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Urteilskopf

122 III 463


84. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 10. Oktober 1996 i.S. M. gegen B. (Berufung)

Regeste

Schadenersatz bei Verletzung von Urheberrechten (Art. 62 Abs. 2 URG).
Zulässigkeit eines pauschalen Verletzerzuschlags auf dem nach der Methode der Lizenzanalogie bemessenen Schadenersatz im konkreten Fall verneint.

Sachverhalt ab Seite 463

BGE 122 III 463 S. 463
B. (nachfolgend Klägerin) ist Berufsfotografin. Im September 1991 fotografierte sie M. (nachfolgend Beklagter) in dessen Auftrag und erstellte von ihm ein Porträt, das für ein einmalig erscheinendes Heft bestimmt war. Zusätzlich kaufte der Beklagte von der Klägerin zum Preis von insgesamt Fr. 60.-- fünf Diapositiv-Duplikate, die alle einen Kleber mit der Aufschrift "Copyright B." trugen.
Im Frühjahr 1994 kandidierte der Beklagte für den Gemeinderat seines Wohnortes. In der Tageszeitung vom 22., 24. und 28. Februar 1994 erschienen Wahlinserate mit Schwarz-Weiss-Reproduktionen eines jener Farbdiapositive, welche der Beklagte von der Klägerin gekauft und ohne deren vorgängige Erlaubnis seiner Partei zur Verfügung gestellt hatte.
BGE 122 III 463 S. 464
In der Folge belangte die Klägerin den Beklagten für die drei Inserate auf eine Nutzungsgebühr von Fr. 3'850.-- nebst Zins. Mit Urteil vom 13. November 1995 hiess das Obergericht des Kantons Zürich die Klage im Teilbetrag von Fr. 3'420.-- nebst Zins gut. Es erwog, die von der Klägerin erstellten Fotografien seien urheberrechtlich geschützte Werke und mit deren eigenmächtigen Weitergabe habe der Beklagte an einer Urheberrechtsverletzung mitgewirkt, was ihn schadenersatzpflichtig werden lasse. Den zu ersetzenden Schaden bemass es nach der sogenannten Lizenzanalogie aufgrund der Preisempfehlungen für Bildhonorare 94 der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft der Bild-Agenturen und -Archive (nachfolgend SAB) mit Fr. 950.-- pro Inserat oder gesamthaft mit Fr. 2'850.--, erhöht um einen Verletzerzuschlag von 20% oder Fr. 570.--.
Der Beklagte erhebt Berufung und beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Bundesgericht hat die Berufung teilweise gutgeheissen

Erwägungen

aus folgenden Erwägungen:

5. Der Beklagte rügt eine bundesrechtswidrige Schadensermittlung.
b) (Schadensbestimmung nach der Methode der Lizenzanalogie anhand einer branchenüblichen Vergütung für die Verwendung des urheberrechtlich geschützten Werks ist unstreitig. Es bleibt bei der vorinstanzlichen Ermittlung des Schadens im Umfang von Fr. 2'850.--).
c) Begründet ist die Berufung dagegen insoweit, als der Beklagte sich gegen den Verletzerzuschlag von Fr. 570.-- wendet.
aa) Ziffer 7 der "Grundsätze für die Lieferung und Verwendung von Bildmaterial" der Preisempfehlung 94 der SAB bestimmt:
"Eine Weitergabe der Bilder an Dritte ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Bildanbieters ist nicht gestattet, auch nicht für Lizenzausgaben. Auch eine Duplizierung der Bilder ohne Einwilligung des Bildanbieters ist nicht gestattet. Bei unberechtigter Verwendung des Bildmaterials wird zusätzlich zum Honorar ein Schadenersatz von Fr. 1'000.-- geschuldet."
Dass die Parteien diese Allgemeinen Geschäftsbedingungen der SAB in ihre vertraglichen Rechtsbeziehungen integriert hätten, ist weder festgestellt noch dargetan. Damit scheidet ein darauf gestützter Verletzerzuschlag als vereinbarte Vertragsstrafe (Konventionalstrafe) aus.
BGE 122 III 463 S. 465
bb) Das Obergericht geht von der Überlegung aus, die Methode der Lizenzanalogie stelle rechtmässige und widerrechtliche Benützungen eines geschützten Werks vergütungsmässig gleich und privilegiere damit den Rechtsverletzer. Vorab aus Überlegungen der Generalprävention rechtfertige sich daher, die für eine widerrechtliche Werkbenützung geschuldete Entschädigung höher als eine hypothetische Lizenzgebühr anzusetzen, womit der Genugtuungsgedanke in die Ausgleichsfunktion integriert und ein pönales Element in die Schadenersatzbemessung einbezogen werden könnten. Die Mehrvergütung sei an der Schwere der Verletzung zu messen, wobei im vorliegenden Fall mangels schweren Verschuldens des Beklagten ein Zuschlag von 20% als angemessen erscheine. Mit derselben oder einer ähnlichen Begründung wird ein Verletzerzuschlag auch in einem Teil der Literatur vertreten (LUCAS DAVID, in: Schweizerisches Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, Bd. I/2, S. 117; BARRELET/EGLOFF, Das neue Urheberrecht, N. 13 zu Art. 62 URG).
cc) Gesetzlich geregelt ist der Verletzerzuschlag im österreichischen Recht. Nach der Grundsatznorm von § 86 Abs. 1 des österreichischen Urheberrechtsgesetzes (AUrhG) ist bei unbefugter Benutzung eines geschützten Werks dem Verletzten, dessen Einwilligung einzuholen gewesen wäre, auch ohne Verschulden ein angemessenes Entgelt zu zahlen. Bei schuldhafter Verletzung kann der Verletzte nach § 87 Abs. 3 AUrhG das Doppelte dieses Entgelts begehren, sofern kein höherer Schaden nachgewiesen ist. Die deutsche Rechtsprechung gesteht den Verwertungsgesellschaften, welche Nutzungsrechte und Vergütungsansprüche überwiegend im Bereich der sogenannten Massennutzungen wahrnehmen, für ungenehmigte öffentliche Wiedergaben einen Zuschlag von 100% auf den tarifgemässen Gebühren zu (BGHZ 17 S. 376 ff., 59 S. 286 ff.). Sie betont jedoch den Ausnahmecharakter dieses Anspruchs und lässt ihn für andere Rechtsverletzungen grundsätzlich nicht gelten (BGHZ 97 S. 37 ff.; weitere Nachweise bei RUDOLF KRASSER, Schadenersatz für Verletzungen von gewerblichen Schutzrechten und Urheberrechten nach deutschem Recht, in GRUR Int. 1980 S. 259 ff., 264 bei Fn. 55). Gestützt auf diese Rechtsprechung enthält § 54 Abs. 5 des deutschen Urheberrechtsgesetzes (DUrhG) die Regelung, dass abgabepflichtige Gerätehersteller und -importeure den Verwertungsgesellschaften das Doppelte der angemessenen Vergütung zu entrichten haben, wenn sie ihrer Auskunftspflicht über den Geräteumsatz nicht nachkommen. Begründet wurde dieser Zuschlag ursprünglich mit dem
BGE 122 III 463 S. 466
notorisch hohen Überwachungs- und Verfolgungsaufwand der Verwertungsgesellschaften, später zusätzlich mit der gesteigerten Verletzbarkeit der von den Verwertungsgesellschaften wahrgenommenen Rechte und mit Gedanken der Generalprävention, wonach zu vermeiden sei, dass zufolge wirtschaftlicher Gleichstellung von befugter und unbefugter Benutzung ein Anreiz zu Rechtsverletzungen geschaffen werde (vgl. RUDOLF KRASSER, a.a.O., S. 270 f.). Eine Generalisierung dieses Gedankens durch Zuspruch eines allgemeinen Verletzerzuschlags im gesamten Bereich der immateriellen und jedenfalls urheberrechtlichen Schutzrechte wird in einem Teil der Literatur grundsätzlich befürwortet (etwa RUDOLF KRASSER, a.a.O., S. 271 f., allerdings unter Ablehnung einer pauschalisierten Verdoppelung; FROMM/NORDEMANN, Urheberrecht, 8. Aufl., Stuttgart Berlin Köln 1994, N. 38 zu § 97 DUrhG; JOCHEN PAGENBERG, Die amerikanische Schadenersatzpraxis im gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht - Mehrfacher Schadenersatz für Patentverletzungen als Modell für Europa, in GRUR Int. 1980 S. 286 ff., 295 ff.), anderenorts aber abgelehnt (namentlich EUGEN ULMER, Urheber- und Verlagsrecht, 3. Aufl., Berlin Heidelberg New York 1980, S. 558; wohl auch SCHRICKER/WILD, Urheberrecht, Kommentar, München 1987, N. 64 zu § 97 DUrhG; HUBMANN/REHBINDER, Urheber- und Verlagsrecht, 8. Aufl., München 1995, S. 315 ff.; vgl. auch CHRISTOPH NERTZ, Der Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Vergütung bei rechtswidriger Benutzung fremder Immaterialgüterrechte (sog. Lizenzanalogie), Diss. Basel 1992, S. 63 mit weiteren Hinweisen). Die französische Rechtsprechung gewährt dem Urheber neben der geschuldeten Vergütung für die Benutzung seines Werkes als Schadenersatz auch einen Teil der vom Verletzer erzielten Gewinne, insbesondere im Plagiatsfall (FRANÇOIS DESSEMONTET, Schadensersatz für Verletzung geistigen Eigentums nach schweizerischem und französischem Recht, in GRUR Int. 1980 S. 272 ff., 277). Nach amerikanischem Urheberrecht schliesslich kann der Verletzte seinen Schaden konkret oder nach gesetzlichen Ansätzen geltend machen, wobei diese nach dem Verschuldensmass abgestuft sind (JOCHEN PAGENBERG, a.a.O., S. 287 f.).
Für das schweizerische Recht hat THEO FISCHER schon im Jahre 1961 postuliert, den an einer angemessenen Vergütung zu messenden Schaden bei widerrechtlicher Benützung eines geschützten Werks allenfalls höher anzusetzen als eine vergleichbare Lizenzgebühr, da diese als Anreiz für die Einholung einer Bewilligung oftmals tief angesetzt werde (Schadenberechnung im gewerblichen
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Rechtsschutz, Urheberrecht und unlauteren Wettbewerb, S. 142 ff.). FRANÇOIS DESSEMONTET (a.a.O., S. 281 f.) hält für die Herstellung nicht genehmigter Vervielfältigungsstücke die Zuerkennung einer blossen Entschädigung (Lizenzanalogie) in aller Regel für ungenügend und spricht einer grosszügigen Bemessung des Ersatzes für materiellen und immateriellen Schaden das Wort. ALOIS TROLLER fordert, in Urheberrechtssachen sei, wenn einmalige Benutzungen mit verhältnismässig geringem Entgelt zur Diskussion stehen, ein Zuschlag von 100% zur normalen Grundgebühr zuzulassen, hält hierfür aber eine gesetzliche Grundlage für notwendig; Gerichte sollten nicht von sich aus die bei der Schadensermittlung sonst allgemein geltenden Regeln auf die Seite schieben (Immaterialgüterrecht, 3. Aufl., 1985, Bd. II, S. 989 Fn. 86). Die SUISA hat in ihrer Tarifordnung für die unbefugte Werknutzung eine Verdoppelung des Tarifansatzes normiert und damit auch in der Rechtsprechung Verständnis gefunden (Urteile des Einzelrichters am Bezirksgericht Zürich vom 23. Oktober 1987 und des Kantonsgerichtsausschusses Graubünden vom 9. Februar 1988, beide in SMI 1989 S. 74 bzw. S. 74 f.). LUCAS DAVID und BARRELET/EGLOFF (je a.a.O.) sehen darin einen verallgemeinerungsfähigen Grundsatz. CHRISTOPH NERTZ schliesslich lehnt die Lizenzanalogie und damit die Gleichstellung von befugter und unbefugter Werkbenützung wie den darauf bemessenen Verletzerzuschlag im Grundsatz ab, postuliert dagegen eine flexible und grosszügige Bemessung des Schadenersatzes nach Art. 42 Abs. 2 OR (a.a.O., S. 159 ff.).
Ob ein pauschalisierter Verletzerzuschlag im Tarif der Verwertungsgesellschaften bundesrechtskonform ist, sich insbesondere - analog der deutschen Rechtsprechung - aus der besonderen Struktur dieser Gesellschaften und der Natur der von ihnen zu verwaltenden Rechte begründen lässt, ist im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden. Für Verletzungen wie hier lässt sich indes ein pauschalisierter Verschuldenszuschlag, so wünschenswert er rechtspolitisch auch sein mag, de lege lata nicht halten. Wie LUCAS DAVID (a.a.O.) zu Recht bemerkt und auch die Vorinstanz festgehalten hat, würde dadurch ein pönales Element im Sinn von "punitive damages" in das geltende Recht eingeführt, welches den allgemeinen Prinzipien der Schadens- und Ersatzbemessung, auf welche Art. 62 Abs. 2 URG ausdrücklich verweist, widerspricht und gewöhnlich gar als Verstoss gegen den Ordre public erachtet wird (vgl. ANTON HEINI, IPRG Kommentar, N. 42a zu Art. 190 mit Hinweisen). Die Zusprechung so begründeten Schadenersatzes, dem auf Seiten des Verletzten
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keine selbst im Tatbestandsermessen des Art. 42 Abs. 2 OR auszumachende Vermögenseinbusse gegenübersteht, ist daher abzulehnen. Das bedeutet nicht, dass bei der Schadensschätzung nach der genannten Norm nicht auch Elemente berücksichtigt werden dürfen, die ausserhalb der eigentlichen Lizenzanalogie stehen; hierzu hat der Verletzte aber mindestens substanziert aufzuzeigen, dass die Verletzung geeignet war, weiteren Schaden zu bewirken, und dass der Eintritt solchen Schadens wahrscheinlich war. Solche Indizien sind im vorliegenden Fall weder festgestellt noch dargetan und es ist auch nicht ersichtlich, inwiefern eine Vergütung von Fr. 2'850.-- für die drei Inserate den Schaden und die immaterielle Beeinträchtigung der Klägerin nicht vollumfänglich zu decken vermöchte. In diesem Punkt ist mithin die Berufung begründet und das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben.

Inhalt

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Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 5

Referenzen

Artikel: Art. 62 Abs. 2 URG, Art. 42 Abs. 2 OR, Art. 62 URG