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118 IV 277


49. Urteil des Kassationshofes vom 1. September 1992 i.S. M. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau (Nichtigkeitsbeschwerde)

Regeste

Art. 26 al. 1 LCR, art. 117 CP; principe de la confiance.
Fondement et contenu du principe de la confiance (consid. 4a, consid. 4b).
Le débiteur de la priorité qui veut pénétrer par la gauche sur une route principale n'a pas à compter qu'un usager prioritaire surviendra à une vitesse largement excessive, même si d'importants dépassements de la vitesse autorisée sont fréquents. Sur les routes principales, en dehors des localités, on n'a pas à compter, en général, avec des vitesses de plus de 90 km/h environ (consid. 5a et consid. 5b).

Faits à partir de page 277

BGE 118 IV 277 S. 277
Das Bezirksgericht Muri sprach M. der fahrlässigen Tötung gemäss Art. 117 StGB i.V.m. Art. 36 Abs. 2 SVG und Art. 14 Abs. 1 VRV schuldig und verurteilte ihn zu vier Wochen Gefängnis, unter Gewährung des bedingten Strafvollzuges mit einer Probezeit von
BGE 118 IV 277 S. 278
zwei Jahren, sowie zu einer Busse von Fr. 1'500.--. Eine hiegegen erhobene Berufung von M. wies das Obergericht des Kantons Aargau mit Urteil vom 20. Januar 1992 ab.
Gegen dieses Urteil führt M. eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde, mit der er beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und er sei von Schuld und Strafe vollumfänglich freizusprechen; eventuell sei die Sache zur Neubeurteilung und seiner Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau hat auf Vernehmlassung, das Obergericht auf Gegenbemerkungen verzichtet.

Considérants

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Der Beschwerdeführer beantragt neben der Aufhebung des angefochtenen Entscheids Freisprechung von Schuld und Strafe. Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde ist rein kassatorischer Natur; sie führt im Falle der Gutheissung zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids und Rückweisung der Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz (Art. 277ter Abs. 1 BStP). Auf die Rechtsbegehren kann deshalb nur in diesem Rahmen eingetreten werden (BGE 108 IV 156 E. b).

2. a) Nach den unangefochtenen, für den Kassationshof verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz (Art. 277bis Abs. 1 BStP) fuhr der Beschwerdeführer am 28. Juli 1989, um 11.40 Uhr, bei klarer Witterung und guter Sicht mit dem Lieferwagen "VW Typ 2", auf der Zufahrtsstrasse der Karosserie S. zur Einmündung in die Hauptstrasse Auw-Sins in der Absicht, nach links in Richtung Sins abzubiegen. Gleichzeitig nahte auf der Hauptstrasse aus Richtung Sins der PW Fiat Uno des R., der den Beschwerdeführer im Bereich der Einmündung in der Mitte der Zufahrtsstrasse in einer Entfernung von zwei bis vier Metern im Schrittempo auf die Einmündung zurollend wahrnahm. Nachdem R. die Einmündung um ca. 25 bis 30 Meter passiert hatte, sah er den aus der Gegenrichtung von Auw herannahenden Motorradfahrer H., der auf seinem Motorrad "Egli/Kawa GT" mit einer Geschwindigkeit von 125 bis 145 km/h fuhr. Die Hauptstrasse Auw-Sins verläuft in übersichtlicher Strassenführung von der Ortschaft Auw bis weit über diese Einmündung hinaus geradeaus. Sie ist bei dieser Stelle in Richtung Auw auf eine Distanz von 550 Metern bis zum Signal "Hauptstrasse" eingangs der Ortschaft Auw überblickbar.
BGE 118 IV 277 S. 279
Der Beschwerdeführer schaute bei der Einmündung nach links, hielt wegen des von links aus Richtung Sins herannahenden PWs des R. in Linksschräglage mit einem Abstand der rechten Vorderkante seines Fahrzeugs zur Hauptstrasse von 29 cm kurz an und blickte danach nach rechts. Dabei war ihm die Sicht auf die von Auw herannahenden Fahrzeuge durch den in diese Richtung fahrenden PW des R. beeinträchtigt. Anschliessend schaute er wiederum nach links und bog sodann nach links in Richtung Sins in die Hauptstrasse ein. Bei diesem Linksabbiegemanöver kam es auf der rechten Fahrspur der Hauptstrasse Auw-Sins noch auf der Höhe des Einmündungstrichters zur Kollision mit dem von rechts aus Richtung Auw herannahenden Motorrad des H. Bei der Kollision erlitt H. schwere Verletzungen, denen er am 29. Juli 1989 im Kantonsspital Winterthur erlag; der Beschwerdeführer brach sich ein Handgelenk. An beiden Fahrzeugen entstand Totalschaden.
b) Die Vorinstanz ging davon aus, der Beschwerdeführer habe, indem er sein Fahrzeug bei der Einmündung schräg gestellt habe, nicht die optimale Position eingenommen, die ihm nach rechts ohne weiteres einen Überblick von 550 Metern bis zur Signaltafel "Hauptstrasse" eingangs der Ortschaft Auw ermöglicht hätte. Nach Auffassung der Vorinstanz hätte der Beschwerdeführer indessen auch bei der von ihm gewählten Fahrzeugposition vom Führersitz aus durch eine Beugung nach vorn "problemlos" die Hauptstrasse nach rechts in Richtung Auw auf eine Strecke von 550 Metern überblicken können. Er habe sich indessen nicht diesen ihm möglichen Überblick verschafft, sondern bloss durch das rechte Seitenfenster seines Fahrzeugs nach rechts vorne geschaut. Dabei habe er auf der Hauptstrasse in Richtung Auw nur eine Strecke von rund 250 bis 300 Metern überblickt. Bereits aus diesem Grund habe er der ihm obliegenden Vorsichtspflicht nicht genügt.
Dazu komme, dass er, nachdem er zunächst nach links geblickt und wegen des von dort herannahenden PWs des R. sein Fahrzeug angehalten hatte, lediglich einen Blick nach rechts geworfen, anschliessend wiederum nach links geschaut und das Linksabbiegemanöver ausgeführt habe. Auch damit sei er seiner Vorsichtspflicht nicht nachgekommen. Durch den auf der Hauptstrasse von ihm weg fahrenden PW des R. sei ihm die Sicht auf die weiter entfernt aus der Gegenrichtung von Auw herannahenden Fahrzeuge in einem begrenzten (durch Strahlensatz zu ermittelnden) Sehbereich verdeckt worden. Es sei eine Erfahrungstatsache, dass die Sicht eines Fahrzeugführers, der sich bei einer Einmündung befinde, durch ein sich
BGE 118 IV 277 S. 280
von ihm fort bewegendes Fahrzeug behindert werde. Für diesen Fahrzeugführer entstehe dadurch ein sichttoter Bereich, in welchem sich ein entgegenkommendes Fahrzeug befinden könne. Dieser Erfahrungstatsache hätte der Beschwerdeführer Rechnung tragen müssen und das Linksabbiegemanöver nach der Vorbeifahrt des PWs des R. nicht schon nach einem Blick nach rechts und einem weiteren Blick nach links ausführen dürfen; er hätte vielmehr eingehend nach rechts schauen bzw. sich durch einen weiteren Blick nach rechts vor Beginn seines Abbiegemanövers vergewissern müssen, dass sich in diesem sichttoten Bereich kein aus Richtung Auw entgegenkommendes Fahrzeug befand, dem er den Weg hätte abschneiden können.
Die Vorinstanz gelangte zum Schluss, der Beschwerdeführer habe das Linksabbiegemanöver pflichtwidrig unvorsichtig ausgeführt. Sie stellt sich auf den Standpunkt, er hätte den Motorradfahrer sehen können, wenn er die Hauptstrasse Richtung Auw bis zum Dorfeingang und nicht bloss auf eine Distanz von 250 bis 300 Metern überblickt und zudem dem für ihn durch den PW des R. verdeckten, sichttoten Bereich durch einen weiteren Blick nach rechts vor der Anfahrt Rechnung getragen hätte. Diese Vorsichtsmassnahmen, die ohne weiteres möglich und zumutbar gewesen seien, habe er unterlassen, so dass er dem vortrittsberechtigten Motorradfahrer den Weg abgeschnitten und die für diesen tödliche Kollision verursacht habe.

3. Der Beschwerdeführer wendet ein, die Vorinstanz verletze den in Art. 26 SVG statuierten Vertrauensgrundsatz, wenn sie ihm vorwerfe, er hätte eine Strecke von 550 Metern überblicken müssen und seinen Überblick nicht auf eine Teilstrecke von rund 220 Metern beschränken dürfen. Mit vorschriftswidrig zu schnell fahrenden Vortrittsberechtigten müsse nach dem Vertrauensprinzip nicht zum vornherein gerechnet werden.

4. a) Nach der Grundregel von Art. 26 Abs. 1 SVG hat sich im Sinne einer allgemeinen Sorgfaltspflicht im Verkehr jedermann so zu verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet. Daraus leitete die Rechtsprechung den Vertrauensgrundsatz ab, nach welchem jeder Strassenbenützer, der sich selbst verkehrsgemäss verhält, sofern nicht besondere Umstände dagegen sprechen, darauf vertrauen darf, dass sich die anderen Verkehrsteilnehmer ebenfalls ordnungsgemäss verhalten, ihn also nicht behindern oder gefährden (BGE 104 IV 30, BGE 99 IV 175 mit Hinweisen). Der Strassenbenützer braucht demgemäss nicht von vornherein damit zu rechnen, dass andere Verkehrsteilnehmer etwa Rotlichter missachten, in der verbotenen Fahrtrichtung
BGE 118 IV 277 S. 281
fahren, grundlos plötzlich heftig bremsen oder Stopsignale überfahren (SCHAFFHAUSER, Grundriss des schweizerischen Strassenverkehrsrechts, Band I, S. 113 N 302). Auf den Vertrauensgrundsatz kann sich indes nur berufen, wer sich selbst verkehrsregelkonform verhalten hat (BGE 100 IV 189 E. 3). Wer gegen die Verkehrsregeln verstösst und dadurch eine unklare oder gefährliche Verkehrslage schafft, kann nicht erwarten, dass andere diese Gefahr durch erhöhte Vorsicht ausgleichen (BGE 99 IV 175; SCHAFFHAUSER, a.a.O., S.117 N 312; VON WERRA, Du principe de la confiance dans le droit de la circulation routière ..., RVJ 1970, S. 200).
Schranke für den Vertrauensgrundsatz bildet Abs. 2 von Art. 26 SVG, nach welcher Bestimmung besondere Vorsicht geboten ist gegenüber Kindern, Gebrechlichen und alten Leuten (vgl. BGE 115 IV 239, BGE 112 IV 87), sowie wenn Anzeichen dafür bestehen, dass sich ein Strassenbenützer nicht richtig verhalten wird. Anzeichen für unrichtiges Verhalten eines Strassenbenützers liegen dann vor, wenn aufgrund seines bisherigen Verhaltens damit gerechnet werden muss, dass er sich in verkehrsgefährdender Weise regelwidrig verhalten wird. Jede entfernte Möglichkeit künftigen Fehlverhaltens eines Strassenbenützers genügt hiezu indes nicht. Wollte man schon eine entfernte Möglichkeit als Anzeichen in diesem Sinne verstehen, würde das Vertrauensprinzip aus den Angeln gehoben. Umgekehrt sind unter Anzeichen für unrichtiges Verhalten nicht bloss die Ausgangssituationen schwerer Gefährdungen zu verstehen (so SCHAFFHAUSER, a.a.O., S. 112 N 322). Die Rechtsprechung verlangt "konkrete Anzeichen" bzw. "zuverlässige Anhaltspunkte" für das Fehlverhalten eines Strassenbenützers; eine abstrakte Möglichkeit eines Fehlverhaltens genügt jedenfalls nicht (BGE 106 IV 393; BGE 103 IV 259 mit Hinweisen; VON WERRA, a.a.O., S. 204; GIGER, Strassenverkehrsgesetz, 4. Aufl., S. 60).
Die Pflicht zur Beobachtung einer erhöhten Sorgfalt gilt auch bei unklaren Verkehrssituationen oder ungewissen Lagen (BGE 116 IV 230; SCHAFFHAUSER, a.a.O., S. 123 N 324). So hat das Bundesgericht erkannt, ein vortrittsberechtigtes Fahrzeug müsse zwar grundsätzlich seine Geschwindigkeit nicht einmal auf unübersichtlichen Kreuzungen verlangsamen; wenn hingegen die Situation derart konfus und unsicher sei, dass zu vermuten sei, ein anderer Verkehrsteilnehmer werde die Fahrt behindern, müsse der Vortrittsberechtigte seine Geschwindigkeit herabsetzen, auch wenn sie grundsätzlich den Verhältnissen angepasst sei (BGE 114 II 179 /180 E. 3b, BGE 98 IV 275 mit Hinweisen).
BGE 118 IV 277 S. 282
b) Auf das Vertrauensprinzip kann sich auch der Wartepflichtige berufen. Erlaubt die Verkehrslage dem Wartepflichtigen das Einbiegen ohne Behinderung eines Vortrittsberechtigten, so ist ihm auch dann keine Vortrittsverletzung vorzuwerfen, wenn anschliessend als Folge eines nicht voraussehbaren Verhaltens eines Vortrittsberechtigten dieser bei der Weiterfahrt behindert wird (BGE 103 IV 296 E. 3 mit Hinweisen). So muss der Wartepflichtige beim Einbiegen in eine unübersichtliche Kreuzung mangels gegenteiliger Anzeichen nicht damit rechnen, dass ein Fahrzeug überraschend mit übersetzter Geschwindigkeit auftauchen könnte oder dass ein ihm bereits sichtbarer Fahrzeugführer seine Geschwindigkeit plötzlich stark erhöhen werde, um sich den Vortritt zu erzwingen (BGE 99 IV 175 E. c; vgl. auch TI C. cass. 12.10.1984 zit. bei SCHULTZ, Rechtsprechung und Praxis zum Strassenverkehrsrecht in den Jahren 1983-1987, S. 168). Desgleichen darf auch der Überholende grundsätzlich darauf vertrauen, dass sowohl der Überholte wie auch ein aus der Gegenrichtung nahender, bereits sichtbarer Strassenbenützer die eingeschlagene Fahrweise nicht überraschend aufgeben werden. Dies gilt auch, wenn der gefahrlose Ablauf des Überholmanövers vom Verhalten eines noch nicht sichtbaren Verkehrsteilnehmers abhängt. So muss der Überholende bei der Abschätzung des erforderlichen Überholweges nicht mit Fahrzeugen aus der Gegenrichtung rechnen, die mit vorschriftswidriger, weit übersetzter Geschwindigkeit aus der Kurve auftauchen könnten (BGE 99 IV 22). Im Interesse einer klaren Vortrittsregelung wird jedoch nicht leichthin anzunehmen sein, der Wartepflichtige habe nicht mit der Vorbeifahrt eines Vortrittsberechtigten bzw. mit dessen Behinderung rechnen müssen. Insbesondere bei unübersichtlichen Einmündungen hat der Vortrittsbelastete darauf Rücksicht zu nehmen, dass ein Vortrittsberechtigter auf seiner linken Strassenhälfte oder mit übersetzter Geschwindigkeit auftauchen kann (BGE 98 IV 285 /286 mit Verweisungen).

5. a) Die Vorinstanz legte dem Beschwerdeführer eine Sorgfaltspflichtverletzung zur Last, weil er sich damit begnügte, die Hauptstrasse nicht, wie es an sich möglich gewesen wäre, auf eine Strecke von 550 Metern, sondern bloss auf eine solche von 250 bis 300 Metern zu überblicken, und er zudem dem Umstand nicht Rechnung trug, dass der PW des R. ihm die Sicht in einem begrenzten Bereich verdeckte. Damit verletzte sie den aus Art. 26 SVG folgenden Vertrauensgrundsatz, wie er gemäss der dargelegten Rechtsprechung und Lehre zu verstehen ist. Zufolge der ausserhalb von Ortschaften, ausgenommen auf Autostrassen und Autobahnen, geltenden
BGE 118 IV 277 S. 283
allgemeinen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h durfte der Beschwerdeführer nach dem Vertrauensprinzip grundsätzlich davon ausgehen, dass auf der Hauptstrasse Auw-Sins, in die er einbiegen wollte, keine Motorfahrzeuge mit einer weit höheren Geschwindigkeit als die gesetzlich erlaubte herannahen würden. Es bestanden nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz keinerlei konkrete Anhaltspunkte dafür, dass von rechts ein Fahrzeug mit einer gegenüber der gesetzlich zulässigen ganz erheblich übersetzten Geschwindigkeit auftauchen könnte. Würde aus der allgemeinen Lebenserfahrung, dass auch ganz erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitungen recht oft vorkommen, oder aus einer statistischen Häufigkeit von erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitungen geschlossen, ein Verkehrsteilnehmer habe mit solchen zu rechnen, könnten zahlreiche Einmündungen mit beschränkter Übersichtlichkeit überhaupt nicht oder jedenfalls bei regem Verkehr kaum mehr befahren werden. Würde der Verkehrsteilnehmer verpflichtet, grundsätzlich auf mögliche ganz erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitungen Rücksicht zu nehmen, würden diese, auch wenn eine festgestellte übersetzte Geschwindigkeit geahndet wird, gefördert. Auch in der deutschen Lehre und Rechtsprechung wird heute eine Orientierung an der statistischen Häufigkeit bestimmter Verstösse abgelehnt, da dies verkehrserzieherisch nachteilige Folgen nach sich ziehe. Diese Verstösse würden nämlich mit zunehmender Häufigkeit insofern gewissermassen rechtlich aufgewertet, als zunehmende Disziplinlosigkeit oder Nachlässigkeit im Strassenverkehr den im Interesse des Verkehrsflusses notwendigen Vertrauensschutz mehr und mehr aushöhlen müssten (JAGUSCH/HENTSCHEL, Strassenverkehrsrecht, 31. Aufl., N 20 zu § 1 StVO; KLAUS KIRSCHBAUM, Der Vertrauensschutz im deutschen Strassenverkehrsrecht, Berlin 1980, S. 175 ff.).
b) Der Beschwerdeführer musste danach zwar berücksichtigen, dass im durch den PW des R. verdeckten, sichttoten Bereich Motorfahrzeuge mit zu hoher Geschwindigkeit (BGE 98 IV 285 /286), jedoch nicht mit einer solchen von erheblich mehr als 80 km/h herannahen könnten. Er handelte somit nicht pflichtwidrig, wenn er sich mit einer Sichtweite von 250 bis 300 Metern bzw. wie die Vorinstanz an anderer Stelle feststellte, von 220 Metern begnügte. Für eine Strecke von 220 Metern benötigt ein Fahrzeug bei einer Geschwindigkeit von 80 km/h 9,92 Sekunden und bei 90 km/h 8,82 Sekunden. Innert mindestens ca. 9 Sekunden dürfte der Beschwerdeführer indessen die vortrittsbelastete Verzweigungsfläche (vgl. dazu BGE 116 IV
BGE 118 IV 277 S. 284
158) befahren haben können. Ist dies der Fall, durfte er sich mit einer Sichtweite von 220 Metern begnügen, weil er dann in die vortrittsberechtigte Strasse einbiegen konnte, ohne einen von rechts mit angemessener Geschwindigkeit oder mit einer übersetzten Geschwindigkeit selbst von bis zu rund 90 km/h herannahenden anderen Fahrzeuglenker zu behindern und ohne damit dessen Vortrittsrecht zu verletzen (vgl. BGE 115 IV 141 E. 2a und b). Mit einem Motorrad, das mit einer Geschwindigkeit von 145 km/h fuhr, wie sie die Vorinstanz bei H. zugunsten des Beschwerdeführers annahm, musste er in keinem Falle rechnen. Dasselbe gilt nach dem oben Gesagten - auch bei den vorliegenden, günstigen Strassen- und Verkehrsverhältnissen - generell jedenfalls für Geschwindigkeiten von über rund 90 km/h. Wie es sich unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse im einzelnen damit und mit der notwendigen Zeit für ein behinderungsfreies Einbiegen verhält, wird die Vorinstanz näher festzustellen haben. Da die Sicht auf den von rechts herannahenden Verkehr durch den PW des R. teilweise verdeckt war, ist unerheblich, ob dem Beschwerdeführer ohne diese Sichtbehinderung eine Sichtweite von 250 bis 300 Metern oder von 550 Metern zur Verfügung gestanden hätte. Massgeblich ist die Sichtweite, die sich infolge der Sichtbehinderung durch den PW des R. für den Beschwerdeführer ergab. Der Experte nahm diese mit 165 Metern +/- 55 Meter an, was im Zweifel zugunsten des Angeklagten die von der Vorinstanz offenbar angenommene Sichtweite von 220 Metern ergibt. Die Vorinstanz äussert sich nicht ausdrücklich dazu und wird auch dies nachzuholen haben. Ergeben die neuen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz, dass der Beschwerdeführer bei der gegebenen freien Sichtweite die vortrittsbelastete Verzweigungsfläche hätte befahren können, ohne einen mit angemessener oder nicht erheblich übersetzter Geschwindigkeit herannahenden Motorfahrzeuglenker, der durch den von ihm weg fahrenden PW des R. verdeckt war, zu behindern, ist er freizusprechen. Sollte die Vorinstanz indessen zum Schluss gelangen, es hätte auch bei einer nicht erheblich übersetzten Geschwindigkeit des Vortrittsberechtigten eine rechtlich relevante Behinderung stattgefunden, wird sie die Frage des Kausalzusammenhangs zwischen der Sorgfaltspflichtverletzung des Beschwerdeführers und dem Tod des Motorradfahrers, der mit 145 km/h fuhr, unter den neuen Voraussetzungen zu prüfen haben.
Danach ist die Nichtigkeitsbeschwerde gutzuheissen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

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