89 IV 195
Urteilskopf
89 IV 195
39. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 3. Dezember 1963 i.S. R. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich.
Regeste
Art. 204 StGB. Unzüchtige Veröffentlichungen.
Ob illustrierte Druckschriften erotischen Inhalts nach dem gesunden Volksempfinden als unzüchtig zu gelten haben, bestimmt sich weniger nach Einzelheiten als nach dem Gesamteindruck, den sie beim Leser oder Betrachter hinterlassen; Umstände, welche die Wirkung solcher Schriften beeinflussen können.
A.- R., der in Zürich einen Zeitschriften- und Tabakwarenladen führt, wollte am 22. November 1961 269 bebilderte Hefte der Schriftenreihen "Paris-Broadway", "Paris-Riviera", "Evocations" und "For Men" unangemeldet von Frankreich in die Schweiz einführen. Er hatte sie zu diesem Zwecke unter den Sitzen seines Personenwagens versteckt. Die Hefte wurden an der Grenze von Zollbeamten entdeckt und der Schweizerischen Bundesanwaltschaft übermittelt, die sie nicht nur für unsittlich, sondern für unzüchtig hielt, beschlagnahmte und zur allfälligen Einleitung eines Strafverfahrens an die Bezirksanwaltschaft Zürich weiterleitete. Diese zog R. unter der Anschuldigung, unzüchtige Schriften eingeführt zu haben, um sie in Zürich zu verbreiten, in Strafuntersuchung.
Im Verlaufe des Verfahrens wurde die Bezirksanwaltschaft von Drittpersonen darauf aufmerksam gemacht, dass R. in seinem Geschäft mit unzüchtigen Erzeugnissen Handel treibe. Eine Hausdurchsuchung brachte 67 Hefte an den Tag, die R. in seinem Laden teils in einem Geheimfach, teils unter andern Zeitschriften versteckt hielt. Die Hefte wurden beschlagnahmt. Sie gehören mehrheitlich den Schriftenreihen "Paris-Tabou", "Paris-Cocktail", "Paris-Hollywood" und "Sensations" an. R. gab zu, seit April 1961 wöchentlich durchschnittlich zwei solcher Hefte verkauft zu haben.
B.- Das Bezirksgericht Zürich erklärte R. der fortgesetzten unzüchtigen Veröffentlichungen ( Art. 204 Ziff. 1 Abs. 1 und 3 StGB ) sowie des Versuchs zu unzüchtigen Veröffentlichungen (Art. 22 Abs. 1, 204 Ziff. 1 Abs. 2 StGB) schuldig und verurteilte ihn zu vier Monaten Gefängnis und Fr. 1000.-- Busse. Ferner verfügte es, dass die beschlagnahmten Schriften zu vernichten seien.
Das Obergericht des Kantons Zürich bestätigte dieses Urteil am 14. Mai 1963 mit der Ausnahme, dass es die
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Gefängnisstrafe auf drei Monate und die Busse auf Fr. 800.-- herabsetzte. Nach seiner Auffassung halten sich viele Abbildungen der beschlagnahmten Hefte noch im Rahmen des Zulässigen. In allen Heften fänden sich aber einzelne oder zahlreiche Bilder, die offensichtlich anstössig seien, weil durch die Körperhaltung der abgebildeten Frauen der Blick des Betrachters unwiderstehlich auf die schamlos zur Schau gestellten Geschlechtsmerkmale gelenkt werde und die Mimik der Frauen vielfach seelische Regungen widerspiegle, die mit dem Geschlechtsleben zusammenhingen. Diese Bilder gingen eindeutig über das hinaus, was in der Reklame üblich sei. Solche Darstellungen seien geeignet, das sittliche Empfinden eines normal veranlagten Betrachters zu verletzen, geschlechtlich aufzureizen oder Abscheu und Widerwillen zu erregen.
C.- Der Verurteilte führt Nichtigkeitsbeschwerde. Er beantragt dem Bundesgericht, das Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Aus den Erwägungen:
2. Der Beschwerdeführer hält die Betrachtungsweise des Obergerichts für verfehlt, weil sie zwischen zulässigen und unzulässigen Abbildungen oder Texten nicht zu unterscheiden erlaube, sondern darauf hinauslaufe, einfach alles, was beschlagnahmt worden sei, als unzüchtig zu bezeichnen; zudem führe sie zu Widersprüchen, da auch nach der Auffassung des Obergerichts viele Bilder der beschlagnahmten Hefte das Mass dessen, was noch als zulässig erachtet werden könne, nicht überschritten. Aus den Erwägungen der Vorinstanz gehe nicht hervor, welche. Hefte, Abbildungen und Texte als unzüchtig zu gelten hätten. Eine Nachprüfung der Gesetzesanwendung sei deshalb nicht möglich, das angefochtene Urteil folglich gestützt auf Art. 277 BStP aufzuheben.
Schriften oder Bilder sind unzüchtig im Sinne von Art. 204 StGB, wenn sie in nicht leicht zu nehmender
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Weise gegen das Sittlichkeitsgefühl in geschlechtlichen Dingen verstossen, gleichgültig, ob sie auf den normal empfindenden Menschen geschlechtlich aufreizend wirken oder ihn anwidern (BGE 86 IV 19, BGE 87 IV 74). Art. 204 StGB will nicht nur vor sexueller Erregung oder Abscheu und Widerwillen schützen, sondern den Anstand in geschlechtlichen Dingen überhaupt wahren. Ob bebilderte Zeitschriften, wie sie hier in Frage stehen, die Grenzen dieses Anstandes überschreiten, kann nach dem Inhalt von Textstellen oder nach dem Aussehen einzelner Bilder beurteilt werden. Bei dieser Betrachtungsweise darf der kantonale Richter sich aber nicht mit allgemeinen Hinweisen begnügen, wie es das Obergericht tut; im Hinblick auf das Gebot einer einheitlichen Gesetzesanwendung hat er vielmehr anzugeben, welche Abbildungen oder Textstellen er dabei als unzüchtig im Sinne von Art. 204 StGB gewürdigt wissen will. Sonst wird die Nachprüfung der Gesetzesanwendung erschwert oder verunmöglicht. Insofern ist die Rüge des Beschwerdeführers, das angefochtene Urteil entbehre genauer Angaben, begründet. Aufgehoben zu werden braucht das Urteil deswegen aber nicht. Bei der Beurteilung von Veröffentlichungen vorliegender Art kommt es weniger auf Einzelheiten als auf den Gesamteindruck an, den sie beim Leser oder Betrachter hinterlassen. Ob sie das Sittlichkeitsgefühl in geschlechtlicher Beziehung verletzen, beurteilt sich deshalb nicht so sehr nach dem Inhalt einer bestimmten Textstelle oder nach dem Aussehen einzelner Bilder, sondern zutreffender nach den gesamten Begleitumständen, insbesondere nach dem Zusammenhang, in dem sie mit andern Textstellen oder Bildern stehen (vgl. BGE 87 IV 74 und Urteil des Kassationshofes vom 9. Oktober 1953 i.S. Spillmann Erw. 4).Die beschlagnahmten Hefte enthalten neben erotischen Kurzgeschichten, Briefen, Gedichten und dergleichen durchwegs nur photographische Aufnahmen nackter oder halbverhüllter Frauen. In den Texten wird immer wieder
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auf intime Beziehungen zwischen Männern und Frauen oder Frauen unter sich angespielt; öfters ist von solchen Beziehungen sogar bis in Einzelheiten die Rede. Dies gilt insbesondere von den Heftereihen "Evocations", "Paris-Broadway", "Paris-Riviera" und "Minuit cinq", die vom gleichen Verlag herausgegeben werden und die sich in ihrer innern wie äussern Aufmachung sehr ähnlich sind. Ob die vorliegenden Hefte schon der Texte wegen als unzüchtig zu gelten haben, kann dahingestellt bleiben; sie sind es jedenfalls nach dem Gesamteindruck, der vorwiegend durch die Bilder, deren Reihenfolge und Häufung bestimmt wird.Die meisten Hefte sind voller Entkleidungsszenen, bei denen die Frauen nach Farbe und Zubereitung ausgesuchte Leibwäsche tragen, die ihre geschlechtlichen Reize erhöhen soll. Die Bilderfolgen solcher Szenen, die sich durchwegs vor oder auf Schlafstätten abspielen, gipfeln regelmässig in besonders aufreizenden Darstellungen und kommen deshalb einer unverhehlten Aufforderung oder Einladung zur Unzucht gleich (es folgen Beispiele von Heften und Abbildungen).
Andere Hefte zeigen ganz oder nahezu entblösste Frauen z.B. beim Catch, Fechten, Fischen, Auskleiden, im Schnee, Fels, Wasser oder Sand, im Spiegel, in der Badewanne, auf Schlafstätten, Heuböden und Autos, durch Schlüssellöcher, in Reizwäsche, Schleier und Fischernetzen, als Serviertöchter, Sekretärinnen, Kaminfeger, Stierkämpfer, Cowboys usw. Auch bei diesen Heften herrscht das Unzüchtige derart vor, dass es ihren Charakter bestimmt. Sie sind angesichts der dargestellten Fülle weiblicher Nacktheit, aber auch nach ihrer ganzen Aufmachung ebenso unverkennbar darauf angelegt, durch betontes und stets neues Zurschaustellen des Körpers sinnlich besonders ansprechender Frauen fremde Sinneslust zu erregen oder zu befriedigen (es folgen Beispiele).
Dass zahlreiche Abbildungen für sich allein genommen nicht oder kaum zu beanstanden sind, ändert nichts. Sie
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dienen offensichtlich bloss dazu, Abwechslung oder Spannung in die Betrachtung oder Lektüre zu bringen. Dies gilt namentlich von den Zeitschriften mit Striptease-Aufnahmen, die meistens auf das ganze Heft verteilt sind. Die allgemeine Lockerung der Sitten ist keineswegs so weit gediehen, dass Hefte, wie die vorliegenden, nach der gesunden Anschauung des Volkes, die allein massgebend ist, nicht mehr als unzüchtig zu gelten hätten. Bei solchen Veröffentlichungen ist ein strenger Massstab umsomehr am Platz, als sie keinerlei künstlerische oder literarische Zwecke verfolgen, sondern sich bloss an die Geschlechtslust wenden, die geschäftlich ausgebeutet wird. Ein Vergleich mit kunst- oder kulturhistorischen Werken oder Sammlungen, mögen diese sich auch mit dem Geschlechtlichen befassen, ist von vorneherein verfehlt. Es geht wenig um echte Natürlichkeit oder schickliche Darstellungen des nackten weiblichen Körpers, sondern - wie die Umstände zeigen - immer wieder um gleiche oder gleichartige obszöne Spielereien mit geschlechtlichen Reizen leichtfertiger Frauen. Die Hefte lassen sich deshalb auch nicht mit der Reklame gewisser Zweige der Bekleidungsindustrie vergleichen, mögen deren Werbeschriften ab und zu auch gewagte Darstellungen enthalten.Wenn die Vorinstanz es ablehnte, Zürcher Nachtlokale "in Augenschein zu nehmen", deren öffentliche Anzeigen und Vorführungen entschieden weiter gingen als die beschlagnahmten Hefte, so liegt darin entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers keine rechtsungleiche Behandlung. Selbst wenn gegenüber Besitzern solcher Lokale zu Unrecht nicht eingeschritten worden sein sollte, so gäbe dies dem Beschwerdeführer keinen Anspruch auf ungestrafte Verbreitung unzüchtiger Veröffentlichungen (BGE 89 IV 135 Erw. 5). Dass nur bestraft werden darf, wer den Tatbestand erfüllt, ist nicht ein Ausfluss der Rechtsgleichheit und damit des Art. 4 BV, sondern ergibt sich aus Art. 204 StGB wie aus jeder andern Strafbestimmung.