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Urteilskopf

119 IV 273


51. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 3. Dezember 1993 i.S. M. gegen B. (Nichtigkeitsbeschwerde)

Regeste

Art. 27 Ziff. 5 StGB. Wahrheitsgetreue Berichterstattung über die öffentlichen Verhandlungen einer Behörde.
Die Bürgerversammlung einer Gemeinde ist eine Behörde (E. 3). Die Verhandlung einer tatsächlich jedermann zugänglichen Bürgerversammlung ist öffentlich, auch wenn einzelne Personen aus bestimmten Gründen ausgeschlossen werden (E. 4).
Die Berichterstattung ist nicht schon allein deshalb tendenziös und damit wahrheitswidrig, wenn darin einzelne Stellungnahmen weggelassen werden (E. 5).

Sachverhalt ab Seite 273

BGE 119 IV 273 S. 273

A.- Die Bürgerversammlung der Gemeinde X. verweigerte am 20. März 1990 M. die Erteilung des Gemeindebürgerrechts. Über diese Versammlung berichtete B. im Anzeiger des Bezirkes X. vom
BGE 119 IV 273 S. 274
23. März 1990. Im Zeitungsartikel wird ausgeführt, die Bürgerliche Abteilung des Gemeinderates habe festgehalten, beim Gesuchsteller handle es sich "um einen intelligenten Menschen, der aber durch Arroganz und ein Benehmen auffällt, das eine krasse Missachtung gegenüber schweizerischen Vorschriften, Amtsstellen und Gepflogenheiten zeigt". Zum Beleg dieser Vorwürfe habe der Gemeindepräsident aus den Akten zitiert. Bürger hätten ihrerseits über schlechte Erfahrungen mit dem Gesuchsteller berichtet.
M. erhob unter anderem gegen die Verfasserin des Zeitungsartikels Privatstrafklage wegen Verleumdung, eventuell übler Nachrede. Er verlangte deren angemessene Bestrafung sowie eine Genugtuungssumme nach richterlichem Ermessen zu Gunsten des Fonds der Fürsorgebehörde X. für in materielle Bedrängnis geratene Bürger.

B.- Das Obergericht des Kantons Zürich bestätigte auf Appellation von M. am 11. Februar 1993 den erstinstanzlichen Freispruch.

C.- M. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

D.- Das Kassationsgericht des Kantons Zürich trat am 16. August 1993 auf eine kantonale Nichtigkeitsbeschwerde von M. nicht ein.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Die Vorinstanz hat angenommen, der inkriminierte Artikel stelle eine wahrheitsgetreue Berichterstattung über die öffentliche Verhandlung einer Behörde dar, die gemäss Art. 27 Ziff. 5 StGB straflos bleibe. Sie befasst sich zunächst eingehend mit der Frage, ob die Bürgerversammlung eine Behörde im Sinne der zitierten Bestimmung darstelle, und sodann mit der Frage, ob die Bürgerversammlung vom 20. März 1990 als öffentlich im Sinne der genannten Bestimmung zu betrachten sei. Sie bejaht beide Fragen und nimmt schliesslich an, der inkriminierte Text stelle eine wahrheitsgetreue Berichterstattung dar.
Der Beschwerdeführer wendet dagegen ein, eine Bürgerversammlung sei nicht öffentlich. Im übrigen sei die Berichterstattung wahrheitswidrig.

3. Der Beschwerdeführer stellt mit Recht nicht in Abrede, dass die Bürgerversammlung eine Behörde im Sinne von Art. 27 Ziff. 5 StGB ist. Behörden sind Organe, die mit hoheitlicher Zuständigkeit staatliche Funktionen ausüben (BGE 114 IV 34 E. 2a mit Hinweisen).
BGE 119 IV 273 S. 275
Dieser weite Behördenbegriff im Staats- und Verwaltungsrecht gilt auch für das Strafrecht und insbesondere für Art. 27 Ziff. 5 StGB. Die darin festgelegte Rechtfertigung der wahrheitsgetreuen Berichterstattung ergibt sich nicht aus der Immunität der Behördenmitglieder, sondern aus der Öffentlichkeit der Verhandlung (BGE 106 IV 161 E. 3b mit Hinweisen; REHBINDER, Schweizerisches Presserecht, S. 58). Art. 27 Ziff. 5 StGB erfasst daher im Unterschied zu früheren kantonalen Bestimmungen nicht nur die Berichterstattung über die öffentlichen Verhandlungen der gesetzgebenden Organe, sondern die Berichterstattung über die öffentlichen Verhandlungen sämtlicher Behörden, also auch von Gerichten und Gemeinderäten sowie von Gemeindeversammlungen und Landsgemeinden (REHBINDER, op.cit., S. 58; LUDWIG, Schweizerisches Presserecht, S. 166). Die Gemeindeversammlung erfüllt auf Gemeindeebene in kleinen Gemeinden in wesentlichen Teilen die gleiche Aufgabe wie in grösseren Gemeinden das Parlament, weshalb es sich rechtfertigt, auch die Gemeindeversammlung als Behörde im Sinne von Art. 27 Ziff. 5 StGB anzusehen. Dann liegt es aber nahe, für die Bürgerversammlung das gleiche anzunehmen. Die Unterschiede in der Zusammensetzung der Bürgerversammlung und ihrer Kompetenzen rechtfertigen es nicht, die Bürgerversammlung unter dem Gesichtspunkt des Berichterstatterprivilegs anders zu behandeln.

4. Zu prüfen ist, ob die fragliche Bürgerversammlung öffentlich im Sinne von Art. 27 Ziff. 5 StGB war. Die Vorinstanz bejaht dies im wesentlichen mit der Begründung, die Versammlung sei, wie es der Regel entspreche, öffentlich durchgeführt worden. Daran ändere nichts, dass der zu Beginn anwesende Beschwerdeführer vom Präsidenten aus dem Saal gewiesen worden sei mit der Begründung, die Stimmberechtigten könnten so unbeschwert diskutieren. Denn eine grundsätzlich jedermann zugängliche Versammlung werde nicht durch das Wegweisen einer bestimmten Person zur nichtöffentlichen. Ob der Beschwerdeführer zu Recht weggewiesen worden sei, sei in diesem Zusammenhang unerheblich.
Soweit der Beschwerdeführer unter Hinweis auf das kantonale Recht die Nichtöffentlichkeit der Versammlung dartun will, ist auf seine Beschwerde nicht einzutreten, da mit der Nichtigkeitsbeschwerde nur Fragen des eidgenössischen Rechts überprüft werden können (Art. 269 Abs. 1, 273 Abs. 1 lit. b BStP; BGE 117 IV 14 E. 4b). Im übrigen hat die Vorinstanz, wie auch im Entscheid des Zürcher Kassationsgerichts festgehalten wird, die Öffentlichkeit der Bürgerversammlung der Gemeinde X. vom 20. März 1990 nicht unter
BGE 119 IV 273 S. 276
Berufung auf kantonale Bestimmungen beurteilt, sondern unter Hinweis auf den tatsächlichen Ablauf der Ereignisse. Sie durfte ohne Verletzung von Bundesrecht annehmen, für die Frage der Öffentlichkeit sei massgebend, dass die Bürgerversammlung tatsächlich öffentlich durchgeführt wurde. Soweit der Beschwerdeführer in diesem Punkt von einem von den tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil abweichenden Sachverhalt ausgeht, ist auf seine Beschwerde nicht einzutreten.

5. Es bleibt zu prüfen, ob die Berichterstattung im inkriminierten Artikel wahrheitsgetreu im Sinne von Art. 27 Ziff. 5 StGB war. Die Berichterstattung ist wahrheitsgetreu, wenn sie die in der Beratung gefallenen Äusserungen wörtlich oder sinngemäss wiedergibt; unerheblich ist, ob diese Äusserungen selber wahr oder unwahr sind. Zu der öffentlichen Verhandlung gehören auch schriftliche Unterlagen, sofern sie öffentlich zugänglich sind (BGE 106 IV 171). Tendenziöse Berichterstattung, die kein der Wirklichkeit entsprechendes Bild der Verhandlung wiedergibt, ist rechtswidrig (BGE 106 IV 161 E. 5c mit Hinweisen).
Die Vorinstanz hält (teilweise unter Hinweis auf den Entscheid des Bezirksgerichts) fest, die Beschwerdegegnerin habe richtig zitiert bzw. berichtet. Diese Feststellung ist tatsächlicher Natur und daher für den Kassationshof im Verfahren der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde verbindlich. Die Vorinstanz fügt hinzu, es hätte allerdings dem Ziel einer umfassenden Berichterstattung gedient, wenn die Beschwerdegegnerin auch ein (vom Gemeindepräsidenten an der Bürgerversammlung verlesenes) Schreiben des Beschwerdeführers vom 16. März 1990 erwähnt hätte, in dem dieser seinen eigenen Standpunkt darlegte: dennoch könne nicht von einer tendenziösen Verzerrung der Berichterstattung über die Versammlung gesprochen werden. Dem ist zuzustimmen. Die Berichterstattung über die öffentlichen Verhandlungen einer Behörde ist häufig verkürzt. Sie ist nicht schon allein deshalb wahrheitswidrig, weil darin eine Stellungnahme, ja selbst eine Art Gegendarstellung weggelassen wird.

Inhalt

Ganzes Dokument
Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 2 3 4 5

Referenzen

BGE: 106 IV 161, 114 IV 34, 117 IV 14, 106 IV 171

Artikel: Art. 27 Ziff. 5 StGB