Urteilskopf
149 II 281
26. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Bundesamt für Justiz gegen A. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_393/2022 vom 5. Mai 2023
Regeste
Art. 2 AFZFG; Begriff der Fremdplatzierung; Auswirkung der Adoption durch die Pflegeeltern, bei denen das Kind ursprünglich fremdplatziert wurde.
Rechtliches (E. 3). Ein Kind, das zunächst behördlich bei einer Pflegefamilie fremdplatziert und später durch die Pflegeeltern der gleichen Familie adoptiert wurde, ist auch nach der Adoption von einer Fremdplatzierung im Sinne von Art. 2 lit. b AFZFG betroffen (E. 4).
A. A. wurde nach der Geburt im Februar 1967 seiner Mutter weggenommen und zunächst in einem Diakoniewerk sowie alsdann im Dezember 1967 bei einer Pflegefamilie behördlich fremdplatziert. Die Pflegeeltern dieser Familie adoptierten A. am 19. Juli 1969 im Alter von knapp zweieinhalb Jahren. In der Folge musste A. im Vorschulalter und im schulpflichtigen Alter bei seinen Adoptiveltern körperliche Gewalt durch schwere Schläge sowie wirtschaftliche
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Ausbeutung durch übermässige Beanspruchung seiner Arbeitskraft in der schulfreien Zeit erleiden.
B. Mit Gesuch vom 12. Januar 2018 beantragte A. beim Bundesamt für Justiz (nachfolgend auch: Bundesamt) die Ausrichtung eines Solidaritätsbeitrags für Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen in der Schweiz vor 1981. Mit Verfügung vom 16. Juli 2019 wies das Bundesamt das Gesuch auf Empfehlung der beratenden Kommission ab.
B.a Mit Einsprache vom 16. September 2019 ersuchte der nunmehr anwaltlich vertretene A. neben der Aufhebung der Verfügung vom 16. Juli 2019 auch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung. (...)
Das Bundesamt wies die Einsprache und das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung mit Entscheid vom 4. November 2020 ab und wies darauf hin, dass das Einspracheverfahren kostenlos sei. In der Sache erwog es, dass in der Zeit vor der Adoption im Diakoniewerk und bei den Pflegeeltern keine Anhaltspunkte für eine Opfereigenschaft von A. vorliegen würden. Nach der Adoption sei nicht mehr von einer Fremdplatzierung im Sinne des Gesetzes auszugehen, weshalb er die Anspruchsvoraussetzungen nicht erfülle.
B.b Gegen den Einspracheentscheid des Bundesamts vom 4. November 2020 erhob A. am 7. Dezember 2020 Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht. Er beantragte die Aufhebung des angefochtenen Einspracheentscheids und die Gutheissung seines Gesuchs um Ausrichtung eines Solidaritätsbeitrags. Zudem ersuchte er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung. (...)
Mit Verfügung vom 28. Januar 2021 gewährte das Bundesverwaltungsgericht A. die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. Mit Urteil vom 30. März 2022 hiess das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gut. Es hob den Einspracheentscheid vom 4. November 2020 auf und wies die Angelegenheit zur Abklärung der Opfereigenschaft im Sinne der Erwägungen an das Bundesamt zurück. Im Weiteren wies es in Gutheissung des Gesuchs um Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung das Bundesamt an, A. für das Einspracheverfahren eine Entschädigung in der Höhe von Fr. 2'219.- auszurichten.
C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 20. Mai 2022 gelangt das Bundesamt für Justiz an das
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Bundesgericht. Es beantragt die Aufhebung des Urteils vom 30. März 2022, soweit es nicht die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung im Einspracheverfahren betreffe. Das Gesuch von A. vom 12. Januar 2018 sei abzuweisen.
(Auszug)
Aus den Erwägungen:
3. Das Bundesgesetz vom 30. September 2016 über die Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981 (AFZFG; SR 211.223.13) bezweckt die Anerkennung und Wiedergutmachung des Unrechts, das den Opfern von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen in der Schweiz vor 1981 zugefügt worden ist (vgl.
Art. 1 Abs. 1 AFZFG). Das Bundesgesetz geht auf den indirekten Gegenvorschlag zurück, den der Bundesrat als Reaktion auf die Volksinitiative "Wiedergutmachung für Verdingkinder und Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen (Wiedergutmachungsinitiative)" erarbeitet hat (vgl. Botschaft vom 4. Dezember 2015 zur Volksinitiative "Wiedergutmachung für Verdingkinder und Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen [Wiedergutmachungsinitiative]" und zum indirekten Gegenvorschlag [Bundesgesetz über die Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981], BBl 2016 101 ff., 102 f.). Das Bundesgesetz ist am 1. April 2017 in Kraft getreten (vgl. AS 2017 753 ff., S. 761). Es regelt unter anderem den Solidaritätsbeitrag zugunsten von Opfern (vgl.
Art. 1 Abs. 3 lit. a AFZFG; vgl. auch
Art. 4 Abs. 1 AFZFG).
Als
Opfer gelten gemäss
Art. 2 lit. d AFZFG in Verbindung mit
Art. 2 lit. c AFZFG die von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen oder Fremdplatzierungen betroffenen Personen, deren körperliche, psychische oder sexuelle Unversehrtheit oder deren geistige Entwicklung unmittelbar und schwer beeinträchtigt worden ist, insbesondere durch körperliche oder psychische Gewalt (Ziff. 1), sexuellen Missbrauch (Ziff. 2), unter Druck erfolgte Kindswegnahme und Freigabe zur Adoption (Ziff. 3), unter Druck oder in Unkenntnis der Betroffenen erfolgte Medikation oder Medikamentenversuche (Ziff. 4), unter Druck oder in Unkenntnis der Betroffenen erfolgte Sterilisierung oder Abtreibung (Ziff. 5), wirtschaftliche Ausbeutung durch übermässige Beanspruchung der Arbeitskraft oder Fehlen einer angemessenen Entlöhnung (Ziff. 6), gezielte Behinderung der persönlichen Entwicklung und Entfaltung (Ziff. 7) oder durch soziale
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Stigmatisierung (Ziff. 8). Unter den
fürsorgerischen Zwangsmassnahmen versteht das Gesetz die vor 1981 in der Schweiz von Behörden veranlassten und von diesen oder in deren Auftrag und unter deren Aufsicht vollzogenen Massnahmen zum Schutz oder zur Erziehung von Kindern, Jugendlichen oder Erwachsenen (vgl.
Art. 2 lit. a AFZFG). Als
Fremdplatzierung bezeichnet der Gesetzgeber die vor 1981 in der Schweiz von Behörden oder Privaten veranlasste Unterbringung von Kindern und Jugendlichen ausserhalb ihrer Familie in Heimen oder Anstalten, bei Kost- oder Pflegefamilien oder in gewerblichen oder landwirtschaftlichen Betrieben (vgl.
Art. 2 lit. b AFZFG).
4. Gerügt wird eine rechtsfehlerhafte Anwendung von
Art. 2 AFZFG durch die Vorinstanz.
4.1 Das
Bundesamt macht geltend, die vorliegende Angelegenheit sei in tatsächlicher Hinsicht unbestritten (vgl. auch Bst. A hiervor). Die Integritätsverletzungen hätten beim Beschwerdegegner allerdings
nach seiner Adoption stattgefunden. Schwere und unmittelbare Integritätsverletzungen während den Fremdplatzierungen im Diakoniewerk und bei den Pflegeeltern
vor seiner Adoption im Alter von rund zweieinhalb Jahren mache der Beschwerdegegner denn auch nicht geltend. Das Bundesamt vertritt die Auffassung, dass der Beschwerdegegner mit der Adoption durch seine vorherigen Pflegeeltern nicht mehr "fremd" sei, sondern mit dem Adoptionsakt zum "eigenen" Kind der Adoptivfamilie werde. Entsprechend liege ab dem Zeitpunkt der Adoption keine Fremdplatzierung im Sinne von
Art. 2 lit. b AFZFG vor. Im Übrigen habe ab diesem Zeitpunkt auch keine behördliche Aufsichtspflicht über den Beschwerdegegner mehr bestanden.
4.2 Die
Vorinstanz erwägt, Opfer der Kindswegnahme und unter Druck erfolgten Freigabe zur Adoption sei zwar die Mutter des Beschwerdegegners. Aber die von der Wegnahme betroffenen Kinder könnten ebenso Opfer sein, wenn sie im Zuge der auf diese Wegnahme folgenden Platzierungen unmittelbar und schwer beeinträchtigt worden seien. Auch nach der Adoption sei daher von einer Fremdplatzierung auszugehen. Das Bundesamt habe die mögliche Beeinträchtigung der physischen und psychischen Integrität des Beschwerdegegners infolge der Platzierung auch für die Zeit nach der Adoption abschliessend zu klären.
4.3 Der
Beschwerdegegner bringt vor, er sei unmittelbar betroffen und ersuche um einen Beitrag als Anerkennung und
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Wiedergutmachung für sein eigenes Leiden, an dessen Ursprung die behördlich veranlasste Kindswegnahme und Fremdplatzierung sowie "Zwangsadoption" stehe. Die Pflegeeltern, bei welchen er auf behördliche Anordnung hin zunächst fremdplatziert worden sei, hätten ihn alsdann im Alter von rund zweieinhalb Jahren adoptiert. Es handle sich nach wie vor um die gleiche Familie. Es dürfe für die Beurteilung seiner Integritätsverletzungen keinen Unterschied machen, ob er bei einer Pflegefamilie fremdplatziert oder später als Adoptivkind bei der gleichen Familie weitergelebt habe. Sowohl die ursprüngliche Fremdplatzierung als auch die spätere "Zwangsadoption" seien in der behördlichen Verantwortung gestanden.
4.4 Gemäss
Art. 4 Abs. 1 AFZFG haben Opfer Anspruch auf einen Solidaritätsbeitrag. Als Opfer im Sinne des Gesetzes gilt eine von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen
oder Fremdplatzierungen betroffene Person (vgl.
Art. 2 lit. c AFZFG), die Integritätsverletzungen erlitten hat (vgl.
Art. 2 lit. d Ziff. 1-8 AFZFG). Die Opfereigenschaft als Anspruchsvoraussetzung im Sinne von
Art. 4 Abs. 1 AFZFG verlangt folglich nach einer Betroffenheit - entweder durch eine fürsorgerische Zwangsmassnahme oder durch eine Fremdplatzierung - sowie kumulativ dazu nach einer Integritätsverletzung.
Unter den Verfahrensbeteiligten ist unbestritten, dass der Beschwerdegegner nach seiner Adoption durch seine vormaligen Pflegeeltern im Vorschulalter und im schulpflichtigen Alter Integritätsverletzungen in Form von körperlicher Gewalt durch schwere Schläge und in Form von wirtschaftlicher Ausbeutung durch übermässige Beanspruchung seiner Arbeitskraft in der schulfreien Zeit erlitt. Weiter sind sich die Verfahrensbeteiligten zu Recht einig, dass vor der Adoption des Beschwerdegegners durch die Pflegeeltern eine behördlich angeordnete Fremdplatzierung bei der Pflegefamilie vorlag. Umstritten ist allerdings, ob der Beschwerdegegner nach der Adoption weiterhin als fremdplatziert zu betrachten ist. Es ist daher zu prüfen, ob der Beschwerdegegner auch nach der Adoption noch von einer Fremdplatzierung im Sinne von Art. 2 lit. b AFZFG betroffen war, sodass er in Verbindung mit den erstellten Integritätsverletzungen die Opfereigenschaft erfüllen kann.
4.5 Wie der Beschwerdegegner zutreffend vorbringt, zeichnet sich die vorliegende Angelegenheit durch einen besonderen Umstand aus: Die Pflegefamilie, bei welcher er behördlich fremdplatziert wurde, ist die gleiche Familie, deren Eltern ihn später im Alter von rund
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zweieinhalb Jahren adoptierten. Ob der Beschwerdegegner trotz Adoption durch seine Pflegeeltern weiterhin als eine von einer
Fremd
platzierung betroffene Person im Sinne von
Art. 2 lit. b AFZFG zu betrachten ist, bedarf der Auslegung des Gesetzes.
4.5.1 Das Gesetz muss in erster Linie aus sich selbst heraus, das heisst nach dem Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zu Grunde liegenden Wertungen auf der Basis einer teleologischen Verständnismethode ausgelegt werden. Die Gesetzesauslegung hat sich vom Gedanken leiten zu lassen, dass nicht schon der Wortlaut die Norm darstellt, sondern erst das an Sachverhalten verstandene und konkretisierte Gesetz. Gefordert ist die sachlich richtige Entscheidung im normativen Gefüge, ausgerichtet auf ein befriedigendes Ergebnis der ratio legis. Dabei befolgt das Bundesgericht einen pragmatischen Methodenpluralismus und lehnt es namentlich ab, die einzelnen Auslegungselemente einer hierarchischen Prioritätsordnung zu unterstellen. Insbesondere bei jüngeren Gesetzen sind auch die Gesetzesmaterialien zu beachten, wenn sie auf die streitige Frage eine klare Antwort geben und dem Gericht damit weiterhelfen (vgl.
BGE 148 II 475 E. 4.3.1;
BGE 146 II 201 E. 4.1;
BGE 144 III 100 E. 5.2;
BGE 141 III 155 E. 4.2).
4.5.2 Das Bundesgesetz über die Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981 adressiert die vorliegend zu beurteilende Konstellation (Adoption durch die vormaligen Pflegeeltern) in grammatikalischer Hinsicht nicht ausdrücklich. Allerdings definiert das Gesetz den Begriff der Fremdplatzierung in
Art. 2 lit. b AFZFG als "die [...] von Behörden oder Privatenveranlasste Unterbringung von Kindern und Jugendlichen ausserhalb ihrer Familie". Der Wortlaut der Begriffsdefinition spricht daher dafür, die Frage, ob eine Person von einer Fremdplatzierung betroffen ist, aus
ihrer Perspektive, und nicht aus einer anderen, namentlich nicht aus der Perspektive der adoptierenden Familie zu beantworten. Dass sich aus Sicht des Kindes aufgrund seiner späteren Adoption an der ursprünglich behördlich angeordneten Fremdplatzierung etwas ändern sollte, ergibt sich jedenfalls nicht aus dem Wortlaut der Begriffsdefinitionen in
Art. 2 lit. b AFZFG.
4.5.3 Das Gesetz bezweckt gemäss
Art. 1 Abs. 1 AFZFG die Anerkennung und Wiedergutmachung des Unrechts, das den Opfern von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen in der Schweiz vor 1981 zugefügt worden ist. "Es ist das Ziel der Vorlage, das den Opfern zugefügte Leid und die damit verbundenen
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belastenden Auswirkungen auf ihr ganzes Leben anzuerkennen", wobei der Beitrag gestützt auf
Art. 4 Abs. 1 AFZFG als "Zeichen der Wiedergutmachung und Solidarität" zu verstehen ist (BBl 2016 118). Vor diesem Hintergrund widerspricht es dem Sinn und Zweck des Gesetzes, den Anspruch auf die Ausrichtung eines Solidaritätsbeitrags im Grundsatz restriktiv zu handhaben und die Frage, ob eine Person von einer Fremdplatzierung im Sinne von
Art. 2 lit. b AFZFG betroffen ist, gestützt auf rein formal-juristische Überlegungen zu beantworten. Auch die teleologische Auslegung deutet somit an, dass das Kind nach einer Adoption durch die Pflegeeltern, bei denen es ursprünglich auf Verantwortung der Behörde hin platziert wurde, weiterhin als fremdplatziert im Sinne von
Art. 2 lit. b AFZFG zu betrachten ist.
4.5.4 Im Weiteren ergibt sich auch aus den Materialien, dass der Gesetzgeber mit Blick auf den Begriff der Betroffenheit von vornherein von einem breiten Begriffsverständnis ausgegangen ist. So wird in der Botschaft ausgeführt, zu "den Betroffenen zählen etwa Verdingkinder, Heimkinder, sogenannte 'administrativ Versorgte' (Personen, die im Rahmen administrativer Massnahmen in geschlossene Anstalten, zum Teil sogar in Strafanstalten eingewiesen wurden), Personen, deren Reproduktionsrechte verletzt wurden (unter Zwang oder ohne Zustimmung erfolgte Abtreibungen, Sterilisierungen, Kastrationen), Zwangsadoptierte, Fahrende etc." (BBl 2016 102). Auch der gesetzgeberische Wille, der im Rahmen des indirekten Gegenvorschlags zur "Wiedergutmachungsinitiative" zum Ausdruck kommt, spricht dafür, den Beschwerdegegner trotz Adoption durch seine Pflegeeltern weiterhin als eine von einer Fremdplatzierung betroffene Person zu betrachten.
4.6 Gestützt auf die dargelegte Auslegung greift die Auffassung des Bundesamts zu kurz.
4.6.1 Zwar mag es aus adoptionsrechtlicher Sicht zutreffen, dass mit der Adoption das "fremde" Kind zu einem Mitglied der Adoptivfamilie wird, womit es als "eigenes" Kind betrachtet werden kann. Allerdings ist der Begriff der Fremdplatzierung im Sinne von
Art. 2 lit. b AFZFG nicht aus der Perspektive der adoptierenden Familie, sondern aus Sicht des Beschwerdegegners zu lesen (vgl. E. 4.5.2 hiervor). Aus Sicht des Beschwerdegegners ist im Grundsatz die Familie, in die er geboren wurde, die "eigene" und jede andere Familie eine "fremde".
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4.6.2 Die Behörden platzierten den Beschwerdegegner nach der Wegnahme bei seiner Mutter bei einer Pflegefamilie. Danach erfolgte die Adoption des Beschwerdegegners durch die Pflegeeltern der
gleichen Familie. Daraufhin übten die Adoptiveltern im Vorschulalter und im schulpflichtigen Alter des Beschwerdegegners an ihm körperliche Gewalt aus und beuteten ihn wirtschaftlich aus, indem sie seine Arbeitskraft in der schulfreien Zeit übermässig beanspruchten. Die behördliche Platzierung bei der Pflegefamilie, die unbestrittenermassen als Fremdplatzierung im Sinne von
Art. 2 lit. b AFZFG gilt, stand folglich am
Ursprung der vom Beschwerdegegner erlittenen Integritätsverletzungen. Die Behörden hatten zwar, wie das Bundesamt zutreffend vorbringt, nach der Adoption die vormalige Pflegefamilie nicht mehr zu beaufsichtigten. Allerdings trugen sie im Rahmen der (ursprünglichen) Platzierung die Verantwortung für die Auswahl der Pflege- und späteren Adoptivfamilie.
4.6.3 In dieser Konstellation muss es dem Kind möglich sein, sich auch noch auf das nach seiner Adoption erlittene Unrecht zu berufen. Es darf für das bei einer fremden Familie behördlich platzierte Kind keinen Unterschied machen, ob diese Familie die Integritätsverletzungen vor der Adoption als Pflegefamilie oder erst nach der Adoption als Adoptivfamilie begangen hat. Die massgebende Begriffsdefinition spricht bei Kindern, die zuerst bei einer Familie behördlich fremdplatziert und später durch die Eltern
derselben Familie adoptiert worden sind, dafür, die Adoptivfamilie aus Sicht des Kindes auch nach der Adoption weiterhin als fremd zu betrachten. Deshalb hat der Beschwerdegegner vorliegend auch nach seiner Adoption weiterhin als fremdplatziert im Sinne von
Art. 2 lit. b AFZFG zu gelten, womit er auch nach der Adoption von einer Fremdplatzierung betroffen war und die Opfereigenschaft nach
Art. 2 lit. d AFZFG nach wie vor erfüllen kann.
4.7 Nach dem Dargelegten hat die Vorinstanz die Angelegenheit im Ergebnis zu Recht an das Bundesamt zur Abklärung der Opfereigenschaft des Beschwerdegegners zurückgewiesen.