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Urteilskopf

123 IV 202


32. Urteil des Kassationshofes vom 5. Dezember 1997 i.S. P. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell Ausserrhoden (Nichtigkeitsbeschwerde)

Regeste

Art. 261bis Abs. 1 StGB und 4 StGB; Rassendiskriminierung.
Der Tatbestand schützt die Würde des Einzelnen in seiner Eigenschaft als Angehöriger einer Rasse, Ethnie oder Religion. Strafbar macht sich, wer jemanden wegen einer zugeschriebenen Rasse, Ethnie oder Religion diskriminiert, unabhängig davon, ob solche Eigenschaften tatsächlich bestehen (E. 3a).
"Aufrufen" ist auch als "aufreizen" zu verstehen (E. 3b).
Als öffentlich gilt insbesondere, was sich an einen grossen Adressatenkreis richtet (E. 3d).
Subjektiv setzt der Tatbestand vorsätzliches Handeln aus rassendiskriminierenden Beweggründen voraus (E. 4c).

Sachverhalt ab Seite 202

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A.- Im Juli 1995 faxte der amerikanische Hauptsitz der Universalen Kirche einen in Englisch abgefassten Brief und Adressmaterial für eine Jahreskonferenz in Toronto an die Vereinigung in der Schweiz. Eine vom 1. Juli 1995 datierte Übersetzung wurde Mitte Juli 1995 an 432 Adressaten im In- und Ausland verschickt als "Ein Besonderer Geschenks-Einladungsbrief von Dem Geheimen Avatar" an verpflichtete Schüler. Es wird zunächst dargelegt, dass
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dies weniger ein Aufruf als ein Befehl zur Teilnahme sei und dass viele diese Aktivität verlassen hätten. Sodann wird auf den Seiten 2 und 3 des vierseitigen Briefs ausgeführt:
"Dann gab es das jüdische 'Kontingent'. Oh, Meine Güte, wie sehr dachten sie, dass Lord Morya und Unser Orakel sie 'beleidigt' hätten! Nun, natürlich taten Wir dies, und du und Ich werden immer jene 'beleidigen', die der jüdischen 'Überzeugung' angehören, einfach deshalb, weil ihnen in sehr jungen Jahren ein programmierter Beleidigungsmechanismus eingepflanzt worden ist. Sie lassen sich sehr leicht beleidigen, und der durchschnittliche Jude verbringt den grössten Teil seines Lebens damit, nach beleidigenden Situationen zu suchen, damit er oder sie seine oder ihre Selbstgerechtigkeit erhalten kann! [...]
Es gibt einige sehr falsche Dinge, die von den Zionisten auf der ganzen Welt begangen werden, über die der durchschnittliche Jude nicht Bescheid weiss, von denen ihm nichts gesagt wird und über die er nichts wissen will. Wenn sie von solchen Dingen in Kenntnis gesetzt werden, weichen sie in falschem Entsetzen und programmiertem 'Un-Glauben' zurück. Wie die Gassenkatzen der Nacht hören Wir, wie sie ihre programmierten Schreie "Es ist nichts als eine weitere dumme Verschwörungstheorie" in den Äther hinaus miauen, bis ihre Widersacher schweigen. Wie bei so vielen Dingen in der Welt, spielt es leider nie eine Rolle, wie wahr sie sind.
Letzten Monat (Juni 1995) sagte ein bekannter polnischer Priester: "... Wegen ihrer satanischen Gier zettelten die Juden den 2. Weltkrieg an, genauso wie sie für den Beginn des Kommunismus verantwortlich waren." Es ist vollkommen wahr. Dieser gesegnete Kirchenmann sprach die absolute Wahrheit! Es war Baron Rothschild, der Adolf Hitlers fehlschlagendes neues arisches 'Drittes Reich' finanzierte, und es war die jüdische Gemeinde, die unter der immensen Macht des russischen Zaren litt und 1917 einen gewissen Wladimir Iljitsch Ulianow Lenin unterstützte, in der Hoffnung, dass er seine Macht mit ihnen teilen würde. Er tat es nicht. Warum hätte er es tun sollen? Er eignete sich rücksichtslos eigene Macht an, auf Kosten von allem und jedem um ihn herum, genauso wie seine jüdischen 'Verfechter' programmiert waren (und es immer noch sind), alles an sich zu reissen, was sie nur können, wenn sie können ... und wenn sie Gelegenheit dazu erhalten, werden sie es tun. Merke dir Unsere Worte! Wer wird sie aufhalten?
Sie lagen "tot im Wasser", wie ihr sagt, als Erzengel Melchisedek ihr totes Land vor etwa zwanzig Jahrhunderten besuchte, und hier stehen sie am Vorabend eines weiteren Zeitalters und erzählen der Welt unverschämter Weise, dass sie noch immer die "Auserwählten" sind. Kein Mitglied dieser sogenannten "auserwählten Rasse" wird sich je lange genug hinsetzen, um die Tatsachen zu untersuchen. Weshalb? Sie sind zu beschäftigt damit, Geld zu 'machen', als Politiker, Rechtsanwälte, Bankiers, Ärzte, Medienmagnate, Filmregisseure, Moderatoren von Radio-Talkshows, Grundstücksmakler, Konzerndirektoren und -präsidenten, Herausgeber von Printmedien, Besitzer von Fernsehstationen, oder einfach als einfache Juweliere,
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und andere - alles kontrollierend, was in einer christlichen Welt einen Wert besitzt, denn es ist die christliche Welt, die zu zerstören der leidenschaftliche Zionist entschlossen ist. Deshalb waren es die Zionisten, die die American Civil Liberties Union (A.C.L.U.) gründeten, eine Organisation, die dazu geschaffen ist, die Gesetze zu verwenden, um - um jeden Preis - das moralische Gewebe der neuzeitlichen christlichen Gesellschaft zu zerstören. Erinnere dich einfach daran, was der Grosse Herr 1991 sagte: "Israel ist der Sitz des Anti-Christen!!"
[...] Wir werden weiter über diese unerträgliche Sachlage sprechen, und es ist Unsere innigste Hoffnung, dass auch du es tun wirst, ohne darauf zu achten, wer dich dafür verdammen wird, zu Dem Wort zu stehen, für die Wahrheit aufzustehen [Originaltext: it is Our fervent hope that so will you, no matter who condemns you for standing by The Word, standing up for the Truth] und DEINE GEGENWART ERKENNBAR ZU MACHEN!"
P. bestätigte im Untersuchungsverfahren, für den Versand dieses von ihm mit anderen Personen übersetzten Briefs verantwortlich zu sein. Er bekannte sich zum Inhalt, bestritt aber, dass er oder die Mitglieder ein rassistisches Gedankengut vertreten würden und als Antisemiten zu bezeichnen seien und dass er mit rassendiskriminierenden Äusserungen an die Öffentlichkeit getreten sei.

B.- Das Kantonsgericht von Appenzell Ausserrhoden fand P. am 11. Juli 1996 der Rassendiskriminierung schuldig und bestrafte ihn mit 4 Monaten Gefängnis bedingt bei 3 Jahren Probezeit und Fr. 5'000.-- Busse. Das Obergericht von Appenzell Ausserrhoden bestätigte am 18. März 1997 das Urteil des Kantonsgerichts.

C.- P. erhebt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts aufzuheben bzw. es eventuell aufzuheben und zur Neubeurteilung an das Obergericht zurückzuweisen sowie der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen.

Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Die Nichtigkeitsbeschwerde ist ein kassatorisches Rechtsmittel (Art. 277ter BStP). Bei Gutheissung wird daher das Urteil aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen. Auf den Antrag ist in diesem Sinne einzutreten.
Die Nichtigkeitsbeschwerde kann nur damit begründet werden, dass die angefochtene Entscheidung Bundesrecht verletze (Art. 269 BStP). Ausführungen, die sich gegen die tatsächlichen Feststellungen des Entscheids richten, das Vorbringen neuer Tatsachen, neue Einreden, Bestreitungen und Beweismittel sowie Erörterungen über
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die Verletzung kantonalen Rechts sind unzulässig (Art. 273 BStP). Was jemand weiss, will oder womit er einverstanden war, ist als Tatfrage im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde prinzipiell nicht überprüfbar (Art. 277bis BStP; BGE 122 IV 156 E. 2b). Daher ist nicht einzutreten, soweit der Beschwerdeführer der Vorsatzannahme zugrundeliegende innere Tatsachen bestreitet und soweit er sich im Strafpunkt gegen tatsächliche Feststellungen richtet. Weiter kann der Beschwerdeführer nur geltend machen, seine Verurteilung verletze Bundesrecht, nicht aber, es hätten noch andere Personen in die Strafuntersuchung einbezogen werden müssen.

2. Die Schweiz verpflichtete sich im Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung vom 21. Dezember 1965 (SR 0.104) auf der Grundlage der angeborenen Würde und Gleichheit aller Menschen und "in der Überzeugung, dass jede Lehre von einer auf Rassenunterschiede gegründeten Überlegenheit wissenschaftlich falsch, moralisch verwerflich sowie sozial ungerecht und gefährlich ist und dass eine Rassendiskriminierung, gleichviel ob in Theorie oder in Praxis, nirgends gerechtfertigt ist", zur strafrechtlichen Erfassung bestimmter rassendiskriminierender Verhaltensweisen. Sie brachte mit ihrem Beitritt den Willen zum Ausdruck, rassistisches und menschenverachtendes Verhalten in der Schweiz nicht zu tolerieren (Botschaft über den Beitritt der Schweiz zum Internationalen Übereinkommen von 1965 zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung und über die entsprechende Strafrechtsrevision vom 2. März 1992, BBl 1992 III 273). Zu diesem Zweck wurde Art. 261bis in das Strafgesetzbuch eingefügt und nach einer Referendumsabstimmung am 1. Januar 1995 in Kraft gesetzt.
Gemäss Art. 261bis StGB mit dem Randtitel Rassendiskriminierung wird mit Gefängnis oder Busse bestraft,
1. wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion zu Hass oder Diskriminierung aufruft
("aura incité"; "incita"),
2. wer öffentlich Ideologien verbreitet, die auf die systematische Herabsetzung oder Verleumdung der Angehörigen einer Rasse, Ethnie oder Religion gerichtet sind,
3. wer mit dem gleichen Ziel Propagandaaktionen organisiert, fördert oder daran teilnimmt,
4. wer (1) öffentlich durch Wort, Schrift, Bild, Gebärden, Tätlichkeiten oder in anderer Weise eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion in einer gegen die Menschenwürde verstossenden
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Weise herabsetzt oder diskriminiert oder (2) aus einem dieser Gründe Völkermord oder andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit leugnet, gröblich verharmlost oder zu rechtfertigen sucht,
5. wer eine von ihm angebotene Leistung, die für die Allgemeinheit bestimmt ist, einer Person oder einer Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion verweigert.
Die eidgenössischen Räte waren sich einig, Hetzern und Rassisten mit strafrechtlichen Mitteln ihr Handwerk zu legen. Gleichzeitig wurde hervorgehoben, dass die Freiheitsrechte wie die Meinungsäusserungsfreiheit gewahrt bleiben. Dies ergibt sich bereits aus Art. 4 des Internationalen Übereinkommens, in dem sich die Vertragsstaaten verpflichteten, in ihrer Antirassismusgesetzgebung die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte niedergelegten Grundsätze gebührend zu berücksichtigen. Hintergrund des Übereinkommens und insoweit der Rassismusstrafnorm bilden die Erfahrungen des Kolonialismus, des Völkermords und anderer Verbrechen gegen die Menschlichkeit, insbesondere die Tatsache der unter den Begriffen Shoah und Holocaust zusammengefassten Verbrechen, aber auch rassistische Vorkommnisse in der Schweiz.
Es werden der öffentliche Friede beziehungsweise der Respekt und die Achtung vor dem andern und dessen Anderssein als geschützt bezeichnet. In dieser Sicht gilt auch die Würde des Menschen als Rechtsgut, während der öffentliche Friede mittelbar geschützt wird als Folge des Schutzes des Einzelnen in seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen oder religiösen Gruppe (NIGGLI, Rassendiskriminierung, Zürich 1996, N. 105, 130, 211; REHBERG, Strafrecht IV, 2. Auflage, Zürich 1996, S. 180; STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil II, 4. Auflage, Bern 1995, § 39 N. 22; TRECHSEL, Kurzkommentar, 2. Auflage, Zürich 1997, Art. 261bis N. 1, 6; GUYAZ, L'incrimination de la discrimination raciale, Bern 1996, S. 241, 250).

3. a) Der Tatbestand schützt wesentlich die Würde des einzelnen Menschen in seiner Eigenschaft als Angehöriger einer "Rasse, Ethnie oder Religion". Diese Begriffe beziehen sich auf unterschiedliche Kontexte und lassen sich insoweit auch juristisch nicht auf eine griffige Formel bringen. Die Zielsetzung des Gesetzes ist dagegen klar. Strafrechtlich ist entscheidend, dass Art. 261bis StGB auf dem Grundsatz der angeborenen Würde und Gleichheit aller Menschen beruht. Die Bestimmung verbietet daher eine Diskriminierung selbst bei einem Bestehen behaupteter Unterschiede, weshalb sich eine nähere strafrechtliche Definition von "Rasse" oder "Ethnie"
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erübrigt. Vielmehr macht sich strafbar, wer eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen einer zugeschriebenen Rasse, Ethnie oder Religion diskriminiert. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob solche Eigenschaften tatsächlich bestehen, ob sich dieser Personenkreis solche Eigenschaften selbst zurechnet oder ob solche Eigenschaften fälschlich oder wahnhaft zugeschrieben werden; massgebend ist der Beweggrund (STRATENWERTH, a.a.O., § 39 N. 28; REHBERG, a.a.O., S. 183; GUYAZ, a.a.O., S. 128 ff., 135, 142 f.).
b) Das Tatbestandsmerkmal "Aufrufen" in Art. 261bis Abs. 1 StGB geht auf den Entwurf des Bundesrats zurück, der den Vorentwurf straffen und präzisieren wollte. Das öffentliche Aufrufen oder Aufreizen zu Rassendiskriminierung des Vorentwurfs wurde zum Aufrufen zu Hass und Diskriminierung. Diese Kürzung entfernte im deutschen Wortlaut den Begriff "aufreizen" und im französischen den Begriff "appeler" aus dem Gesetz, wobei der Bundesrat aber weiterhin die rassistische Hetze verfolgt wissen wollte (Botschaft, a.a.O., S. 312).
Dieses Konzept wurde in den eidgenössischen Räten übernommen. Der Ständerat behandelte die Vorlage als Zweitrat. Sein Berichterstatter führte aus, es gehe in den ersten drei Absätzen um die Bekämpfung der Rassenhetze: Abs. 1 erkläre das einfache Aufrufen zur Rassenhetze als strafbar, Abs. 2 betreffe eine subtilere Form der Aufhetze, die mit vermehrtem gedanklichem Aufwand verbunden sei, und Abs. 3 betreffe Aktionen, die gleichsam auf einem höheren organisatorischen Standard erfolgten, die also systematisch geplant würden und deshalb möglicherweise auch wirksamer seien als das einfache Aufhetzen einer Einzelperson. Alle drei Absätze hätten nur das öffentliche Aufhetzen zum Ziel; es gehe um Aufrufe, die sich an eine unbestimmte Zahl von Personen richten. In Abs. 4 gehe es um eigentliche Angriffe aufgrund rassendiskriminatorischer Motive (Zimmerli, AB 1993 S 96 f.).
"Aufrufen" ist daher im Sinne der französischen und italienischen Fassung des Gesetzes ("celui qui aura incité ..." bzw. "chiunque incita ...") auch als "aufreizen" zu verstehen (GUYAZ, a.a.O., S. 254; NIGGLI, a.a.O., N. 763; REHBERG, a.a.O., S. 186). Diese Auslegung gibt den Willen des Gesetzgebers richtig wieder. Erfasst werden damit auch die allgemeine Hetze oder das Schüren von Emotionen, die auch ohne hinreichend expliziten Aufforderungscharakter Hass und Diskriminierung hervorrufen können (vgl. STRATENWERTH, a.a.O., § 39 N. 32). Diese Auslegung entspricht der von den Vertragsstaaten des Internationalen Übereinkommens übernommenen
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Verpflichtung, "jedes Aufreizen zur Rassendiskriminierung" unter Strafe zu stellen.
c) Infolge eines Abänderungsantrags von Ständerat Küchler erhielt Abs. 4 (1) anstelle der Fassung von Bundesrat und Nationalrat ("in ihrer Menschenwürde angreift") die neue Fassung "in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise herabsetzt oder diskriminiert". Damit wollte Küchler die Bestimmung präziser fassen, so dass "nicht jegliche unbedachte Handlung oder Äusserung" strafbar werde. Das war aber weder vom Bundesrat noch von den Räten je beabsichtigt worden. Es wurde in dieser Präzisierung denn auch selbst im Ständerat "in keiner Art und Weise eine grundlegende Änderung des Konzeptes" gesehen (Ständerat Zimmerli und Bundesrat Felber, AB 1993 S 97, 98). Im Differenzbereinigungsverfahren zog der Bundesrat "die etwas enger" und "klarer" umschriebene Version des Ständerats vor, während der Nationalrat zunächst annahm, seine Formulierung drücke das Gemeinte klarer und deutlicher aus (AB 1993 N 1075-1080). Nachdem der Ständerat an seiner Fassung weiterhin festhielt (AB 1993 S 452), wurde im Nationalrat ausgeführt, es gehe darum, die Bestimmung möglichst klar zu formulieren und dem Richter auch Schranken zu geben, an die er sich halten könne. Trotz dieser gemeinsamen Absicht sei man zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangt. "Herabsetzt" sei im Vergleich zu "angreift" "etwas weniger intensiv und deshalb auch weniger einschränkend" und lasse dem Richter mehr Spielraum. Es handle sich aber eher um eine Form- als eine Grundsatzfrage. Die ständerätliche Fassung wurde Gesetz (AB 1993 N 1300, 1451; AB 1993 S 579). Das Differenzbereinigungsverfahren führte dem Wortlaut nach - wie im Nationalrat richtig gesehen wurde - wohl prinzipiell zu einer "weniger einschränkenden" Fassung. Die Räte wollten jedoch keine Änderung des bundesrätlichen Konzepts.
d) Als öffentlich gilt nach konstanter Rechtsprechung, was sich an einen unbestimmten Personenkreis richtet (BGE 111 IV 151 E. 2). Der Gesetzgeber verwies auf diese Rechtsprechung (E. 3b, zweiter Absatz). Als öffentlich gilt daher insbesondere auch, was sich an einen grossen Adressatenkreis richtet.

4. a) Die Vorinstanz nimmt an, die Norm schütze Angehörige einer bestimmten Rasse, Ethnie oder Religion. Diese Voraussetzung sei im Falle von Angehörigen der jüdischen Religion erfüllt. Der fragliche Text sei insgesamt wie in einzelnen Teilen als Herabwürdigung und Unwerterklärung aller Personen jüdischen Glaubens zu werten. Sein Inhalt sei geschickt mit den Verpflichtungen der
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Vereinigung verwoben und geeignet, bei den Adressaten Hassgefühle hervorzurufen und letztlich die öffentliche Ordnung zu gefährden. Daher sei mitgewollt gewesen, dass die Botschaft und damit auch die Äusserungen über die Juden hinausgetragen werden, zumal der Text dazu aufgefordert habe. Der Beschwerdeführer habe dies in Kauf genommen. Er sei für den Versand strafrechtlich verantwortlich und habe zumindest eventualvorsätzlich gehandelt. Sein Verschulden wiege schwer. Ihm fehle die Einsicht in das Unrecht seiner Tat. Er könne sich seiner Verantwortung nicht mit dem Hinweis auf einen religiösen Gehorsam entziehen, dass ihm nämlich die Gebote der Vereinigung nicht erlaubt hätten, das Schreiben zu "administrieren".
b) Der Beschwerdeführer bestreitet rassistische Äusserungen. Die Norm schütze nicht die gesellschaftliche Ehre, sondern setze voraus, dass ein Text dem Judentum die Qualität des Menschseins abspreche. Das erfordere im Vergleich zur Verletzung der Ehre notwendig eine ausschliessende und herabsetzende Bewertung als minder- und unterwertig. Im Text fänden sich dergleichen Differenzierungen nicht. Verschiedene Textstellen seien beleidigend. Es werde aber nirgends die Über- oder Unterlegenheit einer bestimmten Gruppe behauptet. Ein Aufruf zu Hass oder Diskriminierung gegen die abtrünnigen Kirchenangehörigen wegen ihres Judentums habe nicht stattgefunden, auch nicht gegen das Judentum als solches. Die Vorinstanz lasse offen, ob die Äusserungen Ideologie verkörperten. Auch eine Verletzung der Menschenwürde sei nicht gegeben; der Vergleich mit Gassenkatzen treffe nicht die Juden als Rasse, sondern den durchschnittlichen Juden in seiner Reaktion auf behauptetes Verhalten der Zionisten, womit nicht eine Unwertigkeit behauptet werde. Öffentlichkeit sei nicht gegeben; die Briefe gehörten der kirchlichen Privatsphäre an. Subjektiv habe er nicht damit rechnen müssen, dass die Briefe an die Öffentlichkeit gelangten; nicht sein Handeln, sondern ein Vertrauensbruch habe dazu geführt. Schliesslich verletze die Strafe Bundesrecht.
c) In der zu beurteilenden Sache geht es um Antisemitismus in der Form einer strafrechtlich relevanten Judenfeindschaft. Ausser Frage steht, dass die jüdische Spiritualität (dazu Adin Steinsaltz, Le Talmud, L'Edition Steinsaltz, Ramsay 1995 ff.) im Religionsbegriff von Art. 261bis StGB geschützt wird. Die Vorinstanz zieht für den Schuldspruch hauptsächlich fünf Textstellen heran und beurteilt diese als einzelne wie auch den vorgeworfenen Text insgesamt als rassendiskriminierend im Sinne von Art. 261bis Abs. 1 und 4 (1)
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StGB. Der Schuldspruch verletzt kein Bundesrecht. Es erweist sich angesichts der summierten Verwendung notorischer Versatzstücke aus dem Arsenal der Judenhetze als überflüssig, sich mit dem Text weiter auseinanderzusetzen.
Öffentlichkeit ist anzunehmen. Der Beschwerdeführer versandte 432 Briefe an einen grossen Adressatenkreis, wobei die Adressaten autoritativ auf "Das Wort" verpflichtet wurden. Der Einwand, die Briefe hätten der kirchlichen Privatsphäre angehört, wird jedenfalls dann irrelevant, wenn sie an einen grossen Adressatenkreis versandt werden. Das Adjektiv "kirchlich" ändert daran nichts. Dabei kann offenbleiben, ob von einer "kirchlichen Privatsphäre" reden nicht bereits in sich einen Widerspruch bildet, bei einer Kirche, die in Amerika und Europa eine grössere Zahl Menschen einschliesst.
Eine Verletzung von Art. 261bis Abs. 2 und 3 StGB lässt die Vorinstanz offen, so dass auf diese Vorbringen nicht einzugehen ist.
Subjektiv setzt der Tatbestand vorsätzliches Handeln aus rassendiskriminierenden Beweggründen voraus. Eventualvorsatz genügt (Art. 18 Abs. 1 und 2 StGB) und ist anzunehmen, wenn der Täter den strafbaren Erfolg als möglich voraussieht, aber gleichwohl handelt, weil er ihn in Kauf nimmt für den Fall, dass er eintreten sollte (BGE 119 IV 1 E. 5a). Der Beschwerdeführer versandte einverständlich einen rassendiskriminierenden Aufruf an einen grossen Adressatenkreis. Das erfüllt den subjektiven Tatbestand.
Die Strafe ist ermessenskonform festgesetzt worden. Ein achtenswerter Beweggrund liegt nicht vor. Der Beschwerdeführer kann sich nicht damit rechtfertigen, blosser Weisungsempfänger gewesen zu sein und die Briefe an Gleichgesinnte versandt zu haben. Weiter ist nicht einzusehen, weshalb ein "Schutz von Gesinnungs- und Meinungsfreiheit" hätte berücksichtigt werden sollen.

5. Die Nichtigkeitsbeschwerde wird kostenpflichtig abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird. Damit ist das Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos geworden.

Inhalt

Ganzes Dokument:
Regeste: deutsch französisch italienisch

Erwägungen 1 2 3 4 5

Referenzen

BGE: 122 IV 156, 111 IV 151, 119 IV 1

Artikel: Art. 261bis StGB, Art. 261bis Abs. 1 StGB, Art. 277ter BStP, Art. 269 BStP mehr...

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