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Urteilskopf

148 II 218


16. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Securitas AG, Schweizerische Bewachungsgesellschaft gegen A. und Eidgenössisches Finanzdepartement (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_69/2021 vom 17. Dezember 2021

Regeste

Art. 178 Abs. 3 und Art. 146 BV; Art. 19 VG; aArt. 26 AsylG; Art. 22 und 23 BWIS; Frage, ob die Securitas AG in Bezug auf potentielle Haftungsansprüche in Zusammenhang mit einer tätlichen Auseinandersetzung im EVZ Kreuzlingen Haftungssubjekt i.S.v. Art. 19 VG ist.
Eine Betrauung mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben des Bundes i.S.v. Art. 19 VG steht nach Art. 178 Abs. 3 BV unter dem Gesetzesvorbehalt (E. 3.3). Besonders hohe Anforderungen an die formellgesetzliche Grundlage sind dabei im Bereich der Übertragung von sicherheitspolizeilichen Aufgaben zu stellen (E. 3.3.3).
Weder das AsylG noch das BWIS enthält eine hinreichende gesetzliche Grundlage für die vorliegend in Frage stehende Übertragung von sicherheitspolizeilichen Aufgaben an die Securitas AG. Diese kann damit zum Vornherein nicht als eine mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben des Bundes betraute Organisation i.S.v. Art. 19 VG gelten (E. 5 und 6).
Bei dieser Sachlage verbleibt der Bund direktes Haftungssubjekt für potentielle Haftungsansprüche (E. 6.3).

Sachverhalt ab Seite 219

BGE 148 II 218 S. 219
Das Bundesamt für Migration (BFM; seit dem 1. Januar 2015 Staatssekretariat für Migration [SEM]) und die Securitas AG schlossen am 23. Dezember 2013/7. Januar 2014 eine Rahmenvereinbarung. Gegenstand bildet die Erbringung sämtlicher in den Unterkünften des BFM anfallenden Sicherheitsdienstleistungen, unter anderem im Empfangs- und Verfahrenszentrum (EVZ) Kreuzlingen. Dort kam es am 14. Mai 2018 zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen zwei Mitarbeitern der Securitas AG und dem Asylbewerber A. Dieser beantragte in der Folge mit Schreiben vom 13. Mai 2019 Schadenersatz sowie Genugtuung von der Securitas AG und ersuchte gleichzeitig um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
Mit Schreiben vom 23. Dezember 2019 informierte die Securitas AG das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD), dass sie sich als eine mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben des Bundes betraute Organisation i.S.v. Art. 19 des Verantwortlichkeitsgesetzes vom 14. März 1958 (VG; SR 170.32) erachte und folglich gestützt auf Art. 19 Abs. 3 VG mittels Verfügung über das gegen sie gerichtete Schadenersatzbegehren zu befinden habe. Gleichzeitig erkundigte sich die Securitas AG, ob der Bund die ihr aus der Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege an A. anfallenden Kosten direkt begleiche. Das EFD verfügte am 24. Januar 2020, das eidgenössische Verantwortlichkeitsrecht verpflichte den Bund nicht zur Übernahme dieser Kosten.
BGE 148 II 218 S. 220
Das Bundesverwaltungsgericht wies die von der Securitas AG dagegen erhobene Beschwerde mit Urteil vom 3. Dezember 2020 ab.
Die Securitas AG erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht und wiederholt den vorinstanzlich gestellten Antrag. Das Bundesverwaltungsgericht verweist im Rahmen der Vernehmlassung auf den angefochtenen Entscheid. Das EFD beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
Die II. öffentlich-rechtliche Abteilung des Bundesgerichts hat den Fall am 17. Dezember 2021 öffentlich beraten und heisst die Beschwerde gut.
(Zusammenfassung)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2.

2.1 Der Bund haftet für Schäden, die seine Organe in Ausübung amtlicher Tätigkeiten widerrechtlich verursachen (Art. 146 BV). Das Verantwortlichkeitsgesetz konkretisiert diesen verfassungsrechtlichen Grundsatz (vgl. Art. 3 Abs. 1 VG). Es ist - neben Magistratspersonen und Beamten (vgl. Art. 1 Abs. 1 lit. b-e VG) - auch auf alle anderen Personen anwendbar, insoweit sie unmittelbar mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben des Bundes betraut sind (Art. 1 Abs. 1 lit. f VG). Gemäss Art. 19 Abs. 1 lit. a VG haftet eine ausserhalb der ordentlichen Bundesverwaltung stehende Organisation, die mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben des Bundes betraut wurde, für den Schaden, den ihre Organe oder Angestellten in Ausübung der mit diesen Aufgaben verbundenen Tätigkeit Dritten widerrechtlich zufügen nach den Art. 3-6 VG; soweit die Organisation die geschuldete Entschädigung nicht zu leisten vermag, haftet der Bund dem Geschädigten für den ungedeckten Betrag, unter Vorbehalt des Rückgriffs des Bundes und der Organisation gegenüber dem fehlbaren Organ oder Angestellten. Über streitige Ansprüche von Dritten gegen die Organisation erlässt diese eine Verfügung. Das Beschwerdeverfahren richtet sich nach den allgemeinen Bestimmungen über die Bundesrechtspflege (Art. 19 Abs. 3 VG).

2.2 Streitfrage bildet vorliegend, ob die Kosten, die der Beschwerdeführerin aus der Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege an A. entstehen, vom Bund zu tragen sind. Zu prüfen ist jedoch zunächst, ob die Beschwerdeführerin tatsächlich eine mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben des Bundes betraute Organisation i.S.v. Art. 19 VG ist. Ist diese vom Bundesgericht frei zu prüfende Rechtsfrage
BGE 148 II 218 S. 221
(Art. 106 Abs. 1 BGG) zu verneinen, würde die Streitfrage gegenstandslos, weil die Beschwerdeführerin in diesem Fall nicht Haftungssubjekt und folglich auch nicht zuständig wäre, über die Haftungsansprüche und die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege zu verfügen.

2.3 Die Vorinstanz hat erwogen, dass die Beschwerdeführerin in den Anwendungsbereich von Art. 19 VG falle. Gestützt auf die als verwaltungsrechtlicher Vertrag zu qualifizierende Rahmenvereinbarung mit dem BFM habe die Beschwerdeführerin die Gewährleistung von Ruhe, Ordnung und Sicherheit im und um das EVZ Kreuzlingen übernommen. Dies sei eine Bundesaufgabe. Auch im konkreten Fall hätten die Mitarbeiter der Beschwerdeführerin eine Bundesaufgabe wahrgenommen, als sie den mutmasslich renitenten A. überwältigt und arretiert haben, um so einer mutmasslichen Gefährdung von anderen Asylsuchenden, des Personals und möglicherweise auch des Gebäudes entgegenzuwirken. Die Verfahrensbeteiligten sind implizit ebenfalls davon ausgegangen, dass die Beschwerdeführerin als eine mit einer öffentlich-rechtlichen Aufgabe des Bundes betraute Organisation i.S.v. Art. 19 VG zu betrachten sei.

2.4 In Erwägung, dass eine hiervon abweichende Beurteilung durch das Bundesgericht die haftungsrechtliche Ausgangslage ändern würde, hat es A. in das Verfahren einbezogen und den Beteiligten Gelegenheit gegeben, sich (nochmals) zur Frage der Anwendbarkeit von Art. 19 VG zu äussern. Das EFD und A. erachten die Beschwerdeführerin als Haftungssubjekt nach Art. 19 VG. Das SEM schliesst sich der Stellungnahme des EFD an. Die Beschwerdeführerin hingegen macht - im Gegensatz zur bisher vertretenen Auffassung - geltend, sie sei lediglich unterstützend beigezogen worden und Art. 19 VG sei deshalb nicht anwendbar.

3.

3.1 Haftungssubjekt nach Art. 19 VG sind ausserhalb der ordentlichen Bundesverwaltung stehende Organisationen. Darunter können staatliche oder staatlich beherrschte Organisationen mit eigener Rechtspersönlichkeit fallen (wie z.B. die SUVA [BGE 136 II 187 E. 4.1]), aber auch Organisationen des Privatrechts (vgl. BGE 94 I 628 E. 3 [Schweizerischer Elektrotechnischer Verein]; Urteile 2C_303/2010 vom 24. Oktober 2011 E. 2.1 [Skyguide]; 2C_809/2018 vom 18. Juni 2019 E. 4.2 [von der Eidgenössischen Bankenkommission als Beobachterin beauftragte Gesellschaft]).
BGE 148 II 218 S. 222
3.2 Art. 19 VG setzt voraus, dass die ausserhalb der ordentlichen Bundesverwaltung stehende Organisation mit einer öffentlich-rechtlichen Aufgabe des Bundes betraut worden ist. Was eine öffentlich-rechtliche Aufgabe des Bundes darstellt, bestimmt die Verfassungs- und Gesetzgebung (BGE 138 II 134 E. 4.3.1). Das Bundesgericht hat unter anderem die Flugsicherung (Urteil 2C_303/2010 vom 24. Oktober 2011 E. 2.1), die Erhebung der Empfangsgebühr für Radio und Fernsehen (BGE 141 II 182 E. 6.2) oder die Kontrolle über die Starkstromanlagen (BGE 94 I 628 E. 3) als öffentlich-rechtliche Aufgaben i.S.v. Art 19 VG qualifiziert. Nicht anwendbar ist Art. 19 VG indessen, wenn der Bund im Rahmen seiner Aufgabenerfüllung Private lediglich für administrative Hilfstätigkeiten beizieht (TOBIAS JAAG, Staats- und Beamtenhaftung, in: Organisationsrecht, SBVR Bd. I/3, 3. Aufl. 2017, S. 87 Rz. 227; vgl. ferner BGE 134 II 297 E. 3.3). Diesfalls bleibt der Bund direkt haftbar (BGE 138 I 196 E. 4.4.2; PIERRE TSCHANNEN, Verwaltung durch Private, in: Staatliche Aufgaben, private Akteure, Claudia Fuchs und andere [Hrsg.], Bd. II, 2017, S. 173; vgl. zum Begriff "auxiliaire" FRANÇOIS BELLANGER, Notions, enjeux et limites de la délégation d'activités étatiques, in: La délégation d'activités étatiques au secteur privé [nachfolgend: La délégation], Anne-Christine Favre und andere [Hrsg.], 2016, S. 62 f.; MARC-OLIVIER BESSE, L'investiture du délégataire, in: La délégation, a.a.O., S. 72 f.).

3.3 Schliesslich steht die Aufgabenübertragung i.S.v. Art. 19 VG unter dem Gesetzesvorbehalt.

3.3.1 Nach Art. 178 Abs. 3 BV können Verwaltungsaufgaben durch Gesetz Organisationen und Personen des öffentlichen oder des privaten Rechts übertragen werden, die ausserhalb der Bundesverwaltung stehen (vgl. zudem Art. 2 Abs. 4 des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 1997 [RVOG; SR 172.010]; Art. 5 Abs. 1 BV). Gemäss Rechtsprechung und Lehre verlangt Art. 178 Abs. 3 BV für eine Aufgabenübertragung eine hinreichend bestimmte und bereichsspezifische formellgesetzliche Grundlage (BGE 144 II 376 E. 7; BGE 140 II 112 E. 3.1.1; BGE 138 I 196 E. 4.4.3; BGE 137 II 409 E. 6.3; Urteil 2C_39/2018 vom 18. Juni 2019 E. 2.4; GIOVANNI BIAGGINI, in: Die schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 3. Aufl. 2014, N. 32 zu Art. 178 BV; ETIENNE POLTIER, in: Commentaire romand, Constitution fédérale, Bd. II, 2021, N. 53 zu Art. 178 BV).
BGE 148 II 218 S. 223

3.3.2 Die konkreten Anforderungen an die formellgesetzliche Grundlage hängen von der Art der auszulagernden Verwaltungstätigkeit ab. Sollen Verwaltungsaufgaben übertragen werden, deren Erfüllung hoheitliches Handeln erfordert (vgl. BGE 141 II 182 E. 3.4) oder verfassungsmässige Rechte bzw. Rechte und Pflichten von Personen tangiert (vgl. Art. 164 Abs. 1 lit. b und c BV), gelten erhöhte Anforderungen (vgl. BGE 144 II 376 E. 7.2; BIAGGINI, a.a.O., N. 33 f. zu Art. 178 BV; MOOR/BELLANGER/TANQUEREL, Droit administratif, Bd. III, 2. Aufl. 2018, S. 242 f.; ANNE-CHRISTINE FAVRE, La délégation d'activités non économiques ou "à caractère ministériel", in: La délégation, a.a.O., S. 173 f.).

3.3.3 Hinsichtlich der Normdichte verlangt die Lehre grundsätzlich, dass formellgesetzlich festlegt wird, ob und wenn ja wie bzw. wem eine bestimmte Verwaltungsaufgabe zur Erfüllung übertragen wird (MARKUS MÜLLER, in: Basler Kommentar, Bundesverfassung, 2015, N. 36 zu Art. 178 BV; vgl. auch POLTIER, a.a.O., N. 56 und 72 zu Art. 178 BV). Wenn das staatliche Gewaltmonopol tangiert ist, gelten besonders strenge Anforderungen (vgl. Art. 5, 36 sowie 57 BV). Im Bereich der Auslagerung von sicherheitspolizeilichen Aufgaben wird deshalb zusätzlich gefordert, dass neben dem Auslagerungsgegenstand namentlich auch die Anforderungen an die Beliehenen, deren Befugnisse und Aufsicht sowie die Rahmenbedingungen der ausgelagerten Tätigkeit formellgesetzlich geregelt werden (KÄLIN/LIENHARD/WYTTENBACH, Auslagerung von sicherheitspolizeilichen Aufgaben, 2007, S. 61 und 63 f.; vgl. ferner ZÜND/ERRASS, Privatisierung von Polizeiaufgaben, Sicherheit & Recht 2012 S. 174 f.; MARCO GAMMA, Möglichkeiten und Grenzen der Privatisierung polizeilicher Gefahrenabwehr, 2000, S. 203 f.).

3.3.4 Auch der Bundesrat vertrat die Auffassung, dass besonders strenge Anforderungen zu stellen sind, wenn die Aufgabenübertragung Zwangsmassnahmen betrifft, welche die Grundrechte der Betroffenen tangieren könnten. In diesem Fall seien die wichtigsten Fragen zu den Eingriffsbefugnissen und Eingriffsmitteln, zur Organisation des privaten Sicherheitspersonals und zu den staatlichen Kontroll- bzw. Aufsichtsmechanismen bereits auf der formellen gesetzlichen Ebene zu beantworten (Bericht vom 2. Dezember 2005 zu den privaten Sicherheits- und Militärfirmen [in Beantwortung des Postulats Stähelin 04.3267 vom 1. Juni 2004 "Private Sicherheitsfirmen"], BBl 2006 651 f. und 654; vgl. zudem Bericht vom 2. März
BGE 148 II 218 S. 224
2012 [in Erfüllung des Postulats Malama 10.3045 vom 3. März 2010 "Innere Sicherheit. Klärung der Kompetenzen"], BBl 2012 4544 f.).

3.3.5 Der Gesetzesvorbehalt nach Art. 178 Abs. 3 BV schliesst nicht aus, dass der Gesetzgeber die nähere Regelung einer Aufgabenübertragung im Rahmen von Art. 164 Abs. 2 BV dem Verordnungsgeber delegieren kann (BGE 144 II 376 E. 7.2; BGE 137 II 409 E. 6.4). Für die Delegationsnorm gelten jedoch wiederum strenge Anforderungen, wenn hoheitliche Aufgaben übertragen werden sollen oder Rechte und Pflichten von Personen infrage stehen. In diesem Fall müssen die Grundzüge der delegierten Materie in der Delegationsnorm hinreichend umschrieben sein (BGE 144 II 376 E. 7.2; BGE 137 II 409 E. 6.4).

4.

4.1 Die Beschwerdeführerin ist eine ausserhalb der ordentlichen Bundesverwaltung stehende Organisation i.S.v. Art. 19 VG (vgl. vorstehende E. 3.1). Fraglich ist indessen, ob sie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben des Bundes betraut worden ist (vgl. nachstehende E. 4.2-4.4) und insbesondere, ob dafür zum Zeitpunkt des Abschlusses der Rahmenvereinbarung eine hinreichend bestimmte formellgesetzliche Grundlage bestand (vgl. nachstehende E. 5).

4.2 Das BFM hat die in den Asylunterkünften des Bundes anfallenden Sicherheitsdienstleistungen öffentlich ausgeschrieben. Die Beschwerdeführerin erhielt neben anderen den Zuschlag und schloss mit dem BFM am 23. Dezember 2013/7. Januar 2014 die als öffentlich-rechtlicher Vertrag bezeichnete Rahmenvereinbarung betreffend Sicherheitsdienstleistungen sowie Patrouillendienste. Unter dem Titel "Gegenstand des Vertrags" überträgt Art. 2 der Rahmenvereinbarung der Beschwerdeführerin "die Erbringung sämtlicher in den Unterkünften des BFM anfallenden Sicherheitsdienstleistungen", unter anderem für das EVZ Kreuzlingen. Art. 7 der Rahmenvereinbarung umschreibt die anfallenden Aufgaben näher: Sie umfassen den Betrieb der Loge inkl. Zutritts- und Austrittskontrolle, die Gewährleistung von Ruhe, Ordnung und Sicherheit in der Unterkunft sowie auf dem gesamten Unterkunftsgelände (inkl. Schutz der Asylsuchenden und des Personals vor Gefahren, Intervention bei Notfällen, Umgang mit renitenten Personen sowie Durchführung von Personendurchsuchungen) sowie administrative Tätigkeiten in Zusammenhang mit dem Betrieb der Unterkunft (Sicherstellung des Informationsflusses, Mitwirkung bei der Koordination und Überwachung von Terminen der Asylsuchenden, Dokumentation etc.). Art. 9
BGE 148 II 218 S. 225
der Rahmenvereinbarung sieht ferner für die Mitarbeiterprofile "Ordnungsdienst", "Hundeführer" sowie "Ordnungsdienst Patrouille" die "Anwendung von Hilfsmitteln und Waffen" vor, "sofern die zu erfüllende Schutzaufgabe eine solche Ausrüstung erfordert und durch das BFM bewilligt wurde". In Art. 6 der Rahmenvereinbarung erklärt die Beschwerdeführerin, die Anforderungen an private Sicherheitsfirmen gemäss Art. 5 Abs. 1 und 6 der damaligen Verordnung vom 31. Oktober 2007 über den Einsatz privater Sicherheitsfirmen durch den Bund (Verordnung über den Einsatz privater Sicherheitsfirmen, aVES, AS 2007 5226 f.) zu erfüllen.

4.3 Mit der Vorinstanz ist davon auszugehen, dass die Gewährleistung von Sicherheit in einer vom Bund errichteten und geführten Asylunterkunft (vgl. Art. 24 Abs. 1 des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 [AsylG; SR 142.31]) als öffentlich-rechtliche Aufgabe des Bundes zu qualifizieren ist (vgl. Art. 57 BV; Urteil 1B_443/2011 vom 28. November 2011 E. 2.3). Die Rahmenvereinbarung umfasst Aufgaben wie Kontrollen, Personendurchsuchungen oder - wie vorliegend relevant - den Umgang mit renitenten Personen, gegebenenfalls sogar unter Waffeneinsatz (vgl. vorstehende E. 4.2). Dabei handelt es sich um sicherheitspolizeiliche Aufgaben (vgl. Art. 5 und 6 des Bundesgesetzes vom 20. März 2008 über die Anwendung polizeilichen Zwangs und polizeilicher Massnahmen im Zuständigkeitsbereich des Bundes [Zwangsanwendungsgesetz, ZAG; SR 364]), die sich allein gestützt auf die privaten Selbsthilferechte nicht rechtfertigen lassen (vgl. BGE 140 I 2 E. 10). Vielmehr stellen die in der Rahmenvereinbarung vorgesehenen Tätigkeiten mitunter hoheitliches Realhandeln dar (vgl. BGE 144 II 233 E. 4.1; BGE 136 I 87 E. 3.1), welches die Grundrechtspositionen der Asylsuchenden - namentlich ihr Recht auf persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV) und auf Achtung der Privatsphäre (Art. 13 Abs. 1 BV) - tangiert.

4.4 Das Gewaltmonopol liegt beim Staat (Art. 57 BV; BGE 140 I 353 E. 8.7, BGE 140 I 2 E. 10.2.2). Wie oben dargelegt (vgl. vorstehende E. 3.3), gelten damit für eine Auslagerung sicherheitspolizeilicher Aufgaben namentlich in Bezug auf die formellgesetzliche Grundlage (Art. 178 Abs. 3 BV) besonders hohe Anforderungen. Das gilt vorliegend umso mehr, als Sicherheitsaufgaben in Asylunterkünften besondere Risiken und Konfliktpotential bergen (vgl. NIKLAUS OBERHOLZER, Bericht vom 30. September 2021 über die Abklärung von Vorwürfen im Bereich der Sicherheit in den Bundesasylzentren erstattet im Auftrag
BGE 148 II 218 S. 226
des SEM [nachfolgend: Bericht Oberholzer], Ziff. 5.1 f. S. 51 f., www.sem.admin.ch unter Das SEM/Aktuelle Themen/Untersuchungsbericht Oberholzer [besucht am 2. Februar 2022]); ferner MICHEL FÉRAUD, Bericht vom August 2016 über die Abklärung von Vorwürfen betreffend das EVZ Kreuzlingen im Auftrag des SEM [nachfolgend: Bericht Féraud], www.sem.admin.ch unter Publikationen & Service/Berichte [besucht am 2. Februar 2022]).

5.

5.1 In ihrem Art. 1 stützt sich die Rahmenvereinbarung auf aArt. 26 AsylG (in der damals geltenden Fassung vom 1. Juli 2013, AS 2012 5359) i.V.m. aArt. 17 der Asylverordnung 1 über Verfahrensfragen vom 11. August 1999 (Asylverordnung 1, AsylV 1; SR 142.311 [in der damals geltenden Fassung vom 1. Oktober 2013, AS 2013 3067]), Art. 22 Abs. 2 und Art. 23 aAbs. 2 des Bundesgesetzes vom 21. März 1997 über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS; SR 120 [in der damals geltenden Fassung vom 16. Juli 2012, AS 1998 1555]) i.V.m. Art. 3 Abs. 1 der damaligen Verordnung vom 27. Juni 2001 über das Sicherheitswesen in Bundesverantwortung (aVSB; AS 2001 1741 f.) sowie auf die damalige Verordnung über den Einsatz privater Sicherheitsfirmen, (vgl. vorstehende E. 4.2). Durch Auslegung ist zu prüfen, ob diese Bestimmungen eine hinreichende gesetzliche Grundlage bilden für die in der Rahmenvereinbarung vorgesehene - und der potentiell haftungsbegründenden Handlungen zugrunde liegenden - Aufgabenübertragung.

5.2 Ausgangspunkt der Auslegung einer Gesetzesnorm bildet ihr Wortlaut. Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Auslegungen möglich, so muss das Gericht unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente nach der wahren Tragweite der Norm suchen. Dabei hat es insbesondere den Willen des Gesetzgebers zu berücksichtigen, wie er sich namentlich aus den Gesetzesmaterialien ergibt (historische Auslegung). Weiter hat das Gericht nach dem Zweck, dem Sinn und den dem Text zugrunde liegenden Wertungen zu forschen, namentlich nach dem durch die Norm geschützten Interesse (teleologische Auslegung). Wichtig ist auch der Sinn, der einer Norm im Kontext zukommt, und das Verhältnis, in welchem sie zu anderen Gesetzesvorschriften steht (systematische Auslegung). Das Bundesgericht befolgt bei der Auslegung von Gesetzesnormen einen pragmatischen Methodenpluralismus und lehnt es ab, die einzelnen Auslegungselemente einer Prioritätsordnung zu unterstellen
BGE 148 II 218 S. 227
(BGE 146 III 217 E. 5; BGE 145 III 324 E. 6.6 mit Hinweisen). Sind mehrere Auslegungen möglich, ist jene zu wählen, die den verfassungsrechtlichen Vorgaben am besten entspricht. Allerdings findet auch eine verfassungskonforme Auslegung ihre Grenzen im klaren Wortlaut und Sinn einer Gesetzesbestimmung (BGE 141 V 221 E. 5.2.1; BGE 140 V 449 E. 4.2; je mit Hinweisen).

5.3 Zu prüfen ist zunächst, ob aArt. 26 AsylG eine hinreichend bestimmte formellgesetzliche Grundlage darstellt.

5.3.1 Diese Bestimmung lautet wie folgt:
1 Der Bund errichtet Empfangsstellen, die vom Bundesamt geführt werden.
1bis Das Bundesamt kann Asylsuchende, die die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden oder die durch ihr Verhalten den ordentlichen Betrieb der Empfangsstellen erheblich stören, in besonderen Zentren unterbringen, die durch das Bundesamt oder durch kantonale Behörden errichtet und geführt werden. In diesen Zentren können unter den gleichen Voraussetzungen Asylsuchende untergebracht werden, die einem Kanton zugewiesen wurden. Bund und Kantone beteiligen sich im Umfang der Nutzung anteilsmässig an den Kosten der Zentren.
1ter In Zentren nach Absatz 1bis können die gleichen Verfahren durchgeführt werden wie in den Empfangsstellen; ausgenommen ist die Einreichung eines Asylgesuchs.
2 Die Empfangsstelle erhebt die Personalien und erstellt in der Regel Fingerabdruckbogen und Fotografien. Sie kann weitere biometrische Daten erheben und die Asylsuchenden summarisch zum Reiseweg und zu den Gründen befragen, warum sie ihr Land verlassen haben.
2bis Bestehen im Rahmen eines ausländerrechtlichen Verfahrens oder eines Strafverfahrens Hinweise, dass eine angeblich minderjährige ausländische Person das Mündigkeitsalter bereits erreicht hat, so veranlasst die Empfangsstelle ein Altersgutachten.
2ter Das Bundesamt kann Dritte mit Aufgaben zur Sicherstellung des Betriebs der Empfangsstellen und der besonderen Zentren nach Absatz 1bis sowie mit weiteren Aufgaben nach Absatz 2 beauftragen; davon ausgenommen ist die Befragung des Asylsuchenden nach Absatz 2. Die beauftragten Dritten unterstehen der gleichen Schweigepflicht wie das Bundespersonal.
3 Das Departement erlässt Bestimmungen, um ein rasches Verfahren und einen geordneten Betrieb sicherzustellen.
Gemäss dem Wortlaut von aArt. 26 Abs. 2ter AsylG kann das BFM "Dritte mit Aufgaben zur Sicherstellung des Betriebs der Empfangsstellen und der besonderen Zentren nach Absatz 1bis sowie mit
BGE 148 II 218 S. 228
weiteren Aufgaben nach Absatz 2 beauftragen". Während sich die "weiteren Aufgaben" aus Abs. 2 ergeben (Personalienaufnahme, Erstellenvon Fingerabdruckbogen und Fotografien, Erhebung biometrischer Daten etc.), umschreibt das Gesetz nicht näher, welche Aufgabenund Tätigkeiten die "Sicherstellung des Betriebs" ("assurer le fonctionnement", "garantire l'esercizio") umfasst. Aus dem Wortlaut derBestimmung ergibt sich folglich nicht, dass bzw. inwiefern hoheitliche und sicherheitspolizeiliche Verwaltungsaufgaben an Private übertragen werden können.

5.3.2 Der Gesetzgeber hat die Bestimmung von aArt. 26 Abs. 2ter AsylG im Rahmen der Einführung der Vorbereitungsphase erlassen, welche das Asylverfahren durch die notwendigen Vorabklärungen vereinfachen und beschleunigen sollte (Zusatzbotschaft vom 23. September 2011 zur Änderung des Asylgesetzes [Kurzfristige Massnahmen], BBl 2011 7327). Die Zusatzbotschaft hält fest, dass die Regelung, wonach Aufgaben zur Sicherstellung des Betriebs an Dritte übertragen werden können, bisher bereits auf Verordnungsstufe verankert gewesen sei und aus Gründen der Rechtssicherheit und Transparenz nun auf Gesetzesstufe gehoben werden solle, um den Anforderungen des Gesetzmässigkeitsprinzips Rechnung zu tragen, wonach das formelle Gesetz Art, Umfang und Zweck der Aufgabenübertragung festlegen muss (BBl 2011 7341 f.).

5.3.3 Art und Umfang der Aufgabenübertragung ergeben sich betreffend die "Sicherstellung des Betriebs" jedoch gerade nicht mit hinreichender Deutlichkeit aus dem Gesetz (vgl. vorstehende E. 5.3.1). Die Zusatzbotschaft erwähnt weiter, dass das BFM in der Vorbereitungsphase Dritte mit "administrativen Aufgaben" betrauen kann und es so "administrativ entlastet werden" kann (BBl 2011 7341 f.). Es ist unklar, ob damit auch die "Sicherstellung des Betriebs" oder nur die unter Verweis auf Abs. 2 ebenfalls erwähnten "weiteren Aufgaben" gemeint sind. Der Schluss, der Gesetzgeber habe neben den explizit aufgeführten administrativen auch die Übertragung hoheitlicher Aufgaben beabsichtigt, drängt sich ohne entsprechende Hinweise in der Botschaft und im Gesetz nicht auf.

5.3.4 Bei einer systematischen Betrachtung zeigt sich, dass aArt. 17 AsylV 1 die Übertragung von hoheitlichen Aufgaben sogar ausschliesst: "Das BFM kann zur Sicherstellung des Betriebs der Aussenstellen Dritte mit nicht hoheitlichen Aufgaben beauftragen". Der Titel von aArt. 17 AsylV 1 ist - im Gegensatz zu den von
BGE 148 II 218 S. 229
aArt. 26 Abs. 2ter AsylG erfassten Empfangsstellen und besonderen Zentren - zwar auf Aussenstellen beschränkt, verweist indessen ebenfalls auf aArt. 26 Abs. 2ter AsylG. Als Verordnungsbestimmung kann aArt. 17 AsylV 1 die Gesetzesbestimmung von aArt. 26 Abs. 2ter AsylG nicht einschränken. Er bestätigt aber die vorangehende Auslegung (vgl. vorstehende E. 5.3.1. und 5.3.2), dass gestützt auf aArt. 26 AsylG keine hoheitlichen Aufgaben übertragen werden können (anderer Meinung SYLVIE COSSY, in: Code annoté de droit des migrations, Bd. IV: Loi sur l'asile [LAsi], Nguyen/Amarelle [Hrsg.], 2015, N. 48f. zu Art. 26 AsylG).

5.3.5 Fraglich ist schliesslich, inwieweit das SEM selbst überhaupt zur Anwendung polizeilichen Zwangs und polizeilicher Massnahmen befugt ist (vgl. Art. 7 ZAG). Ausserhalb des vorliegenden Verfahrens vertrat es die Auffassung, dass es im Bereich der Unterbringung und Betreuung von asylsuchenden Personen diesbezüglich über keine formellgesetzliche Grundlage verfüge (vgl. Bericht Oberholzer, a.a.O., Ziff. 6.1.2 S. 57 Fn. 117 und 118; Bericht Féraud, a.a.O., Ziff. 3.2 S. 7 Fn. 27). Art. 9 AsylG ermächtigt die "zuständige Behörde" immerhin dazu, in einem Bundeszentrum untergebrachte Asylsuchende zu durchsuchen. Gemäss Art. 3 Abs. 1 der damals in Kraft stehenden Verordnung vom 24. November 2007 über den Betrieb von Unterkünften des Bundes im Asylbereich (AS 2007 6621), welche das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) u.a. gestützt auf aArt. 26 Abs. 3 AsylG erlassen hatte, darf namentlich das Sicherheitspersonal solche Durchsuchungen vornehmen. Diese Verordnungsbestimmung bildet jedoch keine formellgesetzliche Grundlage (vgl. vorstehende E. 3.3.1) und die gesetzliche Delegationsnorm von aArt. 26 Abs. 3 AsylG sieht ihrerseits keine Aufgabenübertragung an Dritte vor (vgl. vorstehende E. 3.3.5).

5.3.6 Mit Blick auf die verfassungsrechtlichen Vorgaben von Art. 178 Abs. 3 BV bildet aArt. 26 AsylG folglich keine hinreichend bestimmte Rechtsgrundlage für die in der Rahmenvereinbarung vorgesehene umfassende Übertragung von Sicherheitsaufgaben. Sie genügt den hohen Anforderung an die Normbestimmtheit der formellgesetzlichen Regelung, wie sie im Bereich der Auslagerung von sicherheitspolizeilichen Aufgaben gelten, nicht.

5.4 Fraglich ist sodann, ob Art. 22 Abs. 2 und Art. 23 aAbs. 2 BWIS i.V.m. Art. 3 Abs. 1 aVSB eine hinreichende gesetzliche Grundlage bilden.
BGE 148 II 218 S. 230

5.4.1 Die Bestimmung von Art. 22 BWIS betreffend "Grundsätze" lautet:
1 Fedpol sorgt in Zusammenarbeit mit den kantonalen Behörden für den Schutz der Behörden und der Gebäude des Bundes sowie der Personen und Gebäude, für welche der Bund völkerrechtliche Schutzpflichten erfüllen muss.
2 Der Bundesrat kann für diese Aufgaben staatliche oder private Schutzdienste einsetzen.
3 Er kann andere geeignete Bedienstete für Schutzaufgaben einsetzen oder bei besonderem Bedarf oder bei erhöhter Bedrohung nach Absprache mit den kantonalen Regierungen den zuständigen kantonalen Behörden zur Verfügung stellen.
4 Das nach diesem Gesetz zum Schutz von Personen, Behörden und Gebäuden eingesetzte Personal darf zur Erfüllung seines Auftrags und, soweit die zu schützenden Rechtsgüter es rechtfertigen, polizeilichen Zwang und polizeiliche Massnahmen anwenden. Das Zwangsanwendungsgesetz vom 20. März 2008 ist anwendbar.
Absatz 2 i.V.m. Absatz 1 von Art. 22 BWIS erlauben somit den Einsatz von privaten Schutzdiensten namentlich zum "Schutz der Behörden und der Gebäude des Bundes", wobei gemäss Absatz 4 zur Erfüllung dieses Auftrags und, soweit die zu schützenden Rechtsgüter es rechtfertigen, polizeilicher Zwang und polizeiliche Massnahmen angewendet werden dürfen.

5.4.2 Die Bestimmung von Art. 22 Abs. 2 BWIS fällt schon deshalb als Rechtsgrundlage ausser Betracht, weil sie es dem Bundesrat vorbehält, private Schutzdienste einzusetzen: Vorliegend war es indessen das BFM, welches mit der Beschwerdeführerin die Rahmenvereinbarung schloss. Sodann kann die Gewährung der Sicherheit in einem Bundesasylzentrum, wo Asylsuchende untergebracht und ihre Grundrechte in erhöhtem Masse tangiert werden (vgl. Art. 28 AsylG; STEFAN TRECHSEL, Die Unterbringung von Asylsuchenden zwischen Freiheitsbeschränkung und Freiheitsentzug, Asyl 3/14 S. 5), nicht mit den Schutzaufgaben im Sinne von Art. 22 Abs. 1 BWIS gleichgestellt werden. Vielmehr geht die Gewährleistung der Sicherheit in einem solch grundrechtsrelevanten Bereich über den blossen Gebäude- oder Behördenschutz hinaus (vgl. hierzu Bericht Oberholzer, a.a.O., Ziff. 6.1.2 S. 58 f.).

5.4.3 Gemäss Art. 23 aAbs. 2 BWIS wird für alle Gebäude, in denen Bundesbehörden untergebracht sind, das Hausrecht von den Vorstehern der untergebrachten Departemente, Gruppen, Ämter oder
BGE 148 II 218 S. 231
anderen Bundesbehörden ausgeübt. Art. 3 Abs. 1 aVSB sieht weiter vor, dass die in Art. 23 aAbs. 2 BWIS genannten Bundesstellen "für ihre Schutzaufgaben private Schutzdienste beiziehen" können. Bereits hinsichtlich der Normstufe genügt die Verordnungsbestimmung von Art. 3 Abs. 1 aVSB nicht für die Übertragung einer öffentlich-rechtlichen Aufgabe, welche formellgesetzlich vorgesehen sein muss (vgl. vorstehende E. 3.3.1; ferner GAMMA, a.a.O., S. 317 f.). Wie in Bezug auf Art. 22 Abs. 2 BWIS gilt ferner, dass der umfassende Sicherheitsdienst in einer Asylunterkunft auch die in Art. 23 aAbs. 2 BWIS i.V.m. Art. 3 Abs. 1 aVSB aufgeführten Schutzaufgaben überschreitet (vgl. vorstehende E. 5.4.2). Namentlich beschränkt sich das Hausrecht auf die Verfügungsgewalt über einen bestimmten Raum und die Durchsetzung der Hausordnung (vgl. Urteil 1B_443/2011 vom 28. November 2011 E. 2.5; THOMAS SÄGESSER, Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz [RVOG], 2007, N. 2 zu Art. 62f RVOG; GAMMA, a.a.O., S. 318 f.).

5.5 Im Ergebnis bildeten weder die damals in Kraft stehenden Bestimmungen des AsylG noch diejenigen des BWIS eine hinreichende formellgesetzliche Grundlage für die gemäss der Rahmenvereinbarung vorgesehene umfassende Übertragung von Sicherheitsaufgaben. Daran ändern schliesslich auch die Verweise auf das Zwangsanwendungsgesetz (vgl. Art. 22 Abs. 4 BWIS) und auf die damals geltende Verordnung über den Einsatz privater Sicherheitsfirmen (vgl. Art. 1 und 6 der Rahmenvereinbarung) nichts. Das ZAG gilt nach dessen Art. 2 Abs. 1 lit. e auch für Private, die von Behörden für die Erfüllung ihrer Aufgaben beigezogen werden, ermächtigt selbst jedoch nicht zur Auslagerung von öffentlich-rechtlichen Aufgaben (vgl. Art. 7 ZAG; DANIEL MOECKLI, Sicherheitsverfassung, in: Verfasungsrecht der Schweiz, Bd. III, Diggelmann/Hertig Randall/Schindler[Hrsg.], 2020, Rz. 40). Dasselbe gilt betreffend die aVES: Sie legt die Mindestvoraussetzungen für den Einsatz privater Sicherheitsfirmen im Fall fest, in welchem der Bund gesetzlich ermächtigt ist, ihnen Schutzaufgaben zu übertragen (vgl. Art. 1 und 3 aVES).

6.

6.1 Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass die Gewährleistung der Sicherheit in einer vom Bund geführten Asylunterkunft als öffentlich-rechtliche Aufgabe des Bundes zu qualifizieren ist (vgl. vorstehende E. 4.3). Für die durch die Rahmenvereinbarung vorgesehene umfassende Übertragung dieser Aufgabe an die Beschwerdeführerin fehlte es im Zeitpunkt des Vertragsschlusses an einer
BGE 148 II 218 S. 232
hinreichend bestimmten formellgesetzlichen Grundlage (vgl. vorstehende E. 3.3 und 5). Insbesondere ist nicht davon auszugehen, dass die im Rahmenvertrag angeführten Gesetzesbestimmungen vorliegend die Auslagerung von Verwaltungsaufgaben im Bereich des staatlichen Gewaltmonopols erlauben sollten (vgl. vorstehende E. 5). Es kann offenbleiben, inwieweit dies, unter Berücksichtigung weiterer verfassungsrechtlicher Gesichtspunkte, überhaupt zulässig wäre.

6.2 Damit kann die Beschwerdeführerin in Bezug auf den haftungsbegründenden Sachverhalt nicht als mit einer öffentlich-rechtlichen Aufgabe des Bundes betraute Organisation i.S.v. Art. 19 VG gelten. Sie ist folglich weder Haftungssubjekt nach dem Verantwortlichkeitsgesetz, noch zuständig, das gegen sie angestrengte Verantwortlichkeitsverfahren zu führen bzw. in dessen Rahmen über die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege zu entscheiden.

6.3 Bei dieser Sachlage bleibt der Bund direkt haftbar. Er kann sich der Verantwortlichkeit für potentielle Schädigungen, die in Erfüllung einer ohne hinreichende formellgesetzliche Grundlage ausgelagerten hoheitlichen Aufgabe entstehen, nicht entziehen. Offengelassen werden kann, inwieweit die Beschwerdeführerin (in Bezug auf untergeordnete Aufgaben) als blosse Verwaltungshelferin auftreten konnte (vgl. TSCHANNEN, a.a.O., S. 173). So oder anders bleibt das potentiell schädigende Verhalten der Beschwerdeführerin dem Bund zurechenbar und dieser - bei gegebenen weiteren Voraussetzungen - vorliegend direkt haftbar (vgl. vorstehende E. 3.2; TSCHANNEN, a.a.O., S. 173).

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Sachverhalt

Erwägungen 2 3 4 5 6

Referenzen

BGE: 144 II 376, 137 II 409, 94 I 628, 141 II 182 mehr...

Artikel: Art. 19 VG, Art. 178 Abs. 3 und Art. 146 BV, Art. 178 BV, Art. 5, 36 sowie 57 BV mehr...