Urteilskopf
118 II 235
47. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 16. Januar 1992 i.S. P. gegen P. (Berufung)
Regeste
Art. 153 Abs. 1 ZGB; Verlust des Rentenanspruchs des im Konkubinat lebenden geschiedenen Ehegatten.
Für die Basis der Vermutung, dass bei einem im Zeitpunkt der Klageeinleitung bereits fünf Jahre dauernden Konkubinat die rentenberechtigte Beklagte aus der neuen Gemeinschaft eheähnliche Vorteile ziehe und nur zur Vermeidung des Rentenverlusts keine neue Ehe eingehe, d.h. für das Bestehen des Konkubinats, hat der unterhaltsverpflichtete Kläger vollen Beweis zu leisten. Er genügt seiner Beweispflicht nicht, wenn er bloss dartut, dass die Beklagte mit einem Angehörigen des andern Geschlechts in Hausgemeinschaft lebt und den Anschein einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft geschaffen hat.
A.- Die Ehe von A. und E. P.-K. wurde mit Urteil des Amtsgerichts Luzern-Land vom 29. November 1982 geschieden. Der Ehemann wurde verpflichtet, seiner geschiedenen Ehefrau während eines Jahres nach Rechtskraft des Urteils einen monatlich vorauszahlbaren, indexierten Unterhaltsbeitrag von Fr. 1'200.-- und danach von Fr. 500.-- gemäss
Art. 151 Abs. 1 ZGB zu entrichten.
B.- Am 2. Mai 1989 erhob A. P. beim Amtsgericht Klage auf Abänderung des Scheidungsurteils und verlangte, dass mit Wirkung ab 1. April 1989 seine Unterhaltspflicht gegenüber seiner geschiedenen Ehefrau aufgehoben werde. Zur Begründung brachte er vor, die Beklagte lebe seit mehr als fünf Jahren mit F. L. im Konkubinat und werde von diesem finanziell unterstützt. Das Amtsgericht wies die Klage am 12. Februar 1990 ab.
Der Kläger focht dieses Urteil mit einer Appellation beim Obergericht des Kantons Luzern an. Dieses hiess die Appellation am 23. Oktober 1990 gut und hob die Rentenverpflichtung des Klägers ab Urteilsdatum auf.
C.- Die Beklagte legte beim Bundesgericht Berufung ein mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und das
BGE 118 II 235 S. 237
Urteil des Amtsgerichts vom 12. Dezember 1990 und darin eingeschlossen dasjenige vom 29. November 1982 seien zu bestätigen.
Der Kläger schliesst auf Abweisung der Berufung.
Das Bundesgericht heisst die Berufung gut, soweit es darauf eintritt, hebt das angefochtene Urteil auf und weist die Klage ab.
Aus den Erwägungen:
2. Das Obergericht ging davon aus, dass die Beklagte und F. L. seit Februar 1984 in der gleichen Wohnung leben. Im Zeitpunkt der Klageeinreichung, d.h. am 2. Mai 1989, habe ihr Zusammenleben mehr als fünf Jahre gedauert, so dass die Tatsachenvermutung Platz greife, zwischen ihnen bestehe eine eheähnliches Verhältnis. In Würdigung der festgestellten Tatsachen gelangte das Obergericht zur Auffassung, gesamthaft gesehen sei nicht auszuschliessen, dass zwischen der Beklagten und F. L. ein solches Verhältnis bestehe, auch wenn gewisse Indizien gegen eine solche Annahme sprächen. Diese unsichere Beweislage gehe aber zu Lasten der Beklagten; dieser sei der Nachweis, ihr Verhältnis mit F. L. sei nicht derart eng und stabil, dass sie von ihm Unterstützung und Beistand ähnlich wie in einer Ehe erwarten könne, misslungen.
Die Beklagte wendet sich gegen diese Betrachtungsweise des Obergerichts und bezeichnet sie als bundesrechtswidrig. Ihre Beziehung mit F. L. könne überhaupt nicht mit einer Ehe verglichen werden; weder könne sie von ihrem Mitbewohner Beistand und Unterstützung wie in einer Ehe erwarten, noch bestehe die für eine Schicksalsgemeinschaft erforderliche innere Verbundenheit der Partner. Es handle sich vielmehr um eine blosse Wohngemeinschaft.
3. a) Nach der neueren bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist eine Scheidungsrente aufzuheben, wenn der Rentenberechtigte in einem gefestigten Konkubinat lebt, aus dem er ähnliche Vorteile zieht, wie sie ihm eine Ehe bieten würde, so dass anzunehmen ist, der neue Partner leiste ihm Beistand und Unterstützung, wie es
Art. 159 Abs. 3 ZGB von einem Ehegatten verlangt, und das Festhalten an der Rente deshalb als rechtsmissbräuchlich erscheint (
BGE 116 II 396 E. c mit Hinweisen). Das Bundesgericht hat daher eine Tatsachenvermutung in dem Sinne aufgestellt, dass bei einem Konkubinat, das im Zeitpunkt der Einleitung der Abänderungsklage bereits fünf Jahre gedauert hat, grundsätzlich davon auszugehen ist, es handle sich um eine Schicksalsgemeinschaft ähnlich einer Ehe.
BGE 118 II 235 S. 238
Dem unterhaltsverpflichteten Kläger obliegt dann nur der entsprechende Nachweis. Hingegen ist es Sache der unterhaltsberechtigten Beklagten zu beweisen, das Konkubinat sei nicht so eng und stabil, dass sie Beistand und Unterstützung ähnlich wie in einer Ehe erwarten könne, oder dass sie trotz des qualifizierten Konkubinats aus besondern und ernsthaften Gründen weiterhin Anspruch auf die Scheidungsrente erheben dürfe (
BGE 114 II 299 E. 1).
b) Welches das Thema des vom unterhaltspflichtigen Kläger zu leistenden Nachweises sei, ist in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung bisher nicht näher umschrieben worden. Es ergibt sich, soweit das Konkubinat betreffend, aus dessen Begriffsbestimmung. Als Konkubinat im engern Sinne gilt eine auf längere Zeit, wenn nicht auf Dauer angelegte umfassende Lebensgemeinschaft von zwei Personen unterschiedlichen Geschlechts mit grundsätzlich Ausschliesslichkeitscharakter, die sowohl eine geistig-seelische, als auch eine körperliche und eine wirtschaftliche Komponente aufweist und auch etwa als Wohn-, Tisch- und Bettgemeinschaft bezeichnet wird (
BGE 109 II 16 E. 1b mit Hinweisen und
BGE 108 II 205 E. 2; HAUSHEER, Die privatrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahre 1978, ZBJV 116/1980, S. 99 mit Hinweisen). Indessen kommt nicht allen drei Komponenten dieselbe Bedeutung zu. Fehlt die Geschlechtsgemeinschaft oder die wirtschaftliche Komponente, leben die beiden Partner aber trotzdem in einer festen und ausschliesslichen Zweierbeziehung, halten sich gegenseitig die Treue und leisten sich umfassenden Beistand, so ist eine eheähnliche Gemeinschaft zu bejahen (MESSMER, Die Rechtslage in der Schweiz, in "Die eheähnliche Gemeinschaft", Beihefte zur Zeitschrift für Schweizerisches Recht, Heft 5, Basel 1986, S. 51 f., FRANK, Die eheähnliche Gemeinschaft (Konkubinat) im schweizerischen Recht, Zürich 1984, S. 29 f.). Der Richter hat in jedem Fall eine Würdigung sämtlicher massgeblicher Faktoren vorzunehmen. Die gesamten Umstände des Zusammenlebens sind von Bedeutung, um die Qualität einer Lebensgemeinschaft beurteilen zu können.
c) Dass ein Konkubinat im engern Sinne zwischen der unterhaltsberechtigten Beklagten und ihrem neuen Partner besteht, hat der unterhaltsverpflichtete Kläger zu beweisen. Er hat demnach Tatsachen darzutun, aus denen sich das Vorhandensein einer solchen umfassenden Lebensgemeinschaft ergibt. Ein Beweis gilt grundsätzlich als erbracht, wenn der Richter von der Richtigkeit der Sachbehauptung überzeugt ist (
BGE 98 II 242 E. 5 mit Hinweisen; KUMMER, N 20 zu
Art. 8 ZGB; GULDENER, Beweiswürdigung und Beweislast
BGE 118 II 235 S. 239
nach schweizerischem Zivilprozessrecht, S. 5; HABSCHEID, Schweizerisches Zivilprozess- und Gerichtsorganisationsrecht, 2. Aufl., S. 380 Nr. 635). Unannehmbar ist es, nach blosser Wahrscheinlichkeit zu urteilen, wo richterliche Überzeugung fehlt und der Sachverhalt letztlich doch im Zweifel bleibt (KUMMER, N 28 und 84 zu
Art. 8 ZGB; GULDENER, a.a.O., S. 6), oder auf bloss glaubhaft gemachte und somit nicht bewiesene Sachbehauptungen abzustellen (
BGE 104 II 220 E. 2). Selbst wenn dieses Regelbeweismass in keiner Vorschrift des Bundesrechts seinen Niederschlag gefunden hat, muss es als Teil desselben betrachtet werden; denn es ist schlechthin undenkbar, dass das Bundesrecht die Beweisanforderungen für die von ihm verliehenen Ansprüche bloss ausnahmsweise festlegte, indem es in einer Reihe von Bestimmungen einzelne Abweichungen umschreibt, es im übrigen aber zuliesse, dass die Ansprüche infolge verfehlter Beweisanforderung nicht durchgesetzt werden könnten (vgl.
BGE 104 II 220 E. 2 und KUMMER, N 84 zu
Art. 8 ZGB). Wenn das Regelbeweismass nicht als in
Art. 8 ZGB enthalten betrachtet werden kann, muss es als ungeschriebenes Bundesrecht Anwendung finden (ISAAK MEIER, Das Beweismass - ein aktuelles Problem des schweizerischen Zivilprozessrechts, BJM 1989, S. 77).
Besteht die Vermutung, dass bei einem im Zeitpunkt der Klageeinleitung bereits fünf Jahre dauernden Konkubinat die rentenberechtigte Beklagte aus der neuen Gemeinschaft eheähnliche Vorteile ziehe und nur zur Vermeidung des Rentenverlusts keine neue Ehe eingehe (
BGE 114 II 298 E. b und 300 E. 3), ist für die Vermutungsbasis voller Beweis zu leisten, zumal das Bundesrecht insofern keine Beweiserleichterung vorsieht (KUMMER, N 334 zu
Art. 8 ZGB; GULDENER, a.a.O., S. 61). Der unterhaltsverpflichtete Kläger genügt dieser Beweispflicht nicht, wenn er bloss dartut, dass die rentenberechtigte Beklagte mit einem Angehörigen des andern Geschlechts in Hausgemeinschaft lebt und den Anschein einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft geschaffen hat (BÜHLER/SPÜHLER, N 23 zu
Art. 153 ZGB, und Ergänzungsband, loc. cit.; HINDERLING, Das schweizerische Ehescheidungsrecht, Zusatzband, S. 84). Sich mit dem blossen Anscheinsbeweis zu begnügen, liefe auf eine ungerechtfertigte Privilegierung des rentenverpflichteten Klägers hinaus, indem ihm auf diese Weise eine doppelte Beweiserleichterung gewährt würde. Zudem wäre dieses Vorgehen mit der Auflage unvereinbar, dass bei einem im Zeitpunkt der Klageeinleitung noch nicht fünf Jahre dauernden Konkubinat ein voller Beweis geleistet werden muss; die angeführte Tatsachenvermutung führt lediglich zu einer
BGE 118 II 235 S. 240
Umkehrung der Beweislast in bezug auf den von ihr erfassten Sachverhalt (
BGE 114 II 298 E. b).
4. a) Im vorliegenden Fall hat das Obergericht übersehen, dass auch den Kläger eine Beweispflicht trifft, die über die Erbringung eines blossen Anscheinsbeweises hinausgeht. Dies ergibt sich deutlich aus seiner Überlegung, gesamthaft gesehen sei es jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass zwischen der Beklagten und F. L. ein eheähnliches Verhältnis im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung bestehe. Diese unsichere Beweislage gehe nun aber zu Lasten der Beklagten. Damit hat sich das Obergericht nicht darüber ausgesprochen, ob dem Kläger der ihm obliegende Beweis gelungen sei. Es hat vielmehr die Beklagte im Zusammenhang mit der Beweislastverteilung klar benachteiligt und somit schon aus diesem Grunde gegen Bundesrecht verstossen.
b) In tatsächlicher Hinsicht stellt das Obergericht fest, dass die Beklagte und F. L. seit Februar 1984 in der gleichen Wohnung leben, was unbestritten sei. Die Vorinstanz schliesst daraus, dass im Zeitpunkt der Klageeinreichung ein mehr als fünfjähriges Konkubinat bestanden habe. Ferner erachtet es das Obergericht als erwiesen, dass die Beklagte und F. L. seit Beginn ihres Zusammenlebens im Jahre 1984 keinen Geschlechtsverkehr mehr gehabt haben. Es besteht somit keine Geschlechtsgemeinschaft zwischen den beiden Partnern. Es fehlt aber auch an der wirtschaftlichen Verflechtung. Die Beklagte ist allein Mieterin der gemeinsamen Wohnung und auch weitgehend Eigentümerin des Wohnungsinventars. Sie ist zudem zu 50% erwerbstätig. F. L. bezahlt ihr monatlich einen Betrag von Fr. 1'700.-- für Kost und Logis sowie für das Besorgen der Wäsche. Im übrigen haben die beiden aber getrennte Kassen. Ob schliesslich eine so enge geistig-seelische Verbundenheit zwischen den beiden Partnern besteht, wie sie in der Regel zu einem eheähnlichen Verhältnis gehört, ist mehr als fraglich. Das Obergericht stellte nämlich fest, dass sie zwar das Morgen- und Abendessen gemeinsam einnehmen und regelmässig auch die Ferien gemeinsam verbringen, dass sie aber die Freizeit getrennt gestalten, ausser dass sie zusammen skifahren. Sie scheinen auch keine gemeinsamen Interessen und keine gemeinsamen Freunde zu haben; jedenfalls ist hierüber nichts festgestellt worden.
c) Der Vorinstanz ist zwar beizupflichten, dass das Fehlen der Geschlechtsgemeinschaft nicht zwingend gegen die Bejahung eines Konkubinatsverhältnisses spricht (FRANK, a.a.O., S. 33 Rz. 12). Auch in einer Ehe kann dieses Element zeitweise oder gar für längere Dauer fehlen. Doch müssen dann die übrigen Komponenten einer eheähnlichen
BGE 118 II 235 S. 241
Verbindung, insbesondere die geistig-seelische Zusammengehörigkeit der Partner, deutlich in Erscheinung treten, dass von einer eigentlichen Schicksalsgemeinschaft gesprochen werden kann. Das ist aber hier, wie sich aus den tatsächlichen Feststellungen des Obergerichts ergibt, gerade nicht der Fall. Es finden sich weder Anzeichen für eine enge geistig-seelische Verbundenheit der beiden Partner noch für eine wirtschaftliche Verflechtung zwischen ihnen. Schliesslich sind auch keine Indizien dafür vorhanden, dass F. L. der Beklagten in einer Notlage Hilfe und Beistand wie in einer Ehe gewähren würde. Jedenfalls rechtfertigt die Tatsache, dass F. L. der Beklagten für den vorliegenden Prozess einen Anwalt vermittelt hat, entgegen der Meinung des Obergerichts eine solche Annahme nicht. Eine umfassende Würdigung der Beziehungen der beiden Partner führt daher zum Schluss, dass zwischen der Beklagten und F. L. kein eheähnliches Verhältnis besteht. Da dem Kläger der ihm obliegende Nachweis eines Konkubinats nicht gelungen ist, muss die Klage abgewiesen werden.