt aber unmittelbar anschliessend fort, dagegen könne jedermann, der ein Interesse habe, also insbesondere auch der Begünstige, die Vollziehung der Auflage verlangen. Der Gesetzgeber war in der Tat bestrebt, durch die allgemeine Formulierung von Art. 482 Abs. 1 ZGB jedem, der ein berechtigtes Interesse hat, die Erfüllung der ihn begünstigenden Auflage zu sichern. Der Begünstigte erhält dadurch zwar keine obligatorische Forderungsklage, wohl aber einen Anspruch besonderer Art, der auf die Vollziehung des in der Auflage zu Tage getretenen erblasserischen Willens gerichtet ist (BGE 99 II 379, 382 oben; ESCHER, 3. Aufl., N. 20, und TUOR, N. 13 ff. zu Art. 482 ZGB; PIOTET, a.a.O., S. 149). Die Klägerin ist demnach als aus der Auflage Begünstigte befugt, von der Beklagten als Auflagebelasteten die Vollziehung der Auflage zu verlangen (vgl. dazu mit Bezug auf die Widmung eines Vermögens an eine Stiftung gemäss Art. 493 ZGB auch TUOR, N. 9c zu Art. 493 ZGB).
Im Falle der vom Belasteten zu vertretenden Nichterfüllung stände der Klägerin gegenüber der Beklagten allerdings kein Schadenersatzanspruch zu (BGE 99 II 379, 382 oben). Dies ist im vorliegenden Fall jedoch ohne Bedeutung, weil die Klägerin keine Schadenersatzklage angestrengt hat.
BGE 105 II 253 S. 261
e) Nimmt man schliesslich an, durch die erblasserischen Anordnungen sei die Klägerin als Vermächtnisnehmerin eingesetzt worden, während der Beklagten lediglich die Funktion einer "Durchgangsstation", das heisst die Rolle eines Willensvollstreckers oder Beauftragten zugedacht und sie beauftragt worden sei, die bisher verwalteten Fr. 500'000.- der Klägerin zu übereignen, dann fällt folgendes in Betracht: Aufträge, die erst nach dem Tod des Auftraggebers oder eines Dritten ausgeführt werden können und sollen (mandata post mortem), sind zulässig. Ihr Hauptanwendungsfall ist der Willensvollstreckerauftrag (GAUTSCHI, N. 90a zu Art. 395 OR). Derartige Aufträge beurteilen sich deshalb nach den Sonderregeln über den Willensvollstrecker.
Dass im Streit um die Ausrichtung eines Vermächtnisses die Klägerin als Vermächtnisnehmerin aktivlegitimiert ist, kann im Ernste nicht bezweifelt werden. Ihre Klage darf sie nicht nur gegen die Erben, sondern auch gegen den beauftragten Willensvollstrecker als Treuhänder richten, der im Streit darüber, ob gemäss Verfügung von Todes wegen einem Bedachten gewisse Rechte zustehen, neben den Erben passivlegitimiert ist (ESCHER und TUOR,je N. 33 zu Art. 518 ZGB; PIOTET, a.a.O., S. 164/65; dazu auch BGE 94 II 142).
f) Die Aktivlegitimation der Klägerin und die Passivlegitimation der Beklagten sind demnach im vorliegenden Fall gegeben, gleichgültig welche der erwähnten Rechtsstellungen der Klägerin im Prozess zukommt.
Soweit die Beklagte geltend macht, der Klägerin fehle das Klagerecht, weil die Errichtung einer Stiftung keine erzwingbare Vermögensleistung darstelle, stösst ihre Rüge ins Leere, da mit der vorliegenden Klage nicht die Errichtung einer Stiftung, sondern lediglich die Übertragung der von der Beklagten bisher verwalteten Fr. 500'000.- auf die bereits bestehende Stiftung, das heisst die Auszahlung eines vom Erblasser ausgesetzten Vermächtnisses, bzw., die Erfüllung einer von ihm gemachten Auflage verlangt wird. Soweit die Beklagte die Aktivlegitimation der Klägerin bestreitet, ist ihre Berufung somit unbegründet.

3. a) Beim Tode Karl Lüthys im Jahre 1935 fiel der gesamte Nachlass (ausgenommen die bereits damals fälligen Vermächtnisse) an die überlebende Ehefrau. Diese erhielt somit auch Eigentum an den Fr. 500'000.-, welche nach ihrem Ableben der Beklagten bzw. der Klägerin auszuzahlen waren. Das
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ergibt sich im übrigen auch daraus, dass sie gemäss der Zusatzverfügung ihres Mannes vom 27. Dezember 1932 in einer allfälligen Notlage die Substanz dieser Fr. 500'000.- für sich hätte verwenden dürfen. Wurde Frau Lüthy aber Eigentümerin des ganzen Vermögens (einschliesslich der Fr. 500'000.-), dann war dieses gesamte Vermögen damals Erbschaftssteuerobjekt. Frau Lüthy zahlte für das ganze Vermögen, mithin auch für den Teil von Fr. 500'000.-, Erbschaftssteuern.
Nach dem Ableben Frau Lüthys im Jahre 1972 trat bezüglich der erwähnten Fr. 500'000.- ein zweiter Steuerfall (allerdings mit Steuerbefreiung) ein, der im vorliegenden Prozess jedoch nicht von Bedeutung ist.
b) Zwischen den Parteien ist vor allem streitig, ob die Klägerin Anspruch auf den vollen ihr zugesprochenen Betrag von Fr. 500'000.- habe oder ob von dieser Summe die von der überlebenden Ehefrau bezahlten Erbschaftssteuern abgezogen werden dürfen und der Klägerin demzufolge nur Fr. 422'349.55 auszurichten seien. Bei der Beantwortung dieser Frage ist durch Auslegung der vorliegenden letztwilligen Anordnungen zu erforschen, was die Eheleute Lüthy seinerzeit beabsichtigt hatten. Das Bundesgericht ist dabei nach ständiger Rechtsprechung an die vorinstanzliche Auslegung nicht gebunden, sondern prüft frei, was der Erblasser letztwillig verfügen wollte. Verbindlich sind für das Bundesgericht nur die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils, aus denen dieser Wille erschlossen wird (BGE 103 II 92, BGE 100 II 446, BGE 91 II 99, BGE 90 II 480).
c) Im Erbvertrag vom 26. Mai 1924 wurde der Beklagten "ein Legat von Fr. 500'000.-" ausgesetzt und die Kantonalbank wurde verpflichtet, "dieses Legat" zur Errichtung einer Stiftung zu verwenden. Dabei wurde ausdrücklich bestimmt, dass das Stiftungsvermögen Fr. 500'000.- betrage, die jährlichen Zinsen "des Stiftungsvermögens" in bestimmter Weise zu verwenden seien und "das Stiftungsvermögen" unangetastet bleiben müsse. Auch in seinen testamentarischen Anordnungen verfügte Karl Lüthy, dass der Beklagten "in barem Geld oder in Wertpapieren ein Legat von Fr. 500'000.-" auszurichten sei, dass "der jährliche Zins desselben" zu bestimmten Zwecken verwendet werden solle und dass "das Kapital des Vermächtnisses" unangetastet bleiben müsse.
BGE 105 II 253 S. 263
Aus dem Wortlaut dieser Anordnungen leitete die Vorinstanz ab, die beiden Eheleute seien seinerzeit davon ausgegangen und hätten gewollt, dass der Stiftung nach dem Tod des überlebenden Gatten ein Kapital von Fr. 500'000.- ohne jeden Abzug zur Verfügung gestellt werde (vorbehältlich natürlich einer allfälligen Erbschaftssteuer beim Eintritt des zweiten Steuerfalles, welche durch Parteiabrede nicht ausgeschlossen werden konnte, im Hinblick auf die Bestimmungen der kantonalen Steuergesetze zu Gunsten wohltätiger Institutionen jedoch eher unwahrscheinlich war). Dieser Auslegung ist beizutreten; jedenfalls stellt sie, entgegen der Meinung der Beklagten, keine Verletzung von Bundesrecht dar. Wer für die Errichtung einer gemeinnützigen Stiftung einen bestimmten Betrag aussetzt und diesen noch ausdrücklich als Stiftungsvermögen bezeichnet, von dem ist anzunehmen, sein Wille gehe dahin, dass die Stiftung diesen vollen Betrag, ohne jeden Abzug, auch wirklich erhalten solle.
Wohl enthielten die letztwilligen Anordnungen der Eheleute Lüthy keine Bestimmung über die Tragung der Erbschaftssteuern; dies offenbar deshalb, weil beide Ehegatten und der Notar davon ausgingen, der für die Stiftung vorgesehene Betrag sei steuerfrei. Aus dem Fehlen testamentarischer Anweisungen über die Erbschaftssteuern kann jedoch entgegen der Meinung der Beklagten nicht abgeleitet werden, die beiden Ehegatten hätten seinerzeit der Stiftung nicht Fr. 500'000.-, sondern nur einen Betrag zukommen lassen wollen, der sich um jene Summe reduziere, welche Frau Lüthy für die zunächst auf sie übergegangenen Fr. 500'000.- als Erbschaftssteuer hatte bezahlen müssen.
Die Klägerin hatte daher Anspruch auf die vollen ihr zugesprochenen Fr. 500'000.-. Die Beklagte anderseits war entweder als Vorvermächtnisnehmerin oder als mit einer Auflage beschwerte Vermächtnisnehmerin oder als Beauftragte bzw. Willensvollstreckerin verpflichtet, der Klägerin als Nachvermächtnisnehmerin oder Auflageberechtigten oder Vermächtnisnehmerin diesen Betrag zur Verfügung zu stellen. Da sie dieser Pflicht nicht in vollem Umfange nachgekommen ist, hat die Vorinstanz die Klage zu Recht gutgeheissen.

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