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Chapeau

149 V 177


17. Auszug aus dem Urteil der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. IV-Stelle des Kantons St. Gallen gegen A. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
8C_661/2022 vom 26. Juni 2023

Regeste

Art. 17 LPGA; art. 87 al. 3 en lien avec l'al. 2 RAI; nouvelle demande de mesures de réadaptation; vraisemblance d'une modification notable des circonstances de fait.
Confirmation de la jurisprudence de longue date selon laquelle, même en cas de mesures de réadaptation, une nouvelle demande après un refus de prestations entré en force ne doit être examinée, en application par analogie de l'art. 87 al. 2 et 3 RAI, que lorsqu'a été rendue vraisemblable une modification des circonstances de fait déterminante pour le droit aux prestations (consid. 4).

Faits à partir de page 177

BGE 149 V 177 S. 177

A.

A.a A. (geb. 1972) meldete sich im März 2016 zum Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung (berufliche Integration/Rente) an.
BGE 149 V 177 S. 178
Im Auftrag der IV-Stelle erstattete die Medizinische Abklärungsstelle Bern ZVMB GmbH am 3. Februar 2020 ein polydisziplinäres Gutachten. Mit Vorbescheid vom 26. März 2020 teilte die IV-Stelle A. mit, dass sie eine Abweisung des Begehrens auf Leistungen der Invalidenversicherung vorsehe. Mit Verfügung vom 10. September 2020 entschied die IV-Stelle im Sinne des Vorbescheids. Diese Verfügung wurde unangefochten rechtskräftig.

A.b Am 14. September 2021 gelangte A. erneut an die IV-Stelle des Kantons St. Gallen und ersuchte um Versicherungsleistungen. Mit Vorbescheid vom 21. Oktober 2021 kündigte ihr die IV-Stelle an, mangels Glaubhaftmachens einer relevanten Sachverhaltsveränderung nicht auf das Leistungsbegehren einzutreten. Mit Verfügung vom 12. Januar 2022 trat sie auf das Leistungsbegehren um berufliche Massnahmen und Rentenleistungen nicht ein.

B. Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht St. Gallen mit Entscheid vom 12. Oktober 2022 insofern teilweise gut, als es die Verfügung der IV-Stelle vom 12. Januar 2022 mit Bezug auf den Nichteintretensentscheid betreffend berufliche Massnahmen aufhob und die Sache zur materiellen Prüfung des Gesuchs an die IV-Stelle zurückwies. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat.

C. Die IV-Stelle führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt, der vorinstanzliche Entscheid sei unter Bestätigung der Verfügung vom 12. Januar 2022 vollumfänglich aufzuheben. Eventualiter sei der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen beantragt sinngemäss die Abweisung der Beschwerde. A. lässt auf Nichteintreten auf die Beschwerde bzw. auf deren Abweisung schliessen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung des Anspruchs auf eine Invalidenrente gemäss Replik im vorinstanzlichen Verfahren an das Versicherungsgericht zurückzuweisen. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) beantragt die Gutheissung der Beschwerde der IV-Stelle und die Aufhebung des Urteils des Versicherungsgerichts.
Mit Eingabe vom 3. Mai 2022 bekräftigt A. ihren Standpunkt.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
BGE 149 V 177 S. 179

Considérants

Aus den Erwägungen:

4.

4.1 Das kantonale Gericht begründet seine Praxis wie folgt:
Art. 29 ATSG sehe ein jederzeitiges Anmelderecht in Bezug auf Sozialversicherungsleistungen und damit notwendigerweise auch einen Anspruch auf das Eintreten auf jede Anmeldung resp. auf eine materielle Behandlung jeder Anmeldung vor. Da die Bestimmung nicht zwischen einer erstmaligen Anmeldung und einer sogenannten Neu- oder Wiederanmeldung, also einer erneuten Anmeldung nach einer formell rechtskräftigen Abweisung eines früheren Gesuchs, unterscheide und sich eine solche Differenzierung auch nicht mit dem Sinn und Zweck des Anmelderechts vereinbaren liesse, müsse der uneingeschränkte Anspruch auf das Eintreten auf ein Leistungsbegehren auch für Neuanmeldungen gelten. Dieser Anspruch werde durch Art. 87 Abs. 3 IVV (SR 831.201) nur für ganz bestimmte Leistungsarten eingeschränkt, nämlich für die Rente, für die Hilflosenentschädigung und für den Assistenzbeitrag. Die ratio legis dieser Norm bestehe darin, die IV-Stellen vor jenem Aufwand zu schützen, mit dem diese konfrontiert wären, wenn Versicherte repetitiv Anmeldungen zum Leistungsbezug einreichen könnten, die von den IV-Stellen jedes Mal wieder umfassend materiell geprüft werden müssten. Art. 87 Abs. 3 IVV habe eine Durchbrechung des jederzeitigen Anspruchs auf eine materielle Prüfung einer Anmeldung zur Folge. Die Bestimmung könne gerade noch als gesetzmässig und als vom Vollzugsverordnungsauftrag (Art. 86 Abs. 2 Satz 1 IVG) erfasst qualifiziert werden. Denn die Sachverhaltsabklärung bezüglich der genannten Leistungen - Rente, Hilflosenentschädigung und Assistenzbeitrag - erweise sich in aller Regel als äusserst aufwändig, weshalb diesbezüglich ein gewisser "Schutzbedarf" der Verwaltung vor repetitiven Neuanmeldungen anerkannt werden könne.
Demgegenüber entstehe bei anderen Leistungsarten, wie zum Beispiel bei der Hilfsmittelversorgung oder der Umschulung, nur selten ein vergleichbar hoher Abklärungsaufwand. Eine Ausweitung des Anwendungsbereichs des Art. 87 Abs. 3 IVV auf von dessen Wortlaut nicht erfasste Leistungen der Invalidenversicherung und damit einhergehend die Beschränkung des Eintretensgrundsatzes sei daher unverhältnismässig und nicht zu rechtfertigen. Selbst wenn der Wortlaut von Art. 87 Abs. 3 IVV alle Leistungsarten umfassen würde, wäre die Verordnungsbestimmung gesetzeswidrig, da keine Anhaltspunkte bestünden, dass der Gesetzgeber Art. 29 ATSG hätte
BGE 149 V 177 S. 180
einschränken wollen. Ebenso wenig sei davon auszugehen, dass der Verordnungsgeber es versehentlich versäumt hätte, in Art. 87 Abs. 3 IVV weitere Leistungsarten zu erwähnen. Mithin fehle für die Annahme einer entsprechenden ausfüllungsbedürftigen Verordnungslücke jeder Hinweis. Im Rahmen der IV-Revision 6a habe der Verordnungsgeber bewusst nur den Assistenzbeitrag als dritte Leistungsart in Art. 87 Abs. 3 IVV ergänzt. Die Aufzählung müsse deshalb als vollständig und abschliessend qualifiziert werden. Auf Neuanmeldungen betreffend berufliche Massnahmen könne Art. 87 Abs. 3 IVV also offensichtlich nicht angewendet werden. Mithin sei auf jede Neuanmeldung einzutreten, was eine materielle Prüfung nach sich ziehe.

4.2 Art. 87 Abs. 2 und 3 IVV lauten in der seit 1. Januar 2012 geltenden Fassung wie folgt:
2 Wird ein Gesuch um Revision eingereicht, so ist darin glaubhaft zu machen, dass sich der Grad der Invalidität oder Hilflosigkeit oder die Höhe des invaliditätsbedingten Betreuungsaufwandes oder Hilfebedarfs des Versicherten in einer für den Anspruch erheblichen Weise geändert hat.
3 Wurde eine Rente, eine Hilflosenentschädigung oder ein Assistenzbeitrag wegen eines zu geringen Invaliditätsgrades, wegen fehlender Hilflosigkeit oder weil aufgrund des zu geringen Hilfebedarfs kein Anspruch auf einen Assistenzbeitrag entsteht, verweigert, so wird eine neue Anmeldung nur geprüft, wenn die Voraussetzungen nach Absatz 2 erfüllt sind.
Vor Einführung des Assistenzbeitrages mit der IV-Revision 6a, das heisst bis zum 31. Dezember 2011, waren das Revisionsgesuch und die Neuanmeldung in Art. 87 Abs. 3 und 4 IVV wie folgt geregelt:
3 Wird ein Gesuch um Revision eingereicht, ist darin glaubhaft zu machen, dass sich der Grad der Invalidität oder der Hilflosigkeit oder die Höhe des invaliditätsbedingten Betreuungsaufwandes des Versicherten in einer für den Anspruch erheblichen Weise geändert hat.
4 Wurde eine Rente oder eine Hilflosenentschädigung wegen eines zu geringen Invaliditätsgrades oder wegen fehlender Hilflosigkeit verweigert, so wird eine neue Anmeldung nur geprüft, wenn die Voraussetzungen gemäss Absatz 3 erfüllt sind.
Weder in der früher noch in der aktuell geltenden Fassung der IVV werden demnach die Eingliederungsmassnahmen in Art. 87 IVV erwähnt.
BGE 149 V 177 S. 181

4.3

4.3.1 Mit BGE 105 V 173 dehnte das damalige Eidgenössische Versicherungsgericht (EVG) die Revisionsvorschriften (aArt. 41 IVG; aArt. 86, aArt. 88a und aArt. 88bis IVV), die sich lediglich auf Renten und Hilflosenentschädigungen bezogen, auf die Eingliederungsleistungen aus (E. a mit Verweis auf ein nicht veröffentlichtes Urteil vom 25. Oktober 1966 i.S. Knecht). Eine nähere Begründung lässt sich dem Entscheid nicht entnehmen.

4.3.2 In BGE 109 V 119 hielt das EVG unter Bezugnahme auf BGE 105 V 173 fest, aArt. 87 Abs. 4 IVV betreffe - trotz seiner Stellung im Abschnitt E ("Die Revision der Rente und der Hilflosenentschädigung") - zwar nicht die eigentliche materiellrechtliche Revision laufender Leistungen, sondern einen anderen Sachverhalt, nämlich die Neuprüfung nach vorangegangener Leistungsverweigerung. Es rechtfertige sich aber, die Rechtsprechung gemäss BGE 105 V 173 auch auf aArt. 87 Abs. 4 IVV auszudehnen und diese Bestimmung ebenfalls in analoger Weise auf Eingliederungsleistungen anzuwenden. Aufgrund der dortigen Verweisung auf aArt. 87 Abs. 3 IVV sei daher, wenn eine Eingliederungsleistung verweigert worden sei, eine neue Anmeldung nur zu prüfen, wenn die versicherte Person glaubhaft mache, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse in einer für den Anspruch erheblichen Weise geändert hätten (BGE 109 V 119 E. 3a). Mit aArt. 87 Abs. 4 IVV solle verhindert werden, dass sich die Verwaltung nach vorangegangener rechtskräftiger Leistungsverweigerung immer wieder mit gleichlautenden und nicht näher begründeten Gesuchen befassen müsse. Nach Eingang einer Neuanmeldung sei die Verwaltung zunächst zur Prüfung verpflichtet, ob die Vorbringen des Versicherten überhaupt glaubhaft seien; verneine sie dies, so erledige sie das Gesuch ohne weitere Abklärungen durch Nichteintreten. Dabei habe sie unter anderem zu berücksichtigen, ob die frühere Verfügung nur kurze oder schon längere Zeit zurückliege, und werde dementsprechend an die Glaubhaftmachung höhere oder weniger hohe Anforderungen stellen (BGE 109 V 119 E. 3b).

4.3.3 Seither bestätigten das EVG und das Bundesgericht wiederholt, dass für Eingliederungsmassnahmen analoge Revisionsvoraussetzungen wie für Renten gelten (vgl. BGE 135 I 161; BGE 113 V 22; Urteil 9C_411/2019 vom 12. Juli 2019 E. 5.1).

4.4 Die vorinstanzliche Ansicht, bei einer Neuanmeldung betreffend berufliche Massnahmen müsse keine Sachverhaltsänderung
BGE 149 V 177 S. 182
glaubhaft gemacht werden, widerspricht nach dem Gesagten langjähriger bundesgerichtlicher Rechtsprechung, welcher die Lehre - soweit ersichtlich - mit wenig Kritik begegnet ist.

4.5 Eine Änderung der Rechtsprechung muss sich auf ernsthafte sachliche Gründe stützen können, die - vor allem im Hinblick auf das Gebot der Rechtssicherheit - umso gewichtiger sein müssen, je länger die als falsch oder nicht mehr zeitgemäss erkannte Rechtsanwendung für zutreffend erachtet worden ist. Eine Praxisänderung lässt sich grundsätzlich nur begründen, wenn die neue Lösung besserer Erkenntnis des Gesetzeszwecks, veränderten äusseren Verhältnissen oder gewandelten Rechtsanschauungen entspricht (BGE 147 V 342 E. 5.5.1; BGE 146 I 105 E. 5.2.2; BGE 145 V 50 E. 4.3.1; BGE 141 II 297 E. 5.5.1; BGE 140 V 538 E. 4.5; je mit Hinweisen).

4.6 Die Vorinstanz scheint von einer besseren Erkenntnis des Gesetzeszwecks auszugehen. Der von ihr zur Begründung ihres Standpunktes herangezogene Art. 29 ATSG hält in Absatz 1 das Anmeldeprinzip fest. Es entspricht dabei einem allgemeinen Grundsatz des Sozialversicherungsrechts, dass der Leistungsanspruch eine Anmeldung voraussetzt und eine Leistungsausrichtung nicht von Amtes wegen erfolgt. Dabei handelt es sich um eine besondere Auswirkung der (notwendigen) Mitwirkung der versicherten Person (Urteil 8C_878/2018 vom 21. August 2019 E. 4.5.1 mit Hinweisen). Solange keine Anmeldung erfolgt ist, werden auch keine Sozialversicherungsleistungen ausgerichtet (PÄRLI/KUNZ, in: Basler Kommentar, Allgemeiner Teil des Sozialversicherungsrechts, 2020, N. 9 zu Art. 29 ATSG). Auch wenn der Wortlaut von Art. 29 ATSG nicht zwischen erstmaliger und erneuter Anmeldung zum Leistungsbezug unterscheidet, besteht doch ein bedeutender Unterschied zwischen den beiden Anmeldungsarten: So liegt im Fall einer Neuanmeldung eine in Rechtskraft erwachsene Verfügung vor, mit welcher eine Leistung verweigert wurde. Die Ablehnung des Leistungsanspruchs durch eine negative Verfügung schliesst die erneute Einreichung des Begehrens nicht aus. Jedoch steht die Rechtsbeständigkeit der rechtskräftigen Verwaltungsverfügung einer neuen Prüfung so lange entgegen, als der seinerzeit beurteilte Sachverhalt - ohne Rücksicht auf allenfalls anhaftende Rechtsmängel - sich in der Zwischenzeit nicht verändert hat (vgl. Urteil I 489/05 vom 4. April 2007 E. 4.3, nicht publ. in: BGE 133 V 263, aber in: SVR 2007 IV Nr. 40 S. 135). Dementsprechend sieht Art. 87 Abs. 3 IVV die Hürde des Glaubhaftmachens vor im Falle einer Neuanmeldung nach rechtskräftiger
BGE 149 V 177 S. 183
Leistungsverweigerung. Damit soll verhindert werden, dass sich die Verwaltung nach vorangegangener rechtskräftiger Rentenverweigerung immer wieder mit gleichlautenden und nicht näher begründeten, d.h. keine Veränderung des Sachverhalts darlegenden Gesuchen befassen muss (BGE 130 V 64 E. 5.2.3; BGE 117 V 198 E. 4b mit Hinweisen). Für die Eintretenshürde besteht somit ein sachlicher Grund, nämlich die Vermeidung eines unnötigen Verfahrensaufwandes bei repetitiven Neuanmeldungen, wie auch die Vorinstanz für die in Art. 87 Abs. 3 IVV ausdrücklich genannten Leistungsarten anerkennt.
Die versicherten Personen haben somit jederzeit die Möglichkeit, nach rechtskräftiger Verweigerung einer Leistung ein neues Leistungsgesuch zu stellen. Die IV-Stelle hat in der Folge zu prüfen, ob eine erhebliche Tatsachenänderung glaubhaft gemacht ist. Das Recht auf jederzeitige Neuanmeldung eines Leistungsbegehrens bleibt damit auch unter Anwendung von Art. 87 Abs. 2 und 3 IVV gewahrt.

4.7 Das Erfordernis des Glaubhaftmachens einer rechtserheblichen Tatsachenveränderung hat auch im Falle einer Neuanmeldung für Eingliederungsmassnahmen seine Berechtigung. Auch hier wurde vorgängig ein Leistungsanspruch rechtskräftig verneint, womit eine Anpassung der ergangenen Verfügung ebenfalls unter dem Vorbehalt einer späteren Sachverhaltsveränderung steht. Es mag zwar sein, dass bei Eingliederungsmassnahmen der Abklärungsaufwand in der Regel geringer ausfällt als bei den in Art. 87 Abs. 3 IVV ausdrücklich aufgeführten Leistungsarten (Rente, Hilflosenentschädigung, Assistenzbeitrag). Das BSV weist in seiner Vernehmlassung aber zu Recht auf den engen Konnex zwischen Eingliederungs- und Rentenverfahren hin (gemeinsames Anmeldeformular; ineinander verwobener Bearbeitungsprozess; gegenseitige Beeinflussung und Abhängigkeit der jeweiligen Abklärungsergebnisse). Diese sachlogische Nähe der Rente zur Eingliederung und der im Sozialversicherungsrecht geltende Untersuchungsgrundsatz haben zur Folge, dass der jeweils andere (rechtskräftige) Entscheid in der Regel ebenfalls zu überprüfen ist. Es rechtfertigt sich daher, an der langjährigen Rechtsprechung festzuhalten, wonach Art. 87 Abs. 3 IVV analog auch auf Eingliederungsmassnahmen anzuwenden ist (zum Analogieschluss vgl. BGE 130 V 71 E. 3.2.1 mit Hinweisen). Hinzu kommt, dass mit dem Beweismass des Glaubhaftmachens herabgesetzte Anforderungen an den Beweis verbunden sind; die Tatsachenänderung muss
BGE 149 V 177 S. 184
also nicht nach dem im Sozialversicherungsrecht sonst üblichen Grad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 126 V 353 E. 5b; Urteil 8C_465/2022 vom 18. April 2023 E. 3.2) erstellt sein. Es genügt, dass für das Vorhandensein des geltend gemachten rechtserheblichen Sachumstandes wenigstens gewisse Anhaltspunkte bestehen, auch wenn durchaus noch mit der Möglichkeit zu rechnen ist, bei eingehender Abklärung werde sich die behauptete Änderung nicht erstellen lassen. Erheblich ist eine Sachverhaltsänderung, wenn angenommen werden kann, der Anspruch auf eine Invalidenrente (oder deren Erhöhung) resp. auf Eingliederungsmassnahmen sei begründet, falls sich die geltend gemachten Umstände als richtig erweisen sollten (SVR 2016 IV Nr. 57 S. 188, 9C_367/2016 E. 2.2 mit Hinweisen).

4.8 Soweit die Beschwerdegegnerin geltend macht, bei der Invalidenversicherung handle es sich um eine Eingliederungsversicherung mit dem Grundsatz "Eingliederung vor Rente", weshalb der Verordnungsgeber die Eingliederungsmassnahmen in Art. 87 Abs. 3 IVV bewusst nicht erwähnt habe, ist Folgendes festzuhalten: Die langjährige höchstrichterliche Rechtsprechung hat kaum für Kritik gesorgt, weshalb mit dem BSV davon auszugehen ist, dass der Verordnungsgeber im Rahmen der letzten IV-Revisionen ("Eingliederung vor Rente", "Eingliederung statt Rente", WEIV [Weiterentwicklung der Invalidenversicherung]) keinen Regelungsbedarf erkannt und auf eine Ergänzung des Katalogs der Leistungsarten in Art. 87 Abs. 3 IVV allein deshalb verzichtet hat. Mit anderen Worten kann das Untätigbleiben des Verordnungsgebers im Rahmen der letzten IV-Revisionen mit Blick auf die langjährige, weitestgehend unbestrittene Rechtsprechung nicht als qualifiziertes Schweigen betrachtet werden.

4.9 Zusammenfassend liegen entgegen der vorinstanzlichen Auffassung keine triftigen Gründe für eine Abkehr von der langjährigen und konstanten Rechtsprechung vor.

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Etat de fait

Considérants 4

références

ATF: 105 V 173, 109 V 119, 135 I 161, 113 V 22 suite...

Article: Art. 87 Abs. 3 IVV, Art. 29 ATSG, art. 87 al. 2 et 3 RAI, Art. 17 LPGA suite...