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Urteilskopf

135 I 302


34. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Politische Gemeinde St. Gallen gegen GSoA Schweiz sowie Sicherheits- und Justizdepartement des Kantons St. Gallen (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
1C_434/2008 vom 28. September 2009

Regeste

Unterschriftensammlung für eine Volksinitiative auf öffentlichem Grund; Gemeindeautonomie.
Zulässigkeit der Autonomiebeschwerde (E. 1).
Die Begriffe des schlichten und gesteigerten Gemeingebrauchs sind kantonalrechtlich bestimmt; Umschreibung in Praxis und Lehre; es verletzt die Gemeindeautonomie nicht, in den umstrittenen Unterschriftensammlungen keinen gesteigerten Gemeingebrauch zu erblicken und eine Bewilligungspflicht zu verneinen (E. 3).
Es besteht weder hinsichtlich der Wahrnehmung politischer Rechte noch zum Schutze von andern Grundrechtsausübungen ein hinreichendes verfassungsrechtliches Interesse, die umstrittenen Unterschriftensammlungen einer Bewilligungspflicht zu unterstellen (E. 4).

Sachverhalt ab Seite 303

BGE 135 I 302 S. 303
Die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) ersuchte die Stadtpolizei St. Gallen um Bewilligung von Unterschriftensammlungen für die von ihr lancierte "Volksinitiative für ein Verbot von Kriegsmaterialexporten". Sie forderte die Bewilligung für 13 Tage im Dezember 2006 und für 12 Tage im Januar 2007 an bevorzugten Standorten in der Innenstadt. Sie wies darauf hin, dass die Unterschriftensammlung ohne Stand erfolge.
Die Stadtpolizei erteilte der GSoA je 6 ganztägige Bewilligungen für Unterschriftensammlungen im Dezember 2006 und Januar 2007 und bezeichnete die Örtlichkeiten in der Innenstadt. Sie wies darauf hin, dass nach ihrer Bewilligungspraxis maximal 6 Aktionstage pro Monat bewilligt würden.
Die GSoA gelangte an den Stadtrat St. Gallen (Exekutive), welcher deren Rekurs im Wesentlichen mit der Begründung abwies, Sammelaktionen stellten an den stark frequentierten Orten der Innenstadt gesteigerten Gemeingebrauch dar und bedürften daher einer Bewilligung. Dieses Erfordernis diene dem Schutz von Polizeigütern, der Koordination unterschiedlichster Aktivitäten und der Sicherstellung einer Prioritätenordnung.
BGE 135 I 302 S. 304
Gegen den Stadtratsentscheid erhob die GSoA Rekurs beim Justiz- und Polizeidepartement des Kantons St. Gallen (heute Sicherheits- und Justizdepartement). Das Departement hiess den Rekurs im Sinne der Erwägungen unter Aufhebung des Stadtratsentscheides gut. Es hielt fest, dass für eine umfassende Bewilligungspflicht zur Sammlung von Unterschriften eine gesetzliche Grundlage fehle und die anbegehrte Unterschriftensammlung nicht bewilligungspflichtig sei. Das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen bestätigte diesen Entscheid auf Beschwerde der Politischen Gemeinde St. Gallen hin. Es führte im Wesentlichen aus, aufgrund der konkreten Verhältnisse könne bis zu einer Zahl von drei Personen kein gesteigerter Gemeingebrauch angenommen werden, weshalb eine Bewilligungspflicht entfalle.
Diesen Entscheid des Verwaltungsgerichts hat die Politische Gemeinde St. Gallen beim Bundesgericht mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten angefochten. Sie macht eine Verletzung der Gemeindeautonomie geltend und bringt vor, zum Schutz der Polizeigüter, zwecks Koordination unterschiedlichster Aktivitäten und im Hinblick auf die Sicherstellung einer Prioritätenordnung sei eine Bewilligungspflicht für Unterschriftensammlungen an den konkret betroffenen, besonders neuralgischen Orten in der Innenstadt erforderlich. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Zusammenfassung)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1.

1.1 Die Politische Gemeinde St. Gallen ist durch den angefochtenen Entscheid des Verwaltungsgerichts, mit dem ihr Bewilligungsentscheid aufgehoben und ihre Bewilligungsbefugnis verneint werden, in ihren hoheitlichen Befugnissen betroffen. Sie ist daher nach Art. 89 Abs. 2 lit. c BGG legitimiert, mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten unter Berufung auf Art. 89 der Verfassung vom 10. Juni 2001 des Kantons St. Gallen (KV/SG; SR 131.225) eine Verletzung ihrer Gemeindeautonomie geltend zu machen (vgl. BGE 135 I 43 E. 1.2 S. 45; BGE 131 I 91 E. 1 S. 93; BGE 128 I 136 E. 1.2 S. 139; je mit Hinweisen). Auf die form- und fristgerecht eingereichte Beschwerde kann eingetreten werden.

1.2 Nach Art. 89 KV/SG sind die Gemeinden im Rahmen der Gesetzgebung hinsichtlich des Erlasses von Verfügungen und in Bezug auf die Gesetzgebung autonom. Das Strassengesetz des
BGE 135 I 302 S. 305
Kantons St. Gallen vom 12. Juni 1988 (sGS 732.1; nachfolgend: StrG) überlässt das Verfügungsrecht über die öffentlichen Strassen weitestgehend den Gemeinden und räumt ihnen die Befugnis ein, den Gemeingebrauch einzuschränken und den gesteigerten Gemeingebrauch zu ordnen (vgl. Art. 20 f. StrG). Damit steht der Beschwerdeführerin im hier betroffenen Bereich Autonomie zu, was von keiner Seite in Frage gestellt wird.
Somit kann sich die Beschwerdeführerin dagegen zur Wehr setzen, dass eine kantonale Behörde in einem Rechtsmittelverfahren ihre Prüfungsbefugnis überschreitet oder die den betreffenden Sachbereich ordnenden Vorschriften unrichtig auslegt und anwendet. Ferner kann sie geltend machen, die kantonale Behörde habe die Tragweite von verfassungsmässigen Rechten missachtet. Schliesslich kann sie sich auf das Willkürverbot und auf Verfahrensgrundrechte berufen, soweit diese Vorbringen mit der behaupteten Rüge der Autonomieverletzung in engem Zusammenhang stehen. Die Anwendung von eidgenössischem und kantonalem Verfassungsrecht prüft das Bundesgericht mit freier Kognition, die Handhabung von Gesetzes- und Verordnungsrecht unter dem Gesichtswinkel des Willkürverbots (BGE 131 I 91 E. 1 S. 93; BGE 129 I 290 E. 2.3 S. 295, BGE 129 I 410 E. 2.3 S. 414; BGE 128 I 136 E. 2.2 S. 140; BGE 126 I 133 E. 2 S. 136). Das Bundesgericht auferlegt sich Zurückhaltung, soweit die Beurteilung der Streitsache von einer Würdigung der örtlichen Verhältnisse abhängt, welche die kantonalen Behörden besser überblicken (vgl. BGE 132 II 408 E. 4.3 S. 415; BGE 129 I 337 E. 4.1 S. 344; BGE 126 I 219 E. 2c S. 222).

2. Ausgehend vom Ersuchen der Beschwerdegegnerin sowie den Entscheidungen der Stadtpolizei und des Stadtrates bildet Gegenstand des vorliegenden Verfahrens einzig das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts mit dem zugrunde liegenden Sachverhalt. (...)
Hinsichtlich des Sachverhalts ist auf folgende Gegebenheiten abzustellen: Die Beschwerdegegnerin ersuchte um Bewilligung für Unterschriftensammlungen an 12 bzw. 13 Tagen im Dezember 2006 bzw. Januar 2007. Die Stadtpolizei erteilte - mit nachträglicher Zustimmung des Stadtrates - die Bewilligung für je 6 Tage; sie untersagte damit zusätzliche Sammeltage. Die Örtlichkeiten sind zwischen der Beschwerdeführerin und der Beschwerdegegnerin nicht umstritten. Es handelt sich um bestimmte Orte in der Innenstadt, die sich
BGE 135 I 302 S. 306
für das Sammeln von Unterschriften eignen. So erteilte die Stadtpolizei Bewilligungen für die Spisergasse (beim Brunnen), die Multergasse, die Neugasse (beim Brunnen), den Bärenplatz, den Rösslitorplatz, die Marktgasse (beim Brunnen), den Neumarkt III und die Fussgängerzone. Für diese Orte verneinte das Verwaltungsgericht das Vorliegen von gesteigertem Gemeingebrauch und eine Bewilligungspflicht. Alle befassten Instanzen gehen weiter davon aus, dass die Unterschriftensammlung ohne einen Stand erfolgt. Das Verwaltungsgericht legt seinem Entscheid ferner zugrunde, dass an einem bestimmten Ort von Seiten der Beschwerdegegnerin höchstens drei Personen Unterschriften sammeln; es hat offen gelassen, wie es sich mit der Bewilligungspflicht bei einer grösseren Anzahl von Personen verhielte. Schliesslich steht die Erhebung einer Gebühr, die der Stadtrat aufgehoben hatte, nicht in Frage.
Zusammenfassend befand das Verwaltungsgericht entgegen dem Stadtrat, dass das Sammeln von Unterschriften durch Einzelpersonen bzw. durch zwei oder drei Personen je bezogen auf die genannten Örtlichkeiten keinen gesteigerten Gemeingebrauch darstelle und dass diese Tätigkeit keiner Bewilligungspflicht unterstellt werden dürfe. Es ist zu prüfen, ob dieser Entscheid vor der angerufenen Gemeindeautonomie standhält.

3. Im Folgenden ist vorerst zu prüfen, ob die Annahme des Verwaltungsgerichts vor der Verfassung standhalte, dass die Unterschriftensammlung im genannten Rahmen keinen gesteigerten Gemeingebrauch darstelle und deshalb keiner Bewilligung bedürfe.

3.1 Die Nutzung von öffentlichen Sachen richtet sich in erster Linie nach kantonalem Recht. Dieses umschreibt insbesondere, in welchem Rahmen und Ausmass öffentliche Sachen im Gemeingebrauch genutzt werden dürfen und wie namentlich öffentlicher Grund von der Allgemeinheit benützt werden darf. Dabei unterscheiden die kantonalen Rechtsordnungen und die Praxis meist zwischen schlichtem Gemeingebrauch, gesteigertem Gemeingebrauch und Sondernutzung. Die Rechtsprechung und die Verwaltungsrechtswissenschaft haben diese Einteilung konkretisiert (vgl. zur Lehre HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2006, S. 507 ff. Rz. 2371 ff.; TOBIAS JAAG, Gemeingebrauch und Sondernutzung öffentlicher Sachen, ZBl 93/1992 S. 150 ff.; ANDRÉ GRISEL, Traité de droit administratif, Bd. II, 2. Aufl. 1984, S. 543 ff.; PIERRE MOOR, Droit administratif, Bd. III, 1992, S. 282 ff.). Dies ändert nichts am
BGE 135 I 302 S. 307
Umstand, dass insbesondere die Begriffe des schlichten bzw. des gesteigerten Gemeingebrauchs kantonalrechtlich bestimmt sind. Das kantonale Strassengesetz, welches auf öffentliche Plätze sachgemäss angewendet wird (Art. 1 Abs. 3 StrG), verwendet die Begriffe des einfachen bzw. des gesteigerten Gemeingebrauchs an verschiedener Stelle, ohne sie im Einzelnen näher zu umschreiben (vgl. Art. 1 Abs. 1, Art. 17, Art. 20, Art. 21 und Art. 29 StrG; vgl. ferner Art. 24 ff. StrG zur Sondernutzung).

3.2 Nach Rechtsprechung und Lehre gehören zum schlichten Gemeingebrauch die Nutzungen öffentlicher Sachen und all jene Tätigkeiten auf öffentlichem Grund, die entsprechend der breit umschriebenen und weit verstandenen Widmung der Allgemeinheit voraussetzungslos offen stehen. Merkmal des schlichten Gemeingebrauchs - und zugleich wesentliches Kriterium der Abgrenzung zum gesteigerten Gemeingebrauch - bildet die Gemeinverträglichkeit. Eine Nutzung wird als gemeinverträglich betrachtet, wenn sie von allen interessierten Bürgern gleichermassen ausgeübt werden kann, ohne dass andere an der entsprechenden Nutzung übermässig behindert werden. Wesentlich ist, dass im fraglichen Bereich gesamthaft eine gleichartige Benutzung durch alle Interessierten praktisch möglich ist (BGE 122 I 279 E. 2e/cc S. 286 mit Hinweisen). Die Grenze des einfachen Gemeingebrauchs wird indes überschritten, wenn eine Nutzung ihrer Natur oder Intensität nach den Rahmen des Üblichen übersteigt, nicht mehr der bestimmungsgemässen Verwendung entspricht, den rechtmässigen Gebrauch durch andere Benützer beeinträchtigt und somit nicht mehr gemeinverträglich ist. Für die Abgrenzung im Einzelnen ist auf die konkreten örtlichen und zeitlichen Gegebenheiten sowie die Art und das Ausmass der üblichen Benützung abzustellen (BGE 126 I 133 E. 4c S. 139; BGE 105 Ia 91 E. 2 S. 93; je mit Hinweisen; vgl. zum Ganzen HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, a.a.O., S. 507 ff. Rz. 2371 ff.; GRISEL, a.a.O., S. 543 ff.). Gesteigerter Gemeingebrauch unterliegt im Allgemeinen einer Bewilligungspflicht, welche nicht so sehr dem Schutz von Polizeigütern als vielmehr der Koordination und Prioritätensetzung zwischen verschiedenen Nutzungen des öffentlichen Raums dient (BGE 127 I 164 E. 3b S. 169; BGE 126 I 133 E. 4d S. 139; je mit Hinweisen). Nach der unter der alten Bundesverfassung ergangenen Rechtsprechung durfte gesteigerter Gemeingebrauch auch ohne gesetzliche Grundlage von einer Bewilligung abhängig gemacht werden (vgl. BGE 121 I 279 E. 2b S. 283; BGE 105 Ia 91 E. 2 S. 93; je mit Hinweisen). Unter der neuen
BGE 135 I 302 S. 308
Bundesverfassung wird von der Lehre eine gesetzliche Grundlage für eine Bewilligungspflicht gefordert (vgl. HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, a.a.O., S. 512 Rz. 2404; MÜLLER/SCHEFER, Grundrechte in der Schweiz, 4. Aufl. 2008, S. 428 f.; BEATRICE WEBER-DÜRLER, Grundrechtseingriffe, in: Die neue Bundesverfassung [BTJP 1999], 2000, S. 137 f.). Wie es sich mit dieser Frage verhält, kann im vorliegenden Fall offen bleiben. Bei der Bewilligungserteilung oder -verweigerung ist der mit dem gesteigerten Gemeingebrauch verbundenen Grundrechtsausübung Rechnung zu tragen. In diesem Sinne wird im Allgemeinen ein bedingter Anspruch auf Bewilligung von gesteigertem Gemeingebrauch anerkannt (vgl. BGE 132 I 256 E. 3 S. 260; BGE 127 I 164 E. 3b-c S. 168; BGE 126 I 133 E. 4d S. 139).
In diesem Sinne stellen Kundgebungen auf öffentlichem Grund klar gesteigerten Gemeingebrauch dar und dürfen unter Bewilligungsvorbehalt gestellt werden (vgl. BGE 127 I 164 E. 3b S. 168 mit Hinweisen). Gleich verhält es sich, wenn für eine bestimmte Tätigkeit Installationen wie Informationsstände oder Tische und Ähnliches aufgestellt werden (BGE 105 Ia 91 E. 2 S. 92). Beim Verteilen von Druckerzeugnissen in der Zürcher Innenstadt zum Zweck eines entgeltlichen Vertriebes von Kursen und Büchern ist das Bundesgericht von gesteigertem Gemeingebrauch ausgegangen, unter Hinweis darauf, dass Gespräche mit Passanten geführt würden und dadurch Ausweichbewegungen der Strassenbenützer, Menschenansammlungen oder gar Auseinandersetzungen in stark frequentierten Lagen zu Störungen des Verkehrsflusses führen könnten (BGE 126 I 133 E. 4 S. 137). Das Sammeln von Unterschriften auf öffentlichem Grund ist unterschiedlich beurteilt worden. In BGE 109 Ia 209 liess das Bundesgericht offen, ob es gesteigerten Gemeingebrauch darstellt (E. 4a S. 210). Auch in BGE 97 I 893 blieb die Frage offen; gleichwohl wurden bei einer Unterschriftensammlung das Vorliegen von gesteigertem Gemeingebrauch und ein entsprechendes Bewilligungserfordernis letztlich bejaht (E. 5 S. 896). In beiden Fällen wurde nur wenig Bezug genommen auf die konkreten örtlichen Gegebenheiten. Schliesslich hat das Bundesgericht unter Bezugnahme auf das Grundrecht der Meinungsäusserung erkannt, dass das unentgeltliche Verteilen einer vervielfältigten Schrift durch eine Einzelperson vor einem Fabrikgebäude nicht von einer Bewilligung abhängig gemacht werden dürfe; das Vorliegen von gesteigertem Gemeingebrauch blieb offen (BGE 96 I 586; vgl. zum Ganzen BÉNÉDICTE TORNAY, La démocratie directe saisie par le juge, 2008, S. 192 f.).
BGE 135 I 302 S. 309

3.3 Für die Beurteilung der vorliegenden Angelegenheit ist, wie dargetan, davon auszugehen, dass das Sammeln von Unterschriften für eine Volksinitiative durch Einzelpersonen bzw. durch zwei oder höchstens drei Personen an den genannten Örtlichkeiten in Frage steht. Es handelt sich um Orte in den Fussgängerzonen der St. Galler Innenstadt. Diese Situation ohne motorisierten Verkehr unterscheidet sich demnach erheblich von den Entscheiden BGE 126 I 133 und BGE 97 I 893, wo die Rede war von Ausweichbewegungen von Passanten, Menschenansammlungen, Diskussionen oder gar Auseinandersetzungen, welche in stark frequentierten Lagen zu Störungen des Verkehrsflusses führen könnten (BGE 126 I 133 E. 4c S. 139; BGE 97 I 893 E. 5 S. 897). Bei den vorliegenden Örtlichkeiten ist weiter davon auszugehen, dass sie eine für Fussgängerzonen in der Altstadt übliche Frequentierung aufweisen und daher kaum mit eigentlichen Durchgangspassagen verglichen werden können, in denen grosse Passantenströme durch Unterschriftensammlungen erheblich gestört werden könnten (vgl. BGE 132 I 49 E. 7.2 S. 63). Aus den Akten ergibt sich, dass die betroffenen Orte und Gassen an jenen Stellen, etwa mit alten Brunnen, eine gewisse Verengung aufweisen. Gleichwohl kann nicht angenommen werden, dass das Zirkulieren von Passanten durch das Sammeln von Unterschriften erheblich beeinträchtigt oder gestört würde und die Unterschriftensammlung vor dem Hintergrund der allgemeinen Zweckbestimmung zugunsten der Fussgänger nicht mehr gemeinverträglich wäre. Die Beschwerdeführerin räumt denn auch ein, dass die Unterschriftensammlung durch eine Einzelperson kaum zu erheblichen "Störungen des Verkehrsflusses" führen würde. Entgegen ihrer Auffassung kann aus BGE 96 I 586, wo eine Bewilligungspflicht für das Verteilen einer Schrift vor einer Fabrik durch eine Einzelperson aus grundrechtlicher Sicht als verfassungswidrig bezeichnet worden ist, nicht abgeleitet werden, dass Unterschriftensammlungen durch drei Personen oder gar durch eine einzige Person gesteigerten Gemeingebrauch darstellen würde.
Bei dieser Sachlage ergibt sich gesamthaft, dass das Verwaltungs gericht die kantonalrechtlich bestimmten Begriffe des schlichten bzw. gesteigerten Gemeingebrauchs weder willkürlich ausgelegt noch mit Blick auf die konkreten Verhältnisse willkürlich angewendet hat. Vor diesem Hintergrund ist es sachlich haltbar, dass das Verwaltungsgericht eine Bewilligungspflicht für entsprechende Unterschriftensammlungen verneint hat. Daraus ergibt sich, dass das
BGE 135 I 302 S. 310
Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Entscheid in dieser Hinsicht die Autonomie der Stadt St. Gallen nicht verletzt hat. Insoweit erweist sich die Beschwerde als unbegründet.

3.4 Diese Einschätzung stellt auf die heutigen konkreten Verhältnisse ab. Änderungen sind indes nicht ausgeschlossen. Sollten im Einzelfall namhafte Störungen auftreten, so können allgemeine polizeiliche Massnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ergriffen werden, ohne dass eine präventive Regelung notwendig wäre (vgl. BGE 96 I 586 E. 4c S. 591). Ferner hat das Bundesgericht festgehalten, dass eine Tätigkeit, die gemeinverträglich ist, solange sie nur von wenigen ausgeübt wird, bei häufigerem Vorkommen zu gesteigertem Gemeingebrauch werden und insoweit von einer Bewilligung oder andern Voraussetzungen abhängig gemacht werden kann (BGE 122 I 279 E. 2e/cc S. 287). Dies gilt auch für die vorliegende Konstellation.

4. Ausgehend von der vorstehenden Erwägung stellt sich die weitere Frage, ob die Unterschriftensammlung an den entsprechenden Orten auf unterschiedlicher Grundlage gleichwohl einer Bewilligungspflicht unterstellt werden dürfe. Die Beschwerdeführerin erachtet die Bewilligungspflicht nicht in erster Linie wegen des von ihr angenommenen gesteigerten Gemeingebrauchs für erforderlich. Sie bringt vielmehr vor, die betroffenen Orte seien für verschiedenartigste Tätigkeiten äusserst attraktiv, insbesondere für unterschiedlichste Aktionen politischer, religiöser, gemeinnütziger oder kultureller Art. Es gelte, diese allesamt grundrechtlich geschützten Interessen bestmöglich zu koordinieren und ungestört zur Verwirklichung kommen zu lassen sowie eine Überbelastung der betroffenen Örtlichkeiten durch eine gleichzeitige Beanspruchung verschiedener Interessenten zu verhindern. Vor diesem Hintergrund und im Sinne einer umfassenden Grundrechtsgewährung rechtfertige sich eine Bewilligungspflicht gerade auch für das Sammeln von Unterschriften für Volksbegehren.

4.1 Die Beschwerdeführerin bringt vor, dass Bewilligungen für gesteigerten Gemeingebrauch nicht nur dem Schutz von Polizeigütern, sondern der Koordination und Prioritätensetzungen zwischen verschiedenen Nutzungen des öffentlichen Grundes dienten. Das Bundesgericht hat sich in der Tat in dieser Weise geäussert (BGE 127 I 164 E. 3b S. 168; BGE 126 I 133 E. 4d S. 139). Dabei geht es um Tätigkeiten, welche gesteigerten Gemeingebrauch darstellen und die
BGE 135 I 302 S. 311
gleichartige Mitbenutzung durch unbeteiligte Personen einschränken. Das macht eine Koordination unter den verschiedenen Benutzern erforderlich, umso mehr als etwa für die Durchführung einer Demonstration ein bedingter Anspruch auf Benützung von öffentlichem Grund besteht (vgl. BGE 132 I 256 E. 3 S. 258; BGE 127 I 164 E. 4c S. 171; Urteil 1C_140/2008 vom 17. März 2009 E. 5). Die Koordination ist dabei ausgerichtet auf die Sicherstellung der ursprünglichen Funktion des betroffenen öffentlichen Grundes zugunsten von unbeteiligten Dritten. Ein solches Bedürfnis ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Es steht nach dem Gesagten eine Tätigkeit wie das Sammeln von Unterschriften in Frage, die vom Verwaltungsgericht als gemeinverträglich befunden worden ist. Bei dieser Sachlage ist eine Koordination bzw. eine Sicherstellung der ursprünglichen Funktion nicht wirklich erforderlich und eine Steuerung mit einem Bewilligungsverfahren grundsätzlich entbehrlich.

4.2 An diesen Erwägungen vermag auch eine grundrechtliche Optik nichts zu ändern. Es wird angenommen, dass bereits die Anordnung einer Bewilligungspflicht einen Grundrechtseingriff bedeutet (vgl. BGE 96 I 219 E. 5 S. 225; WEBER-DÜRLER, a.a.O., S. 135; MÜLLER/SCHEFER, a.a.O., S. 427; AUER/MALINVERNI/HOTTELIER, Droit constitutionnel suisse, Bd. II, 2. Aufl. 2006, N. 690 ff.). Das Bewilligungserfordernis für Kundgebungen auf öffentlichem Grund bewirkt Beschränkungen der aus Art. 16 und 22 BV fliessenden Gewährleistungen. Gleiches gilt für das Sammeln von Unterschriften für Volksbegehren. Zur Garantie der politischen Rechte gemäss Art. 34 Abs. 1 BV im Allgemeinen sowie der Initiativ- und Referendumsrechte im Besondern (auf Bundesebene nach Art. 136 Abs. 2 BV) gehört auch das Sammeln von Unterschriften, das weitgehend auf die Benützung von öffentlichem Grund angewiesen ist (vgl. BGE 97 I 893 E. 2 S. 895; PIERRE TSCHANNEN, Staatsrecht der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 2. Aufl. 2007, § 51 N. 9). Erforderlich ist daher, dass entsprechende Beschränkungen durch ein öffentliches Interesse oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sind.
Unter diesem Gesichtswinkel ist im vorliegenden Fall ein öffentliches Interesse an einer Beschränkung zurzeit nicht ersichtlich. Es wird von Seiten der Beschwerdeführerin nicht nachgewiesen, dass die Freigabe der Unterschriftensammlung im Sinne der verwaltungsgerichtlichen Erwägungen zu konkreten Schwierigkeiten führen könnte. Es wird auch nicht dargelegt, dass sich in der Vergangenheit
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zahlreiche Gruppierungen um gleichzeitige Bewilligungen an gleichen Orten bemüht oder dass mehrere gleichzeitige Unterschriftensammlungen zu Nachteilen oder Störungen geführt hätten. Insoweit erweisen sich die Bedenken der Stadt St. Gallen als hypothetisch und vermögen daher kein aktuelles öffentliches Interesse an einer Einschränkung von Unterschriftensammlungen und einer entsprechenden Steuerung mit einem Bewilligungsverfahren zu begründen.
Auch ein Bedürfnis nach Schutz von dritten Grundrechtsträgern ist entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin zurzeit nicht ersichtlich. Ein allfälliges Schutzbedürfnis wird erst aktuell, wenn verschiedene Grundrechtsträger wie die genannten Gruppen politischer, religiöser, gemeinnütziger oder kultureller Art konkret zueinander in Konkurrenz treten oder miteinander in Konflikt geraten. Konkrete Hinweise auf derartige Situationen werden von Seiten der Beschwerdeführerin nicht namhaft gemacht. Soweit die Tätigkeiten solcher Gruppen im Bereiche des schlichten Gemeingebrauchs bleiben, treten diese in natürliche Konkurrenz zueinander und sprechen die Passanten je auf ihre eigene Art an.
Vor diesem Hintergrund bedarf es keines vorausgehenden Schutzes dieser Gruppen oder zwecks eines allfälligen Interessenausgleichs einer vorgängigen Steuerung von Seiten der Behörden. Daran vermag der Umstand nichts zu ändern, dass die eine Gruppe möglicherweise aktiver auftritt als eine andere. In dieser Hinsicht kann vermutet werden, dass eine gewisse Selbstregulierung einsetzt und unterschiedliche Gruppen je in der für ihre Anliegen geeigneten Weise in Erscheinung treten, sodass im Allgemeinen ein dringendes Steuerungsbedürfnis entfällt. Auch unter diesem Gesichtswinkel ist ein Interesse an einer Einschränkung von Unterschriftensammlungen nicht dargetan.
Bei dieser Sachlage kann nicht gesagt werden, dass das Verwaltungsgericht die Tragweite von Verfassungsrecht missachtet hätte. Sein Entscheid hält auch insoweit vor der Verfassung stand und verletzt damit die Autonomie der Stadt St. Gallen nicht.

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