Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
Urteilskopf

138 III 587


87. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. Y. Versicherungs-Gesellschaft AG gegen X. Ver- sicherungen AG (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_740/2011 vom 1. Juni 2012

Regeste

Regress einer schweizerischen Unfallversicherung auf eine schweizerische Haftpflichtversicherung für Leistungen aus einem Verkehrsunfall, der sich in Schottland ereignet hat (Art. 144 Abs. 1 und 2 IPRG).
Voraussetzungen und Durchführung des Rückgriffs nach Art. 144 IPRG. Das für die Durchführung des Rückgriffs massgebliche schottische Recht (Forderungsstatut) sieht nur eine Klage des Versicherers im Namen des Geschädigten vor, welcher aber zur Mitwirkung gezwungen werden kann. Mit Blick auf den von der Vorinstanz festgestellten Vorrang des Verfahrensrechts im Common Law System und das im konkreten Fall fehlende Schutzbedürfnis der beklagten Partei erscheint dennoch zulässig, dass die rückgriffsberechtigte Versicherung vor dem zuständigen schweizerischen Gericht nicht im Namen des Geschädigten, sondern im eigenen Namen klagt (E. 2).

Erwägungen ab Seite 588

BGE 138 III 587 S. 588
Aus den Erwägungen:

2. Das Bundesgericht hat die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen, damit diese den Inhalt der Normen des schottischen Rechts feststellt (BGE 134 III 420). Die Vorinstanz hat dazu ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben.

2.1 Die Vorinstanz erkannte, das schottische Recht erachte für die Leistungen aus Schadenversicherung (anders als für die Integritätsentschädigung) den Regress der Beschwerdegegnerin für zulässig. Bezüglich der prozessualen Durchsetzung sehe die schottische Rechtsordnung keinen eigentlichen Rechtsübergang vor, sondern räume lediglich dem regressberechtigten Versicherer die Möglichkeit ein, im Namen des Versicherten den Prozess gegen den Regressverpflichteten zu führen. Dabei könne der Versicherer den Versicherten aber zur Mitwirkung zwingen - zumindest zum namentlichen Auftreten als Kläger im Prozess. Für den Regressverpflichteten mache es - im Ergebnis - wohl keinen Unterschied, ob er in einem in den allermeisten Fällen wohl bloss formaliter vom Geschädigten geführten Prozess zu einer Regresszahlung verpflichtet werde, welche dieser ohne Weiteres an den regressberechtigten Versicherer herauszugeben hat, oder ob er sich im Prozess direkt Letztgenanntem gegenübersehe. Der Umstand, dass nach schottischem Recht der Rückgriff nicht im eigenen Namen durchgesetzt werden könne, sondern der Versicherer für die prozessuale Geltendmachung auf den Geschädigten angewiesen bleibe, sei von untergeordneter Bedeutung, da der Geschädigte vom Versicherer (notfalls gerichtlich) zur Mitwirkung verpflichtet werden könne. Überdies offenbare das Rechtsgutachten, dass in diesen Fällen der Versicherer den Prozess führe und von der beklagten Drittpartei Schadenersatz erhalte ("If the insurer successfully conducts the proceedings and obtains compensations from the third party defendant [...]"), aus welchem er seine Aufwendungen decken dürfe ("[...] it has the right to retain so much of that compensation as corresponds to its indemnification payment to the insured and its legal
BGE 138 III 587 S. 589
costs"). Daher erachtete die Vorinstanz den Regressanspruch für begründet.

2.2 Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, mit der vorgenommenen Gesetzesanwendung und -auslegung von Art. 144 IPRG (SR 291) verletze die Vorinstanz Bundesrecht und überschreite das ihr zustehende Ermessen. Sie rügt, gestützt auf Art. 144 Abs. 2 IPRG beurteile sich unter anderem nach dem anwendbaren schottischen Recht die Frage, welche Nebenrechte, namentlich ob ein unmittelbares Forderungsrecht des Geschädigten auf den Haftpflichtversicherer übergehe. Aus dem Gutachten gehe hervor, dass das der Geschädigten zustehende direkte Forderungsrecht nicht auf die Beschwerdegegnerin übergehe und auch nicht übergegangen sei, weshalb diese keine Rechtsansprüche gegenüber der Beschwerdeführerin geltend machen könne. Die Klage sei mangels Aktivlegitimation abzuweisen.

2.3 Mit Bezug auf die Durchführung des Regresses, welche schottischem Recht unterstehe, hielt die Vorinstanz unter Hinweis auf eine Kommentarstelle (KELLER/GIRSBERGER, in: Zürcher Kommentar zum IPRG, 2. Aufl. 2004, N. 25 zu Art. 144 IPRG) fest, es sei nicht eine Frage der Durchführung, sondern der Zulässigkeit des Rückgriffs, ob derjenige, der das Rückgriffsrecht geltend machen wolle, kraft der gesetzlichen Rückgriffsregelung dazu legitimiert sei. Mithin sei nicht von Bedeutung, dass die Beschwerdegegnerin - und nicht die Geschädigte gewissermassen als Prozessstandschafterin - die Regressklage im eigenen Namen führe.

2.4 Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ist der Begriff "legitimiert" an der angegebenen Literaturstelle nicht in prozesstechnischem, sondern in materiellem Sinne zu verstehen. Dies belegt das am angeführten Ort erwähnte Beispiel, die Frage, ob der Haftpflichtversicherer des Geschädigten zum Rückgriff berechtigt ist, wenn er gezahlt hat. Damit muss die materielle Berechtigung gemeint sein. Die Frage ob der Haftpflichtversicherer zur Durchsetzung seines Anspruchs im eigenen Namen oder im Namen der Geschädigten vorzugehen hat, wird nicht thematisiert.

2.5 Gemäss Art. 144 Abs. 1 IPRG kann ein Schuldner auf einen anderen Schuldner unmittelbar oder durch Eintritt in die Rechtsstellung des Gläubigers insoweit Rückgriff nehmen, als es die Rechte zulassen, denen die entsprechenden Schulden unterstehen. Die Durchführung des Rückgriffs untersteht grundsätzlich dem gleichen Recht
BGE 138 III 587 S. 590
wie die Schuld des Rückgriffsverpflichteten (Art. 144 Abs. 2 Satz 1 IPRG).

2.5.1 Mit Art. 144 Abs. 1 und 2 IPRG wollte der Gesetzgeber die Stellung des im Wege des Regresses in Anspruch genommenen Schuldners schützen, dessen Rechtsstellung nicht durch ein ihm möglicherweise unbekanntes Recht verschlechtert werden sollte (Botschaft vom 10. November 1982 zum Bundesgesetz über das internationale Privatrecht, BBl 1983 I 433 Ziff. 285.2). Durch die in Art. 144 Abs. 1 IPRG vorgesehene Anknüpfung wird einerseits erreicht, dass der den Gläubiger befriedigende Schuldner kein Rückgriffsrecht erhält, mit dem er nicht rechnen konnte, und andererseits, dass der Regresspflichtige nicht von unerwarteten Regressansprüchen überrascht wird.

2.5.2 Gemäss den Feststellungen der Vorinstanz kann der Versicherer nach schottischem Recht nur im Namen des Geschädigten vorgehen, er kann diesen aber zur Mitwirkung zwingen. Auch das schottische Recht verhilft dem Regressberechtigten mithin zur Deckung, auch wenn dies nicht über eine Regressforderung im engen Sinn geschieht, da der Regressberechtigte lediglich in Stellvertretung des Geschädigten gegen den Dritten vorgehen kann. Insoweit ist der Regressanspruch mit Blick auf Art. 144 Abs. 1 IPRG zuzulassen.

2.5.3 Nach der herrschenden Lehre ist Art. 144 Abs. 2 IPRG extensiv auszulegen und regelt insbesondere auch, wie sich der Rückgriff formell gestaltet, sei es durch Subrogation, unmittelbaren Rückgriff oder ein verwandtes Institut (DASSER, in: Basler Kommentar, Internationales Privatrecht, 2. Aufl. 2007, N. 10 zu Art. 144 IPRG; KELLER/GIRSBERGER, a.a.O., N. 22 f. zu Art. 144 IPRG; BONOMI, in: Commentaire romand, Loi sur le droit international privé, Convention de Lugano, 2011, N. 11 zu Art. 144 IPRG; KREN KOSTKIEWICZ, Grundriss des schweizerischen internationalen Privatrechts, 2012, S. 631 Rz. 2627). Das Bundesgericht hielt denn im Rückweisungsentscheid auch fest, die Durchführung des nach Art. 144 Abs. 1 IPRG zulässigen Rückgriffs erfolge gemäss Abs. 2 der Norm grundsätzlich nach dem Forderungsstatut; darunter falle insbesondere auch die Frage, ob ein unmittelbares Forderungsrecht des Geschädigten gegen den Haftpflichtversicherer auf den Rückgriffsberechtigten übergehe. Es fragt sich daher, ob die Beschwerdegegnerin im Namen der Geschädigten klagen muss, welche Modalität das schottische Recht für den "Rückgriff" vorsieht.

2.5.4 Gemäss den Feststellungen der Vorinstanz unterscheidet sich das (schottische) Common Law System mit dem ihm
BGE 138 III 587 S. 591
innewohnenden Vorrang des Verfahrensrechts ganz grundsätzlich vom kontinentaleuropäischen Civil Law System. Da in der Schweiz prozessiert wird, kommt aber nicht das schottische, sondern das schweizerische Verfahrensrecht zur Anwendung. Dadurch darf die Stellung des Regressberechtigten im Vergleich zu einem in Schottland geführten Verfahren materiell nicht verschlechtert werden. Das schottische Recht räumt nach dem angefochtenen Entscheid dem regressberechtigten Versicherer die Möglichkeit ein, im Namen des Versicherten den Prozess gegen den Regressverpflichteten zu führen, wobei der regressberechtigte Versicherer den Versicherten zur Mitwirkung - zumindest zum namentlichen Auftreten als Kläger - zwingen kann. Dass auch nach dem schweizerischen Zivilprozessrecht eine gleichwertige Möglichkeit besteht, Versicherte zum namentlichen Auftreten als Kläger zu zwingen, zeigt die Beschwerdeführerin nicht auf. Damit gelingt es ihr nicht, den angefochtenen Entscheid, der im Ergebnis mit Blick auf die grundsätzlichen Unterschiede in der Stellung des Verfahrensrechts des Common Law Systems und des kontinentaleuropäischen Civil Law Systems die Klage des Versicherers im eigenen Namen vor Schweizer Gerichten für zulässig erachtet, als bundesrechtswidrig auszuweisen.

2.5.5 Das schottische Recht verfolgt mit der Klage im Namen der Geschädigten im Wesentlichen denselben Zweck wie das schweizerische Recht, gemäss welchem die Beschwerdegegnerin im eigenen Namen hätte klagen können. Mit der Berufung auf die mangelnde Aktivlegitimation versucht sich die Beschwerdeführerin ihrer nach beiden Rechten vorgesehenen Zahlungsverpflichtung zu entziehen, obwohl dem für Art. 144 IPRG zentralen Aspekt des Schutzes des im Wege des Regresses in Anspruch genommenen Schuldners vor einer Verschlechterung seiner Rechtsstellung durch ein ihm möglicherweise unbekanntes Recht für das Verfahren zwischen zwei schweizerischen Versicherungen keine massgebende Bedeutung zukommt. Dass die Beschwerdeführerin befürchten müsste, von der Geschädigten für denselben Schaden erneut belangt zu werden, zeigt sie nicht rechtsgenüglich auf. Daher ist im Ergebnis nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz die Aktivlegitimation der Beschwerdegegnerin bejaht hat.

Inhalt

Ganzes Dokument
Regeste: deutsch französisch italienisch

Erwägungen 2

Referenzen

BGE: 134 III 420

Artikel: Art. 144 IPRG, Art. 144 Abs. 1 IPRG, Art. 144 Abs. 1 und 2 IPRG, Art. 144 Abs. 2 IPRG mehr...