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Urteilskopf

148 I 233


16. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Staatsarchiv des Kantons Basel-Stadt und Präsidialdepartement des Kantons Basel-Stadt (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_1024/2021 vom 2. November 2022

Regeste

Art. 13 und 36 BV, Art. 8 EMRK; Übermittlung von Personalakten der Jugendanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt und von Behandlungsunterlagen der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel an das Basler Staatsarchiv.
Die Weitergabe von gesundheitsbezogenen - und damit höchstpersönlichen bzw. besonders schützenswerten - Daten durch die Jugendanwaltschaft und die Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel an das Basler Staatsarchiv stellt einen Eingriff in den Schutzbereich des Privatlebens und der informationellen Selbstbestimmung dar (E. 3).
Dieser beruht im vorliegenden Fall gestützt auf das kantonale Archivgesetz auf einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage (E. 4), liegt mit Blick auf die wesentliche Rolle der Archivierung für das Verständnis der Entwicklung demokratischer und rechtsstaatlicher Strukturen bzw. der historischen Aufarbeitung staatlichen Handelns im öffentlichen Interesse (E. 5) und ist mit Blick auf die Schutzmechanismen im kantonalen Archivgesetz (Schutzfristen, Interessenabwägung vor der Einsichtnahme, mögliche Auflagen usw.) auch verhältnismässig (E. 6).

Sachverhalt ab Seite 234

BGE 148 I 233 S. 234

A. Die Jugendanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt (nachfolgend: JUGA) führte über A. zwischen 1988 und 1991 eine
BGE 148 I 233 S. 235
Jugendpersonalakte. Zudem bestand bei der Psychiatrischen Universitätsklinik für Kinder und Jugendliche (heute: Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel [nachfolgend: UPK]) eine Patientenakte mit Behandlungsunterlagen, psychiatrischen Gutachten und Verlaufsberichten, welche den Zeitraum von 1985 bis Ende Mai 2000 betrafen. Die JUGA bot am 22. August 2008 die Jugendpersonalakte dem Staatsarchiv des Kantons Basel-Stadt (nachfolgend: Staatsarchiv) an, welches diese am 11. Dezember 2008 übernahm und am 19. März 2009 im Archivinformationssystem erfasste. Die UPK übermittelten am 3. April 2017 dem Staatsarchiv die Patientenakte, welches diese am 29. September 2017 übernahm und am 20. März 2020 in das Archivierungsinformationssystem einfügte.

B. A. ersuchte am 12. bzw. am 13. November 2018 das Staatsarchiv darum, ihm seine Patientenakte und seine Jugendpersonalakte sowie allfällige Kopien hiervon herauszugeben bzw. die entsprechenden Akten zu sperren. Das Staatsarchiv lehnte dies am 29. März 2019 ab. Der hiergegen gerichtete Rekurs an das Präsidialdepartement des Kantons Basel-Stadt blieb am 28. Dezember 2020 ohne Erfolg. (...) Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt als Verwaltungsgericht (nachfolgend: Appellationsgericht) bestätigte den entsprechenden Entscheid am 11. November 2021. (...)

C. A. beantragt vor Bundesgericht, das Urteil des Appellationsgerichts vom 11. November 2021 aufzuheben; eventuell sei die Sache an dieses zurückzuweisen. Der Kanton Basel-Stadt sei anzuhalten, ihm die "Patientenakte" sowie die "Jugendpersonalakte" persönlich zu übergeben (kein Versand per Post) und alle Daten zu löschen, die durch die Bearbeitung entstanden seien. Allenfalls sei das Staatsarchiv anzuweisen, den Zugang zu seinen Akten "komplett zu sperren", sodass ausser ihm persönlich niemand diese einsehen könne. (...)
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
(Auszug)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3.

3.1 Art. 13 BV schützt - wie Art. 8 EMRK - die verschiedenste Aspekte umfassende Privatsphäre mit ihren spezifischen Bedrohungsformen (BGE 133 I 77 E. 3.2 mit Hinweisen); er schützt insbesondere auch vor dem Missbrauch persönlicher Daten (Art. 13 Abs. 2
BGE 148 I 233 S. 236
BV
; BGE 147 I 463 E. 6.4). In diesem Bereich garantiert das verfassungsmässige Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Schutz der "informationellen Integrität"), dass - grundsätzlich ohne Rücksicht darauf, wie sensibel die fraglichen Informationen tatsächlich sind - jede Person gegenüber fremder, staatlicher oder privater Bearbeitung von sie betreffenden Informationen bestimmen können muss, ob und zu welchem Zweck diese Informationen über sie bearbeitet werden dürfen (BGE 147 I 346 E. 5.3.1; BGE 146 I 11 E. 3.1.1; BGE 145 IV 42 E. 4.2; BGE 144 I 126 E. 4.1; BGE 144 II 91 E. 4.4; BGE 142 II 340 E. 4.2; BGE 140 I 2 E. 9.1; BGE 138 II 346 E. 8.2; je mit weiteren Hinweisen).

3.2 Nach der Rechtsprechung des EGMR liegt bereits durch die blosse Aufbewahrung von das Privatleben betreffenden Informationen ein Eingriff in die diesbezüglich auch von Art. 8 EMRK geschützten Rechte vor (Urteile des EGMR S. und Marper gegen Grossbritannien vom 4. Dezember 2008 [Nr. 30562/04 und 30566/04],Recueil CourEDH 2008-V S. 213 § 67; Leander gegen Schweden vom 26. März 1987 [Nr. 9248/81] § 48; Gardel gegen Frankreich vom 17. Dezember 2009 [Nr. 16428/05], Recueil CourEDH 2009-VS. 377 § 58; Brunet gegen Frankreich vom 18. September 2014 [Nr. 21010/10] § 31). Dies gilt unabhängig davon, ob die Daten zu einem späteren Zeitpunkt überhaupt verwendet werden oder nicht (Urteile des EGMR Amann gegen Schweiz vom 16. Februar 2000 [Nr. 27798/95], Recueil CourEDH 2000-II S. 201 § 69; Aycaguer gegen Frankreich vom 22. Juni 2017 [Nr. 8806/12] § 33).

3.3

3.3.1 Die Weitergabe der gesundheitsbezogenen - und damit höchstpersönlichen bzw. besonders schützenswerten (vgl. Art. 3 lit. c Ziff. 2 des Bundesgesetzes vom 19. Juni 1992 über den Datenschutz [DSG; SR 235.1] bzw. Art. 5 lit. c Ziff. 2 des Bundesgesetzes vom 25. September 2020 über den Datenschutz [DSG; AS 2022 491 ff., nachfolgend: DSG 2020]) - Daten der JUGA und der UPK an das Staatsarchiv greift, was nicht bestritten ist, in den Schutzbereich des Privatlebens und der informationellen Selbstbestimmung ein, zumal es hier nicht um den Gebrauch der medizinischen Daten zu ihrem ursprünglichen Zweck bzw. die Aufbewahrung durch den Ersteller nach der jeweiligen kantonalen (Gesundheits-)Gesetzgebung geht (vgl. ERARD/AMEY, La destruction du dossier médical sur requête du patient sous l'angle du droit public, in: Réflexions romandes en droit de la santé, 2016, S. 277 ff., S. 278 f.).
BGE 148 I 233 S. 237

3.3.2 Dies schliesst die Vereinbarkeit der Weitergabe mit Art. 13 BV bzw. Art. 8 EMRK jedoch nicht von vornherein aus (vgl. BGE 147 I 346 E. 5.4; BGE 147 II 408 E. 6.3; HERTIG RANDALL/MARQUIS, in: Commentaire romand, Constitution fédérale, Martenet/Dubey [Hrsg.], 2021, N. 64 zu Art. 13 BV; GIOVANNI BIAGGINI, BV Kommentar, Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 2. Aufl. 2017, N. 15 zu Art. 13 BV; OLIVER DIGGELMANN, in: Basler Kommentar, Bundesverfassung, Waldmann/Belser/Epiney [Hrsg.], 2015, N. 34 zu Art. 13 BV; BREITENMOSER/SCHWEIZER, in: Die schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, Ehrenzeller/Schindler/Schweizer/Vallender [Hrsg.], 3. Aufl. 2014, N. 79 ff. zu Art. 13 BV): Gemäss Art. 8 Ziff. 2 EMRK darf in das Recht auf Achtung des Privatlebens eingegriffen werden, soweit dies gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft zu den dort genannten Zwecken erforderlich ist. Nach Art. 36 BV bedürfen Einschränkungen von Grundrechten einer gesetzlichen Grundlage. Schwerwiegende Eingriffe müssen im Gesetz selbst vorgesehen sein (Abs. 1). Einschränkungen von Grundrechten haben zudem durch ein öffentliches Interesse oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt (Abs. 2) und verhältnismässig zu sein (Abs. 3; BGE 147 I 346 E. 5.4). Der Kerngehalt der Grundrechte ist unantastbar (Abs. 4). Ob diese Voraussetzungen hier erfüllt sind, was der Beschwerdeführer bestreitet, ist im Folgenden zu prüfen.

4.

4.1 Ein schwerer Eingriff in ein Grundrecht bedarf einer klaren und ausdrücklichen Regelung in einem formellen Gesetz. Bei einem leichten Eingriff genügt ein Gesetz im materiellen Sinn. Ob ein Eingriff in ein Grundrecht schwer wiegt, beurteilt sich nach objektiven Kriterien. Nicht entscheidend ist das subjektive Empfinden der betroffenen Person (BGE 143 I 194 E. 3.2; BGE 141 I 211 E. 3.2). Das Legalitätsprinzip (Art. 5 Abs. 1 BV) sowie Art. 8 Ziff. 2 EMRK und Art. 36 Abs. 1 BV verlangen im Interesse der Rechtssicherheit und der rechtsgleichen Rechtsanwendung, dass die anzuwendenden Rechtssätze hinreichend und angemessen bestimmt sind. Sie müssen so präzise formuliert sein, dass die Rechtsunterworfenen ihr Verhalten danach ausrichten und dessen Folgen mit einem den Umständen entsprechenden Grad an Gewissheit vorhersehen können (BGE 146 I 11 E. 3.1.2; BGE 144 I 126 E. 6.1; BGE 143 II 162 E. 3.2.1; je mit Hinweisen).

4.2 Das Gebot der Bestimmtheit rechtlicher Normen darf dabei aber nicht absolut verstanden werden. Der Gesetzgeber kann nicht darauf
BGE 148 I 233 S. 238
verzichten, allgemeine und mehr oder minder vage Begriffe zu verwenden, deren Auslegung und Anwendung der Praxis überlassen werden muss (BGE 144 I 126 E. 6.1; BGE 143 I 310 E. 3.3.1; MARK E. VILLIGER, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention [EMRK], 3. Aufl. 2020, Rz. 642 ff.; GONIN/BIGLER, in: Convention européenne des droits de l'homme [CEDH], Gonin/Bigler [Hrsg.],2018, N. 142 ff. zu Art. 8 EMRK; MEYER-LADEWIG/NETTESHEIM, in: EMRK, Handkommentar, Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer [Hrsg.], 4. Aufl. 2017, N. 105 zu Art. 8 EMRK). Der Grad der im Rahmen von Art. 36 BV bzw. dem Legalitätsprinzip erforderlichen Bestimmtheit der Rechtsgrundlage lässt sich nicht abstrakt festlegen. Er hängt unter anderem von der Vielfalt der zu ordnenden Sachverhalte, von der Komplexität und von der erst bei der Konkretisierung im Einzelfall möglichen und sachgerechten Entscheidung ab (BGE 144 I 126 E. 6.1; BGE 143 I 253 E. 6.1; BGE 141 I 201 E. 4.1; BGE 139 I 280 E. 5.1). Beim Sammeln und Speichern von Daten muss die gesetzliche Grundlage so gefasst sein, dass es jeder Person möglich ist - erforderlichenfalls bei einer entsprechenden Rechtsberatung -, die möglichen Auswirkungen ihres Verhaltens auf ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung abzuschätzen (vgl. Urteile des EGMR L.H. gegen Lettland vom 29. April 2014 [Nr. 52019/07] § 47 und Rotaru gegen Rumänien vom 4. Mai 2000 [Nr. 28341/95], Recueil CourEDH 2000-V S. 61 § 55; VILLIGER, a.a.O., Rz. 644 f.; GRABENWARTER/PABEL, Europäische Menschenrechtskonvention, 7. Aufl. 2021, § 22 Rz. 40; MEYER-LADEWIG/NETTESHEIM, a.a.O., N. 34 zu Art. 8 EMRK). Die gesetzliche Grundlage muss einen angemessenen Rechtsschutz gegen Willkür bieten (GRABENWARTER/PABEL, a.a.O., § 22 Rz. 40; EGMR-Urteil L.H., § 47).

4.3 Der Beschwerdeführer macht in Bezug auf die Gesetzesgrundlage geltend, dass das Gesetz des Kantons Basel-Stadt vom 11. September 1996 über das Archivwesen (Archivgesetz; SG 153.600) erst seit dem 1. November 1998 in Kraft stehe. Zu diesem Zeitpunkt sei seine medizinische Betreuung im Rahmen der jugendstrafrechtlichen psychiatrischen Betreuung (besondere Behandlung) bereits abgeschlossen gewesen (Aufhebung 10. Juli 1991), weshalb das Archivgesetz keine Anwendung finde. Er habe sein Verhalten nicht darauf ausrichten können und nicht wissen müssen, dass seine Behandlung an den UPK dazu führen würde, dass die entsprechenden Unterlagen - nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist bei den entsprechenden Behörden selber - allenfalls (weiter) archiviert und insofern künftig
BGE 148 I 233 S. 239
potentiell einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden könnten. Es liege eine unzulässige echte Rückwirkung vor (hierzu nachstehende E. 4.4) und die gesetzliche Grundlage im Archivgesetz sei nicht genügend bestimmt, verständlich und voraussehbar (hierzu nachstehende E. 4.5).

4.4

4.4.1 Mit der Vorinstanz ist davon auszugehen, dass es von Sinn und Zweck des Archivgesetzes her hier um eine grundsätzlich zulässige unechte Rückwirkung geht: Eine solche liegt vor, wenn bei der Anwendung des neuen Rechts auf Verhältnisse abgestellt wird, die schon unter der Herrschaft des alten Rechts entstanden sind und beim Inkrafttreten des neuen Rechts noch fortdauern (BGE 148 II 1 E. 5.1; BGE 144 I 81 E. 4.1; BGE 133 II 97 E. 4.1; vgl. HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 8. Aufl. 2020, Rz. 279 ff.; WIEDERKEHR/RICHLI, Praxis des allgemeinen Verwaltungsrechts, Bd. I, 2012, Rz. 867).

4.4.2 Es ist verfassungsrechtlich nicht verboten, für zeitlich offene Dauersachverhalte in Zukunft andere Rechtsfolgen vorzusehen, sofern dem nicht wohlerworbene Rechte bzw. der Grundsatz des Vertrauensschutzes entgegenstehen (Art. 9 BV; BGE 144 I 81 E. 4.1 S. 86; BGE 138 I 189 E. 3.4; vgl. auch WIEDERKEHR/RICHLI, a.a.O., Rz. 867). Der Beschwerdeführer legt nicht dar, dass und allenfalls inwiefern dies hier der Fall wäre (vgl. nicht publ. E. 1.2). Die umstrittenen Akten bestanden fort und ihr Schicksal richtete sich ab dem Inkrafttreten des Archivgesetzes nach dessen Bestimmungen. Im Übrigen bestand aufgrund der früheren Rechtsgrundlagen (§ 18 des Gesetzes des Kantons Basel-Stadt vom 18. März 1992 über den Schutz von Personendaten [Datenschutzgesetz] bis zum Inkrafttreten des Archivierungsgesetzes; Ratschlag und Entwurf zu einem Gesetz über das Archivwesen [Archivgesetz] vom 9. Juli 1996, nachfolgend: Ratschlag und Entwurf, STA DS BS 9 8687, S. 4 ff., Ziff. 1.2.5 S. 6) bereits eine analoge Pflicht, Dokumente dem Staatsarchiv anbieten zu müssen, womit bereits vor Inkrafttreten des Archivgesetzes davon auszugehen war, dass auch persönlichkeitsbezogene Daten archiviert werden könnten. Die therapeutische Begleitung des Beschwerdeführers blieb im Übrigen über das Inkrafttreten des Archivgesetzes hinaus erhalten; ein letzter telefonischer Kontakt fand gemäss den medizinischen Unterlagen im Februar 2000 und damit unter dem neuen Recht statt, das somit anwendbar ist.
BGE 148 I 233 S. 240

4.5 Das Archivgesetz genügt auch hinsichtlich der Zugänglichkeit und Vorhersehbarkeit den Erfordernissen an die gesetzliche Grundlage für den mit der Archivierung der Jugendpersonalakte bzw. der Patientenakte verbundenen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Beschwerdeführers.

4.5.1 Nach § 29 des Gesundheitsgesetzes des Kantons Basel-Stadt vom 21. September 2011 (GesG; SG 300.100) legen die Fachpersonen im Gesundheitsbereich über jede Patientin und jeden Patienten eine Dokumentation an. Diese enthält Angaben über die diagnostischen Abklärungen, Untersuchungen und Ergebnisse sowie die therapeutischen und pflegerischen Massnahmen. Aus der Dokumentation muss ersichtlich sein, wer zu welchem Zeitpunkt einen Eintrag vorgenommen hat (Abs. 1). Die Dokumentation ist während zehn Jahren nach Abschluss der Behandlung aufzubewahren (Abs. 2). Nicht mehr benötigte Personendaten, die von der gemäss Archivgesetz zuständigen Stelle als nicht archivwürdig beurteilt werden, sind vom öffentlichen Organ zu vernichten (§ 16 des Gesetzes des Kantons Basel-Stadt vom 9. Juni 2010 über die Information und den Datenschutz [IDG; SG 153.260]; vgl. Ratschlag und Entwurf, a.a.O., Ziff. 3.4.3 S. 14).

4.5.2 Die öffentlichen Organe, wozu auch die öffentlich-rechtlichen Anstalten des Kantons und damit die Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel zählen (§ 2 Abs. 1 lit. c Archivgesetz i.V.m. § 1 Abs. 1 und § 2 Abs. 1 des Gesetzes vom 16. Februar 2011 über die öffentlichen Spitäler des Kantons Basel-Stadt [ÖSpG; SG 331.100]), sind verpflichtet, die Unterlagen, welche sie zur Erfüllung der Aufgaben nicht mehr benötigen, auszusondern und periodisch dem Staatsarchiv zur Übernahme anzubieten (§ 7 Abs. 1 Archivgesetz); anzubieten sind dabei ausdrücklich auch diejenigen Unterlagen, die "schutzwürdige Personendaten enthalten" oder "einer besonderen Geheimhaltungspflicht unterstehen" (§ 7 Abs. 2 Archivgesetz).

4.5.3 Das Staatsarchiv entscheidet über deren Archivwürdigkeit (§ 5 Abs. 1 lit. a Archivgesetz) unter Vorbehalt des Rechtsmittelwegs (§ 19 Archivgesetz; Ratschlag und Entwurf, a.a.O., zu § 20 des Entwurfs, S. 39). Archivwürdig sind Unterlagen, welche voraussichtlich von bleibendem Wert sind für (a) die Dokumentierung der Tätigkeit der öffentlichen Organe, für (b) Zwecke der Gesetzgebung, Verwaltung oder Rechtsprechung, für (c) die Sicherung berechtigter Interessen betroffener Personen oder Dritter, für (d) Wissenschaft
BGE 148 I 233 S. 241
und Forschung und für (e) das Verständnis der Gegenwart und der Geschichte (§ 3 Abs. 4 Archivgesetz). Das Staatsarchiv bewahrt kulturelles Erbe, hilft Rechte zu sichern und dient der Verwaltung. Es gewährleistet für die öffentlichen Organe des Kantons und der Gemeinden sowie für die Öffentlichkeit, insbesondere für die Forschung und Bildung, eine dauerhafte dokumentarische Überlieferung (§ 1 Archivgesetz).

4.5.4 Es ergibt sich somit aus dem Archivgesetz selber, worin - nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist bei den spezifischen Behörden - der Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht liegt, welches Organ mit der Erfüllung der Aufgabe des Gesetzes betraut ist, welchem Zweck die Datenbearbeitung dient und welche Unterlagen zu erfassen, zu übernehmen und zu archivieren sind (vgl. Ratschlag und Entwurf, a.a.O., Ziff. 3.1 S. 8 ff.). Aus dem Hinweis darauf, dass auch schutzwürdige Personendaten bzw. solche, die einer besonderen Geheimhaltungspflicht unterliegen, dem Staatsarchiv angeboten werden müssen, geht für den interessierten - allenfalls juristisch beratenen - Laien hinreichend klar hervor, dass es sich dabei auch um persönlichkeitsbezogene Daten im Bereich der ärztlichen Geheimhaltungspflicht und damit auch um Patientenakten handeln kann (so ausdrücklich auch der Ratschlag und Entwurf, a.a.O., zu § 8, S. 25; vgl. auch CHRISTIAN PETER, Das Begehren um Löschung von Patientendaten, Jusletter 2. September 2019 Rz. 25).

4.5.5 Zwar besteht für das Staatsarchiv im Rahmen des Gesetzes ein gewisser Beurteilungsspielraum bezüglich der Frage der Archivwürdigkeit der angebotenen Unterlagen, doch wird dieser durch die gesetzlich vorgesehenen Zugangsbeschränkungen zu den archivierten Daten (Schutzfristen) und den Kontrollmöglichkeiten (Beschwerdeweg) beschränkt (vgl. GRABENWARTER/PABEL, a.a.O., § 22 Rz. 38; Ratschlag und Entwurf, a.a.O., zu § 1, S. 18 und 39). Hierauf wird bei der Abwägung der privaten und öffentlichen Interessen zurückzukommen sein (vgl. E. 6 hiernach). Es besteht im Archivgesetz - auch unter Berücksichtigung der Schwere des Grundrechtseingriffs - eine hinreichend klare und vorhersehbare gesetzliche Grundlage im Sinn von Art. 8 Ziff. 2 EMRK bzw. Art. 36 Abs. 1 BV. Sind die entscheidenden Faktoren im formellen Gesetz selber geregelt, stellt sich - entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers - die Frage einer Gesetzesdelegation an den Regierungsrat oder an das Staatsarchiv (auch im Zusammenhang mit dessen Ermessensspielraum) nicht.
BGE 148 I 233 S. 242

5.

5.1 Der Beschwerdeführer bestreitet weiter, dass überhaupt ein öffentliches Interesse an der Datenbearbeitung durch das Staatsarchiv besteht. Ein rein hypothetisch möglicherweise in der Zukunft vielleicht eintretendes öffentliches Interesse könne keinesfalls den mit der Archivierung seiner Daten in der Jugendpersonalakte, die im Wesentlichen nur noch aus Dokumenten mit gesundheitlichem Bezug bestehe, und der Patientenakte verbundenen schweren Grundrechtseingriff rechtfertigen. Die einseitige Jugendakte sei absolut untauglich, um sich ein Bild über die vergangene Rechtsprechung machen zu können. Die Bearbeitung seiner Daten diene keinem der in Art. 8 Ziff. 2 EMRK abschliessend aufgezählten öffentlichen Interessen, weshalb die mit der Aufbewahrung und Zugänglichmachung verbundene Datenbearbeitung des Staatsarchivs unzulässig sei.

5.2

5.2.1 Ein Eingriff in das nach Art. 8 Ziff. 1 EMRK (bzw. Art. 13 i.V.m. Art. 36 BV) geschützte Privatleben ist rechtens, soweit er "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer". Die Archivierung erlaubt heute die rationale Auseinandersetzung mit dem Gestern. Mit der Vorinstanz ist davon auszugehen, dass die Archivierung - auch von personenbezogenen Unterlagen, die nicht mehr für ihren ursprünglichen Zweck verwendet werden - auf längere Frist der wirksamen Aufarbeitung, Reflexion und damit Kontrolle und Weiterbildung staatlichen und gesellschaftlichen Handelns und der Stärkung der demokratischen und rechtsstaatlichen Strukturen dient.

5.2.2 Der Bundesrat hielt in diesem Zusammenhang zum Bundesgesetz über die Archivierung fest (Botschaft vom 26. Februar 1997 über das Bundesgesetz über die Archivierung, BBl 1997 II 941 ff., dort S. 942):
"Die öffentlichen Archive erfüllen ein wesentliches Anliegen jedes demokratischen Rechtsstaates, indem sie staatliches Handeln dokumentieren und so für alle Bürgerinnen und Bürger überprüfbar machen. Sie sind das kollektive Gedächtnis unseres Staates und belegen die Entstehung und Entwicklung unserer individuellen und kollektiven Freiheiten und Rechte. Archive bilden die Infrastruktur, welche es Bürgerinnen und Bürgern, Forscherinnen und Forschern ermöglicht, Einsicht in vergangene
BGE 148 I 233 S. 243
staatliche und gesellschaftliche Vorgänge zu gewinnen, Geschichte zu schreiben. Einsicht in die Entstehung der Gegenwart schafft eine wichtige Voraussetzung für demokratisch-politisches Handeln. Überlieferungsbildung und Sicherung des möglichst offenen Zugangs zur Information sind zentrale Aufgaben der Archive".

5.2.3 Der (Rück-)Griff auf die nahe oder fernere Vergangenheit soll der Gesellschaft als Akt der Selbstvergewisserung und Selbstbestimmung dazu dienen, die soziale Realität, die Interaktion zwischen Menschen und ihrem sozialen Umfeld, die Kommunikation und - als Ausschnitt daraus - staatliches Handeln nachvollziehbar, verstehbar und kontrollierbar zu machen. Dazu - und erst recht, um einen rationalen Umgang mit der Vergangenheit zu pflegen - braucht es verlässliche Informationen, ein "kollektives Gedächtnis". Das Archivwesen dient der Funktion der langfristigen Erhaltung der hierfür nötigen Unterlagen. Es stellt eine unverzichtbare - in Bezug auf staatliches Handeln öffentliche - Aufgabe für das (retrospektive) Verstehen- und Kontrollieren-Können staatlichen Handelns dar (so BEAT RUDIN, Kollektives Gedächtnis und informationelle Integrität - Zum Datenschutz im öffentlichen Archivwesen, AJP 1998 S. 247 ff., S. 249 Rz. 11).

5.2.4 Hierauf weist der Bundesrat auch in seiner Botschaft vom 15. September 2017 zum Bundesgesetz über die Totalrevision des Bundesgesetzes über den Datenschutz und die Änderung weiterer Erlasse zum Datenschutz (BBl 2017 6941 ff.) hin. Er hält dort fest, dass die Archive "mit Hilfe von Dokumenten eine Momentaufnahme der Vergangenheit erlauben"; sie gäben wieder, "wie etwas in der Vergangenheit war, unabhängig davon, ob dies aus aktueller Perspektive noch als zutreffend erachtet" werde oder nicht. An dieser spezifischen Funktion bestehe "ein erhebliches öffentliches Interesse" (BBl 2017 6941 ff., Ziff. 9.1.3 S. 7026 f.). Das neue Datenschutzgesetz (AS 2022 491 ff.), das am 1. September 2023 in Kraft treten wird, sieht analog der hier umstrittenen kantonalen Regelung denn auch vor, dass die Bundesorgane in Übereinstimmung mit dem Archivierungsgesetz dem Bundesarchiv "alle Personendaten" anzubieten haben, "die sie nicht mehr ständig benötigen" (Art. 38 Abs. 1 DSG 2020). Sie vernichten die vom Bundesarchiv als nicht archivwürdig bezeichneten Personendaten, es sei denn, diese würden anonymisiert oder müssten zu Beweis- oder Sicherheitszwecken oder zur Wahrung der schutzwürdigen Interessen der betroffenen Person aufbewahrt werden (Art. 38 Abs. 2 DSG 2020).
BGE 148 I 233 S. 244

5.2.5 Potentiell kann die im öffentlichen Interesse liegende Archivierung allen in Art. 8 Ziff. 2 EMRK genannten öffentlichen Zwecken dienen; welcher Zweck konkret jeweils im Vordergrund steht, ergibt sich erst aus dem künftigen Gebrauch der Daten und ist heute noch nicht definitiv absehbar (vgl. z.B. "Fichenaffäre", Rolle der Schweiz im 2. Weltkrieg, Problematik der "Kinder der Landstrasse" oder der "Verdingkinder", Umgang mit jüdischen Vermögenswerten usw.; s. auch COUTAZ/JEANMONOD, La place de la donnée personnelle dans les archives historiques, Essai d'interprétation à travers les archives de santé aux Archives cantonales vaudoises, 2017, S. 9 ff.).

5.2.6 Die wesentliche Rolle der Archivierung für das Verständnis der Entwicklung demokratischer und rechtsstaatlicher Strukturen einer Nation entspricht einem breiten Konsens in den Vertragsstaaten der EMRK (vgl. hierzu BBl 1997 II 941 ff., Ziff. 113.3 S. 947 ff.; vgl. auch die Ausnahmeregelung für die Archivierung in Art. 17 Abs. 3 lit. d und Art. 89 der Verordnung [EU] 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG [Datenschutz-Grundverordnung], ABl. L 119 vom 4. Mai 2016 S. 1 ff. und dort auch die Erwägungen 50, 52 f., 62, 64 und 73). Die Schutzfristen und die Prüfung der Schutzwürdigkeit im Einzelfall erlauben den Ausgleich zwischen den verschiedenen Interessen bei persönlichkeitsbezogenen Daten und Persönlichkeitsprofilen (vgl. BBl 1997 II 941 ff., Ziff. 223 S. 957 f.; Ratschlag und Entwurf, a.a.O., Ziff. 3.4.4 S. 14 f.; RUDIN, a.a.O., S. 247 ff., Rz. 54 ff.). Der Eingriff in die Privatsphäre und das informationelle Selbstbestimmungsrecht dient damit einem zulässigen öffentlichen Interesse im Sinne von Art. 8 Ziff. 2 EMRK bzw. Art. 36 Abs. 2 BV. Entscheidend für dessen Zulässigkeit ist die Interessenabwägung im jeweiligen Einzelfall (vgl. hierzu E. 6 hiernach; s.a. OLIVER DIGGELMANN, a.a.O., N. 34 zu Art. 13 BV).

6.

6.1 Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, die Archivierung seiner Jugendpersonalakte bzw. seiner Patientenakte sei unverhältnismässig. Sein Individualinteresse am Schutz seiner Privatsphäre sei höher zu gewichten als ein noch gar nicht vorhandenes "mögliches zukünftiges öffentliches Interesse". Das Staatsarchiv sei gar nicht in der Lage seine Gesundheitsdaten zu schützen. In seinem
BGE 148 I 233 S. 245
konkreten Fall stehe mit dem "Schutz von hochsensiblen Daten aus den Akten des Psychiaters" ein ausserordentlich grosses Individualinteresse einem besonders geringen öffentlichen Interesse gegenüber. Selbst wenn man davon ausgehe, dass an der Aufbewahrung der Jugendpersonalakte in der Vergangenheit ein öffentliches Interesse bestanden habe, habe dieses inzwischen nach über 30 Jahren deutlich abgenommen, zumal die Jugendpersonalakte "grösstenteils nur noch aus einem ärztlichen Bericht" bestehe, bei dem sein Individualinteresse besonders hoch zu gewichten sei. Die Vorinstanz habe die im Einzelfall vorzunehmende konkrete Güterabwägung ungenügend bzw. falsch vorgenommen.

6.2

6.2.1 Die Schutzgarantien von Art. 8 Ziff. 1 EMRK und Art. 13 BV gelten - wie bereits dargelegt (vgl. E. 3.3 hiervor) - nicht absolut. Ein Eingriff in das Recht auf Privatleben bzw. die informationelle Selbstbestimmung ist statthaft, soweit er gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft für die zulässige Interessenverfolgung notwendig erscheint (Art. 8 Ziff. 2 EMRK). Die Konvention verlangt, dass der Eingriff einem dringenden gesellschaftlichen bzw. sozialen Bedürfnis entspricht ("pressing social need"), um das berechtigte Ziel zu erreichen; zudem muss er sich als verhältnismässig erweisen. Die Bedeutung des Rechts, in das eingegriffen wird, und die Schwere des Eingriffs sind dem Eingriffszweck gegenüberzustellen und gegen diesen abzuwägen. Es ist zu prüfen, ob zwischen den Interessen des Einzelnen an der Achtung seiner Konventionsgarantien und den öffentlichen Interessen an einem Eingriff ein angemessenes Verhältnis besteht (VILLIGER, a.a.O., Rz. 650 ff.; MEYER-LADEWIG/NETTESHEIM, a.a.O., N. 113 zu Art. 8 EMRK; GONIN/BIGLER, a.a.O., N. 178 ff. zu Art. 8 EMRK).

6.2.2 Bei Eingriffen in das Recht auf Schutz persönlicher Daten ist im Rahmen der Verhältnismässigkeitsprüfung das öffentliche Interesse an deren Erhebung bzw. Archivierung gegenüber jenem auf Schutz der informationellen Selbstbestimmung der betroffenen Person abzuwägen. Besonderen Schutz geniessen dabei medizinische Daten, da es bei ihnen nicht nur um die Wahrung der Privatsphäre, sondern auch um das Vertrauen in den medizinischen Berufsstand und in das Gesundheitswesen geht (vgl. die Urteile des EGMR Mockuté gegen Litauen vom 27. Februar 2018 [Nr. 66490/09] § 93 ff.; L.H., § 56; Varapnickaité-Mazyliené gegen Litauen vom 17. Januar 2012
BGE 148 I 233 S. 246
[Nr. 20376/05] § 44; L.L. gegen Frankreich vom 10. Oktober 2006 [Nr. 7508/02], Recueil CourEDH 2006-XI S. 143§ 44 und Z. gegen Finnland vom 25. Februar 1997 [Nr. 22009/93] § 95;HERTIG RANDALL/MARQUIS, a.a.O., N. 26 zu Art. 13 BV).

6.2.3 Eine Offenlegung sensibler Daten ist in diesem Bereich nur unter engen Voraussetzungen zulässig, etwa zum Schutz der öffentlichen Ordnung und Gesundheit oder des Pflegepersonals (vgl. Urteil des EGMR Bédat gegen Schweiz vom 29. März 2016 [Nr. 56925/08]§ 76). Es sind ausreichende Garantien gegen einen allfälligen Datenmissbrauch erforderlich (vgl. Urteil des EGMR S. und Marper, § 103; RUDIN, a.a.O., S. 247 ff., Rz. 63). Zu berücksichtigen sind dabei der Zusammenhang, in dem die Daten erhoben worden sind (Bearbeitung zu neuer Aufgabenerfüllung), die Art der Information, die Form ihrer Verwendung und Verarbeitung sowie die Auswirkungen der Datenbearbeitung auf das informationelle Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Person (vgl. GRABENWARTER/PABEL, a.a.O., § 22 Rz. 47; VILLIGER, a.a.O., Rz. 669 ff.; GONIN/BIGLER, a.a.O., N. 55 ff. zu Art. 8 EMRK; MEYER-LADEWIG/NETTESHEIM, a.a.O., N. 32 zu Art. 8 EMRK).

6.3

6.3.1 Auch nach der Archivierung sind - entgegen der Einschätzung des Beschwerdeführers - die im Jugendstrafverfahren bzw. in seinem Patientendossier erhobenen personenbezogenen Gesundheitsdaten nicht frei zugänglich (vgl. Ratschlag und Entwurf, a.a.O., S. 26 ff.): Das Staatsarchiv schützt das Archivgut vor unbefugter Benützung und Vernichtung (§ 6 Abs. 2 Archivgesetz; Ratschlag und Entwurf, a.a.O., S. 24). Zwar haben alle Personen das Recht, Archivgut nach Massgabe des Archivgesetzes zu benützen (§ 9 Abs. 1 Archivgesetz), dieses Recht wird jedoch eingeschränkt oder ausgeschlossen, wenn Grund zur Annahme besteht, "dass andernfalls überwiegende schutzwürdige Interessen einer betroffenen Person oder Dritter beeinträchtigt würden" (§ 9 Abs. 2 lit. a Archivgesetz).

6.3.2 Hinzu kommt die Schutzfristenregelung (vgl. hierzu: RUDIN, a.a.O., S. 247 ff., Rz. 54 ff.; Ratschlag und Entwurf, a.a.O., S. 29 ff.): Das Archivgut kann in der Regel erst nach einer Schutzfrist von 30 Jahren benützt werden (§ 10 Abs. 1 Archivgesetz). Abzustellen ist dabei jeweils auf das Jahr, in welchem die Unterlagen durch Vervollständigung oder den letzten organischen Zuwachs abgeschlossen wurden (§ 10 Abs. 3 Archivgesetz). Unterlagen, die sich - wie die
BGE 148 I 233 S. 247
hier umstrittenen - ihrer Zweckbestimmung oder ihrem wesentlichen Inhalt nach auf natürliche Personen beziehen, dürfen zudem erst 10 Jahre nach deren Tod benützt werden. Ist das Todesdatum nicht bekannt oder nur mit unverhältnismässigem Aufwand zu eruieren, endet die Schutzfrist 100 Jahre nach der Geburt. Sind weder Todes- noch Geburtsdatum festzustellen, endet die Schutzfrist 80 Jahre nach Abschluss der Unterlagen (§ 10 Abs. 2 Archivgesetz). Die entsprechenden Schutzfristen können um höchstens 20 Jahre verlängert werden, wenn Grund zur Annahme besteht, dass eine kürzere Schutzfrist überwiegende schutzwürdige Interessen einer betroffenen Person oder Dritter beeinträchtigen würde (§ 10 Abs. 4 Archivgesetz).

6.3.3 Vor Ablauf der Schutzfristen kann Archivgut für die Benützung nur zugänglich gemacht werden, wenn sichergestellt ist, dass das öffentliche Interesse sowie die überwiegenden schutzwürdigen Belange betroffener Personen oder Dritter nicht beeinträchtigt werden und dies bloss, wenn (a) die Unterlagen für die Durchführung eines bestimmten Forschungsvorhabens erforderlich sind oder (b) wenn die betroffene Person - oder nach deren Tod ihre Angehörigen - in die Benützung eingewilligt haben oder (c) wenn die Benützung im überwiegenden Interesse der betroffenen Person oder Dritter liegt (§ 10 Abs. 5 Archivgesetz). Archivgut, dessen Benützung auf einer Verkürzung der Schutzfrist beruht, darf ausschliesslich zu dem Zweck und zu den Bedingungen (Anonymisierung, Verpflichtung zur Vertraulichkeit usw.) benützt werden, welche in der Bewilligungsverfügung des Staatsarchivs vorgesehen sind. Zuwiderhandlungen sind nach Art. 292 StGB strafbar (§ 11 Abs. 1 Archivgesetz).

6.3.4 Während der Schutzfrist dürfen andere als das abliefernde öffentliche Organ das Archivgut nur mit dessen Zustimmung benützen, sofern sie es zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben benötigen. Vorbehalten bleiben dabei besondere Geheimhaltungsvorschriften (§ 12 Abs. 2 Archivgesetz). Über Gesuche um (vorzeitige) Benützung von medizinischem Archivgut entscheidet das Staatsarchiv schliesslich im Einvernehmen mit der abliefernden Stelle. Es entscheidet bloss dann selbständig, wenn nach Inhalt und Alter der Unterlagen "offensichtlich keine Interessen mehr beeinträchtigt werden, deren Schutz das medizinische Berufsgeheimnis dient" (§ 35 Abs. 5 der Verordnung des Kantons Basel-Stadt vom 13. Oktober 1998 über die Registraturen und das Archivieren [Registratur- und Archivierungsverordnung; SG 153.610]).
BGE 148 I 233 S. 248

6.3.5 Das Archivgesetz sieht als Rechte der betroffenen Person vor, dass ihr auf Antrag Auskunft über ihre personenbezogenen Daten gegeben wird, soweit das Archivgut durch Personennamen erschlossen ist oder Angaben gemacht werden, die das Auffinden der Daten mit angemessenem Aufwand ermöglichen (§ 13 Abs. 1 Archivgesetz). Anstelle von Auskunft kann Einsicht in das Archivgut gewährt werden (§ 13 Abs. 2 Archivgesetz). Diese Rechte stehen unter dem Vorbehalt zwingender öffentlicher Interessen und überwiegender schutzwürdiger Interessen Dritter (§ 13 Abs. 3 Archivgesetz). Es besteht zudem ein Gegendarstellungsrecht (§ 14 Archivgesetz). Schliesslich unterliegen die Verfügungen des Staatsarchivs dem Beschwerderecht nach den allgemeinen Bestimmungen der Verwaltungsrechtspflege (§ 19 Archivgesetz).

6.3.6 Das Archivgesetz trägt damit den schutzwürdigen Interessen an der informationellen Selbstbestimmung des Beschwerdeführers und den öffentlichen Interessen an der Aufbewahrung seiner personenbezogenen Daten, die künftig etwa psychiatrie-geschichtlich (vgl. COUTAZ/JEANMONOD, a.a.O., S. 22) oder analytisch-jugendstrafrechtlich von Bedeutung sein können, angemessen Rechnung und schützt ihn hinreichend vor Willkür.

6.4

6.4.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, dass im Hinblick auf den Zeitablauf und die Wertung in Art. 369 Abs. 7 und Abs. 8 StGB, wonach im Zusammenhang mit dem Strafregister die Eintragung "nicht mehr rekonstruierbar sein darf" und die Strafregisterdaten "nicht zu archivieren sind", sein privates Interesse an der Kontrolle über seine medizinischen Daten, zumindest im konkreten Einzelfall, jenem der Öffentlichkeit an der Archivierung der umstrittenen Daten vorgehe.

6.4.2 Die entsprechende Auffassung ist nachvollziehbar, überzeugt indessen im Hinblick auf Sinn und Zweck der Archivierung von personenbezogenen Daten nicht: Es ist dabei zu berücksichtigen, dass zum Zeitpunkt der Archivierung nicht mit Sicherheit absehbar ist, ob, wann und unter welchen Vorgaben die personenbezogenen Daten künftig überhaupt je gebraucht werden. Die Interessenabwägung zwischen dem Datenschutz und der mit der Archivierung bezweckten Möglichkeit der kollektiven Auseinandersetzung mit Vergangenem erfolgt im Wesentlichen erst im Rahmen der Zugangsverfügung des Staatsarchivs oder nach Ablauf der (absoluten
BGE 148 I 233 S. 249
oder relativen) Schutzfristen. Würde dem Einzelnen bereits im Zeitpunkt der Archivierung ein Recht auf Herausgabe bzw. Vernichtung seiner personenbezogenen (etwa medizinischen) Unterlagen zugestanden, wie der Beschwerdeführer dies postuliert, wäre das Archivgut nicht mehr vollständig und wegen des Gleichheitsgrundsatzes eine umfassende und einheitliche Erfassung von archivierungswürdigem Material bei personenbezogenen Daten praktisch kaum mehr möglich.

6.4.3 Im Zusammenhang mit der Aufarbeitung seiner Betreuung durch die UPK bzw. deren Funktionieren und der im Jugendstrafverfahren gestützt auf ein psychiatrisches Gutachten angeordneten Betreuung, besteht zumindest ein potentielles künftiges Interesse daran, dass staatliches und gesellschaftliches Handeln gegebenenfalls auch anhand seiner - je nach den Umständen allenfalls auch zu anonymisierenden - personenbezogenen (medizinischen) Daten gewürdigt und nötigenfalls aufgearbeitet werden kann. Seinen schutzwürdigen Interessen kann und muss archivrechtlich Rechnung getragen werden, wobei die entsprechenden Schutzbestimmungen im Lichte der datenschutzrechtlichen Vorgaben von Art. 8 EMRK und Art. 13 BV auszulegen sind, was das Staatsarchiv bei der Aufbewahrung und einer allfälligen (künftigen) Freigabe der umstrittenen Akten zu berücksichtigen haben wird. Es bestehen keine Hinweise darauf, dass es sich dessen nicht bewusst ist und dies nicht tun wird.

Inhalt

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Sachverhalt

Erwägungen 3 4 5 6

Referenzen

BGE: 144 I 126, 147 I 346, 146 I 11, 144 I 81 mehr...

Artikel: Art. 8 EMRK, Art. 13 BV, Art. 8 Ziff. 2 EMRK, Art. 13 und 36 BV mehr...

BGE 148 I 233 S. 236, Art. 5 Abs. 1 BV, Art. 9 BV, Art. 36 Abs. 2 BV, Art. 292 StGB, Art. 369 Abs. 7 und Abs. 8 StGB