111 II 26
Urteilskopf
111 II 26
6. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 31. Januar 1985 i.S. Schaub und Vock gegen Möschler und Mitbeteiligte (Berufung)
Regeste
Miteigentum an einer Dienstbarkeitseinrichtung. Grösse der Quoten; Kostentragung.
1. Haben die Miteigentümer einer gemeinsamen Dienstbarkeitseinrichtung keine anderslautende Vereinbarung getroffen, ist, auch bei unterschiedlichen Nutzungsbedürfnissen, von der gesetzlichen Vermutung des Art. 646 Abs. 2 ZGB auszugehen (E. 5).
2. Auch wenn die Miteigentümer zugleich als Dienstbarkeitsberechtigte und -belastete in Erscheinung treten, sind Kosten und Lasten der Anlage im Verhältnis der Eigentumsanteile zu tragen (Art. 649 Abs. 1 ZGB). Die Art. 684 und 741 ZGB sind nicht anwendbar (E. 6).
Art. 647 Abs. 2 Ziff. 2 ZGB.
Die vorsorgliche Sanierung einer Leitung und vorsorgliche Beweisaufnahmen können sofort zu treffende Massnahmen im Sinne dieser Bestimmung sein (E. 6).
A.- Zwischen der Schössler- und der Säntisstrasse in R. befinden sich die sechs Einfamilienhäuser der Parteien. Die Grundstücke von Möschler und Müller sind zuoberst am Hang, an der Säntisstrasse, gelegen. Diejenigen von Vock und Schaub schliessen hangabwärts daran an. Die zwei weiteren Parzellen, noch etwas tiefer gelegen, grenzen an die Schösslerstrasse.
Die Abwassererschliessung dieser sechs Grundstücke erfolgt durch einen Kanalisationsstrang, der im Grenzbereich der beiden
BGE 111 II 26 S. 28
jeweils auf gleicher Höhe liegenden Grundstücke verläuft. Im Zusammenhang mit der Parzellierung Ende 1977 wurde diese gemeinsame Leitung als Dienstbarkeit zugunsten des einen Grundstücks und zulasten der jeweils andern fünf Grundstücke ins Grundbuch eingetragen. Am 20. Oktober 1977 wurde im entsprechenden Parzellierungsbegehren bezüglich der Rechtsverhältnisse im Zusammenhang mit dieser Kanalisationsleitung folgendes ausgeführt:"Diese Leitung steht im Miteigentum der jeweiligen Benützer,
Eigentümer der Parzellen 1516/7, 1520/1 und 1524/5, welche diese auch zu
erstellen und zu unterhalten haben.
Die Aufteilung der Erstellungskosten unter die jeweiligen Benützer
wird ausserhalb dieses Begehrens geregelt, ebenso die Tragung allfälliger
Unterhaltskosten."
B.- Im Juni 1981 kam es im Keller der Liegenschaft von Möschler zu einer Überschwemmung, die von der Kanalisation herrührte. Im Rahmen einer vorsorglichen Beweisaufnahme wurde als Schadensursache das Auseinanderrutschen der Muffenverbindung zweier Rohre, zufolge unsachgemässer Verlegung der Kanalisationsleitung, bezeichnet.
C.- In ihrer Berufung ans Bundesgericht halten Schaub und Vock an ihren vor der Vorinstanz vertretenen Rechtsauffassungen fest. Sie verlangen eine Bestimmung der Miteigentumsquoten an und die Verteilung der Lasten und Kosten aus der gemeinschaftlichen Dienstbarkeitsvorrichtung im Verhältnis der tatsächlichen Benutzerinteressen.
Aus den Erwägungen:
5. Bei diesem Miteigentumsverhältnis stellt sich dann allerdings die Frage der Grösse der einzelnen Quoten. Dass hier durch entsprechende Vereinbarung eine unterschiedliche Aufteilung auf die beteiligten Eigentümer vorgenommen werden könnte, ist nicht zu bestreiten. Fraglich ist nur, ob eine solche unterschiedliche Beteiligung anzunehmen ist, wie dies, aufgrund der unterschiedlichen Nutzungsbedürfnisse, von den Berufungsklägern behauptet wird, oder ob von der gesetzlichen Vermutung des Art. 646 Abs. 2 ZGB auszugehen ist, wie dies die Vorinstanz angenommen hat.
Gemäss dem Parzellierungsbegehren vom 20. Oktober 1977 wurde hinsichtlich der Erstellungs- und der späteren Unterhaltskosten eine besondere Regelung unter den Miteigentümern vorbehalten. Eine solche wurde jedoch nie geschaffen, auch wenn die Erstellungskosten
BGE 111 II 26 S. 29
tatsächlich nicht gleichmässig unter die Miteigentümer verteilt worden sind. Eine Vereinbarung über die unterschiedliche Kostentragung liesse zudem nicht ohne weiteres darauf schliessen, dass damit auch die in Art. 646 Abs. 2 ZGB enthaltene Vermutung gleicher Miteigentumsanteile zugunsten ungleicher Anteile umgestossen werden sollte. Es ist denn auch zu beachten, dass die Vereinbarung einer besonderen Quotenordnung bei Miteigentum an Grundstücken der öffentlichen Beurkundung bedürfte (Kommentar MEIER-HAYOZ, N. 52 zu Art. 646 ZGB). An der Tatsache der gesetzlichen Vermutung ändert nichts, dass in der Lehre die Auffassung vertreten wird, es stehe dem Grundeigentümer nicht zu, bei fehlender Vereinbarung über gleichmässige Miteigentumsanteile gestützt auf diese Gesetzesbestimmung gleichmässig aufgeteiltes Miteigentum ins Grundbuch eintragen zu lassen, vielmehr müsse hier der Entscheid des Richters vorbehalten werden (Kommentar MEIER-HAYOZ, N. 30 zu Art. 646 ZGB). Auch im Zusammenhang mit der richterlichen Anteilsfestlegung vermögen unterschiedliche Nutzungsbedürfnisse nicht schon generell die gesetzliche Vermutung umzustossen (etwas zu allgemein formuliert erscheint N. 31 zu Art. 646 ZGB im Kommentar MEIER-HAYOZ unter Hinweis auf BGE 95 II 400 E. 2, dem eine beschränkte Bedeutung zukommt). Von Bundesrechts wegen ist es daher nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz im vorliegenden Fall aufgrund der gesetzlichen Vermutung des Art. 646 Abs. 2 ZGB von gleich grossen Miteigentumsanteilen der einzelnen Grundeigentümer an der Kanalisationsleitung im Bereich ihrer Liegenschaften ausgegangen ist.
6. Aus der Feststellung, dass Miteigentum zu gleichen Teilen besteht, hat die Vorinstanz, in Anwendung von Art. 649 Abs. 1 ZGB, auf die Pflicht der Grundeigentümer geschlossen, auch die Unterhaltskosten der Anlage zu gleichen Teilen zu tragen. Darin sehen die Berufungskläger ebenfalls eine Verletzung von Bundesrecht. Nach ihrer Auffassung hätte die Vorinstanz Art. 698 bzw. Art. 741 ZGB anwenden und die im Zusammenhang mit der Sanierung der Kanalisationsleitung entstandenen Kosten nach dem unterschiedlichen Interesse der an diese Leitung angeschlossenen Grundstücke verteilen sollen. Die Berufungskläger übersehen jedoch - einmal abgesehen davon, dass es als fraglich erscheinen mag, ob die gemeinsame Dienstbarkeitsvorrichtung einem nachbarrechtlichen Verhältnis gemäss Art. 684 ff. ZGB zugeordnet werden kann -, dass in den Art. 698 und 741 ZGB vom Verhältnis
BGE 111 II 26 S. 30
zwischen berechtigtem und belastetem Grundstück ausgegangen wird, ohne dass auf der einen oder andern Seite auf ein Miteigentumsverhältnis Rücksicht zu nehmen ist. Es ist nicht einzusehen, weshalb für die im Miteigentum stehende Dienstbarkeitsvorrichtung nicht die für das Miteigentum eigens vorgesehene Regelung der Kostentragung des Art. 649 ZGB zur Anwendung kommen sollte. Dass die Eigentümer der verschiedenen Parzellen, die an die gemeinsame Kanalisationsleitung angeschlossen sind, einzeln als Dienstbarkeitsberechtigte und Dienstbarkeitsbelastete in Erscheinung treten, vermag nichts daran zu ändern, dass an der gemeinsamen Dienstbarkeitsvorrichtung Miteigentum besteht mit all den sich daraus ergebenden Rechten und Pflichten (Kommentar LIVER, N. 42 zu Art. 743 ZGB mit Verweisungen).Dass aber, für den Fall der zu Recht erfolgten Anwendung von Art. 649 Abs. 1 ZGB, die Kostenverteilung durch die Vorinstanz nicht richtig vorgenommen worden wäre, wird von den Berufungsklägern nicht gerügt, geschweige denn nachgewiesen. Allerdings behaupten die Berufungskläger, eine Kostenverteilung hätte insofern unterbleiben müssen, als die Mangelhaftigkeit der Kanalisationsleitung, die zur Überschwemmung im einen Wohnhaus geführt habe, zwar für dieses Gebäude eine Gefahr dargestellt habe, nicht aber für die im Miteigentum stehende Kanalisationsleitung als solche. Eine vorsorgliche Sanierung der Leitung und vorsorgliche Beweisaufnahmen könnten daher nicht als Verwaltungshandlung im Sinne von Art. 647 Abs. 2 Ziff. 2 ZGB gelten. Dieser Betrachtungsweise kann indessen schon deshalb nicht gefolgt werden, weil die defekte Kanalisationsleitung immerhin als schadenstiftende Ursache zu betrachten war, die - wenn sie nicht selber weiteren Schaden nehmen sollte - zu neuen Haftungstatbeständen gegenüber einem Hauseigentümer führen konnte, so dass zumindest ein Interesse der Schadensminderung auf seiten der Miteigentümer auf dem Spiele stand.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist, und das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 23. Mai 1984 bestätigt.
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