145 V 170
Intestazione
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17. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. SWICA Krankenversicherung AG gegen A. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_264/2018 vom 8. Mai 2019
Regesto
Art. 32 cpv. 1, art. 34 cpv. 2 LAMal (nel suo tenore in vigore fino alla fine del 2017, applicabile al caso concreto); art. 36 cpv. 1 OAMal; trattamento all'estero; disforia di genere nel senso di una transessualità donna-uomo; falloplastica.
Giurisprudenza relativa ai trattamenti all'estero (consid. 2). Adattamento del sesso e falloplastica (consid. 3). Prevalenza della disforia di genere (consid. 5.1). La gioia di vivere dei pazienti dipende in maniera decisiva dal risultato dell'operazione (consid. 5.2). Intervento standardizzato di un team interdisciplinare di medici specialisti (consid. 5.3). Rischio di complicanze (consid. 5.4). Numero di casi e numero minimo di casi (consid. 6).
Ci si deve attenere alla pratica giudiziaria, secondo cui eccezioni al principio di territorialità possono essere ammesse solo con grande riserbo, in caso di terapie molto rare come la falloplastica. Altrimenti vi sarebbe il rischio di perdita delle corrispondenti competenze professionali specialistiche in Svizzera (consid. 7.1 e 7.2). La frequenza delle operazioni sul territorio nazionale potrebbe pertanto, in caso d'intervento chirurgico particolarmente complesso, situarsi a un livello così basso da doversi porre la domanda se il team specialistico sia in grado di raggiungere e mantenere l'esperienza e la routine necessarie (consid. 7.3). Questa questione si pone anche in relazione alla falloplastica (consid. 7.4). La risposta si trova nella giurisprudenza esistente conformemente alla DTF 134 V 330 consid. 2.2 pag. 332 con le referenze. In concreto si pone il quesito giuridico seguente: l'offerta terapeutica nazionale per l'intervento di falloplastica rispetto allo stesso trattamento all'estero, comporta rischi di complicanze così elevati a causa della ridotta frequenza operatoria in Svizzera tali da non rendere più possibile in Svizzera, per ragioni mediche, un trattamento responsabile e accettabile, vale a dire appropriato? L'apprezzamento deve effettuarsi secondo elementi oggettivi e su basi concrete (consid. 7.5).
A. Der 1988 geborene A. litt unter Gender-Dysphorie im Sinne einer Frau-zu-Mann-Transsexualität. Nach zweijähriger psychotherapeutischer Behandlung begann er 2015 mit einer Hormontherapie und unterzog sich in der Folge einer Hyster- und Adnexektomie (Entfernung der Gebärmutter, der Eileiter und der Eierstöcke) sowie einer beidseitigen Mastektomie (Brustamputation). Für die Kosten dieser medizinischen Behandlungen kam die SWICA Krankenversicherung AG (im Folgenden: SWICA) auf, bei welcher A. obligatorisch krankenpflegeversichert ist. Hingegen lehnte die SWICA eine Kostenübernahme für die Operationen zum Penisaufbau (Phalloplastik) ab, weil diese nicht in der Schweiz, sondern in der Klinik X. in Deutschland durchgeführt wurden (Verfügung vom 21. März 2017 und Einspracheentscheid vom 4. Juli 2017).
B. Das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz hiess die gegen den Einspracheentscheid erhobene Beschwerde gut und verpflichtete die SWICA zur Kostenübernahme für die im Ausland durchgeführte Phalloplastik (Entscheid vom 20. Februar 2018).
C. Die SWICA führt Beschwerde ans Bundesgericht mit dem Antrag auf Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids und Bestätigung ihrer Leistungsablehnung.
A. schliesst auf Nichteintreten; eventuell sei die Beschwerde abzuweisen. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
Aus den Erwägungen:
2.1 Gemäss Art. 34 Abs. 2 KVG kann der Bundesrat bestimmen, dass die obligatorische Krankenpflegeversicherung die Kosten von Leistungen nach Art. 25 Abs. 2 oder 29 KVG übernimmt, die aus medizinischen Gründen im Ausland erbracht werden (erster Satz in der hier anwendbaren, bis Ende 2017 gültig gewesenen Fassung). Gestützt auf diese Kompetenzdelegation wurde Art. 36 KVV (SR 832.102) mit dem Titel "Leistungen im Ausland" erlassen. Laut erstem Absatz der Bestimmung bezeichnet das Eidgenössische Departement des Innern nach Anhören der zuständigen Kommission die Leistungen nach Art. 25 Abs. 2 und 29 KVG , deren Kosten von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung im Ausland übernommen werden, wenn sie in der Schweiz nicht erbracht werden können (wobei ein
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Verzeichnis der Leistungen bisher nicht erstellt worden ist; vgl. BGE 134 V 330 E. 2.1 S. 332; BGE 131 V 271 E. 3.1 S. 274; GEBHARD EUGSTER, Krankenversicherung [nachfolgend: Krankenversicherung], in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 3. Aufl. 2016, S. 577 Rz. 550).
2.2 Die Leistungen nach den Art. 25-31 KVG müssen wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sein; die Wirksamkeit muss nach wissenschaftlichen Methoden nachgewiesen sein (Art. 32 Abs. 1 KVG). Die Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit der in der Schweiz erbrachten ärztlichen Behandlungen werden vermutet. Eine Ausnahme vom Territorialitätsprinzip gemäss Art. 36 Abs. 1 KVV in Verbindung mit Art. 34 Abs. 2 KVG ist unter dem Gesichtswinkel des KVG nur möglich, wenn in der Schweiz überhaupt keine Behandlungsmöglichkeit besteht oder aber im Einzelfall eine innerstaatlich praktizierte therapeutische Massnahme im Vergleich zur auswärtigen Behandlungsalternative für die betroffene Person wesentliche und erheblich höhere Risiken mit sich bringt und damit eine mit Blick auf den angestrebten Heilungserfolg medizinisch verantwortbare und in zumutbarer Weise durchführbare, mithin zweckmässige Behandlung in der Schweiz konkret nicht gewährleistet ist (BGE 134 V 330 E. 2.2 S. 332; BGE 131 V 271 E. 3.2 S. 275; RKUV 2003 Nr. KV 253 S. 229, K 102/02 E. 2).
2.3 Nur schwerwiegende Lücken im Behandlungsangebot ("Versorgungslücken") rechtfertigen es, vom Territorialitätsprinzip abzuweichen. Dabei handelt es sich in der Regel um Behandlungen, die hochspezialisierte Techniken verlangen oder um seltene Krankheiten, für welche - gerade wegen ihrer Seltenheit - die Schweiz nicht über eine genügende diagnostische oder therapeutische Erfahrung verfügt. Wird hingegen in der Schweiz eine in Fachkreisen breit anerkannte und zweckmässige Behandlungsmethode üblicherweise praktiziert, hat die versicherte Person keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für eine im Ausland vorgenommene therapeutische Vorkehr. Bloss geringfügige, schwer abschätzbare oder gar umstrittene Vorteile einer auswärts praktizierten Behandlungsmethode, aber auch der Umstand, dass eine spezialisierte Klinik im Ausland über grössere Erfahrung auf dem betreffenden Fachgebiet verfügt bzw. höhere Fallzahlen ausweist, vermögen für sich allein noch keinen medizinischen Grund im Sinne von Art. 34 Abs. 2 KVG abzugeben (BGE 134 V 330 E. 2.3 S. 333; BGE 131 V 271 E. 3.2 S. 275; SVR 2012 KV Nr. 1 S. 1, 9C_110/2011 E. 2.3; RKUV 2003 Nr. KV 253 S. 229, K 102/02 E. 2 in fine; EUGSTER, Krankenversicherung, a.a.O., S. 577 Rz. 551).
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2.4 Der Begriff der medizinischen Gründe gemäss Art. 34 Abs. 2 KVG ist also eng zu fassen. Den obligatorisch Versicherten die Wahlfreiheit einzuräumen, sich durch führende Spezialisten im Ausland behandeln zu lassen, obgleich die betreffenden medizinischen Vorkehren auch in der Schweiz unter annehmbaren Bedingungen angeboten werden, würde das System der tarifvertraglich geprägten Spitalfinanzierung (Art. 49 KVG) gefährden, was wiederum die Qualität der medizinischen Versorgung in der Schweiz beeinträchtigen könnte. Unter anderem deswegen kann eine versicherte Person bei fehlendem medizinischem Grund auch keine Erstattung im Umfang der bei einer Behandlung in der Schweiz hypothetisch anfallenden Kosten beanspruchen (sogenannte Austauschbefugnis; BGE 134 V 330 E. 2.4 S. 333; BGE 131 V 271 E. 3.2 S. 275 f.; GEBHARD EUGSTER, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum KVG [nachfolgend: Rechtsprechung], 2. Aufl. 2018, N. 5 f. zu Art. 34 KVG; AYER/DESPLAND, Loi sur l'assurance-maladie [LAMal] annotée, 2. Aufl. 2013, S. 103 zu Art. 34 KVG).
3.1 Die Medizin bietet Menschen, die an Gender-Dysphorie leiden, verschiedene Möglichkeiten, den bei Geburt "zugewiesenen" und als "falsch" empfundenen Körper ihrer eigenen, individuell erlebten Geschlechtsidentität anzugleichen. Dabei verfolgt die operative Geschlechtsangleichung von Frau zu Mann das Ziel, die primären und sekundären Geschlechtsmerkmale des Patienten hinsichtlich Funktion und Morphologie vom Femininen ins Maskuline zu transformieren (YVES STEINMETZ, Geschlechtsangleichende Operationen bei Frau- zu-Mann-Transsexuellen mit Phalloplastik [Vergleich verschiedener Operationstechniken sowie Einschätzung der Operationsergebnisse], Diss. Hamburg 2010, S. 34). Der vom Beschwerdegegner eingeschlagene Weg der Phalloplastik mittels Hautlappen bildet ein aufwändiges und komplexes medizinisches Verfahren, welches in mehreren Einzelschritten zu bewältigen ist. Das schliesslich entstehende Penoid (operativ gebildeter Penis) soll möglichst natürlich aussehen und über eine funktionsfähige, das Wasserlassen im Stehen erlaubende Harnröhre verfügen. Ferner soll die taktile und erogene Sensibilität erhalten bleiben und das Penoid soll eine mechanische Funktionstüchtigkeit erreichen, welche dem Patienten die (neuartige) sexuelle Aktivität erlaubt (BAUQUIS/PRALONG/STIEFEL, Operative Geschlechtsumwandlung bei Störungen der Geschlechtsidentität, Schweizerisches Medizin-Forum [Schweiz Med Forum] 2011 S. 58; STEINMETZ, a.a.O., S. 34-36).
3.2 In einer ersten Phase erfolgen die verschiedenen Eingriffe zur Mast-, Hyster- und Adnexektomie (denen sich der Versicherte im Jahr 2015 in der Schweiz unterzogen hat). Anschliessend werden die Kolpektomie (Entfernung der Scheidenhaut und Verschluss der Scheide) sowie die Metaidoioplastik (Bildung eines Klitorispenoids) durchgeführt. Bei Letzterer wird die durch die Hormonbehandlung vergrösserte Klitoris freigelegt und gestreckt. Die Harnröhre wird mithilfe der kleinen Schamlippen von der weiblichen Harnröhrenöffnung bis zur Klitorisspitze verlängert. Dadurch wird das erwähnte Wasserlassen in stehender Position ermöglicht. Für manche Patienten stellt die Bildung des Klitorispenoids (sog. kleiner Aufbau) den Abschluss der chirurgischen Behandlung dar. Die anderen, die sich dem grossen Aufbau unterziehen (Phalloplastik, Bildung eines Penoids), haben erst eine Zwischenetappe erreicht. Für den Penoidaufbau mit gleichzeitiger Bildung der Penoidharnröhre wird ein Hautlappen (mit darunter liegendem Gewebe) verwendet, welcher dem Patienten vom Vorderarm der nichtdominanten oberen Extremität entnommen wird (Autotransplantation). Sensorische Nerven und Blutgefässe des aus dem Hautlappen gebildeten Penoids werden mikrochirurgisch mit Nerven und Gefässen des Klitorispenoids verbunden. Ebenfalls miteinander verbunden werden die Harnröhren von Penoid und Klitorispenoid. Die Klitoris selber bleibt erhalten, indem sie von ihrer oberflächlichen Hautschicht befreit und im Penoidansatz integriert wird. Auf diese Weise bleibt auch das erogene Empfindungsvermögen des Patienten erhalten. Als weitere Eingriffe folgen die Sulcus-coronarius-Plastik (Glansplastik, Nachbildung der Eichel) und das Einsetzen eines Hodenimplantats nach Skrotumaufbau (Bildung eines Hodensacks aus den grossen Schamlippen). Den Abschluss markiert die Implantation einer hydraulischen Erektionsprothese. Der Pumpe der hydraulischen Prothese kommt gleichzeitig die Funktion eines zweiten Hodenimplantats zu (zum Ganzen: BAUQUIS/DECROUY/GUERID, Geschlechtsangleichende Chirurgie [Von der Unkenntnis zum Vorurteil], Schweiz Med Forum 2014 S. 920-923; BAUQUIS/PRALONG/STIEFEL, a.a.O., S. 60 f.; STEINMETZ, a.a.O., S. 41-43 und 49-53).
4. Von den hiervor dargelegten geschlechtsangleichenden Eingriffen liess der Beschwerdegegner somit diejenigen von der Kolpektomie bis zur Implantation der hydraulischen Penisprothese im Ausland durchführen. In Übereinstimmung mit der beschwerdeführenden SWICA und dem kantonalen Gericht werden die entsprechenden Einzelschritte hier in ihrer Gesamtheit (auch) mit dem Begriff "Phalloplastik"
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umschrieben, obwohl dieser genau genommen nur die Bildung des Penoids (grosser Aufbau) bezeichnet. Unter den Verfahrensbeteiligten ist zu Recht unbestritten, dass die in Deutschland erfolgten Operationen von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung übernommen würden, wenn sie in der Schweiz durchgeführt worden wären (BGE 120 V 463; SVR 2006 KV Nr. 27 S. 93, K 46/05 E. 5.2). Ebenfalls nicht streitig ist, dass das dargelegte chirurgische Vorgehen auch in der Schweiz praktiziert wird. So führen die bereits erwähnten Autoren BAUQUIS/DECROUY/GUERID aus, in ihrem Ärzteteam der Abteilung für Plastische und Handchirurgie am Centre Hospitalier Universitaire Vaudois, Lausanne (CHUV), bilde die Phalloplastik mittels Vorderarmlappen u.a. wegen ihrer Verlässlichkeit und des geringen Prozentsatzes an Komplikationen die Methode der ersten Wahl (a.a.O., S. 920 f.). Den Akten zufolge wird die Phalloplastik auch am Universitätsspital Basel und an Lausanner Privatkliniken durchgeführt (vgl. auch STEINMETZ, a.a.O., S. 47). Der Streit dreht sich jedoch um die Frage, ob ein hierzulande erfolgender Penoidaufbau wegen zu geringer Operationsfrequenzen an den einheimischen Kliniken für den betroffenen Patienten im Vergleich zur auswärtigen Behandlungsalternative ein unzumutbares Risiko darstellt. Während die beschwerdeführende SWICA die Frage verneint, wird sie von kantonalem Gericht und Beschwerdegegner bejaht.
5.1 Wie die Vorinstanz zutreffend festhält, sind die Angaben zur Prävalenz (Häufigkeit des Krankheitsbildes) uneinheitlich. Laut THOMAS SCHELLENBERG liegt die Prävalenzrate in europäischen Ländern etwa bei zwei pro 100'000 erwachsene Einwohner. Mann-zu-Frau-Transsexuelle seien zwei- bis dreimal häufiger als Frau-zu-Mann-Transsexuelle, wobei sich seit Jahren ein Trend in Richtung einer ausgeglichenen Verteilung abzeichne (Advancement-Thyroplastik und modifizierte Cricothyropexie: Vergleich zweier stimmerhöhender Operationen bei Mann-zu-Frau-Transsexuellen, Diss. Zürich 2005, S. 6). ANNETTE KUHN verweist auf eine von der Amsterdamer Gender Clinic vorgenommene Schätzung der Prävalenz von Transsexualität. Während mehr als vier Jahrzehnten gesammelte Daten sprächen von einem unter 10'000 Männern sowie einer unter 30'000 Frauen (Gynäkologische Aspekte bei Transsexualismus, Frauenheilkunde aktuell 3/2012 S. 4). Andere Autoren schätzen die Häufigkeit des Leidens bei Männern auf 1:35'000 und bei Frauen auf 1:100'000 Einwohner (BAUQUIS/DECROUY/GUERID, a.a.O., S. 919; ebenso BAUQUIS/
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PRALONG/STIEFEL, a.a.O., S. 59). Gemäss DAVID GARCIA UND ANDERE liegt die Prävalenzspanne je nach Definition, Erfassungsort und Messzeitpunkt für Männer zwischen 1:100'000 und 1:1000, während sich die Zahlen für Frauen zwischen 1:400'000 und 1:2000 bewegen (Von der Transsexualität zur Gender-Dysphorie [Beratungs- und Behandlungsempfehlungen bei TransPersonen], Schweiz Med Forum 2014 S. 383). Für die Schweiz existieren keine Daten. GARCIA UND ANDERE gehen von mehreren Tausend Personen aus. Aktuell würden sich pro Woche eine bis zwei Personen in der Sprechstunde für Gender-Dysphorie am Universitätsspital Zürich anmelden.
5.2 Geschlechtsangleichende medizinische Massnahmen stellen sowohl für die Betroffenen als auch für die beteiligten Ärzteteams (spezialisierte Chirurgen, Endokrinologen, Gynäkologen, Urologen, Psychiater) eine grosse Herausforderung dar. In einem Berichts-Anhang zur Interkantonalen Vereinbarung über die hochspezialisierte Medizin (IVHSM; Inkrafttreten am 1. Januar 2009) fand sich denn auch die "Geschlechtsumwandlung" seinerzeit auf der Liste der beispielhaft angeführten Leistungen oder Leistungsbereiche, die Anlass für eine Zuordnung zur hochspezialisierten Medizin geben könnten. Unter den verschiedenen Angleichungsprozessen bildet der Penoidaufbau den chirurgisch komplexesten Teil (A. ZIMMERMANN UND ANDERE, Lebenszufriedenheit transsexueller Patienten nach geschlechtsangleichenden Operationen, Der Chirurg 2006 S. 433 oben). An Gender-Dysphorie leidende Personen hegen bisweilen allzu hohe Erwartungen hinsichtlich der Resultate medizinischer Interventionen. Sie sind ärztlicherseits mit möglichst realistischen Prognosen zu konfrontieren, denn nur auf diese Weise werden sie in die Lage versetzt, eine adäquate, realitätsnahe sowie von Information und Aufklärung getragene Entscheidung für (informed consent) oder auch gegen eine Operation zu treffen (GARCIA UND ANDERE, a.a.O., S. 386). Eine im Zusammenhang mit der Motion von Peter Föhn (09.3524; Streichung von Geschlechtsumwandlungen aus dem Leistungskatalog der obligatorischen Krankenpflegeversicherung) vom BAG in Auftrag gegebene Literaturrecherche (AB 2011 N 662) führte nach Durchsicht mehrerer Einzelstudien und Metaanalysen zur Schlussfolgerung, dass das subjektive Befinden von "Transgender Menschen, die sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen haben", durchwegs positiv sei und sich im Laufe der letzten Jahre verbessert habe. Erwartungsgemäss hängt dabei die Befindlichkeit ganz entscheidend vom Operationsresultat ab: Je besser der geschlechtsangleichende Eingriff gelungen
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ist, desto grösser ist die Lebenszufriedenheit (vgl. auch RAUCHFLEISCH/BARTH/BATTEGAY, Resultate einer Langzeitkatamnese, Der Nervenarzt 1998 S. 800).
5.3 Die Ärzte sind sich des engen Zusammenhangs zwischen Operationserfolg und Lebenszufriedenheit ihrer Patienten bewusst. Die Tatsache, "jemanden zu operieren, der auf funktionaler Ebene nichts Pathologisches hat", mache aus der geschlechtsangleichenden eine ungewöhnliche Chirurgie (BAUQUIS/DECROUY/GUERID, a.a.O., S. 922). Gerade aus dem Umstand, dass sie anatomisch normale Strukturen verändern würden, leiten die zitierten Autoren ihre Verpflichtung ab, gute Operationsresultate zu erzielen. Der Chirurg könne ein ganzes Leben wiederherstellen, es aber auch zerstören und dürfe sich daher nicht mit mittelmässigen Ergebnissen zufriedengeben. Um diesen Anforderungen zu genügen, sei die Zusammenarbeit in einem multidisziplinären Team mit Erfahrung in den standardisierten Protokollen erforderlich (Verweis auf Standards of Care: Versorgungsempfehlungen für die Gesundheit von transsexuellen, transgender und geschlechtsnichtkonformen Personen der World Professional Association for Transgender Health [7. Version 2011; SoC7]). G. HOLLE UND ANDERE fordern mit Bezug auf die Phalloplastik unter Integration einer funktionsfähigen Neo-Harnröhre ebenfalls das standardisierte Vorgehen eines spezialisierten, interdisziplinären Teams in einem entsprechend eingerichteten klinischen Zentrum (Die Phalloplastik mit dem freien Radialis, interdisziplinäres Management und Langzeitergebnisse, Meeting Abstract des Vortrags anlässlich des 125. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie vom 22.-25. April 2008 in Berlin; ebenso BAUQUIS/PRALONG/STIEFEL, a.a.O., S. 58). Auch Dr. B., ehemaliger Chefarzt der Klinik X., der die hier streitige Phalloplastik beim Beschwerdegegner durchführte, sieht die Stärke seines Zentrums in der optimalen interdisziplinären Kooperation und der hohen individuellen Kompetenz jedes einzelnen Operateurs ("in der Mikrochirurgie sehr erfahrene plastische Chirurgen", "in der offenen Harnröhrenchirurgie hocherfahrene Urologen"). Hinzu komme, dass die Abläufe in der prä-, intra- und postoperativen Versorgung standardisiert und durch entsprechendes Qualitätsmanagement optimiert seien.
5.4 Trotz aller Bestrebungen um bestmögliche Qualität der vorgenommenen Eingriffe bleibt das Risiko von Komplikationen jeder Operation inhärent. Bei der Phalloplastik mit Prothesenimplantation können mannigfache medizinische Probleme auftreten. Im Bereich der
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(Neo-)Harnröhre besteht das Risiko, dass sich Fisteln, Stenosen oder Strikturen bilden oder dass die Harnröhrenmündung nicht an die anatomisch richtige Stelle zu liegen kommt. Beim transplantierten Hautlappen besteht die Gefahr von Thrombosen oder gar einer Nekrose (welche bis zum gänzlichen Lappenverlust führen kann). Ferner kann es zu Infektionen, Nachblutungen, Hämatomen, Gerinnungsstörungen, narkoseinduzierten oder Allgemeinkomplikationen kommen. An der Stelle, wo der freie Hautlappen entnommen wurde, besteht das Risiko diverser weiterer medizinischer Probleme. Es treten auch Komplikationen im Zusammenhang mit den Erektions- und den Silikon- Hodenprothesen auf. Und schliesslich sind aus der ärztlichen Literatur Malpositionen des Penoids (zu hoch, zu tief, nicht in der Mitte) bekannt (zum Ganzen: STEINMETZ, a.a.O., S. 182-187; vgl. auch SoC7, S. 76 f.).Umfassend erhobene Daten über die Häufigkeit der erwähnten Komplikationen liegen nicht vor. Immerhin finden sich Angaben einzelner Kliniken. So unterzogen sich im Zeitraum von 1994 bis 2007 129 Patienten im Markus Krankenhaus Frankfurt a.M. einer Phalloplastik (mittels freiem, mikrochirurgisch transplantiertem Vorderarmlappen), wovon 8 auf Penisrekonstruktionen nach Amputation entfielen (G. HOLLE UND ANDERE, a.a.O.). Laut den zitierten Ärzten waren insgesamt 138 freie Lappenplastiken erforderlich, um bei allen Patienten eine suffiziente Phalloplastik zu erreichen. Es seien 14 Teilnekrosen (11,1 %) und 3 Totalnekrosen (2,4 %) aufgetreten, so dass 9 weitere Lappenplastiken (mittels Vorderarmlappen der Gegenseite) für ein funktionsfähiges Ergebnis nötig gewesen seien. Die Neoharnröhre habe in 40 Fällen (31 %) Fisteln und in 14 Fällen (10,8 %) Stenosen/Strikturen aufgewiesen. Die Infektionsrate der implantierten Penisprothesen habe 4,6 % betragen. Zur Perforation von Prothesen sei es in 5 Fällen (4,1 %) gekommen. Durch das standardisierte, interdisziplinäre Vorgehen hätten die Komplikationsraten im Vergleich zur Literatur gesenkt und reproduzierbare Ergebnisse erzielt werden können. Auch die Ärzte der Abteilung für Plastische und Handchirurgie am CHUV wollen bei 15, in den Jahren 2008 und 2009 durchgeführten Fällen von Phalloplastik gegenüber der medizinischen Literatur deutlich tiefere Komplikationsraten erzielt haben (Stenosen: 0, Fisteln: 4 [2,6 %], Infektionen: 2 [1,3 %], arterielle [0] und venöse Thrombosen: 1 [0,7 %]; BAUQUIS/PRALONG/STIEFEL, a.a.O., S. 60 oben). Dr. B. führt in seiner bereits zitierten (E. 5.3 hiervor) Stellungnahme aus, im Jahr 2016 seien in der Klinik X.
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166 Phalloplastiken durchgeführt worden. In keinem Fall sei es zum Verlust des frei transplantierten Hautlappens gekommen.
6.1 Im Zusammenhang mit den Bemühungen der zuständigen Behörden, die Leistungen im Bereich der Spitzenmedizin bzw. der hochspezialisierten Medizin landesweit besser zu koordinieren und allenfalls auf ausgewählte Leistungserbringer zu konzentrieren, erhob das Bundesamt für Statistik (BFS) im Jahr 2007 anhand der Medizinischen Statistik der Krankenhäuser verschiedene Daten (Hochspezialisierte Medizin in der Schweiz: Behandlungsfälle, Leistungserbringer und Behandlungsaufwand 2005, StatSanté 4/2007). Der Publikation ist (auf S. 12 unten) die jeweilige Anzahl der in der gesamten Schweiz pro Jahr erfolgten Eingriffe zur "Geschlechtsumwandlung" zu entnehmen. Sie belief sich auf 7 (2002), 11 (2003), 26 (2004) und 19 Behandlungsfälle (2005). Die im Jahre 2005 durchgeführten 19 geschlechtsangleichenden Operationen verteilten sich auf lediglich zwei Kliniken. Bei der einen, auf welche 10 Operationen entfielen, handelte es sich um ein Universitätsspital (nähere Angaben sind der Statistik nicht zu entnehmen). Für das Jahr 2017 wiesen in der Schweiz vier Institutionen mindestens fünf "Eingriffe im Zusammenhang mit Transsexualität" aus, nämlich (in Klammern die jeweilige Fallzahl) das Zuger Kantonsspital (52) sowie die drei Universitätsspitäler CHUV (30), Zürich (25) und Basel (23; Angaben gemäss H+ Die Spitäler der Schweiz). Diese Zahlen beziehen sich sowohl auf Operationen zur Geschlechtsangleichung von Mann zu Frau als auch auf solche von Frau zu Mann. Auf Anfrage des kantonalen Gerichts erstellte das BFS zwei Auszüge aus der Datenbank Medizinische Statistik der Krankenhäuser 2017. Dem einen ist die Anzahl der in der Schweiz durchgeführten Eingriffe zur "Geschlechtsumwandlung einer Frau zum Mann" zu entnehmen, nämlich 4 (2011), 10 (2012), 20 (2013), 34 (2014), 29 (2015) und 47 (2016). Der andere Auszug listet diesbezüglich die als "Konstruktion eines Penis" klassifizierten Operationen auf: 5 (2009), 3 (2010), 3 (2011), 9 (2012), 8 (2013), 6 (2014), 2 (2015) und 8 (2016).
6.2 Obwohl für die Schweiz keine genauen Zahlen bekannt sind (E. 5.1 hiervor in fine), hat das kantonale Gericht zu Recht auf die äusserst geringe Prävalenz von Gender-Dysphorie im Sinne einer Frau-zu-Mann-Transsexualität hingewiesen. Weil sich von den Betroffenen nur ein Teil geschlechtsangleichenden Operationen unterzieht und auch von diesen Patienten aus verschiedenen Gründen nicht
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alle einen grossen Aufbau wünschen (STEINMETZ, a.a.O., S. 16 in fine; BAUQUIS/DECROUY/GUERID, a.a.O., S. 920; SoC7, S. 77 oben), verringert sich die Fallzahl für hierzulande durchgeführte Phalloplastiken zwangsläufig auf das angeführte extrem tiefe Niveau von durchschnittlich 5,5 pro Jahr (2009 bis 2016). Wie die Vorinstanz zutreffend festhält, verteilen sich diese wenigen Fälle allenfalls noch auf mehrere Kliniken (vorstehende E. 4). Wenn BAUQUIS/DECROUY/GUERID ausführen, an ihrer Abteilung für plastische und rekonstruktive Chirurgie am CHUV wachse die Erfahrung aktuell jede Woche mit einem geschlechtsangleichenden Eingriff (a.a.O., S. 922), bezieht sich diese Angabe nach dem Gesagten offensichtlich nicht nur auf Phalloplastiken.
6.3 Fallzahlen kommt im Gesundheitswesen ganz allgemein wachsende Bedeutung zu. Art. 39 Abs. 2 bis erster Satz KVG verpflichtet die Kantone für den Bereich der hochspezialisierten Medizin zur gemeinsamen gesamtschweizerischen Planung. Wie bereits angeführt (E. 5.2), sind die Kantone für die Umsetzung dieses Gesetzesauftrags der IVHSM beigetreten und haben sich damit im Interesse einer bedarfsgerechten, qualitativ hochstehenden und wirtschaftlich erbrachten medizinischen Versorgung zur gemeinsamen Planung ("Koordination der Konzentration") und zur Zuteilung von hochspezialisierten Leistungen auf eine begrenzte Anzahl Zentren verpflichtet (Art. 1 Abs. 1 und 2). Die hochspezialisierte Medizin umfasst diejenigen medizinischen Bereiche und Leistungen, die durch ihre Seltenheit, durch ihr hohes Innovationspotenzial, durch einen hohen personellen oder technischen Aufwand oder durch komplexe Behandlungsverfahren gekennzeichnet sind; für die Zuordnung müssen mindestens drei der genannten Kriterien erfüllt sein, wobei immer aber das der Seltenheit vorliegen muss (Art. 1 Abs. 1 zweiter und dritter Satz IVHSM). Hauptzweck der Koordinations- bzw. Konzentrationsbestrebungen bildet die Erhöhung der Qualität und des Nutzens für die Patientinnen und Patienten bei gleichzeitig optimalem Mitteleinsatz in der Gesundheitsversorgung (Schweizerische Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren [GDK], Erläutender Bericht zur IVHSM vom 14. März 2008, S. 19). Dabei setzt die Gewährleistung eines bestimmten Qualitätsniveaus der hochspezialisierten medizinischen Leistung in manchen Fällen eine Mindestfallzahl pro klinischem Zentrum voraus (in Verbindung mit Mindestanforderungen an Kompetenzen und Infrastruktur; a.a.O., S. 6 und 19). So hat das Beschlussorgan der IVHSM etwa die Leistungsvergabe
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für die Leber-, die Pankreas- und die Oesophagusresektion u.a. mit der jeweiligen Auflage verbunden, dass am Standort des zugelassenen Zentrums mindestens zwölf Eingriffe pro Jahr durchgeführt werden (BBl 2019 1489, 1493 und 1497).
6.4 Auch abgesehen von der dargelegten hochspezialisierten Medizin werden in der Schweiz zunehmend Mindestfallzahlen für Spitalbehandlungen gefordert (vgl. auch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts C-5603/2017 vom 14. September 2018 E. 6-12 [zur Publikation vorgesehen] betreffend Mindestfallzahlen pro Operateur oder Operateurin). Verschiedene wissenschaftliche Studien belegen nämlich grundsätzlich einen Zusammenhang zwischen Fallzahlen und Qualität: Je mehr Fälle, desto höher die Qualität. Allerdings lässt sich bei den meisten Behandlungen kein exakter Schwellenwert ableiten, d.h. es können keine Aussagen darüber gemacht werden, ab welcher Fallzahl die Qualität deutlich steigt bzw. unterhalb welcher Fallzahl die Qualität eines bestimmten Eingriffs mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr genügt. Ebenso wenig liegen hinreichende Kenntnisse über Ursache und Kausalität vor. Dies spiegelt sich auch in der Praxis der Gesundheitsbehörden wider: Ein Ländervergleich der Mindestfallzahlen zeigt, dass deren Höhe bei gleichen Leistungen teilweise beträchtlich variiert (Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich, Gesundheitsversorgung 2015 [Akutsomatik, Rehabilitation, Psychiatrie], S. 17; CHRISTIAN PFISTER, Zusammenhang von Fallzahlen und Behandlungsqualität in Schweizer Akutspitälern, Masterarbeit an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften, 2017, S. 1 und 72; Bericht des Bundesrates vom 25. Mai 2016 zur Planung der hochspezialisierten Medizin: Umsetzung durch die Kantone und subsidiäre Kompetenz des Bundesrates, S. 20 f.; PETER JÜNI UND ANDERE, IVHSM: Seltenheit als Kriterium für die Konzentration der hochspezialisierten Medizin, Executive Summary, 2014, S. 4 f.). Die Einführung von Mindestfallzahlen im Kanton Zürich auf den 1. Januar 2012 hat zu einer Konzentration der betreffenden Leistungen auf weniger Spitäler geführt, ohne dass für die Bevölkerung eine Versorgungslücke entstanden wäre (in den weitaus meisten Bereichen liegt die Mindestfallzahl pro Spital bei 10). So dürfen beispielsweise nur noch vier statt neun Anbieter im Kanton Lungentumore (Maligne Neoplasien des Atmungssystems) behandeln. Entsprechend haben sich bis 2014 die Fallzahlen bei den noch verbleibenden Spitälern merklich erhöht: Während noch 2010 Patienten in Spitälern behandelt wurden, welche lediglich zwei oder drei Lungentumore im Jahr operierten,
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verzeichnete 2014 das Spital mit den wenigsten Fällen 40 derartige Eingriffe (Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich, a.a.O., S. 17 f.).
7.1 Der beschwerdeführenden SWICA ist insofern beizupflichten, als nach der Rechtsprechung der blosse Umstand, dass eine spezialisierte Klinik im Ausland über grössere Erfahrung auf dem betreffenden Fachgebiet verfügt, oder mit andern Worten höhere Fallzahlen ausweist, noch keinen medizinischen Grund im Sinne von Art. 34 Abs. 2 KVG abgibt (E. 2.3 und 2.4 hiervor). Trotz angemessenem inländischen Therapieangebot den obligatorisch Versicherten die Wahlfreiheit einzuräumen, sich im Ausland von den medizinischen Koryphäen im jeweiligen Spezialgebiet behandeln zu lassen, würde das System der tarifvertraglich geprägten Spitalfinanzierung (Art. 49 KVG) gefährden. Dies hinwiederum könnte die Qualität der medizinischen Versorgung in der Schweiz beeinträchtigen (BGE 134 V 330 E. 2.4 S. 333; BGE 131 V 271 E. 3.2 S. 275 f.). Gleichartige Überlegungen hat denn auch der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) angestellt, als er sich mit der Frage nach der Rechtfertigung von Einschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs im Bereich der Spitalpflege und beim Einsatz medizinischer Grossgeräte auseinanderzusetzen hatte (Urteile vom 5. Oktober 2010 C-512/08 Kommission gegen Frankreich, Slg. 2010 I-8833 Randnr. 29 ff.; vom 13. Mai 2003 C-385/99 Müller-Fauré und van Riet, Slg. 2003 I-4509 Randnr. 72 ff., und vom 12. Juli 2001 C-157/99 Smits und Peerbooms, Slg. 2001 I-5473 Randnr. 72 ff.).
7.2 Ein bedarfsgerechtes medizinisches Leistungsangebot im eigenen Land ist ein hohes Gut. An der Gerichtspraxis, Ausnahmen vom Territorialitätsprinizip nur mit grosser Zurückhaltung zuzulassen (vgl. die Darstellung der Präjudizien bei EUGSTER, Rechtsprechung, a.a.O., N. 7 zu Art. 34 KVG), ist deshalb auch bei sehr seltenen Therapien festzuhalten. Wird die Schwelle für die Kostenübernahme einer Auslandsbehandlung zu tief angesetzt, nimmt die Abwanderung von Patienten ins Ausland zu. Dem Beschwerdegegner ist insofern beizupflichten, als angesichts der geringen Anzahl von in der Schweiz durchgeführten Phalloplastiken nicht von einem nennenswerten "Medizinaltourismus" zulasten der obligatorischen Krankenversicherung gesprochen werden könnte. Von einer Gefährdung des Spitalfinanzierungssystems als solchem könnte ebenso wenig die Rede sein. Allerdings würden zunehmend ausserhalb der Landesgrenze erfolgende Eingriffe zwangsläufig Hand in Hand gehen mit einem rasanten
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Aderlass an inländischer Sach- und Fachkompetenz beim Penoidaufbau. Gerade bei seltenen Therapien lässt sich die im Vergleich zum Ausland einmal erlittene Einbusse an chirurgischer Exzellenz und Behandlungskapazität an Schweizer Kliniken nur mehr schwer rückgängig machen. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegegners sind derartige, die öffentliche Gesundheit als Ganzes ins Blickfeld rückende Überlegungen zur Versorgungssicherheit in der Schweiz auch im vorliegenden Zusammenhang von Bedeutung (BGE 134 V 330 E. 2.4 S. 334; BGE 131 V 271 E. 3.2 S. 276).
7.3 Die Vermeidung inländischer Versorgungslücken darf jedoch nicht zum Selbstzweck verkommen. Die Operationsfrequenz an Schweizer Kliniken kann sich bei einem bestimmten komplexen Eingriff tatsächlich auf einem so tiefen Niveau bewegen, dass sich die Frage aufdrängt, ob der jeweilige Operateur oder (vielmehr) das Operationsteam die erforderliche Erfahrung und Routine erlangen und aufrechterhalten könne. Ist dies nicht der Fall, verkehrt sich die (vermeintliche) Versorgungssicherheit in ihr Gegenteil: Wenn das inländische Behandlungsangebot die Versicherten mangels spezifischer Praxis der beteiligten Chirurgen einem unzumutbaren Risiko aussetzt, liegt letztlich ebenso eine Versorgungslücke vor, wie wenn in der Schweiz überhaupt keine entsprechende Behandlungsmöglichkeit bestünde. Ja, das übermässig risikobehaftete Therapieangebot kann sich für die Patienten noch weit nachteiliger auswirken als die fehlende Möglichkeit, sich hierzulande einem bestimmten Eingriff zu unterziehen.
7.4 Die erwähnte Fallzahl von durchschnittlich 5,5 Phalloplastiken pro Jahr (sämtliche Schweizer Kliniken zusammengenommen) ist äusserst tief. Obwohl die "Geschlechtsumwandlung" ursprünglich auf der sog. Gründerliste zur IVHSM figurierte und damit für eine allfällige Zuordnung zur hochspezialisierten Medizin vorgesehen war (E. 5.2 hiervor), kam es bisher nicht zu diesem Schritt. Dem Präsidenten des Fachorgans hochspezialisierte Medizin zufolge boten die Operationen zur Geschlechtsangleichung "bisher keinen Handlungsbedarf" (MARTIN FEY, Hochspezialisierte Viszeralchirurgie: Zentralisiert oder Carte blanche?, Schweizerische Ärztezeitung 2018 S. 24). Unabhängig davon stehen die Komplexität der Phalloplastik (vgl. E. 3.2 und 5.3), die Wichtigkeit des Operationsresultats für die Betroffenen (E. 5.2) und das an sich schon nicht unerhebliche Komplikationsrisiko (E. 5.4) ausser Frage. Überdies verteilt sich das jährlich bloss etwa halbe Dutzend Eingriffe allenfalls noch auf mehrere
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Zentren (vorstehende E. 4 und 6.2). Unter diesen Umständen drängt sich die Frage, ob sich die betreffenden Operationsteams das unabdingbare Mindestmass an Routine überhaupt aneignen können, geradezu gebieterisch auf.
7.5 Weil bisher viel von Fallzahlen und Mindestfallzahlen die Rede war, gilt es Folgendes klarzustellen. Im vorliegenden Zusammenhang geht es weder um die gesamtschweizerische Planung noch um die (weitere) Konzentration der Phalloplastik auf einzelne oder ein einzelnes Zentrum (vgl. dazu E. 6.3). Ebenso wenig stellt sich unmittelbar die Frage nach einer weitgehend abstrakt festgesetzten Mindestfallzahl (wie in E. 6.4 dargelegt). Richtschnur für die hier zu beantwortende Rechtsfrage, ob die obligatorische Krankenpflegeversicherung die Kosten für die im Ausland durchgeführte Phalloplastik zu übernehmen habe, bildet allein die in E. 2.2 angeführte bisherige Rechtsprechung (BGE 134 V 330 E. 2.2 S. 332; BGE 131 V 271 E. 3.2 S. 275; RKUV 2003 Nr. KV 253 S. 229, K 102/02 E. 2; vgl. auch Urteil 9C_630/2010 vom 14. Oktober 2010 E. 3.2). Die Frage lautet somit: Birgt das entsprechende innerstaatliche Therapieangebot im Vergleich zur selben auswärtigen Behandlung wegen der hierzulande tiefen Operationsfrequenz derart höhere Komplikationsrisiken, dass mit Blick auf den angestrebten Heilungserfolg in der Schweiz nicht mehr von einer medizinisch verantwortbaren und zumutbaren, d.h. zweckmässigen Behandlung (Art. 32 Abs. 1 KVG) ausgegangen werden kann? Dabei beurteilt sich das Risiko eines Eingriffs nicht nach subjektiven Kriterien wie etwa der Angst vor einer Operation, sondern nach objektiven Gesichtspunkten (RKUV 2003 Nr. KV 253 S. 229, K 102/02 E. 3.2). Die Beantwortung der Rechtsfrage hat zudem konkret zu erfolgen. Es geht um die tatsächliche hiesige Situation im Gebiet der Phalloplastiken. Solange es für diesen Leistungsbereich an evidenzbasierten Studien mangelt, verbietet es sich jedenfalls, eine abstrakt festgelegte Mindestfallzahl zum Massstab zu nehmen. Denn wie bereits erwähnt (E. 6.4 hiervor), können ohne spezifische Untersuchungen bei den meisten Behandlungen keine Aussagen darüber gemacht werden, unterhalb welcher Fallzahl die Operationsqualität mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr genügt.
8.1 Wie die Vorinstanz zutreffend festhält, sind seitens der beschwerdeführenden SWICA nicht die geringsten Abklärungsmassnahmen zur Beantwortung der streitigen Rechtsfrage ersichtlich. In ihrer ablehnenden Verfügung vom 21. März 2017 gab sie an, die Sache
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dem zuständigen Fachbereich der Generaldirektion zur Prüfung unterbreitet zu haben. Trotz wiederholter vorinstanzlicher Aufforderung, sämtliche relevanten Unterlagen einzureichen, fand auch diesbezüglich kein Aktenstück Eingang ins Dossier.Das kantonale Gericht seinerseits holte beim BFS die statistischen Daten über die Operationen zur Geschlechtsangleichung Frau-zu-Mann ein (E. 6.1 hiervor in fine). Im Übrigen stellte es auf die Erwägungen im Entscheid des Kantonsgerichts Waadt (Cour des assurances sociales du Tribunal cantonal) vom 9. Dezember 2015 und auf die von diesem eingeholte Expertise eines "Prof. W." zu den operativen Eingriffen für die Angleichung eines Mannes zur Frau (Vagino- und Klitorisplastik) in der Schweiz und in Thailand ab (der genannte Entscheid AM 67/09 - 4/2016 ist abrufbar unter www.findinfo-tc.vd.ch/justice). Der Experte hatte folgende Frage zu beantworten:
"Tenant compte du résultat qui a été obtenu, est-ce que l'intervention qui a eu lieu à Bangkok a été un meilleur choix pour Madame B. en ce qui concerne les chances du succès avec un risque minimal et pour un prix qui est équivalent à une intervention similaire en Suisse?"
Hinsichtlich des ersten Teils der Frage ("the key question") stellte Prof. W. zunächst fest, dass die Fallzahlen an allen Schweizer Zentren verglichen mit denjenigen des Bangkoker Instituts L. praktisch bedeutungslos seien. Zur Beantwortung der Anschlussfrage, ob aus diesen quantitativen Gegebenheiten qualitative Rückschlüsse hinsichtlich Operationserfolg und -risiken einer in der Schweiz durchgeführten Mann-zu-Frau-Angleichung gezogen werden könnten, hielt er sich anlässlich von vier internationalen Kongressen an eine grosse Zahl von Fachkollegen, welche überall auf der Welt derartige Eingriffe durchführten. Gestützt auf ihre Angaben formulierte er verschiedene Erfordernisse, denen ein auf diesem Spezialgebiet tätiger Chirurge genügen sollte. U.a. sei die Mehrheit der befragten Fachleute der Auffassung, dass mindestens zwei Fälle pro Monat nötig seien, um hinreichende Erfahrung zu erlangen und zu bewahren; ein Fall pro Monat werde als absolutes Minimum betrachtet. Schliesslich beantwortete Prof. W. die hiervor im Original zitierte Frage gegenüber dem Kantonsgericht Waadt folgendermassen:
"Il est évident qu'on ne peut pas répondre à cette question avec un simple 'oui' ou 'non'. Mais comme expliqué en long et en large dans ce rapport, et surtout en tenant compte de l'opinion d'un collège de chirurgiens, spécialistes en matière de chirurgie de réassignation sexuelle, on est obligé de reconnaitre qu'il y a plusieurs arguments valables qui soutiennent le choix de madame B. pour se faire opérer en Thaïlande."
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8.2 Indem die Vorinstanz ihre Feststellung, wonach in der Schweiz wegen der geringen Operationsfrequenz an den in Frage kommenden Institutionen nicht mehr von einer verantwortbaren und in zumutbarer Weise durchführbaren Behandlung gesprochen werden könne, einzig auf die in der Expertise von Prof. W. geforderten Mindestfallzahlen (zwei bzw. ein Fall pro Monat) stützt, verletzt sie Bundesrecht. Denn sowohl der angeführte Entscheid des Kantonsgerichts Waadt wie auch das bei Prof. W. eingeholte Gerichtsgutachten drehten sich offenkundig allein um die Frage einer Geschlechtsangleichung vom Mann zur Frau. Entscheidwesentliche Erkenntnisse für die entgegengesetzte Genitalangleichung lassen sich schon aus diesem Grunde weder anhand des Entscheids noch der Expertise gewinnen. Daran ändert nichts, dass sich Prof. W. an jener Stelle im Gutachten, wo von der postgradualen Weiterbildung unter Supervision eines einschlägig erfahrenen Chirurgen die Rede ist, nicht nur zur Vagino- und Klitorisplastik äusserte, sondern auch zu bestimmten Techniken der Angleichung Frau-zu-Mann und dort zum Teil sogar strengere Anforderungen stellte. Überdies vermag das unbesehene Abstellen auf die von Prof. W. ermittelten Mindestfallzahlen dem Erfordernis der konkreten Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse in der Schweiz (E. 7.5 hiervor) ohnehin nicht zu genügen. Die vom Gutachter befragten Fachkollegen waren gemäss seinen Angaben gar nicht darüber orientiert, auf welches Land und auf welche Chirurgen sich die Expertise beziehen würde. Der - soweit ersichtlich - wenig methodischen Befragung von (nicht namentlich genannten) Fachspezialisten könnte hier jedenfalls selbst dann nicht entscheidende Bedeutung beigemessen werden, wenn sie in ihrer rein abstrakten Art und Weise auch Geschlechtsangleichungen von der Frau zum Mann im Blick gehabt hätte.
8.3 Aussagekräftiges ist dem vorliegenden Dossier auch sonst nicht zu entnehmen. Dies gilt etwa für die Angabe von Dr. B., er habe bei einem Patienten, bei dem nach Penoidaufbau-Operationen in der Schweiz schwere Komplikationen aufgetreten seien und hinsichtlich Form und Funktion kein akzeptables Ergebnis vorgelegen habe, ein neues Penoid bilden müssen. Andererseits lässt sich aus der Schlussbemerkung von BAUQUIS/PRALONG/STIEFEL für die hier zu beantwortende Frage ebenfalls nichts Zuverlässiges ableiten. Die Autoren vom CHUV schreiben, angesichts der zunehmenden Zahl von Patienten, die nach geschlechtsangleichenden Operationen im Ausland mit Komplikationen heimkehrten, sei es sehr wichtig, dass die Schweiz nach
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wie vor über kompetente Teams verfüge, die solche Behandlungen in einer Universitätsklinik anbieten könnten (a.a.O., S. 64 in fine). Weil die vorliegenden Akten eine abschliessende Beurteilung nicht zulassen, kommt die beschwerdeführende SWICA nicht darum herum, die bisher unterbliebenen Abklärungen nachzuholen. Ihre neue Verfügung über den Anspruch des Beschwerdegegners auf Kostenübernahme für die im Ausland durchgeführte Phalloplastik wird sich an den hierzulande erzielten Operationsresultaten zu orientieren haben. Allenfalls wird die Beschwerdeführerin den Fall dem BAG unterbreiten (vgl. dessen Informationsschreiben vom 8. April 2008 an die KVG-Versicherer und ihre Rückversicherer über die medizinischen Behandlungen im Ausland, S. 2 in fine [abrufbar unter: www.bag.admin.ch]). Es ist denn auch unverständlich, dass sich das Bundesamt im vorliegenden Verfahren mit keinem Wort vernehmen liess.