Urteilskopf
136 II 359
31. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Bundesamt für Raumentwicklung gegen X., Gemeinderat Kriens und Dienststelle Raumentwicklung, Wirtschaftsförderung und Geoinformation des Kantons Luzern (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
1C_556/2009 vom 23. April 2010
Regeste a
Behördenbeschwerde (
Art. 89 Abs. 2 lit. a BGG); zulässige Begehren.
Das Beschwerderecht der Bundesbehörden ist abstrakter und autonomer Natur. Diese können sich erstmals vor Bundesgericht am Verfahren beteiligen und neue, im kantonalen Beschwerdeverfahren nicht streitige, Begehren stellen. Die beschwerdeberechtigte Bundesbehörde kann insbesondere auch eine reformatio in peius der erstinstanzlichen Verfügung beantragen (E. 1.2).
Regeste b
Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands.
Formell rechtswidrige Bauten, die auch nachträglich nicht legalisiert werden können, müssen grundsätzlich beseitigt werden (E. 6).
Prüfung, ob dem vollständigen Abbruch Gründe des Vertrauensschutzes (E. 7), der Verwirkung (E. 8), der Verhältnismässigkeit (E. 9) oder der Rechtsgleichheit (E. 10) entgegenstehen; dies ist zu verneinen.
Keine Verwirkung der Befugnis der Behörden, den Abbruch anzuordnen, wenn die vor über 30 Jahren errichtete illegale Baute laufend ausgebaut und vergrössert worden ist (E. 8.3).
A. X. ist Eigentümer des Grundstücks Nr. 5228 (früher Nr. 1848), GB Kriens, das ausserhalb der Bauzone im Krienser Hochwald auf der Krienseregg liegt. Er hat das Grundstück am 3. Januar 1972 von seinem Vater erworben.
Das Gelände ist Teil des Schutzperimeters der Schutzverordnung Krienser Hochwald vom 29. Juni 2000 (nachfolgend: SchutzV). Die Parzelle Nr. 5228 liegt teilweise in der Zone "Wald ohne Bewirtschaftung", in welcher sämtliche Nutzungen land- und waldwirtschaftlicher Art, Erholungs-, Sportaktivitäten und dergleichen verboten sind (Art. 9 SchutzV). Der südliche Bereich des Grundstücks liegt in der Zone "Mahd", in welcher alle landwirtschaftlichen Nutzungsarten untersagt sind, ausgenommen das Mähen (Art. 10 SchutzV). Zudem befindet sich das Grundstück im Perimeter des Furenmooses, eines Hochmoors von nationaler Bedeutung (Objekt Nr. 417 gemäss Anhang 1 der Verordnung vom 21. Januar 1991 über den Schutz der Hoch- und Übergangsmoore von nationaler Bedeutung [Hochmoorverordnung; SR 451.32]).
BGE 136 II 359 S. 361
B. Auf der Parzelle befand sich gemäss Bauanzeige vom 7. August 1967 früher eine Holzbaracke auf Zementsockel, die 3 m lang, 2,5 m breit und 2,5 m hoch war. Mit den Jahren wurde die Baracke verschiedentlich vergrössert und abgeändert; die Baute weist heute eine Länge von 9,15 m, eine Breite von 5,2 m und eine Höhe von 5 m auf und wird als Ferien- und Wochenendhaus benutzt. Im Jahre 1990 wurde ein Anbau von 4x4x4 m als Unterstand für einen Forsttraktor bewilligt. Weiter befinden sich auf dem Grundstück ein Holzunterstand (bestehend aus zwei massiven Hütten mit Blechdach und Abschlussblachen), ein Unterstand für einen Forsttraktor mit einer Fläche von 36 m
2 und ein Torbogen. Zudem wurde der Boden mit Asphalt und anderen Materialien befestigt und ein Teil des Grundstücks eingezäunt.
Nach wiederholten Aufforderungen der Gemeinde reichte X. am 20. September 2006 ein nachträgliches Baugesuch für die bisher nicht bewilligten Bauten und Anlagen ein. Dagegen erhoben Pro Natura und ihre Sektion Pro Natura Luzern Einsprache.
Mit Entscheid vom 12. März 2008 verweigerte die Dienststelle Raumentwicklung, Wirtschaftsförderung und Geoinformation des Kantons Luzern (RAWI) die raumplanungs- und waldrechtlichen Ausnahme- und Sonderbewilligungen für die verschiedenen baulichen Massnahmen. Der Gemeinderat Kriens wies das Baugesuch am 24. September 2008 ab und verpflichtete den Eigentümer, folgende Bauten und Anlagen abzubrechen (Disp.-Ziff. 4):
- Anbau
- Unterstand Forsttraktor
- Torbogen
- Holzunterstand
- Asphaltierung Vorplatz
- Bodenbefestigungen mit Granit, Betonsteinen, Kies (im Plan vom 19. August 2008 gelb eingefärbte Fläche).
Auf den Abbruch folgender Bauten und Anlagen wurde verzichtet (Disp.-Ziff. 6):
- Haus mit Dachaufbau und Schlepplukarne,
- Maschendrahtzaun,
- Kiesbelag auf der Ost- und Südseite des Hauses (blau eingefärbte Fläche gemäss Plan vom 19. August 2008).
C. Gegen diese Verfügung erhob X. Beschwerde ans Verwaltungsgericht Luzern. Er beantragte die Aufhebung des Entscheids der
BGE 136 II 359 S. 362
Dienststelle RAWI und des Gemeinderats Kriens (mit Ausnahme von Disp.-Ziff. 6).
Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass die Bauten und Anlagen auf dem Grundstück (mit Ausnahme des im Jahre 1990 bewilligten Anbaus) nie bewilligt worden waren und eine Baubewilligung auch nicht nachträglich erteilt werden könne. Das Verwaltungsgericht bestätigte die von der Gemeinde erlassene Wiederherstellungsverfügung, mit Ausnahme des Abbruchbefehls für den Anbau. Zwar diene der Anbau heute nicht mehr als Garage, sondern als Wohnraum, obwohl im Bewilligungsentscheid ausdrücklich festgehalten worden sei, dass die Garage nicht zweckentfremdet werden dürfe, insbesondere nicht für Wohnzwecke. Zur Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands genüge es aber, den Anbau wieder in eine Garage umzubauen und umzunutzen.
Das Verwaltungsgericht hiess daher die Beschwerde am 19. November 2009 in dem Sinne teilweise gut, als in Bezug auf den Anbau anstelle des Abbruchs die Wiederherstellung der am 5. September 1990 bewilligten Nutzung (Garage für einen Forsttraktor) angeordnet werde. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab.
D. Gegen die Entscheide des Verwaltungsgerichts und des Gemeinderats erhob das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) am 22. Dezember 2009 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht. Es beantragt den Abbruch sämtlicher Bauten und Anlagen.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
(Zusammenfassung)
Aus den Erwägungen:
1. Gegen den angefochtenen, kantonal letztinstanzlichen Entscheid steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten grundsätzlich offen (
Art. 82 ff. BGG).
1.1 Das ARE ist nach
Art. 89 Abs. 2 lit. a BGG und Art. 48 Abs. 4 der Raumplanungsverordnung vom 28. Juni 2000 (RPV; SR 700.1) zur Beschwerde ans Bundesgericht legitimiert, um die öffentlichen Interessen, insbesondere an der richtigen und rechtsgleichen Anwendung des Bundesrechts, zu wahren.
1.2 Nach der Rechtsprechung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde nach Art. 103 lit. b des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 1943 über
BGE 136 II 359 S. 363
die Organisation der Bundesrechtspflege (OG) war die beschwerdeberechtigte Bundesbehörde auch berechtigt, eine reformatio in peius zu beantragen (
BGE 102 Ib 282 E. 2-4 S. 286 ff.;
BGE 113 Ib 219 E. 1c S. 222; Urteil 1A.17/2004 vom 19. Mai 2004 E. 1.2, in: ZBl 106/2005 S. 384), und zwar ungeachtet der entsprechenden kantonalen Verfahrensvorschriften. Das Bundesgericht ging davon aus, dass die Behördenbeschwerde des Bundes als Mittel der Bundesaufsicht ihres Gehalts entleert würde, wenn der Streitgegenstand für das Verfahren vor Bundesgericht bereits im kantonalen Verfahren eingeschränkt würde.
Diese Praxis ist auch unter der Geltung des BGG beizubehalten.
Der Gesetzgeber hat in Art. 89 Abs. 2 lit. a BGG die bisherige Regelung von Art. 103 lit. b OG übernommen. In der Botschaft (vom 28. Februar 2001 zur Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl 2001 4330 zu Art. 84 E-BGG) wird dazu ausgeführt, lit. a wolle die einheitliche Anwendung des Bundesrechts sicherstellen. Die Bundesverwaltung könne "wie bisher" von ihrem Beschwerderecht in den Fällen Gebrauch machen, die ihren spezifischen Aufgabenbereich betreffen.
Das Beschwerderecht der Bundesbehörden gemäss
Art. 89 Abs. 2 lit. a BGG ist abstrakter und autonomer Natur (
BGE 135 II 338 E. 1.2.1 S. 341 f.). Die Legitimationsvoraussetzungen von
Art. 89 Abs. 1 BGG sind nicht anwendbar. Dies gilt insbesondere auch für die Voraussetzung der Beteiligung am vorinstanzlichen Verfahren im Sinne von
Art. 89 Abs. 1 lit. a BGG. Das ARE kann beim Bundesgericht somit auch Beschwerde führen, wenn es sich nicht am vorinstanzlichen Verfahren beteiligt hat (Urteile des Bundesgerichts 1C_254/2009 vom 25. September 2009 E. 1.3; 1C_397/2007 / 1C_427/2007 vom 27. Mai 2008 E. 1.3; BERNHARD WALDMANN, Die Beschwerdebefugnis ohne Kenntnis des Beschwerdeobjekts, Baurecht 2009 S. 72; ALAIN WURZBURGER, in: Commentaire de la LTF, 2009, N. 45 zu
Art. 89 BGG; HANSJÖRG SEILER, in: Bundesgerichtsgesetz [BGG], 2007, N. 43 zu
Art. 89 BGG). Die Bundesbehörden sind daher nicht an Einschränkungen des Streitgegenstands im kantonalen Beschwerdeverfahren gebunden, sondern können im Rahmen ihres Beschwerderechts neue Begehren stellen (BERNHARD EHRENZELLER, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2008, N. 14 zu
Art. 111 BGG), insbesondere auch eine reformatio in peius beantragen (
BGE 113 Ib 219 E. 1c S. 222).
BGE 136 II 359 S. 364
Zwar sind die zuständigen Bundesbehörden gestützt auf
Art. 111 Abs. 2 BGG (vgl. auch
Art. 33 Abs. 3 lit. a RPG [SR 700]) berechtigt, am kantonalen Verfahren teilzunehmen (
BGE 135 II 338 E. 2.1 S. 344). Den beschwerdeberechtigten Bundesbehörden, werden aber nur
letztinstanzliche kantonale Entscheide eröffnet (vgl. Art. 1 lit. c und Art. 2 lit. d der Verordnung vom 8. November 2008 über die Eröffnung letztinstanzlicher kantonaler Entscheide in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten [SR 173.110.47]). In aller Regel erfahren sie erst
nach dem Urteil der letzten kantonalen Instanz vom Inhalt des erstinstanzlichen Entscheids. Um ihre Aufsichtsfunktion wahrzunehmen, müssen sie die Möglichkeit haben, eine Korrektur des
erst instanzlichen Entscheids zu verlangen, soweit dieser Bundesrecht verletzt. Dies schliesst die Überprüfung von Fragestellungen mit ein, die im kantonalen Verfahren nicht umstritten waren.
1.3 Nach dem Gesagten ist auf die Beschwerde einzutreten, auch soweit die Abänderung der erstinstanzlichen Verfügung des Gemeinderats zulasten des Beschwerdegegners verlangt wird.
Dem Grundstückseigentümer ist hierzu im bundesgerichtlichen Verfahren das rechtliche Gehör zu gewähren. Ihm ist es daher - analog Art. 99 Abs. 1 BGG - gestattet, auch neue Tatsachen und Beweismittel vorzubringen, zu denen erst die neuen Begehren des ARE Anlass geben.
(...)
6. Der Anordnung der Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands kommt massgebendes Gewicht für den ordnungsgemässen Vollzug des Raumplanungsrechts zu (Urteil 1C_397/2007 / 1C_427/2007 vom 27. Mai 2008 E. 3.4, in: URP 2008 S. 590, RDAF 2009 I S. 521). Werden illegal errichtete, dem RPG widersprechende Bauten nicht beseitigt, sondern auf unabsehbare Zeit geduldet, so wird der Grundsatz der Trennung von Bau- und Nichtbaugebiet in Frage gestellt und rechtswidriges Verhalten belohnt. Formell rechtswidrige Bauten, die auch nachträglich nicht legalisiert werden können, müssen daher grundsätzlich beseitigt werden (PETER HÄNNI, Der Abbruch von Bauten und Anlagen, Baurecht 2005 S. 153; MARIE-FRANCE RAVEL, Illegale Bauten: was tun? Rechtsprechung und Praxis, Raum & Umwelt 2004 S. 29 f. und 35). Davon geht auch § 209 des Luzerner Planungs- und Baugesetzes vom 7. März 1989 (PBG/LU; SRL 735) aus, der den Gemeinderat verpflichtet, für die Wiederherstellung des gesetzmässigen Zustands zu sorgen (Abs. 2).
BGE 136 II 359 S. 365
Die Anordnung des Abbruchs bereits erstellter Bauten kann jedoch nach den allgemeinen Prinzipien des Verfassungs- und Verwaltungsrechts (ganz oder teilweise) ausgeschlossen sein (
BGE 111 Ib 213 E. 6 S. 221;
BGE 108 Ia 216 E. 4 S. 217; je mit Hinweisen). Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands unverhältnismässig wäre. Überdies können Gründe des Vertrauensschutzes der Wiederherstellung entgegenstehen, oder diese kann aufgrund des Zeitablaufs verwirkt sein.
7. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung verwirkt der Anspruch der Behörden auf Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands im Interesse der Rechtssicherheit grundsätzlich nach 30 Jahren, sofern der Kanton keine kürzeren Verwirkungsfristen vorsieht. Kürzere Verwirkungsfristen können sich jedoch aus Gründen des Vertrauensschutzes ergeben.
7.1 Dies ist namentlich dann der Fall, wenn die Baupolizeibehörden zwar vor Ablauf der 30-jährigen Frist einschreiten, den baurechtswidrigen Zustand aber über Jahre hinaus duldeten, obschon ihnen die Gesetzwidrigkeit bekannt war oder sie diese bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätten kennen müssen (
BGE 132 II 21 E. 6.3 S. 39;
BGE 107 Ia 121 E. 1c S. 124; Urteil 1P.768/2000 vom 19. September 2001 E. 3a, in: ZBl 103/2002 S. 188, Pra 2002 Nr. 3 S. 9, RDAF 2003 I S. 395).
Darauf kann sich nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung aber nur berufen, wer selbst im guten Glauben gehandelt hat (
BGE 132 II 21 E. 6.3 S. 39), d.h. angenommen hat und (unter Anwendung zumutbarer Sorgfalt) annehmen durfte, die von ihm ausgeübte Nutzung sei rechtmässig bzw. stehe mit der Baubewilligung in Einklang (
BGE 132 II 21 E. 6 S. 35;
BGE 111 Ib 213 E. 6a S. 221 ff.; Urteil 1P.768/2000 vom 19. September 2001 E. 4c, in: ZBl 103/2002 S. 188, Pra 2002 Nr. 3 S. 9, RDAF 2003 I S. 395).
Dies ist vorliegend klarerweise nicht der Fall: Schon die ursprüngliche Waldhütte war vom Vater des Beschwerdegegners ohne Baubewilligung errichtet und vergrössert worden. In der Folge wurde sie vom Beschwerdegegner weiter vergrössert und ausgebaut, obwohl er von der Gemeinde immer wieder auf die Unrechtmässigkeit seines Tuns hingewiesen wurde: Bereits 1973 wurde er vom Kreisforstamt aufgefordert, die Hütte zu entfernen. 1974 wurde die nachträgliche Baubewilligung verweigert, wobei ausgeführt wurde, dass das Haus dem Raumplanungs-, dem Naturschutz- und dem Waldrecht
BGE 136 II 359 S. 366
widerspreche. 1986 wurde die Einstellung jeglicher Bauarbeiten verfügt, auch innerhalb der Hütte, und Strafanzeige beim Amtsstatthalter erstattet. 1987 wies der Gemeindeammann den Beschwerdegegner darauf hin, falls keine Baubewilligung für das Ferienhaus aufgefunden werde, sehe sich die Gemeinde gezwungen, das Baubewilligungsverfahren für die gesamte Baute, mit allen seinen Folgen bei einer negativen Beurteilung für die gesamte Baute, einzuleiten.
Die einzige Baubewilligung, die je erteilt wurde, betrifft die Garage für die Unterstellung eines Forsttraktors. Aus der Bewilligung geht klar hervor, dass sie nur für die Garage erteilt wurde und keine nachträgliche Bewilligung des Ferienhauses beinhaltet. Auch dieser Anbau wurde in der Folge - entgegen dem ausdrücklichen Zweckentfremdungsverbot in der Baubewilligung - zu Wohnzwecken genutzt.
7.2 Der Beschwerdegegner wusste somit, dass sein Ferienhaus formell und materiell baurechtswidrig war. Er durfte das Verhalten der Behörden, welche die 1973 ausgesprochene Abbruchanordnung des Kreisforstamts nicht durchsetzten und keine neue Abbruchverfügung erliessen, deshalb nicht als nachträgliche Legalisierung seines Bauvorhabens verstehen, sondern allenfalls als Duldung auf Zusehen hin.
Dies gilt auch, soweit das Grundstück 1976 an die Abwasserkanalisation angeschlossen wurde. Ob dieser Anschluss zu Recht erfolgte, ist vorliegend nicht zu prüfen. Aus den vom Beschwerdegegner eingereichten Unterlagen ergibt sich, dass der Anschluss allein aus gewässerschutzrechtlichen Gründen erfolgte, für alle im Krienser Hochwald befindlichen Bauten, unabhängig von ihrer raumplanungs- und baurechtlichen Beurteilung. Insofern durften der Anschluss und der Beitragsbescheid von den betroffenen Grundstückseigentümern nicht als nachträgliche Legalisierung aller bestehenden Bauten verstanden werden. Dies gilt erst recht für den Beschwerdegegner, dem erst kurz vor dem Anschluss an die Kanalisation die nachträgliche Baubewilligung für die bestehende Baute verweigert worden war.
Der Auszug aus dem Gemeindeprotokoll 1982, als der Gemeinderat Kriens auf den Erlass eines Abbruchbefehls verzichtete, wurde dem Beschwerdegegner, soweit ersichtlich, nicht zugestellt, und konnte schon deshalb keinen Vertrauenstatbestand begründen. Im Übrigen ergibt sich auch aus diesem Auszug kein definitiver Verzicht auf Wiederherstellungsmassnahmen für alle Zukunft, sondern lediglich die Notwendigkeit eines koordinierten Vorgehens, unter
BGE 136 II 359 S. 367
Berücksichtigung aller unrechtmässigen Bauten im Gebiet des Krienser Hochwalds. Schliesslich ist auch nicht ersichtlich, dass der Beschwerdegegner im Vertrauen auf diesen Gemeinderatsbeschluss Dispositionen getroffen hätte: Der Beschwerdegegner hat die baulichen Dispositionen, die bei der Kontrolle 1982 festgestellt worden waren, gerade nicht gestützt auf behördliches Verhalten bzw. Verfügungen getroffen.
7.3 Nach dem Gesagten stehen somit Gründe des Vertrauensschutzes der Wiederherstellung nicht entgegen.
8. Näher zu prüfen ist dagegen die Verwirkung. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist die Befugnis der Behörden, den Abbruch eines baugesetzwidrigen Gebäudes oder Gebäudeteils anzuordnen, grundsätzlich auf 30 Jahren beschränkt (
BGE 132 II 21 E. 6.3 S. 39;
BGE 107 Ia 121 E. 1a S. 123). Diese Praxis beruht auf dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit wie auch auf praktischen Überlegungen (Schwierigkeit der Abklärung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse vor über 30 Jahren). Die Frist von 30 Jahren wurde in Anlehnung an die ausserordentliche Ersitzung von Grundeigentum gemäss
Art. 662 ZGB festgelegt.
8.1 Dieser Grundsatz wurde zunächst für das Forstrecht entwickelt (vgl.
BGE 105 Ib 265), und in
BGE 107 Ia 121 auf den Abbruch einer Baute innerhalb der Bauzone übertragen (Galerie von 21 m
2 in einem Wohnzimmer). Ob diese Rechtsprechung unverändert auf Bauten ausserhalb der Bauzone übertragen werden kann (vgl. dazu CHRISTOPH DE QUERVAIN, Verjähren die Ansprüche auf Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands generell nach 30 Jahren?, Raum & Umwelt 2004 S. 51 f.), hat das Bundesgericht bisher offengelassen (vgl.
BGE 132 II 21 E. 6.3 S. 39). Die Frage braucht auch im vorliegenden Fall nicht entschieden zu werden.
8.2 Fraglich erscheint weiter, ob die 30-jährige Frist auch dann gilt, wenn die Behörden nicht einfach untätig geblieben sind, sondern - wie im vorliegenden Fall - immer wieder Verfügungen ergingen (Abbruchanordnung 1973, Verweigerung der nachträglichen Baubewilligung 1974, Anordnung des Baustopps und Strafanzeige an den Amtsstatthalter 1986; Aufforderung zur Einreichung eines nachträglichen Baugesuchs 1987 etc.), jedoch kein Abbruchbefehl erlassen bzw. durchgesetzt wurde. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die ausserordentliche Ersitzung gemäss
Art. 662 ZGB einen 30-jährigen "unangefochtenen" Besitz als Eigentümer
BGE 136 II 359 S. 368
voraussetzt. Auch diese Frage kann vorliegend offenbleiben, weil sich der Beschwerdegegner aus einem anderen Grund nicht auf Verwirkung berufen kann.
8.3 Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung beginnt die Verwirkungsfrist erst mit der Fertigstellung des Gebäudes oder des streitigen Gebäudeteils zu laufen (
BGE 107 Ia 121 E. 1b S. 124). Im vorliegenden Fall wurde die illegal errichtete Waldhütte vom Beschwerdegegner (einem Schreinermeister) laufend ausgebaut und vergrössert. Wie die in den Akten liegenden Fotos (aus den Jahren 1977 bis 2002) und die Pläne der Baugesuche 1973,
BGE 107 Ia 1987 und 2006 zeigen, entwickelte sich die Baute von einer einfachen Holzbaracke zu einem komfortablen Ferienhaus. In einem solchen Fall ist es praktisch unmöglich, den Zustand von vor 30 Jahren zu eruieren.
Dies zeigt der vorliegende Fall deutlich. Wenn überhaupt, so käme eine "Ersitzung" allenfalls für die - vermutlich Ende der 60er Jahre - erstellte Hütte mit 3 m Länge, 2,5 m Breite und 2,5 m Höhe in Betracht. Diese ist durch Fotos und durch das nachträgliche Baugesuch 1974 dokumentiert und bestand während längerer Zeit. Auf dem ersten Foto der Gemeinde vom 15. Juli 1977 ist ein einfacher Holzbau auf Punktfundamenten mit Wellblechdach zu sehen. Ein Vergleich mit den Aufnahmen aus den Jahren 1981-1985 zeigt, dass diese Hütte (zumindest äusserlich) unverändert bis Anfang der 80er Jahre bestand, dagegen ab 1981 laufend verändert und erweitert wurde. Das heute bestehende Haus hat mit der ursprünglichen Holzhütte praktisch nichts mehr gemein. Die Baute aus den 60er Jahren existiert heute nicht mehr und kann schon aus diesem Grund nicht mehr abgebrochen werden. Der vom ARE verlangte Abbruchbefehl betrifft somit im Wesentlichen die seit 1980 kontinuierlich entstandene neue Bausubstanz. Diesbezüglich ist keine Verwirkung eingetreten.
9. Das öffentliche Interesse an der vollständigen Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands ist erheblich: Der rechtswidrige Bau verletzt nicht nur das für die Raumplanung grundlegende Prinzip der Trennung von Bau- und Nichtbauzone, sondern befindet sich im Perimeter eines Hochmoors von nationaler Bedeutung und im Perimeter der Schutzverordnung Krienser Hochwald vom 29. Juni 2000, d.h. in einer besonders sensiblen und schutzwürdigen Umgebung, in der Bauten jeder Art verboten sind (vgl. Art. 5 lit. b Hochmoorverordnung), und auch keine Erholungs-, Sportaktivitäten und
BGE 136 II 359 S. 369
dergleichen zulässig sind (Art. 9 SchutzV). Der Fortbestand eines Ferien- und Wochenendhauses in dieser Umgebung widerspricht somit diametral den Schutzzielen. Hinzu kommt, wie sich in der Vergangenheit gezeigt hat, dass der Bestand der Anlage zu unzulässigen Erweiterungen und Ergänzungen offenbar geradezu einlädt (Urteil 1A.17/2004 vom 19. Mai 2004 E. 3.2, in: ZBl 106/2005 S. 384, RDAF 2006 I S. 626).
Bei dieser Sachlage kann offenbleiben, ob die streitige Baute auch auf Waldareal steht (wovon das RAWI ausgeht) oder "nur" im Waldabstand (wovon bei der Bewilligung des Anbaus 1990 ausgegangen wurde).
Die genannten öffentlichen Interessen überwiegen deutlich die privaten Interessen des Beschwerdegegners. Zwar werden mit dem Abbruch (für den Beschwerdegegner) bedeutende Vermögenswerte vernichtet. Der Beschwerdegegner hat diese Investitionen jedoch in Kenntnis ihrer Rechtswidrigkeit getätigt und damit auf eigenes Risiko gehandelt. Überdies hat er seit über 30 Jahren von der rechtswidrigen Situation profitiert, indem er sein Grundstück zu Wohn- und Erholungszwecken nutzen konnte. Er hat aber keinen Anspruch darauf, diese rechtswidrige, dem Raumplanungsrecht widersprechende Wohnnutzung auch in Zukunft fortzusetzen (vgl. Urteil 1C_408/ 2009 vom 11. Februar 2010 E. 4.3).
10. Schliesslich steht auch der Grundsatz der Rechtsgleichheit dem Abbruch der Wohnbaute nicht entgegen. Der Beschwerdegegner macht zwar geltend, es bestünden insgesamt 280 Bauten im Krienser Hochwald, davon vier in unmittelbarer Umgebung seines Grundstücks, ebenfalls im Hochmoorperimeter. Er legt aber nicht dar, dass diese Bauten in tatsächlicher und rechtlicher Sicht mit der seinigen vergleichbar sind, d.h., dass es sich um formell und materiell rechtswidrige Bauten handelt, die bösgläubig erstellt und fortlaufend ausgebaut und erweitert worden sind. Sofern dies der Fall sein sollte, wird es Sache der Gemeinde sein, auch in diesen Fällen die Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands anzuordnen.
Es kann daher offenbleiben, ob das Bundesgericht bei einer Beschwerde des ARE, die im Interesse der Durchsetzung des Bundesrechts erhoben wird, überhaupt an eine allfällige bundesrechtswidrige Praxis der Gemeinde und/oder des Kantons gebunden sein kann (vgl.
BGE 122 II 446 E. 4a S. 452).