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Urteilskopf

126 V 226


39. Urteil vom 9. August 2000 i.S. Bundesamt für Sozialversicherung gegen X.H. und Eidg. Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen

Regeste

Art. 29quater und Art. 31 AHVG (in der ab 1. Januar 1997 geltenden Fassung), Ziff. 1 lit. c Abs. 8 und Ziff. 1 lit. g der Übergangsbestimmungen der 10. AHV-Revision; Art. 2 des Bundesbeschlusses vom 19. Juni 1992 über Leistungsverbesserungen in der AHV und der IV sowie ihre Finanzierung; Art. 53ter Abs. 3 AHVV (in Kraft gewesen vom 1. Januar 1994 bis 31. Dezember 1996): Neufestsetzung der Altersrente bei Wiederverheiratung.
- Die Frage der Neuberechnung einer vor Inkrafttreten der 10. AHV-Revision entstandenen einfachen Altersrente bei einer Wiederverheiratung der anspruchsberechtigten Person nach diesem Zeitpunkt ist nicht eine solche des Übergangsrechts.
- Über den Wortlaut des Art. 31 AHVG hinaus geben grundsätzlich alle Zivilstandsänderungen Anlass für eine Neufestsetzung der Rente und zwar ungeachtet des Zeitpunktes der Entstehung des Anspruchs. Liegt dieser vor dem 1. Januar 1997, ist aber eine Überführung der Altersrente ins neue Recht erfolgt, gilt sie als Zeitpunkt der erstmaligen Rentenberechnung im Sinne von Art. 31 AHVG.
- Rz. 6014 des vom Bundesamt für Sozialversicherung herausgegebenen Kreisschreibens II über die Rentenberechnung von Mutations- und Ablösungsfällen, wonach die Renten von geschiedenen Frauen, welchen auf Grund des Bundesbeschlusses über die Leistungsverbesserungen in der AHV und der IV vom 19. Juni 1992 ganze Erziehungsgutschriften angerechnet werden konnten, bei der Wiederverheiratung ohne Anrechnung von Erziehungsgutschriften neu festgesetzt werden müssen, ist gesetzwidrig.

Sachverhalt ab Seite 227

BGE 126 V 226 S. 227

A.- Die am 1. Dezember 1928 geborene X.L. heiratete am 24. Juli 1948 W. Aus dieser Verbindung gingen drei Kinder hervor.
BGE 126 V 226 S. 228
Am 29. September 1966 wurde die Ehe geschieden. Am 10. Dezember 1997 heiratete X.W.-L. den amerikanischen Staatsangehörigen H.
X.H. bezieht seit 1. Januar 1991 eine ordentliche einfache Altersrente (Verfügung vom 21. Dezember 1990). Diese wurde auf ihr Gesuch ab 1. Januar 1994 neu unter Anrechnung von Erziehungsgutschriften festgesetzt (Verfügung vom 3. März 1994). Die infolge Wohnsitznahme in den USA nunmehr zuständige Schweizerische Ausgleichskasse nahm die Wiederverheiratung zum Anlass, die Altersrente neu zu berechnen, indem sie - bei im Übrigen unveränderten Bemessungsgrundlagen (Rentenskala 44, Beitragsdauer 33 Jahre, Erwerbseinkommen 58'506 Franken) - für die Zeit ab 1. Januar 1998 infolge Wiederverheiratung keine Erziehungsgutschriften mehr anrechnete, was eine Reduktion der monatlichen Leistungen um 175 Franken bedeutete (Verfügung vom 3. Juli 1998).

B.- Die von X.H. hiegegen erhobene Beschwerde hiess die Eidg. Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen mit Entscheid vom 16. Februar 2000 mit der Feststellung gut, dass "über den 31. Dezember 1997 hinaus Anspruch auf eine monatliche Altersrente (...), berechnet aufgrund der Rentenskala 44 bei einer anrechenbaren Beitragsdauer von 33 Jahren und einem massgebenden durchschnittlichen Jahreseinkommen von 79'998 Franken (Stand 1998)" besteht.

C.- Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, der Entscheid der Eidg. Rekurskommission sei aufzuheben.
Während X.H. sich ohne einen bestimmten Antrag zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde vernehmen lässt, trägt die Schweizerische Ausgleichskasse auf deren Gutheissung an.

Erwägungen

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1. Streitig ist, ob die Beschwerdegegnerin, die, seit 1966 von ihrem ersten Mann geschieden, auf Grund des Bundesbeschlusses vom 19. Juni 1992 über Leistungsverbesserungen in der AHV und der IV sowie ihre Finanzierung (SR 831.100.1; nachfolgend: Bundesbeschluss) ab 1. Januar 1994 in den Genuss von Erziehungsgutschriften gekommen war, als Folge der Wiederverheiratung im Dezember 1997 diesen Anspruch mit Wirkung ab 1. Januar 1998 verloren hat.
BGE 126 V 226 S. 229

2. a) Muss eine Altersrente neu festgesetzt werden, weil der Ehegatte rentenberechtigt oder die Ehe aufgelöst wird, so bleiben laut Art. 31 AHVG (in der seit 1. Januar 1997 geltenden Fassung) die im Zeitpunkt der erstmaligen Rentenberechnung geltenden Berechnungsvorschriften massgebend. Die auf Grund dieser Bestimmungen neu festgesetzte Rente ist in der Folge auf den neuesten Stand zu bringen.
Gemäss Ziff. 1 lit. c Abs. 8 der Übergangsbestimmungen der 10. AHV-Revision (ÜbBest. AHV 10) ist Artikel 31 sinngemäss anwendbar auf Renten, die infolge Scheidung oder Wiederverheiratung unter dem alten Recht neu festgesetzt werden mussten (Satz 2). Die höheren Renten werden jedoch nur auf Antrag und ab dem Inkrafttreten dieser Gesetzesänderung ausgerichtet (Satz 3).
b) Nach Ziff. 1 lit. g Abs. 1 ÜbBest. AHV 10 gilt Artikel 2 des Bundesbeschlusses vom 19. Juni 1992 über Leistungsverbesserungen in der AHV und der IV sowie ihre Finanzierung für Renten, auf die der Anspruch vor dem 1. Januar 1997 entstanden ist, auch nach dem 31. Dezember 1995 resp. 1996 (Bundesbeschluss vom 7. Oktober 1994; Satz 1). Artikel 2 gilt sinngemäss auch für ledige Versicherte (Satz 2).
Laut Art. 2 Abs. 1 des Bundesbeschlusses können geschiedene Altersrentnerinnen verlangen, dass ihnen bei der Berechnung ihrer Rente gemäss Artikel 31 Absatz 1 AHVG eine jährliche Erziehungsgutschrift in der Höhe der dreifachen minimalen einfachen Altersrente gemäss Artikel 34 Absatz 1 angerechnet wird. Die Gutschrift wird für jene Jahre angerechnet, in denen die geschiedene Altersrentnerin die elterliche Gewalt über Kinder ausgeübt hat, welche das 16. Altersjahr noch nicht vollendet haben.
Gestützt auf die ihm in Art. 2 Abs. 2 des Bundesbeschlusses eingeräumte Kompetenz zur Regelung der Einzelheiten erliess der Bundesrat mit Änderung vom 27. September 1993 die (gemäss Übergangsbestimmung dieser Novelle auch auf am 1. Januar 1994 bereits laufende Renten anwendbaren) alt Art. 53ter und 53quater AHVV. Unter anderem bestimmte er in alt Art. 53ter Abs. 3 AHVV, dass der Anspruch auf Anrechnung von Erziehungsgutschriften mit der Wiederverheiratung der geschiedenen Frau erlischt. Diese Vorschrift ist im Rahmen der Verordnungsänderung vom 29. November 1995 mit Wirkung auf den 1. Januar 1997 ersatzlos gestrichen worden.
c) Auf den 1. Januar 1997, Datum des Inkrafttretens der 10. AHV-Revision, hat das BSV das Kreisschreiben II über die Rentenberechnung von Mutations- und
BGE 126 V 226 S. 230
Ablösungsfällen (nachfolgend: KS II) erlassen. Nach dessen Rz. 6014 müssen die Renten von geschiedenen Frauen, welchen auf Grund des Bundesbeschlusses über die Leistungsverbesserungen in der AHV und der IV vom 19. Juni 1992 ganze Erziehungsgutschriften angerechnet werden konnten, bei der Wiederverheiratung ohne Anrechnung von Erziehungsgutschriften neu festgesetzt werden.

3. a) Nach Auffassung der Vorinstanz besteht vorliegend für eine Neuberechnung der Altersrente ab 1. Januar 1998 ohne Anrechnung von Erziehungsgutschriften keine gesetzliche Grundlage. Die ab 1. Januar 1991 ausgerichtete Altersrente, seit 1. Januar 1994 unter Anrechnung von Erziehungsgutschriften, habe auf Grund von Ziff. 1 lit. g Abs. 1 Satz 1 ÜbBest. AHV 10 mit Inkrafttreten der 10. AHV-Revision nicht neu berechnet werden müssen. Mit der Wiederverheiratung im Dezember 1997 habe sich zwar der Zivilstand der Versicherten geändert, eine andere Rentenart habe ihr deswegen aber nicht zugestanden. Die seit 1. Januar 1997 geltenden Vorschriften über die Alters- und Hinterlassenenversicherung kennten im Unterschied zu den altrechtlichen keine Ehepaar-Rente mehr. Anderseits müsse die bisherige Altersrente der Versicherten, welche allein auf Grund ihrer eigenen Erwerbseinkommen und ab 1. Januar 1994 unter Anrechnung von Erziehungsgutschriften berechnet worden sei, auch nicht in das neue Splitting-System überführt werden.
Der Abzug der Erziehungsgutschriften vom massgebenden durchschnittlichen Jahreseinkommen einzig auf Grund der Wiederverheiratung verstosse sodann auch gegen Sinn und Zweck der 10. AHV-Revision. Dem neuen Recht liege (unter anderem) der Gedanke zu Grunde, die gesellschaftlich wichtige Erziehungs- und Betreuungsarbeit angemessen zu honorieren und den dadurch möglicherweise bewirkten Erwerbsausfall mit Gutschriften zu kompensieren. Die Versicherte habe nun aber effektiv Erziehungsarbeit geleistet und dadurch auch Einkommenseinbussen erlitten, was sich ohne Anrechnung von Erziehungsgutschriften für deren Ausgleich negativ auf die Rentenhöhe auswirke. Durch die Nichtberücksichtigung der Gutschriften werde sie diskriminiert und wie eine kinderlose Ledige behandelt. Denn einzig für diese Kategorie von Versicherten sehe die Übergangsordnung der 10. AHV-Revision weder die Anrechnung von Übergangs- noch von Erziehungsgutschriften vor. Rz. 6014 KS II, worauf sich die Verwaltung in der vorinstanzlichen Vernehmlassung berufe, müsse daher, da gegen Sinn und
BGE 126 V 226 S. 231
Zweck der Gesetzesnovelle verstossend, vorliegend die Anwendung versagt bleiben.
b) Das Beschwerde führende Bundesamt begründet seinen gegenteiligen Standpunkt damit, dass gemäss Ziff. 1 lit. g Abs. 1 ÜbBest. AHV 10 Art. 2 des Bundesbeschlusses weiterhin für Renten gelte, auf die der Anspruch vor dem 1. Januar 1997 entstanden sei. Von dieser Weitergeltung erfasst würden auch die dazugehörigen Ausführungsbestimmungen, insbesondere alt Art. 53ter Abs. 3 AHVV, wonach der Anspruch auf Anrechnung von Erziehungsgutschriften mit der Wiederverheiratung der geschiedenen Ehefrau erlösche. Diese Verordnungsvorschrift sei nun aber vom Eidg. Versicherungsgericht im Falle der Wiederverheiratung einer geschiedenen Frau im Jahre 1995 als gesetz- und verfassungsmässig erkannt worden (Urteil H. vom 17. Oktober 1996).

4. In dem von der Aufsichtsbehörde zitierten Urteil H. vom 17. Oktober 1996, auszugsweise wiedergegeben in Praxis 1997 Nr. 29 S. 159 ff., stellte das Eidg. Versicherungsgericht fest, dass nach dem klaren Wortlaut des Art. 2 des Bundesbeschlusses und dem Willen des Gesetzgebers, wie er sich namentlich aus den Materialien ergebe, ausschliesslich die geschiedenen Frauen in den Genuss von Erziehungsgutschriften gelangen sollten, weil dieser Personenkreis als besonders benachteiligt betrachtet worden sei. Dabei sollte im Rahmen des Bundesbeschlusses nicht primär die Erziehungsarbeit der Eltern abgegolten, sondern die Stellung der geschiedenen Frau verbessert werden (Praxis 1997 Nr. 29 S. 162 Erw. 5c).
Zur Frage der Gesetzes- und Verfassungsmässigkeit des alt Art. 53ter Abs. 3 AHVV hat das Eidg. Versicherungsgericht sodann unter anderem erwogen, der Verlust der mit dem Bundesbeschluss eingeräumten bevorzugten Stellung hinsichtlich der Rentenberechnung unter Berücksichtigung von Erziehungsgutschriften bei Wiederverheiratung (bzw. Verwitwung) könne nicht als derart stossend erachtet werden, dass der Richter aus Achtung vor der Rechtsordnung eine andere Lösung treffen müsste. Zum einen führten Statusänderungen wie diejenige des Zivilstandswechsels grundsätzlich immer zu einer Neuberechnung der Rente (vgl. die Aufzählung in BGE 113 V 117 Erw. 4b sowie als weitere Beispiele BGE 118 V 1 und BGE 118 V 129 ), wobei eine Besitzstandsgarantie nicht bestehe ( BGE 113 V 118 Erw. 4c mit Hinweis; unveröffentlichtes Urteil C. vom 17. Mai 1993). Zum andern gelte es unter dem Gesichtspunkt des Gebots rechtsgleicher Behandlung zu beachten, dass nach Art. 2
BGE 126 V 226 S. 232
Abs. 1 des Bundesbeschlusses (für die Zeit vor Inkrafttreten der 10. AHV-Revision) die Möglichkeit der Anrechnung von Erziehungsgutschriften ebenfalls nicht vorgesehen sei, wenn die einfache Altersrente der geschiedenen Frau auf Grund des für die Berechnung der Ehepaar-Altersrente massgebenden durchschnittlichen Jahreseinkommens gemäss Art. 31 Abs. 3 AHVG berechnet werde (vgl. Amtl.Bull. 1992 N 514). Dass nicht die Berechnungsgrundlagen der Ehepaar-Altersrente zur Anwendung kommen, sei im Übrigen nicht die Folge von Art. 2 des Bundesbeschlusses, sondern einzig auf die fehlende Rentenberechtigung des verstorbenen zweiten Ehemannes ausländischer Nationalität der Versicherten zurückzuführen (Praxis 1997 Nr. 29 S. 164 Erw. 6c).

5. a) Art. 2 des Bundesbeschlusses ist von den Räten diskussionslos ins ordentliche Recht übernommen worden (Amtl.Bull. 1993 N 217 und 293 f., 1994 S 555 und 981; vgl. auch Soziale Sicherheit [CHSS] 1995 S. 74), wobei diese Bestimmung neu sinngemäss auch für ledige Versicherte anwendbar ist. Die in den alt Art. 53ter und 53quater AHVV geregelten Einzelheiten des Anspruchs auf Erziehungsgutschriften sind nunmehr Gegenstand der am 1. Januar 1997 in Kraft getretenen Art. 52e und 52f AHVV (vgl. AHI 1996 S. 1 ff., S. 38). Im Unterschied zur Rechtslage unter der Herrschaft des Bundesbeschlusses vor dessen Überführung ins ordentliche Recht fehlt nun eine alt Art. 53ter Abs. 3 AHVV entsprechende Regelung des Inhalts, dass der Anspruch auf Erziehungsgutschriften mit der Wiederverheiratung erlischt. Entgegen der Auffassung des Bundesamtes hat die Weitergeltung von Art. 2 des Bundesbeschlusses gemäss Ziff. 1 lit. g Abs. 1 ÜbBest. AHV 10 nicht zur Folge, dass diese (ersatzlos gestrichene) Verordnungsbestimmung weiterhin anwendbar wäre. Dies ergibt sich ohne weiteres im Umkehrschluss aus der Kompetenz des Verordnungsgebers, innerhalb der ihm vom Gesetzgeber eingeräumten Regelungsbefugnisse gewisse Gesetzesbestimmungen zu präzisieren, allenfalls echte Gesetzeslücken zu schliessen und, soweit notwendig, das anwendbare Verfahren festzulegen ( BGE 112 Ib 310 f. Erw. 2, BGE 112 V 58 f. Erw. 2a; vgl. auch BGE 124 V 10 f. Erw. 5b/bb und cc).
b) Es ist nicht anzunehmen, dass die ersatzlose Streichung von alt Art. 53ter Abs. 3 AHVV auf einem Versehen beruht. Im Gegenteil zeigen die nachfolgenden Ausführungen, dass diese Neuerung auf Verordnungsstufe ganz im Sinne der ab 1. Januar 1997 geltenden Rechtslage erfolgte.
aa) In seiner Botschaft über die zehnte Revision der Alters- und
BGE 126 V 226 S. 233
Hinterlassenenversicherung vom 5. März 1990 (BBl 1990 II 1 ff.) schlug der Bundesrat die Änderung von Art. 31 (Berechnungsgrundlagen der Renten) vor. Dessen dritter Absatz hatte folgenden Wortlaut:
"3 Für die Berechnung der einfachen Altersrente, die wegen Ungültigkeit oder Scheidung der Ehe, Wiederverheiratung oder Wegfall der Invalidität des Ehegatten neu berechnet werden muss, sind die Beitragsdauer sowie das auf den neusten Stand gebrachte durchschnittliche Jahreseinkommen des Rentenberechtigten massgebend, das im Zeitpunkt der Entstehung des ersten Rentenanspruchs festgesetzt wurde." (BBl 1990 II 158).
Diese Neuerung wurde damit begründet, es müsse ein Problem gesetzlich geregelt werden, das bisher nicht befriedigend gelöst gewesen sei, nämlich u.a. die Neuberechnung der einfachen Rente infolge Wiederverheiratung. Nach konstanter Praxis des Eidg. Versicherungsgerichts seien heute in einem solchen Falle die Renten nach den Berechnungsgrundlagen im Zeitpunkt der Entflechtung neu zu berechnen, was häufig zu einem im Vergleich zum vorherigen oder einem früheren Betreffnis ungünstigen Betrag führe (BBl 1990 II 92). Dieser Änderung stimmte der Ständerat als Erstrat zu (Amtl.Bull. 1991 S 275 f.).
bb) Nach Verabschiedung des Bundesbeschlusses vom 19. Juni 1992 als vorgezogener materieller Bestandteil der 10. AHV-Revision (Amtl.Bull. 1994 N 1367) beschloss der Nationalrat auf Antrag seiner erweiterten Kommission für Soziale Sicherheit, Art. 31 Abs. 2 und 3 wie folgt neu zu fassen:
"Abs. 2
Nach dem Tode eines Ehegatten werden die Erziehungs- und Betreuungsgutschriften aus der gemeinsamen Ehe ungeteilt dem anderen Ehegatten angerechnet.
Abs. 3
Absatz 2 gilt auch für die geschiedene Person nach dem Tod eines ehemaligen Ehegatten." (Amtl.Bull. 1993 N 257).
Im Weitern fügte der Nationalrat auf Antrag der Kommission in die Übergangsbestimmungen (Ziff. 1) folgende Vorschriften ein:
"Abs. 6
Heiratet eine Person mit Anspruch auf eine Altersrente, welche aufgrund der bisherigen Bestimmungen festgesetzt wurde, eine Person mit Anspruch auf eine Altersrente nach neuem Recht, so beträgt die Summe der beiden Altersrenten höchstens 150 Prozent der maximalen Altersrente. Für die Durchführung der Kürzung ist Artikel 35 sinngemäss anwendbar.
BGE 126 V 226 S. 234
(...)
Abs. 16
Für die Berechnung sind die Beitragsdauer sowie das auf den neuesten Stand gebrachte durchschnittliche Jahreseinkommen der rentenberechtigten Person massgebend, das im Zeitpunkt der Entstehung des ersten Rentenanspruchs festgesetzt wurde, wenn
a. (...)
b. eine vor dem .... (Zeitpunkt des Inkrafttretens der 10. AHV-Revision, 2. Teil) entstandene einfache Rente infolge Wiederverheiratung neu berechnet werden muss;
c. (...)
(...)" (Amtl.Bull. 1993 N 295 und 297 f.)
Zu diesen Änderungen hatte der Kommissionspräsident in der parlamentarischen Beratung vorgängig u.a. ausgeführt, die Heirat einer nach altem Recht rentenberechtigten Person mit einer nach neuem Recht rentenberechtigten Person sei praktisch nicht zufrieden stellend zu lösen. Die Kommission schlage eine möglichst einfache Lösung vor, indem im Unterschied zum heutigen Recht diese Renten nicht mehr neu berechnet werden. Lediglich die Summe der beiden Renten soll plafoniert werden.
Im Weitern stelle Abs. 16 eine Verbesserung für Altrentnerinnen und Altrentner dar. Es gehe um die Beibehaltung der Berechnungsgrundlagen bei Zivilstandsänderungen. Die sozialpolitische Dringlichkeit dieser Massnahme sei sehr gross, da nach konstanter Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts die Neuberechnung von Renten nach einer Zivilstandsänderung einen neuen Versicherungsfall darstelle und daher nach den aktuellen Grundlagen vorzunehmen sei. Dies habe für die betroffenen Personen teilweise massive Rentenverschlechterungen zur Folge gehabt. Erst in den letzten Urteilen habe das Eidg. Versicherungsgericht im Hinblick auf die 10. AHV-Revision eine von ihm ausdrücklich als Übergangslösung bezeichnete Verbesserung zugelassen, welche aber für geschiedene Personen weniger weit gehe als für Personen, welche im Rentenalter heirateten. Abs. 16 der Übergangsbestimmungen behandle alle Fälle von Zivilstandsänderungen gleich (Amtl.Bull. 1993 N 216 f.).
cc) Der Ständerat wiederum änderte auf Antrag seiner Kommission die Art. 31 Abs. 1 bis 3 in der Version des Nationalrates in folgendem Sinne:
"Titel
Neufestsetzung der Rente
Abs. 1
Muss eine Altersrente infolge Entstehung des Rentenanspruchs beim Ehegatten oder Auflösung der Ehe neu festgesetzt werden, so bleiben die
BGE 126 V 226 S. 235
im Zeitpunkt der erstmaligen Rentenberechnung geltenden Berechnungsvorschriften massgebend. Die aufgrund dieser Bestimmungen neu festgesetzte Rente ist in der Folge auf den neuesten Stand zu bringen.
Abs. 2, 3
Streichen" (Amtl.Bull. 1994 S 598)
Der Kommissionspräsident führte zu dieser Neuformulierung von Art. 31 AHVG, welche schliesslich Gesetz werden sollte (vgl. Erw. 2a hievor), erläuternd u.a. aus, dieser Vorschlag entspreche in der Zielrichtung dem vom Bundesrat in der Botschaft vorgeschlagenen Art. 31 Abs. 3 AHVG (BBl 1990 II 92 und 158). Es gehe darum, mit einer klaren gesetzlichen Grundlage eine Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts zu korrigieren und zu verhindern, dass es bei der Neuberechnung der Rente infolge der Entstehung des Rentenanspruchs beim andern Ehegatten oder einer Zivilstandsänderung zu Rentenverschlechterungen komme, die sich aus dem Rentensystem selbst nicht begründen liessen. Soweit in den letzten Urteilen ( BGE 118 V 1 und BGE 118 V 129 ) das Eidg. Versicherungsgericht im Hinblick auf die 10. AHV-Revision auf seine frühere Praxis zurückgekommen und eine Verbesserung zugelassen habe, handle es sich um eine Übergangslösung, welche aber für geschiedene Personen weniger weit gehe als für Personen, welche im Rentenalter heirateten (Amtl.Bull. 1994 S 551).
Im Weitern wurde Abs. 6 der Übergangsbestimmungen in der damaligen Version des Nationalrates gestrichen, was der Kommissionspräsident damit begründete, diese Regelung werde bei Überführung der alten Rente hinfällig (Amtl.Bull. 1994 S 554 und 608 ff.). Schliesslich wurden die Abs. 16 bis 18 der Übergangsbestimmungen vollständig neu gefasst; sie enthielten nun die - inhaltlich mit den geltenden Abs. 5 bis 10 von Ziff. 1 lit. c ÜbBest. AHV 10 übereinstimmenden - Grundsätze für die systemkonforme Überführung der laufenden Rente geschiedener, verwitweter und verheirateter Personen, die vier Jahre nach dem Inkrafttreten der 10. AHV-Revision erfolgen sollte (Amtl.Bull. 1994 S 555 und 609 f.).
Den Änderungen von Art. 31 AHVG sowie von Abs. 6 und 16 ff. der Übergangsbestimmungen stimmte der Nationalrat in der Folge zu (Amtl.Bull. 1994 N 1356 und 1360).
c) Aus den vorstehenden Ausführungen zur Entstehungsgeschichte von Art. 31 AHVG und Ziff. 1 lit. c Abs. 5 bis 9 ÜbBest. AHV 10 ergibt sich, dass die Frage der Neuberechnung einer vor Inkrafttreten der 10. AHV-Revision entstandenen einfachen Altersrente bei einer Wiederverheiratung der anspruchsberechtigten
BGE 126 V 226 S. 236
Person nach diesem Zeitpunkt nicht eine solche des Übergangsrechts ist. Im Weitern geben über den Wortlaut des Art. 31 AHVG hinaus grundsätzlich alle Zivilstandsänderungen Anlass für eine Neufestsetzung der Rente und zwar ungeachtet des Zeitpunktes der Entstehung des Anspruchs. Liegt dieser vor dem 1. Januar 1997, ist aber eine Überführung der Altersrente ins neue Recht erfolgt, was im Rahmen von Ziff. 1 lit. g Abs. 1 ÜbBest. AHV 10 resp. Art. 2 des Bundesbeschlusses bereits ab 1. Januar 1994 möglich war, gilt sie als Zeitpunkt der erstmaligen Rentenberechnung im Sinne von Art. 31 AHVG. Dies bedeutet bei der Wiederverheiratung einer rentenberechtigten Person, welcher Sachverhalt in der Regel kein Splitting auslöst (Art. 29quinquies Abs. 4 und Art. 29sexies Abs. 3 AHVG e contrario; vgl. auch Amtl.Bull. 1993 N 216 [Abs. 5 der Übergangsbestimmungen]), dass nur dann eine eigentliche Neufestsetzung der Rente erfolgt, wenn die Summe der beiden Renten des Ehepaares mehr als 150 Prozent des Höchstbetrages der Altersrente beträgt (Art. 35 AHVG; vgl. Amtl.Bull. 1993 N 216 f. [Abs. 6 der Übergangsbestimmungen]).
Denn ein im gesamten Gesetzgebungsverfahren unbestritten gebliebener Grundsatz war, dass künftig im Unterschied zum damals noch geltenden Recht Zivilstandsänderungen, die zu einer Neuberechnung der Altersrente führen, leistungsmässig keine Verschlechterung bringen sollten. Dabei wurde nicht danach differenziert, ob der Rentenanspruch vor oder erst nach Inkrafttreten der Gesetzesnovelle entstanden ist (vgl. BBl 1990 II 92, Amtl.Bull. 1993 N 207 und 216, 1994 S 551). Die in diesem Zusammenhang erfolgten Hinweise auf die Rechtsprechung sollten nur, aber eben den bestehenden sozialpolitischen Handlungsbedarf aufzeigen. Dass offensichtlich bei Scheidung eines Altersrentners oder einer Altersrentnerin die Gefahr einer Verschlechterung höher eingestuft wurde als bei einer Wiederheirat (vgl. Amtl.Bull. 1993 N 217, 1994 S 551 ["welche aber für geschiedene Personen weniger weit gehe als für Personen, welche im Rentenalter heirateten"]), vermag auch zu erklären, weshalb in Art. 31 AHVG von den möglichen Zivilstandsänderungen lediglich der Tatbestand der Auflösung der Ehe genannt wird. Mit Blick auf den Anspruch auf Erziehungsgutschriften im Besonderen war es im Übrigen ein Hauptziel der Revisionsvorlage, geschiedene Frauen, deren Rente auf Grund lediglich der eigenen Erwerbseinkommen und allenfalls der als Nichterwerbstätige geleisteten Beiträge berechnet wurde (vgl. Art. 30 f. AHVG in der bis 31. Dezember 1996 gültig gewesenen Fassung),
BGE 126 V 226 S. 237
besser zu stellen. Es wäre daher widersprüchlich, Nachteile bei der Neuberechnung von Renten infolge einer Zivilstandsänderung unter altem Recht nachträglich, soweit systemkonform möglich, zu korrigieren und die Betroffenen besser zu stellen, nach Inkrafttreten der Gesetzesnovelle ein solches Ereignis aber zum Anlass zu nehmen für eine Verschlechterung der vom gleichen Gesetzgeber angeordneten Besserstellung. Von einer Honorierung der früher allenfalls unter Inkaufnahme einer Erwerbseinbusse geleisteten Erziehungs- und Betreuungsarbeit könnte diesfalls allen Ernstes nicht die Rede sein (BBl 1990 II 41, Amtl.Bull. 1993 N 207 und 212, 1994 S 574 sowie CHSS 1995 S. 70). Damit ist auch gesagt, dass Rz. 6014 KS II, wonach die Renten von geschiedenen Frauen, welchen auf Grund des Bundesbeschlusses vom 19. Juni 1992 ganze Erziehungsgutschriften angerechnet werden konnten, bei der Wiederverheiratung ohne Anrechnung von Erziehungsgutschriften neu festgesetzt werden müssen, gesetzwidrig ist.

6. Zusammenfassend widerspricht die Neufestsetzung der einfachen Altersrente ab 1. Januar 1998 ohne Anrechnung der ab 1. Januar 1994 berücksichtigten Erziehungsgutschriften Bundesrecht. Vielmehr hat die Beschwerdegegnerin auch nach ihrer Wiederverheiratung im Dezember 1997 mit einem nach Lage der Akten nicht rentenberechtigten amerikanischen Staatsbürger Anspruch darauf, dass diese Gutschriften zum durchschnittlichen Jahreseinkommen gezählt werden (Art. 29quater AHVG).

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Artikel: Art. 31 AHVG, Art. 53ter Abs. 3 AHVV, Art. 29quater und Art. 31 AHVG, Art. 53ter und 53quater AHVV mehr...